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Johanniskräuter
ОглавлениеDie als Johanniskräuter bezeichneten Pflanzen waren von Gegend zu Gegend verschieden, aber fast immer waren folgende enthalten:
Hartheu (Hypericum perforatum): Dieses eigentliche Johanniskraut ist stark vom Mittagsgestirn geprägt. Die zahllosen goldgelben Staubfäden, die wie Sonnenstrahlen aus dem Kelch herausbrechen, lassen die Blüten, die sich nur bei trockenem Wetter öffnen, wie lauter winzige Sonnen erscheinen. Die Blütenpetalen sehen aus wie kleine Flugzeugpropeller, so daß die Blüte an wirbelnde Lichträder, an Licht-Chakren, erinnert. Als Heilkraut wirkt die Sonnenpflanze nervenberuhigend; sie bringt Licht in die Seele und vertreibt aus ihr die Dunkelheit.
Kamille (Matricaria chamomilla): In dem gelben Korbblütler mit weißem Strahlenkranz (Zungenblüten) sahen die Nordvölker das Antlitz des Sonnengottes selbst; »Baldurs Braue« nannten sie dieses freundliche Kräutlein. Es ist ein kräftiges Heilkraut mit einer entzündungshemmenden, krampflösenden (spasmolytischen), desinfizierenden, beruhigenden Wirkung. Als »Mutterkraut« wurde es zum Waschen und Reinigen im Wochenbett verwendet.
Quendel (Thymus serpyllum): Der wilde Thymian ist ebenfalls entzündungshemmend, krampflösend, verdauungsfördernd und schleimlösend. Er ist ein gutes Erkältungs- und Lungenmittel. Quendel ist auch ein »Frauenkraut«, der Freya geweiht, und kam mit ins Kissen des Wochenbetts. Die Slaven nennen es »Seelchen der Mutter«.
Bärlapp (Lycopodium): Der moosähnliche Bärlapp wird in der Volksmedizin bei Rheuma, Hexenschuß, Durchfällen, Krämpfen sowie Harn- und Geschlechtskrankheiten verschrieben. Die grünen Wedel wurden mit in den Johannisgürtel gewunden oder im Sonnenwendfeuer verbrannt. Der reichlich vorhandene gelbe Sporenstaub (Hexenmehl, Blitzpulver, Drudenmehl) ist ölig und explodiert mit einem hellen Blitz und Knall, wenn er in die Flamme geworfen wird. Die steinzeitlichen Zauberer machten sich diesen dramatischen Effekt ebenso zunutze wie die Theaterdirektoren vergangener Jahrhunderte. Den keltischen Druiden diente es als wichtiges Zauberkraut. Plinius schreibt, daß diese es barfuß, in ungesäumte weiße Gewänder gekleidet, in einer Neumondnacht beschworen, Brot und Met opferten und es dann mit der linken Hand pflückten. Aus dem Selago – so bezeichneten sie die Pflanze – stellten sie Schutzamulette her. Noch im Mittelalter benutzten es die Weisen Frauen gegen Verhexung, Verzauberung und den Bösen Blick.
Beifuß (Artemisia vulgaris): Dieses bittere, graue Kraut gilt als eines der wichtigsten Frauenkräuter. Sitzbäder und Tees halfen, je nach Stärke der Dosierung, die ausbleibende Mensis anzuregen, die Geburt zu beschleunigen, die Nachgeburt oder einen toten Fötus abzutreiben. Dazu spielt es seit dem Paläolithikum eine wichtige Rolle als Räucherung und zur Weihung der Schamanen, ehe sie den Seelenflug antreten.
Arnika (Arnica montana): Der gelbblühende Korbblütler, auch Bergwohlverleih, Wolfsgelb, Wolfsauge genannt, wurde zu Johanni um die Felder gesteckt, um das Getreide vor dem Korndämon, dem Bilwisschnitter, zu schützen. Der Bilwis – der Name bedeutet »der um Wunderbares Wissende« – war in heidnischen Zeiten, ehe die Missionare ihn dämonisierten, kein anderer als der Priester, der die Felder schützte. Er steckte das Wolfskraut, damit der »Kornwolf« – die Kraft des Feldes – nicht schwand. Wenn diese Kraft das Feld verläßt, verdorrt das Korn. Später bei der Ernte, schlüpft der Kornwolf in die letzte Garbe; sie wird dann geschmückt und triumphierend von den Schnittern unter großem Jubel ins Dorf getragen.
Dieses der Freya geweihte Kraut ist, wie zu erwarten, sehr heilkräftig und durfte in den Sonnwendkräutern nicht fehlen. Es wirkt antiseptisch, entzündungshemmend und regenerierend. Äußerlich ist es gut bei Quetschungen, Verstauchungen, Schleimbeutel-, Gelenk- und Lymphgefäßentzündungen. Innerlich in geringen Dosierungen wirkt es gefäßerweiternd und durchblutungsfördernd; in starken Dosierungen ist es sehr giftig und wirkt abortiv. Arnika wurde im Wetterzauber benutzt. Bei Gewitter wurde damit geräuchert:
»Steck Arnika an, steck Arnika an,
Damit sich das Wetter scheiden kann!«
Ringelblume (Calendula officinalis): Die goldgelbe Blume, im Mittelalter Mariengold oder »Sonnenbraut« genannt, war einst der Großen Göttin (Freya) geweiht und wurde überall im Liebeszauber verwendet. Wenn ein Mädchen die »Niewelkblume« in den Fußspuren des Geliebten pflanzt oder sät, muß er – ob er will oder nicht – zu ihr kommen. Kein Wunder, daß sich der protestantische Pfarrer Hieronymus Bock in seinem New Kreutterbuch (Strassburg 1539) entrüstet: »Etliche Weiber treiben superstition damit, brauchen sie zu der Buhlschaft ...« Als Heilpflanze rangiert die Ringelblume gleich neben der Kamille. Sie ist eines der besten Wundheilkräuter, anwendbar bei Venenentzündung, Eiterungen, Herpes, Geschwüren und entzündeten Brustwarzen. Die Salbe, am besten in Ziegenfett gekocht, hilft bei Verbrennungen, Quetschungen und Sonnenbrand. Der Tee ist wirksam bei Krämpfen, Gallenbeschwerden, Drüsenleiden, Darmentzündung und Leberbeschwerden.
Holunder (Sambucus nigra): Der Holunder ist ein heiliger Baum, ein Kultbaum, um den man Reigen tanzte. Er war der Frau Holle – der »Hexengöttin« – geweiht. Zur Sommersonnenwende, wenn er blüht, brachte man ihn mit der sommerlichen Liebesekstase in Verbindung:
»Auf Johanni blüht der Holler,
Da wird die Liebe noch toller!«
Man tunkte auch die Blüten in Bierteig und buk süße Holunderküchlein daraus. Wer am meisten solche Küchlein aß, würde am besten über das Sonnenwendfeuer springen können. Im Allgäu wurde dann das Schmalz, in dem die Küchlein gebacken wurden, als Heilsalbe verwendet. Überhaupt gilt der Holunder als des Bauern Apotheke.
Die Kamille (Chamomilla recutita [L.] RAUSCHERT, syn. Matricaria chamomilla L., Matricaria recutita L.) ist ein weitverbreitetes Volksheilmittel, dem «man alles zutraut». Sie gehört aber auch zu den Johanniskräutern. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)
Der Quendel (Thymus serpyllum L.) soll »schädliche Erdstrahlen« beseitigen und dadurch heilend wirken. Die Pflanze gehört zu den wichtigeren Mutter- und Johanniskräutern. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)
Der Keulen-Bärlapp (Lycopodium clavatum L.) ist eine alte Zauberpflanze der Druiden und im Volksmund auch unter den Namen Hexenkraut, Schlangenmoos, Teufelklauen und Erdschwefel bekannt. Die volksmedizinisch genutzten Bärlappsporen heißen dementsprechend Druidenmehl, Alpenmehl, Hexenmehl oder Waldstaub. Das Sporenpulver ist vor allem als Wundpuder genutzt worden. Die Pflanze gehört außerdem zu den Mutter- und Johanniskräutern. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)
Die Ringelblume (Calendula officinalis L.) wurde volksmedizinisch in erster Linie in galenischen Zubereitungen und Salben (»Ringelblumenbutter«) zur Wundbehandlung genutzt. Die gelb blühende Pflanze zählt zu den Johanniskräutern. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)
»Rinde, Beere, Blatt und Blüte,
Jeder Teil ist Kraft und Güte,
Jeder segensvoll!«
Wucherblume (Chrysanthemum leucanthemum): Diese Johannisblume, allgemein als Margerite bekannt, wurde als Orakelblume verwendet. Johanni, wie alle die heiligen Zeiten, wenn die Übersinnlichen sich nähern, ist Orakelzeit. Es ist die »Sternblume« Gretchens in Goethes »Faust«: »Er liebt mich, er liebt mich nicht ... « Anderswo zupfen die Mädchen die weißen Zungenblüten, um zu sehen, wen sie heiraten werden: »Edelmann, Bettelmann, Bürger, Bauer, Soldat, König, Kaiser, Advokat.«
Die Schwangere dagegen fragt: »Buab, Maitli; Buab, Maitli ...« Eine Jungfrau kann auch eine Margerite unter das Kopfkissen legen, damit der Zukünftige ihr im Traum erscheine. Medizinisch wirkt die Wucherblume ähnlich wie die Kamille, nur eben viel schwächer.
Eisenkraut (Verbena officinalis): Wie die Arnika wurde auch das einheimische Eisenkraut um das Feld gesteckt, um dem Unwetter vorzubeugen und um eine gute Ernte zu sichern. Es war nämlich dem mächtigen Hammergott geweiht, der Blitz und Donner beherrscht und die Erde mit fruchtbarem Regen tränkt. Auch die archaischen Schmiede, Schützlinge des Donnergotts, benutzten Eisenkraut in einem Verfahren zum Härten des Stahls. So ist es kein Wunder, daß man dieses Kraut verwendete, um die Liebe so heiß »wie glühendes Eisen« zu machen. Es wurde den Männern in Liebesgetränken beigemischt, »damit das Glied hart wie Eisen« werde.
Schafgarbe (Achillea millefolium) Dieser herb aromatische Korbblütler, wegen den feinfiedrigen Blättchen auch »Augenbraue der Venus« genannt, ist eines der wichtigsten Frauenheilkräuter und Wundkräuter.
Heilziest (Stachys officinalis, Betonica officinalis): Dieser heute selten gewordene, fast vergessene Lippenblütler galt einst praktisch als Allheilmittel. Er war eines der beliebtesten »Berufskräuter«, in dessen Abkochung »berufene«, verhexte, verzauberte Kinder und Haustiere gebadet wurden. Mit dem Badewasser wurde dann der böse Zauber weggegossen. Ansonsten wurde Betonientee bei Brustleiden, Blutspeien, Lungenleiden, Würmern, Fieber, Gelbsucht, Milzleiden, Gicht, Gebärmutterblutungen, Schwindel, Geistes- und Sinnesverwirrung und vielen anderen Gebrechen verwendet. Wie hoch der Ziest allgemein geschätzt wurde, läßt sich an dem italienischen Sprichwort ermessen: »Venda la tonica e compra betonica.« (Verkaufe deinen Mantel und kaufe dafür Heilziest.)
Klette (Arctium lappa): Für die Kelten und Germanen war die Klette mit ihren riesigen Blättern und ihren krallenbesetzten Früchten eine wahrhafte Bärenpflanze. Auch sie war dem mächtigen Donnerer und Blitzhammerschleuderer, dem Donar/Thor, geweiht. Und da dieser »himmlische Bär« (Asenbär, Osbjörn), der für heftige Sommergewitter sorgte, die menschenfeindlichen Riesen und Thursen vertrieb, sammelte man auch diese Pflanze im Mittsommer. Man steckte Kletten in den Giebel gegen Blitzeinschlag und Machenschaften der Riesen. Man wusch sich die Haare mit einer Abkochung der Wurzel, damit man auch so schönes, volles Haar bekäme wie der rauschbärtige, haarige Himmelsgott. Noch bis in die Zeiten der Aufklärung steckten die Bauern Kletten über das Tor, flochten es sich ins Haar oder der Kuh in den Schwanz, um bösem Zauber zu wehren. Gegen Maden – der Donnerer haßt ja die ganze Würmer- und Schlangenbrut – hielt man den Klettenstrauch in der einen und einen Stein (Thors Hammer) in der anderen Hand und sprach:
»Klettenblatt ich würge dich
Klettenblatt ich laß dich nicht los
Bis das Tier wird die Maden los.«
Und in der Mittagsstunde am längsten Tag des Jahres suchte manch einer nach den mysteriösen »Johanniskohlen« unter den Wurzeln der Klettenstaude. (Auch unter dem Beifuß und dem Knäuel vermutete man sie.) Wer den Mut hat, die rot glühenden Kohlen mit bloßen Händen zu ergreifen, dem bleibt Unglück und Leid erspart.
Volkskundler haben sich den Kopf darüber zerbrochen, was das für »Kohlen« sein könnten, die da von Narren herausgebuddelt wurden. Inzwischen glaubt man, es seien die polnischen Kermesschildläuse, die einen roten Farbstoff enthalten. Die »Hexen« wissen es jedoch besser, diese »Kohlen« erscheinen in besonderen Momenten der inneren Vision. Es handelt sich um Wesenheiten der ätherischen Dimension, um »Salamander«, die sich mit dem natursichtigen Menschen dienend verbinden können. Diese Feuergeister wissen sich wohl vor den neugierig kritischen Blicken analytischer Wissenschaftler zu verbergen.