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Die neue Wissenschaft
ОглавлениеDerweil die Inquisition die Träger der intuitiven, visionären Naturerkenntnis vernichtete, tüftelten Akademiker an neuen Methoden, Wissen und Macht über die Natur zu erlangen. Francis Bacon (1561–1626), der selber in den Hexenprozessen unter König James I. als Staatsanwalt fungierte, gilt als einer der Väter der experimentellen Naturwissenschaft. In seinen Schriften erscheint die Natur als widerspenstige Hexe, die man »auf die Folterbank spannen müsse, um ihre Geheimnisse herauszuquetschen« (MERCHANT 1987: 177). Der Mensch, schreibt er, soll sie sich mit Hilfe mechanischer Manipulation zum Sklaven machen und sie »zum Wohle der Menschheit« ausbeuten.
Für René Descartes (1596–1650) – auch er war Priester – war die Natur nur noch eine Maschine ohne Bewußtsein, ohne Gefühl. Pflanzen und Tiere waren mechanische Objekte, die sich wie jeder Mechanismus mathemathisch (quantitativ) beschreiben und auch manipulieren ließen. Mit Newton schließlich waren selbst die Planeten keine Götter mehr, sondern leblose Trabanten im leeren Raum. Die ansprechbare Natur, voller Elementarwesen, Feen, Elfen und Gottheiten, gibt es nicht, es ist alberner Aberglaube – so die endgültige Bilanz. Und stellen sich diese subjektiven Wahnvorstellungen als zu hartnäckig heraus, haben wir heute, in unserem humaneren Zeitalter, psychiatrische Abhilfe in Aussicht – auf Krankenschein.
Die christlichen Glaubensverkünder taten den ersten Schritt in der Demythologisierung der Natur, indem sie die alten Götter bannten und degradierten (STORL 1997a: 121). Die Naturwissenschaft, die im Zuge der Hexenvernichtung formuliert wurde, entseelte die Natur vollends. Diese reduktionistische Wissenschaft ließ aber auch zugleich eine tote Seelenlandschaft zurück, denn wenn man die Natur entzaubert und entleert, nimmt man auch der Seele ihre Bilder, ihren Duft, ihre Farbe. Auch sie wird leer, befremdend, freudlos – ein »waste land« (ein ödes, verwüstetes Land), wie es der Dichter T. S. Eliot bezeichnet.
So wurde die Hecke, in der einst die Hexe saß und mit den Tieren, Pflanzen und Geistern sprach, – das schreibt Hans Peter Duerr in seinem bedeutenden Buch »Traumzeit« – zur undurchdringlichen Mauer. Schon für den großen Kirchenlehrer Augustinus war der Wald ein unheimlicher Ort, unerlöst, ein sylvus daemonicum, voller unreiner Dämonen: Da bot sich das himmlische Jerusalem als Ziel des Erlösungssuchenden an, eine von festen Mauern umgebene Zitadelle, die dem Teufel und seinen gefallenen Engeln verwehrt blieb und in der einzig der »wahre« Gott herrscht. Dieser Zitadellen-Gott entpuppt sich jedoch zunehmend als Personifizierung des menschlichen Egos. Und dieses Ego fühlt sich immer bedroht vom »Teufel«, von dem Irrationalen, dem Unkontrollierbaren, von der unermeßlichen magischen Fülle und dem unerklärlichen Zauber des Seins. Die Angst (ahd. angust = Enge, Beklemmung) des Egos vor der Auflösung im trans-egoiden Sein fand in der Inquisition eine wirksame Waffe, die vor allem einfache, naturverbundene Menschen traf. In der rationalen Aufklärung wurden schließlich auch noch die Fenster dieses Gefängnisses mit cartesianischen Koordinaten vergittert und mit abstrakten Theorien zugemauert.
Die Naturhellsichtigkeit schwand, die Menschen erblindeten seelisch. Die neue Wissenschaft ist der Blindenstock, mit dem sie im Dunklen tappen. Indem die Naturgeister im menschlichen Bewußtsein verblaßten, wurden die Tiere traurig und stumm, und die verbannten Götter immer zorniger und bedrohlicher. Die holde Freya offenbart sich immer mehr als Hel, als Wahnsinn und Zerstörung stiftende Hekate, als schwarze, blutrünstige Kali. Das grüne Land wird immer mehr zur Wüste. Der Himmel, jene ätherischen Höhen, auf denen einst die Götter wandelten, ist nun zum leeren Raum geworden, voll schwarzer Löcher und Chaos.
Hexenmedizin – das soll noch einmal hervorgehoben werden – ist nicht, wie heute aus ideologischen Gründen propagiert wird, allein das Wissen darum, wie man unerwünschte Ungeborene im Mutterleib vergiftet, wie man Drogen kombiniert, um besser auf »Trip« zu kommen, oder wie man Amulette gegen Existenzangst herstellt. Wahre Hexenmedizin bedeutet Heilwerden, die Wiederherstellung des Wunders und der Magie in der inneren wie in der äußeren Natur: Die Wiederbevölkerung der Wiesen und Wälder und Seelen mit dem lustigen, bunten Elfenvolk, mit den Naturgeistern Pans, mit strahlenden Engeln; die Fähigkeit, sich an ihnen zu freuen und ihre heilenden Gesänge, Worte und Hinweise aufnehmen zu können.
Es ist an der Zeit, Mauern niederzureißen und Hecken zu pflanzen.