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Das Augustfeuerfest
ОглавлениеIn den heißen Hundstagen im August wird das Korn, der Stab des Lebens, schnittreif. Wieder nähern sich die Göttlichen. Als hehre Matrone mit dem Füllhorn, als Madonna mit der Sichel offenbart sie ihre Gegenwart in Traum und Vision. Ihr Schoß bringt Beeren, Obst, Getreide und die allerheilkräftigsten Kräuter hervor. Ihr Begleiter, der Sonnengott, zeigt sich nicht mehr in seiner milden, hell strahlenden Gestalt; er ist nun feurig, scharf brennend, austrocknend. Die Kelten nannten ihn Lugh, den klugen, geschickten Gott, den »Meister aller Künste« (Lug-Samildanach), den »Löwen mit der ruhigen Hand« (Llew Llaw Gyffes). Er ist es, der mit seiner Glut (Lohe), seiner Klugheit (Logos) alles zur Reife zur Vervollkommnung bringt. Er symbolisiert das sich neigende Jahr, den Westen, wo die Sonne in roter Glut untergeht. Unter seiner Herrschaft wird das Korn golden, das Obst süß und rotgelb, die Kräuter werden noch würziger und kräftiger als zur Mittsommerzeit. Er ist aber auch der gnadenlose Schnitter, der Vollender, der Terminator, der dem grünen, sprossenden Leben mit seiner Glut ein Ende bereitet. Bei den Nordgermanen ist er der Loki, der den milden, von allen geliebten Baldur umbringt, der schließlich den alles hinwegraffenden Weltenbrand entfacht. Aber der Teufel, zu dem ihn die Missionare machten, ist er nicht.
Beim Augustvollmond hielt Lug Hochzeit mit der Göttin der Erde und lud die Menschen ein mitzufeiern. Lugs Fest war ein Feuerfest: Riesige Holzstösse wurden angezündet. Drei Tage lang – so war es bei den Inselkelten noch lange der Brauch – war das Wasser tabu; es durfte weder gewaschen noch gebadet gebadet werden; es durfte nicht geangelt, noch durften die Netze zum Fischfang ausgeworfen werden.
Der Kornkönig (Getreidewolf, Kornbär) wurde in feierlicher Prozession ins Dorf gebracht und geopfert. Im Spätneolithikum und der Bronzezeit waren es Menschenopfer -der Häuptlingssohn, ein Fremder oder ein Kriegsgefangener –, die stellvertretend die Rolle des Korngeistes übernahmen. Die Feiernden wurden mit dem Opferblut zum Segen betupft. Der Leichnam wurde zerstückelt und in den Äckern begraben, um der Scholle seine Kraft zu vermitteln. Eine agrikulturelle Magie, die den Jägern und Sammlern völlig fremd war! Die Göttin, als Getreidemutter, beweint ihren geopferten Sohn und wird so zur Schmerzensmutter. Noch im Christentum lebt sie weiter als Mater dolorosa, die ihren geopferten Sohn – er gibt sich zu erkennen, indem er verkündet: »Ich bin das Brot und ich bin der Wein!« – bitter beklagt.
Bei den Angelsachsen hieß das Fest zum Segnen der Getreideernte Hlaf-mass (Leib-Messe) – woraus die Bezeichnung »Lammas« für das Hexenfest am ersten August entstand.
Der Rainfarn (Tanacetum vulgare L., syn. Chrysanthemum vulgare [L.] BERNH.) wurde schon von den Germanen als magischer Schutz vor Unholden am Haus aufgehängt. Das aromatische Kraut diente auch als Räuchermittel. Volksmedizinisch wurde das Kraut als wurmwidriges Mittel verwendet. Das ätherische Öl enthält das Nervengift Thujon. (Holzschnitt aus OTTO BRUNFELS, Kreutterbuch, 1532)
Das Fest des Lugh war Anlaß, sämtliche Kräuter zu weihen, die für das kommende Jahr in Haus und Hof, für Gesundheit und Wohlergehen vonnöten waren. Es macht auch guten Sinn, die Pflanzen in den heißen Hundstagen zu sammeln, denn Aroma, Geschmack und die Heilkraft, die sich in den Wirkstoffen, vor allem den ätherischen Ölen, niederschlägt, sind Ausdruck der kosmischen Licht- und Wärmekräfte, die die Vegetation zu dieser Jahreszeit aufnimmt. Zu anderen Jahreszeiten sind diese Eigenschaften noch nicht voll ausgereift, oder die Wirkstoffe werden wieder abgebaut.
Die Frauen weihten diese kräftigen Augustkräuter der Göttin, die sich nun allmählich von der Erscheinungswelt zurückzog. In der Synode von Liftinae (743 n. Chr.) versuchte der Missionar Bonifatius – der auch die heiligen Bäume der Heiden fällen ließ – diesen Brauch zu bannen. Da aber die Weiber nicht von den Kräutern abließen, wurden sie bald unter die Schirmherrschaft der Muttergottes gestellt und in den Kirchen am Mariahimmelfahrtstag der sterbenden Maria geweiht. Es seien die blühenden Kräuter, die man anstelle von Marias Leichnam im Grab gefunden habe, hieß es nun.
Gesammelt wurden »neun« Heilpflanzen, Kräuter zum Schutz gegen Zauberei, Feuersbrunst und Hagelschlag, Kräuter, die zum glücklichen Beischlaf verhalfen und die Geburt erleichterten. Einige legte man mit in die Saattruhe oder auch in den Sarg der Toten. Viele benutzte man als Rauchkräuter, mit denen man zu heiligen Zeiten (wie etwa den »Rauchnächten« zur Wintersonnenwendzeit) räuchern konnte.
Wieder war es Schafgarbe, die in das Medizinbündel kam, ebenso wie Beifuß, Arnika, Ringelblume, Salbei. Hinzu kamen solche bekannte Kräuter wie das Liebstöckl (Levisticum officinale), das nicht nur als Gewürz (Maggikraut) geschätzt war, sondern auch als Liebesmittel, und der Dill (Anethum graveolens), dem man zutraute, ungute Geister zu vertreiben. Sein kräftiger Duft ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum die alten Völker, wie etwa die Skythen, den Dill mit anderen Aromatika zum Einbalsamieren ihrer Toten verwendeten. Mit Dill, einem Gartenkraut, das die Mönche nach Mitteleuropa brachten, ließ sich nicht nur der Buhlteufel vertreiben, sondern auch die Zeugungskraft unterdrücken (MÜLLER 1993: 77). Und eine Braut, die sich nicht dem Willen ihres Mannes unterwerfen wollte, nahm bei der Trauung heimlich Senf- und Dillsamen mit und murmelte: »Ich habe Senf und Dill. Mann, wenn ich rede, schweig du still!«
Baldrian (Valeriana officinalis) gehörte auch mit in das Bündel. Schon der alte Name »Wielandswurz« läßt erahnen, daß wir es mit einer starken Zauberpflanze zu tun haben, denn Wieland der Schmied war ein großer Zauberer, ein Schamane mit Schwanenflügeln. Ehe es im Maschinenzeitalter als nervenentspannendes Mittel entdeckt wurde, galt das »Hexenkraut« vor allem als Liebesmittel. Mann und Frau zusammen sollten die Wurzel in Wein einnehmen. Und ein altes Rezept rät: »Nimm Baldrian in den Mund und küsse die, die du haben willst, sie wird dir gleich in Liebe gehören.« (BEUCHERT 1995: 31)
Der gelbblühende duftende Rainfarn (Tanacetum vulgare) kam mit in den Weihestrauß. Wegen seines thujonhaltigen ätherischen Öls war er ein wichtiges Wurmmittel, zugleich aber auch ein Abtreibungsmittel.
Der Weihebüschel wurde noch mit Getreidehalmen und blühenden Getreideunkräutern geschmückt: mit der blauen Kornblume, die an den Himmelsmantel der Göttin erinnerte, und der roten Kornrade, die dem feurigen Lugh geweiht war. Das kunstvolle Gebilde wurde dann mit niedrig wachsenden Kräutern – blühender Kamille, Quendel, Labkraut, Mutterkraut – umrahmt. In der Mitte des Büschels thronte, wie die Göttin selbst inmitten ihres Gefolges, die hohe Königskerze, auch Himmelbrand genannt. Im Mittelalter hieß es, die Heilige Maria gehe zu dieser Zeit segnend über das Land: »Unsere liebe Frau geht über das Land, sie trägt den Himmelbrand in ihrer Hand!« Und manchmal berührte sie damit Kranke und heilte sie.
Die Kräuter für den »Augustmaien« mußten früh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang, mit dem richtigen Spruch gepflückt werden. Die Frau sollte schweigend zu den Pflanzen gehen, unbekleidet oder wenigstens barfuß, ungesehen, und ohne irgendwelche Gedanken zu denken. Keinesfalls durften die Kräuter mit einem eisernen Messer geschnitten oder mit eisernem Spaten ausgegraben werden, denn das würde ihnen die Kraft nehmen.
»Gedeihen Schafgarbe und Löwenzahn, Ist’s um den Menschen gut getan!«
Die Schafgarbe (Achillea millefolium)
Die Schafgarbe, die zu Mittsommer und zur Augustkräuterweihe eine zentrale Rolle spielte, ist eine beliebte Heilpflanze. Der eher bitter-würzig schmeckende, leicht schweißtreibende Schafgarbentee schwemmt, kurmäßig getrunken, Toxine aus. Er wirkt blutdrucksenkend, harndesinfizierend, entzündungswidrig und krampflösend. Wegen seiner Bitterstoffe regt er reflektorisch den ganzen Verdauungstrakt an und steigert die Gallensekretion. Mit anderen Worten: er ist ein regelrechtes Gesundheitstonikum. Man trank ihn auch im Mittelalter als der Schwarze Tod, die Pest, umging.
Der wissenschaftliche Gattungsname der Pflanze, Achillea, bezieht sich auf Achilles, den Helden im Trojanischen Krieg. Seine Mutter hatte ihn unverwundbar gemacht, indem sie ihn nachts in das himmlische Feuer hielt und ihn tagsüber wieder mit Ambrosia heilte. Nur an der Ferse, an der sie ihn gehalten hatte, blieb er verwundbar. Gerade da jedoch traf ihn der todbringende Giftpfeil des Paris. Auf Anraten der Aphrodite, Herrin der wohlduftenden Kräuter, legte der Held Schafgarbe auf; die Wunde schloß sich sofort. (BIRMANN-DÄHNE 1996:92)
Als junger Krieger ging Achilles, wie auch Aeskulap und andere große Heilkundige, bei dem klugen Pferdemenschen Cheiron in die Lehre, um die Wundheilkräuter kennenzulernen. Cheiron offenbarte ihm die Schafgarbe, mit der er viele verwundete Kameraden heilte. Die Sage deutet an, daß die Schafgarbe tatsächlich ein hervorragendes Wundheilmittel ist. Das besagen auch viele der volkstümlichen Bezeichnungen: Sichelkraut, Wundkraut, Soldatenkraut, Zimmermannskraut, Blutkraut. In Rußland heißt es Beilhiebkraut, und in Frankreich wird es zu Ehren des Patrons der Zimmerleute herbe à charpentier (Zimmermannkraut) oder herbe de Saint-Joseph (Josefskraut) genannt. Die fromme Legende erzählt, daß sich Joseph bei seiner Arbeit einmal schwer verletzte. Da holte das Christkindlein Schafgarben von der Wiese und legte sie ihm auf. Sofort hörte die Wunde auf zu bluten und schloß sich auf wunderbare Weise. Schon Dioskurides, der griechische »Vater der Phytotherapie«, benutzte das »tausendblättrige Soldatenkraut« bei Stich- und Hiebwunden. Hildegard schätzte die »Garwa-Millefolium« bei inneren und äußeren Verletzungen, Blut- und Tränenfluß sowie bei Schlaflosigkeit. Die Pflanze enthält zusammenziehende, schleimhautfestigende Gerbstoffe. Diese wirken trocknend und eiweißausflockend. Das heißt, sie neutralisieren die von Wundbakterien ausgeschiedenen Gifte. Hinzu kommt noch das entzündungshemmende ätherische Öl Azulen, das auch in der Kamille enthalten ist.
Die Astrologen stellen das Wundheilkraut unter die Herrschaft des kriegerischen Mars. Aber wo sich Mars befindet, da ist seine Geliebte, Venus, nicht fern. Namen wie Jungfernkraut, herbe de Notre Dame, Margaretenkraut – die heilige Margerete war für viele Frauenkrankheiten zuständig – oder Augenbrauen der Venus (supenilium veneris) zeugen von der Rolle, die diese Heilpflanze als Frauenkraut spielte. »Schafgarbe im Leib, tut wohl jedem Weib«, heißt es in einem alten Bauernspruch. Als Venuspflanze wurde Schafgarbe zum Austrocknen und Heilen venerischer Krankheiten benutzt. Das sind die Leiden, welche die von der Venus beherrschten urogenitalen Organe befallen. Der englische Kräuterarzt Nicholas Culpeper (1616–1664) teilt sie ebenfalls der Venus zu und beschreibt ihre Eigenschaft als »bindend und trocknend, die bei Männern schwache Nieren heilt und bei Frauen den weißen Fluß«. Als warmes Sitzbad – oft in Kombination mit anderen entspannenden, tonisierenden Frauenkräutern wie Melisse oder Lavendel – wirkt die Schafgarbe bei Verspannungen und Verkrampfungen des Unterleibs. Bei Weißfluß, bei zu langer oder starker Regelblutung wirkt das Kraut – als Sitzbad, Einlauf oder Tee – menstruationsregulierend.
Die Schafgarbe (Achillea millefolium L.) gehört zu den weltweit hochgeschätzten Heilpflanzen. Sie enthält Bitterstoffe, Flavonoide und ein ätherisches Öl mit Cineol und Proazulen. Das aromatische Kraut wird als Bittermittel, als Wundheilmittel und v.a. als Frauenheilkraut benutzt. (Holzschnitt aus TABERNAEMONTANUS, Kräuterbuch, 1731)
Auch als Orakel benutzten die Frauen diese Venuspflanze. Wollte ein Mädchen wissen, wie der junge Mann aussah, der sie aus elterlicher Obhut befreien und heiraten würde, dann wendete sie sich an dieses Kraut. Es sollte an einer unheimlichen Stelle, wo sich die Geister aufhalten, etwa an einer Wegscheide oder noch besser vom Grab eines früh verstorbenen Mannes gepflückt werden. Sie legte es unter das Kissen und flüsterte:
»Die erste Schafgarbe finde ich hier,
Im Namen Christi pflück ich sie mir,
Und wie Jesus Maria mit Liebe bedacht,
Mög im Traum mir erscheinen mein Liebster heut Nacht!«
Auf den Britischen Inseln mußte die Jungfrau die Schafgarbe im Mondlicht mit einem Messer mit schwarzem Griff schneiden, unter das Bett legen und vor dem Einschlafen sagen: »Du wunderschöner Venusbaum, dessen wahrer Name Garbe ist, verrat mir heut nacht im Traum, wer mein Herzliebster ist.«
Derartige Schafgarbenorakel gibt es in vielen Kulturen. Rudolf Steiner spricht von der »Schwefelwirkung« dieser Pflanze, die es ihr ermöglicht, Übersinnliches und Zukünftiges in das Diesseits zu channeln. (Nach Ansicht des Anthroposophen, »benetzt der Geist seine Finger mit Schwefel, um in der physischen Welt wirken zu können«.) Auch in China sind es traditionellerweise Schafgarbenstengel, mit denen die seit Jahrtausenden benutzten »I-Ging«-Stäbe angefertigt werden. Die Weissagestäbchen werden auf besondere Weise gehalten und gehandhabt und stellen eine »natürliche Verbindung« zwischen den Ratsuchenden und den Kräften des »Feng Shui« her, die das künftige Ereignis herbeiführen.6
Den alten Germanen war die Schafgarbe eine heilige Pflanze. Die Bedeutung des altgermanischen »Garwe«, läßt sich als »Gesundmachen«, »Garmachen« deuten. Das aromatische Kräutlein war als Heil- und Frauenpflanze vor allem der Freya geweiht. Die zarten Blätter gehörten mit zu den neun grünen Kräutern, die im Frühling als Kultspeise (»Die grüne Neune«) gegessen wurden. Mittels dieser der Göttin geweihten Suppe oder Küchlein verbanden sich die Menschen mit den Kräften der grünenden, sich erneuernden Natur. Auch Eier, als Sinnbild des Lebens, wurden damals schon bemalt. Wahrscheinlich wurden damals wie heute die Ostereier in die filigranen Schafgarbenblätter eingebunden und in Farbe getaucht, um schöne Muster zu erzeugen.
Altheidnisch ist auch die Verwendung der Schafgarbenblätter als Liebesorakel. Um sich zu vergewissern, daß der in der Ferne weilende Freund ihr treu war, sagte das Mädchen den notwendigen Spruch auf, etwa: »Schafgarbe, Schafgarbe, ist mein Liebster mir gut, kommt weder Wasser noch Schaum, sondern rotes Blut«, dann drehte sie ein Schafgarbenblättchen dreimal in der Nase herum. Stellte sich Nasenbluten ein, so war der Liebste ihr treu. Daß die Enden der Fiederblättchen mit winzigen Stachelborsten versehen sind, kam dem Anliegen sicherlich entgegen.
Ehe die Benediktiner den Hopfen bekannt machten, benutzten die nordeuropäischen Völker Schafgarbe und andere bitter-aromatische Kräuter (Gundermann, Heidekraut, Porst) zum Würzen und Haltbarmachen des Bieres. Als Bierkraut war die Schafgarbe weniger der holden Freya als dem mächtigen Donnergott Donar/Thor, dem Herrn der berauschenden Getränke, geweiht.