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Der Rauchfang
ОглавлениеDas Lagerfeuer war von Anfang an die Mitte des gesellschaftlichen Lebens. Schon vor einer knappen Million Jahre wärmten Urmenschen (Homo erectus) ihre Glieder am Lagerfeuer. Das Feuer spendete nicht nur Wärme und Licht, trocknete nicht nur nasse Bekleidung oder garte das Fleisch, es war auch heilig und heilkräftig. Es war der Sonnengeist oder das Himmelsfeuer selber, das unter den Menschen Wohnung genommen hatte. Der Ring von Wackersteinen, die man um die Feuerstelle legte, war das ursprüngliche Medizinrad. Der Steinkreis wurde zum Fokus (lateinisch focus = Herd, Feuerstätte) des Sakralen. (Später im Hoch-Neolithikum, nahmen Steinkreise -etwa Stonehenge – gigantische Proportionen an.)
In den Winternächten saß man am Feuer im Zelt, in der Jurte oder im Tipi, und lauschte den Erzählungen des Schamanen oder der Schamanin. Im flackernden Licht, in den tanzenden Schatten an der Zeltwand, im Erglühen und Erlöschen der Kohlen, im aufsteigenden Rauch konnten sich die Geister, die Bewohner anderer Dimensionen, vorübergehend inkarnieren: mal war es ein verstorbener Ahne, mal ein Tiergeist aus dem Wald.
Hier, ins Feuer, konnte man den Ahnengeistern einige Happen vom Essen geben, damit sie einem gut gesinnt bleiben. Noch immer verbrennen die Chinesen bunte Prunkkleidchen aus Seidenpapier, Geld und Tücher, um die Ahnen auf der anderen Seite zu erfreuen. Noch lange opferten die skandinavischen Hausfrauen dem Lokke, dem Feuergeist, etwas Teig, etwas Butter und dergleichen. Noch im Mittelalter wurden am Herd den »armen Seelen« und den »Unterirdischen« eine Schüssel mit Milch und Brei hingestellt, besonders zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten und anderen heiligen Tagen.
Heilig ist der Herd. Wenn eine neue Braut (im indoeuropäischen Siedlungsbereich, in Ostasien, in Mexiko) das Haus betritt, soll sie zuallererst die Herdstelle umwandeln und das Feuer begrüßen. Auch das neugeborene Kind wird rechtsläufig um die Feuerstelle getragen, um es den Ahnen zu weihen.
Viele Völker, auch prähistorische Europäer, begruben die Knochen der Toten unter der Feuerstelle oder beim Herd. Keltische Kopfjäger räucherten ihre Trophäen, die Köpfe getöteter Feinde, im Rauchfang. Vielerorts, etwa in China, werden die Hausgeisterfiguren am Herd aufgestellt.
Die Rauchöffnung, das »Windauge« (window), wie es die Germanen nannten, ist das Tor, durch das die Geister ein- und ausgehen. Damit keine unholden Geister durch das Windauge schlüpfen, schützte man es mit magischen Zeichen: Die Germanen hängten die Köpfe geopferter Pferde daran – Pferde, die, wie Falada im Märchen von der Gänsemagd, weissagten und deren Worte die weise Alte verstand. Die Skandinavier schnitzten Drachen- und Schlangenmotive – typische Hüter der Schwelle – in die Firstbalken, die sich über dieser Öffnung kreuzen.
Schon in paläolithischen Zeiten muß das Rauchloch an der Spitze des Zeltes Geistertor und Pforte zu transsinnlichen Welten gewesen sein: Sibirische Schamanen stellen gekerbte Birkenstämme auf, die bis zum Rauchloch reichen. Auf diesem »Schamanenbaum« klettern sie während der Seance in die Geisterwelt hinein. (Ebenso wie das Zelt oben ein Windauge hat, durch das die Geister ein- und ausgehen, so hat das Himmelszelt, das diese Erde bedeckt, ein solches Loch – das ist der Nordstern an der Spitze des Weltenbaumes. Von dort gehen die Himmelsgötter ein und aus.) Das Rauchloch ist somit auch die »Hecke«, die Schwelle zum Jenseits. Das Bild der Hexe, die durch den Rauchfang ausfliegt, wird noch lange erhalten bleiben.
Im Winter saß die Alte am Herd, im Sommer aber ging sie zum Hag, zur dornigen Hecke am Rande der Siedlung. Fast überall ist es die Aufgabe der alten Weißhaarigen, trockenes Reisig und Kleinholz zu sammeln. Sie kannte sich aus in den »neunerlei« Arten Holz: Sie wußte, welches Holzfeuer heilende Wärme gibt, welches kränkelnde Kinder gesund macht, mit welchem unholde Geister sich ausräuchern lassen.8 Die Anwendung hatte sie von ihrer Großmutter gelernt, diese wiederum von ihrer und so weiter, bis sich die Kette der Überlieferung an den Lagerfeuern der alten Steinzeit, der Traumzeit, verliert, als die Götter noch sichtbar über die Erde wandelten. Auch »neunerlei« Kräuter fand sie hier, mit denen sich würzen, zaubern und heilen läßt. Und wenn sie sich auf ihrem Lieblingsplatz in der Hecke, unter dem Holunder, dem Weissdorn oder der Hasel, ausruht, kommt die Traumzeit wieder greifbar nahe. Als sprechender Vogel, als Käfer, in der Gestalt eines Fuchses oder eines grauen Männleins tritt ein Geistwesen an sie heran und raunt ihr Geheimnisse zu. Manchmal ist es sogar die Frau Holle selbst, die da als schöne Zauberfrau vor ihr steht oder als runzeliges Trollweib mit erschreckend großen Zähnen und Augen, die wie rote Kohlen glühen. Die Großmutter bedankt sich mit einer kleinen Gabe, etwas Brei oder einem Schüsselchen Milch, die sie am nächsten Morgen zur Hecke bringt. Vielleicht betupft sie auch den Stein oder den Baum, wo sie die Vision empfangen hatte, mit etwas Blut oder mit rotem Zinnober, oder sie räuchert mit würzigem Beifuß oder Wacholder. Hexenrituale!
Der Hexenflug durch den Kamin. (AUS THOMAS ERASTUS, Dialogues touchant le pouvoir des sorcières et de la punition qu’elles méritent, Genf 1579)
Da die Großmutter lange und oft in der Hecke weilte, ist es nur folgerichtig, daß die anderen Dorfbewohner sie als »Heckensitzerin« bezeichneten. Hagadise, Hagezusse, »das Weib (Zussa) oder der Geist (Dise) im Hag«, so und ähnlich nannten sie die verschiedenen germanischen Völker. Als Disen bezeichneten sie vor allem die Clanmütter, die weiblichen Ahnen, die noch immer am Schicksal des Stammes weben, ihm mit Rat und Schutz beistehen. Dem Krieger geben die Disen Mut, den Dichtern Inspirationen. Bei der Geburt, bei der Abnabelung eines Kindes, sind sie als »Schicksalsmütter« anwesend, dem Sterbenden durchschneiden sie den Lebensfaden und helfen ihm auf seiner Jenseitsreise. Frau Holle ist die Herrin der Disen. Auch die holde Freya, die Spenderin der Liebe und Sexualität, ist als Dise, als Vanadis (Wanendiese, »Dise der Wanen«) bekannt (SIGRUNA 1996: 17). Die Wanen sind bekanntlich die Götter des Wachstums, der Wonne, der Fruchtbarkeit und des Waldes.
Die Alte im Hag und am Herd stellte die Verbindung zu den Disen, den Müttern des Stammes, dar. Die Weise Frau war selber das lebendige, auf Erden inkarnierte Glied einer Kette, welche die vergangenen mit den künftigen Geschlechtern verband. In ihr verehrte man nicht nur die Großmutter, sondern die Göttin selber. Sie war die Freya (Herrin) des Hauses, die Hausfrau im ursprünglichen Sinn. Sie war es, die Frieden mit den Haus-, Ahnen- und Haggeistern stiftete, die mit Tieren und Pflanzen die Kommunikation aufrecht erhielt, und damit zur Hüterin und Wächterin des lokalen Ökosystems wurde.
Aus »Hagezusse« ist das Wort »Hexe« geworden. Die Briten kennen sie als die »old hag«. Die alten Skandinavier nannten sie die Tunritha, die Zaunreiterin. Zunrite hieß sie im Oberdeutschen und Walriderske im Niederdeutschen, was dieselbe Bedeutung hat. Dieser Name wurde der Weisen Frau nicht gegeben, weil sie auf einem Zaunstecken durch die Lüfte schwirrt, wie einige Etymologen meinen, sondern weil sie in der Hecke sitzt, an der Schwelle zwischen der Natur und der Kultur, zwischen der Welt der Geister und jener der Menschen.
Die Weise Frau, die es am besten verstand, zwischen beiden Welten zu vermitteln, und deren Wissen, Einsicht und geistige Reichweite am weitesten ging, könnte man durchaus – im ethnologischen Sinn – als Schamanin bezeichnen (DUERR 1978). Die Angelsachsen bezeichneten die Haegtesse auch als Angenga, »die einsam Herumschweifende«, oder als Wicca, was soviel bedeutet wie »die den Göttern Geweihte« (Germ. *weiha, altnordisch vigja = heilig, geweiht, numinös). Das mittelalterliche Kirchenlatein bezeichnete sie unter anderem als Lamina (Holzmütterchen), auch als Herbaria (Kräutermütterchen).
Selbstverständlich gab es auch männliche Zauberer, Wicce, und »heilige Männer«, die mit der Geister- und Götterwelt umzugehen wußten. Es gab Jäger, Hirten und Waldgänger, die sich jenseits der Hecke gut auskannten. Es gab auch mächtige Schamanen, die wie flinke Eichhörnchen den Weltenbaum hinauf- und hinabklettern oder wie Adler fliegen konnten. Es gab Lachner, die mit Hilfe ihrer verbündeten Tiere jene Krankheitsdämonen herausschnüffeln konnten, die sich tief im Leib einnisten. Es gab solche, die anhand der Risse und Sprünge eines im Feuer schwelenden Hirschschulterblattes sagen konnten, wo sich das Wild im Wald versteckt.
Wenn es aber um die Geheimnisse der Pflanzen ging, dann waren vor allem die Frauen zuständig. Nach Ansicht des alten Tsistsistas-Medizinmanns Bill Tallbull sind sie es meistens, die den Pflanzenschamanen im Umgang mit Pflanzen inspirieren. Auf gemeinsamen Wanderungen in die Big Horn Mountains erklärte er mir: »Wenn eine Pflanze ein bläuliches Licht ausstrahlt, ist das ein Zeichen, daß der Pflanzengeist mit dir Kontakt aufnehmen will. Wenn du ihn nicht verstehst, dann warte, bis er dir im Traum erscheint. Wenn du dann immer noch nicht verstehst, dann frage die Großmütter, die werden es wissen.«
Von dem alten Recken Wate, dem Waffenmeister des gotischen Königs Dietrich von Bern, heißt es, daß ein »wildes Weib« ihn in die Heilwurzelkunde eingeweiht habe:
»Sie haeten in langer zite d vor wol vernomen,
Daz Wate arzet waere vom einem wilden wibe!« (Gudrunlied)
Von Wotan-Odin, dem großen Schamanengott, sagt man, daß er mit Zaubersprüchen heilen konnte – und zwar besser als die heilkundigen göttlichen Frauen. In den von unbekannten Mönchen im 10. Jahrhundert niedergeschriebenen Merseburger Zaubersprüchen heißt es (METTKE 1979: 27):
»Phol (Baldur) und Wodan ritten in den Wald,
da ward dem Fohlen Balders sein Fuß verrenkt.
Da besang ihn Sinthgunt und Sunna, ihre Schwester,
da besangen ihn Frija und Volla, ihre Schwester
da besang ihn Wodan, wie nur er es richtig verstand:
›Wie die Beinrenke, so die Blutrenke,
so die Gliederrenke:
Bein zu Beine – Blut zu Blute!
Glied zu Gliedern, als ob sie aneinandergefügt seien!‹«
Wotan heilte aber auch mit Kräutern, wie wir aus dem Angelsächsischen Kräutersegen (11. Jh.) erfahren (WHEELWRIGHT 1974: 104):
»Neun heilende Pflanzen gegen neun schreckliche Gifte.
Ein Wurm [Krankheitsdämon] kam geschlichen,
um zu schlagen und zu töten.
Da nahm Wotan neun wundersame Zweige auf,
zerschlug den Wurm, bis er zu neun Fetzen zerstob.«
Aber wenn er seine Wurzeln und Kräuter sammelte und damit heilte, verkleidete Odin sich als Frau, dann zog er Frauenkleider an (GRIMM 1877: 333).
Oft sind es Waldfrauen, Schwanenfrauen und Feen, die dem Kräuterheiler das richtige Heilkraut offenbaren. In der Pestzeit riefen oberpfälzische Holzfräulein aus dem Walde: »Eßt Bibernellen und Baldrian, so geht die Pest Euch nichts an!« (MEYER 1903:195)
Schamanen in Eurasien haben oft Ehegattinnen in der anderen Welt, die sie inspirieren, aber auch Schamaninnen können mit Andersweltlichen verheiratet sein. Manchmal ist es die Göttin selber – die Großmutter Erde, die baumgrüne Jörd, Holda, Freya, die dreifache Brigit – die dem wurzelkundigen Kräuterschamanen erschien.
Daß die Frauen besonders leichten Zugang zu den Pflanzengeheimnissen haben, ist auch dem ersten lateinischen Kirchenschriftsteller Tertullian (160–220 n.Chr.) nicht entgangen. Der Kirchenvater war überzeugt, daß Frauen nicht nur Männer verführen können, sondern auch Engel. Für die Unzucht, die sie mit gefallenen Engeln getrieben hätten, hat Luzifer ihnen sozusagen als Hurenlohn das Wissen um Kräuter und um Kosmetika geschenkt (De Anima, LVII).
Nicht jede Hexe war steinalt, es gab selbstverständlich auch junge. Es gab Mädchen, deren Auserwähltsein sich schon sehr früh durch Zeichen und Wunder oder durch ihre offensichtlichen, hellsichtigen Begabungen kundtat. Vielleicht war es ein Kind, das von einem Raubtier entführt worden war und auf wundersame Weise unversehrt wieder zurückkam. Auch wer vom Blitz getroffen wurde und überlebte, galt als auserwählt. Es konnte auch eine junge Frau sein, die unwillkürlich zukünftige Ereignisse vorhersagte, die sehr leicht in Trance fiel und, ohne verwirrt zu sein, ihren Geist mit den Vögeln schweben lassen konnte. Von Hildegard von Bingen wird berichtet, daß sie als Vierjährige das genaue Aussehen, Farbe und Muster eines Kälbchens beschrieb, obwohl sich das Tierchen noch ungeboren im Bauch der Mutterkuh befand. Erst als es geboren wurde, sah man, daß die Beschreibung stimmte. Ein derart ungewöhnliches Kind steckte man im Mittelalter ins Kloster unter die Obhut der Kirche; heute bringen es die besorgten Eltern zum Therapeuten. Bei den Naturvölkern jedoch werden sie oft von erfahrenen Schamanen adoptiert oder gehen bei ihnen in die Lehre. Die Indianer in Arizona und Neu Mexiko wissen, daß sie solche ungewöhnlich Begabte brauchen, deshalb verstecken sie sie vor den Schulbehörden und lassen keine Schere ihre Haare berühren.
Auch wenn sie noch jung sind, nennt man sie respektvoll »alt«, denn ihr Wissen war uralt, archetypisch. So heißt es in der chinesischen Legende, daß Laotse, dem wir das Tao Te King verdanken, bei seiner Geburt unter einem blühenden Pflaumenbaum dem Schoß seiner Mutter als »weißhaariger Alter« entstieg. Besonders mächtigen indischen Sadhus (wandernde Heilige) und Yogameistern wird aus ähnlichen Gründen oft ein Alter von mehreren hundert, manchmal tausend Jahren zugeschrieben, obwohl sie sich noch in der Blüte ihrer Jugend befinden.
Noch zur Zeitenwende genoß die Hexe bei den nordeuropäischen Völkern als Weise Frau, als Zauberkundige, Heilerin und Prophetin ein hohes Ansehen. Tacitus, der »Germanienexperte« der Römer, findet es merkwürdig, daß die Barbaren sogar davon überzeugt sind, »daß es bei den Weibern etwas Heiliges und Prophetisches gibt, und sie verschmähen weder ihre Ratschläge noch vernachlässigen sie ihre Antworten«. (TACITUS, Germania 8). Sejdkona (zauberkundige Frau) oder Völva (Weissagerin) hießen sie im hohen Norden. Sie trugen einen Zauberstab, sangen sich mit Zauberliedern in die Ekstase und weissagten (STRÖM 1975: 259). Sie vermochten es aber auch, Unheil über ihre Feinde zu bringen. Sie konnten die verborgenen Wesen beim Namen rufen, kannten Worte und Runen, die in die Tiefe wirken. Ihr Wort, ihr Zauberkraut konnte als Segen wirken oder auch als Fluch. Sie waren deshalb – wie die Schamanen und Medizinmänner – überall nicht nur geachtet, sondern auch gefürchtet.
Den letzteren Aspekt, die Fähigkeit, Schadenzauber zu betreiben und Feinde ohne sichtbare Waffen zu töten, war Wasser auf die Mühlen der christlichen Missionare, die die keltischen, germanischen und slavischen Stämme von der Überlegenheit ihres Dogmas zu überzeugen suchten. Gleich von Anbeginn ihrer missionarischen Tätigkeit, in der Zeit der Völkerwanderung, versuchten sie die weisen, kräuterkundigen Frauen zu diffamieren. Zusammen mit den Berserkern und heidnischen Priestern stellten sie nämlich das Haupthindernis zur Bekehrung dar. Sie waren Rivalen im Kampf um die Herrschaft über die Seelen.
Heilige Bäume wurden gefällt, Götter zu Dämonen degradiert, der heidnische Kult als Götzendienst (cultus daemonum) schwer bestraft, die Weisen Frauen als Wetterhexen und Giftmischerinnen dargestellt. Anleitungen für Missionare, wie der Indiculussuperstitionum etpagarum (8. Jh.), listen die den Heiden aufgezwungenen Verbote auf (DAXELMÜLLER 1996: 102–105). Untersagt wurden:
Flurumgänge mit Götzenbildern,
Götzendienst an Gräbern, Grabopfer, das Totenmahl und das Singen von Totenliedern,
Totenbeschwörung beziehungsweise das Befragen der Toten,
Kulte und Opfer in Wäldern und Hainen, an Bäumen, Steinen, Quellen und Kreuzwegen,
das Frühlingsfest im Februar,
gesungene Zauberworte,
Mondzauber der Frauen,
Orakel, Wahrsagen und Weissagen aus Nießen, Rauch, Herdasche und dem Verhalten von Vögeln, Pferden und anderen Tieren.
Die Poenitential- oder Bussbücher legen für Weissagen, Beschwörung der Götzen, Traumdeuten, Kräuterkunde, Liebestränke und Herumziehen mit Tiermasken die Bestrafungen fest. Um den eigentlichen Inhalt der indigenen, naturorientierten Religion der Heiden kümmern sich die Glaubensboten nicht. Es wäre ja auch Sünde gewesen, sich näher mit den abscheulichen Götzen zu befassen. Für die Mönche und Missionare war es egal, ob die Teufel und Dämoninnen Wotan oder Pan, Holle, Diana oder Artemis hießen. Die Disen, Idisen und Weisen Frauen wurden in einen Topf geworfen mit den kinderraubenden, blutsaugenden Strigen und Lamien der Römer, mit den giftigen Pythonissen der klassischen Antike, mit der Hexe von Endor und anderen unholden Töchtern der Finsternis aus dem Alten Testament.
Als Kräuterkundige und Hebamme blieb die Weise Frau bei den Dorfbewohnern dennoch unentbehrlich. Auch wenn sie von den kirchlichen Institutionen in den Schatten gestellt wurde, so war sie weiterhin, wenngleich im volkschristlichen Gewand, bis ins Mittelalter Trägerin alter Spiritualität. Die der Freya geweihten Kräuter wurden nun im Namen der Gottesmutter oder Dreifaltigkeit gesammelt. Manche Wotanskräuter wurden dem Pestheiligen Rochus geweiht, denn dieser war wie Wotan ein Wanderer mit Stab, Mantel, Schlapphut und einem Wolf (bzw. Hund) an der Seite. Die Pflanzen des Donar/Thor, die den Schätzesucher oder Wurzelgräber vor Schlangen und Lindwürmern schützen, wurden nun dem heiligen Georg, dem Drachentöter Michael oder dem »Riesen« Christopherus zugedacht. Der Seidelbast (Daphne mezereum), der einst dem Himmelsgott Zius (Tius), dem Bezwinger des Fenriswolfs geweiht war, wurde wie viele andere Giftkräuter zu einer Teufelspflanze. Solange das Volk zur Messe kam und seine Abgaben machte, störte sich niemand an den ländlichen Heil- und Zauberpraktiken, dem dummen Aberglauben (superstitiones), der mit solchen Pflanzen getrieben wurde.
Der Seidelbast (Daphne mezereum L.), auch Zeiland, Waldlorbeer, Kellerhals oder Giftbeere genannt, wurde von den »Vätern der Botanik« zu den »Scheißlorbern« gezählt, weil die Pflanze als starkes Abführmittel gebraucht wurde. Der Seidelbast enthält das Glykosid Daphnin und das sehr giftige Daphnetoxin. 10 bis 15 der roten Beeren können für einen Menschen tödlich sein. In der Homöopathie wird Mezereum, meist erst ab D6, u.a. bei Hautkrankheiten, Gürtelrose, Zahnschmerzen und Magenbeschwerden gebraucht. Die heute selten gewordene Pflanze steht unter Naturschutz. (Holzschnitt aus TABERNAEMONTANUS, Kräuterbuch, 1731)
Aber dann, im Hochmittelalter, als die Pest immer grausamer wütete, zunehmende feudale Unterdrückung die allgemeine Lebensangst schürte und fanatische Katharer die Kirche der spirituellen Laxheit bezichtigten, veränderte sich die Sicht der Dinge erneut. Der Kirchengelehrte Thomas von Aquin definierte von nun an den Aberglauben als Sünde wider Gott. Eifrige Akademiker gingen ans Werk, eine Dämonologie zu konstruieren, in der der Teufel als mächtiger Fürst der Dunkelheit und gefährlicher Gegenspieler Gottes furchterregende Dimensionen annimmt. Er ist nicht mehr der Hans-spring-ins-Feld, der gelegentlich in der Mittagsstunde erschien, wenn man sich von der schweren Feldarbeit ausruhte; er ist nicht der arme Teufel, der beim Bau einer Kirche oder einer Brücke Steine schleppen mußte, um dann um seinen Lohn geprellt zu werden; er ist auch nicht mehr der wilde Jäger, der grüne Junker, der aus Kot Gold machen kann, der schwarze Fremde, der den jungen Frauen die Sinne verwirrt, sich aber mit würzigen Kräutern vertreiben läßt, nein, er ist nunmehr die Verkörperung des Bösen schlechthin.
In den Köpfen der Kleriker entstand eine satanische Gegenkirche, die alles, was recht und gut ist, bedroht. Hebammen, Kräuterfrauen und abergläubische Bauersfrauen gerieten allmählich unter Verdacht, Dienerinnen dieser Satanssynagoge zu sein. Aber erst um 1480 herum wurde die Hexe in der kirchlichen und staatlichen Gesetzgebung vollends als Negativfigur definiert.