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Kraft der Wildnis

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Die Hecke, die die Rodung umgab, war durchaus keine undurchdringliche Mauer. Man war sich bewußt, daß die kleine, dem Urwald abgetrotzte Menscheninsel in sich selbst schwach und kraftlos war. Nur dank des unermeßlichen, ungezähmten Kräftepotentials der Wildnis war es überhaupt möglich zu leben und zu überleben. Aus dem Wald kam das Feuerholz, das da im Herd, dem Herzen des Gehöfts, brannte und mit dessen Hilfe das Fleisch gebraten, der Brei gekocht und die Kälte von Leib und Seele gehalten wurde. Rehe, Hirsche, Wildschweine und anderes Wild, das die Nahrung ergänzte, kam aus der Waldwildnis ebenso wie die Heilkräuter und Pilze, welche die alten Frauen sammelten. Und wenn nach einigen Jahren die Bodenfruchtbarkeit nachließ, mußte man sich erneut dem Urwald zuwenden, mußte erneut ein neues Stück schwenden und urbar machen. Die verbrauchte Erde aber nahm die Wildnis wieder zu sich, überwucherte sie mit frischem Grün und regenerierte ihre Fruchtbarkeit.

Von jenseits der Hecke kam die Kraft. Von dort kam die Fruchtbarkeit. Auch das menschliche Geschlecht erneuerte sein Leben von einer Generation zur anderen, durch die Energieströme, welche die Verstorbenen ihnen von jenseits des Zauns her vermittelten. Von dort kamen Ahnen, um Wiedergeburt im Kreis der Sippe zu finden. Noch lange galt der Haselnußstrauch, ein typisches Heckengehölz, als Vermittler wilder, fruchtbarkeitsbringender Kräfte aus jenseitigen Dimensionen.

»Zum Hügel ging ich ins tiefe Holz

Zauberruten zu finden; Zauberruten fand ich ...«

(Wotans Gesang im Skirnisförlied)

Die Haselnuß (Corylus avellana)

Schon immer erwartete man von der Haselnuß Schutz vor den chaotischen Kräften und Energien des Jenseits – vor Blitzschlag, Feuer, Schlangen, wilden Tieren, Krankheiten und Zauber. Noch in diesem Jahrhundert pflanzten die Anthroposophen einen »Schutzwall« aus Haselsträuchern gegen das »Widergeistige« rund um das Goetheanum. Anderseits verbindet das kleine Heckengehölz geradezu mit den jenseitigen Dimensionen. Schläft man darunter, hat man zukunftsträchtige Träume, heißt es bei René Strassmann (STRASSMANN 1994: 174). Und der Alchemist Dr. Max Amann rät: »Unter Haselsträuchern kann man sich leicht mit freundlichen Naturgeistern in Verbindung setzen.«

Wahrscheinlich schon in der Steinzeit haben Zauberer mittels der Haselrute die mächtigen Energien der jenseitigen Welt angezapft und sie der diesseitigen Welt vermittelt. Es ist nur folgerichtig, daß der schlangenumwundene Zauberstab (Caduceus) des Hermes – er ist der grenzüberschreitende Schamanengott der Antike – ein Haselstab ist. Dieser Stab wurde zum Symbol des Handels, des Heilens, der Diplomatie und des Flusses plutonischer Energien, die sich in Edelerzen (Geld) offenbaren. Als Hermes die Menschen mit der Haselrute berührte, konnten sie zum ersten Mal sprechen.

Haselruten gelten bei Radiästheten noch immer als beste Energiestrom-Leiter. Mit ihnen vermag der Sensitive Wasseradern und auch edle Metalle (Silber und Gold) aufzuspüren. Die alten Etrusker kannten Wünschelrutengänger (aquileges), denen es gelang, mit Haselruten verborgene Quellen aufzudecken. Davon wußten auch die chinesischen Feng-Shui-Meister vor über fünftausend Jahren, die diese Ruten dazu benutzten, um die im Erdinneren strömenden Drachenlinien aufzuspüren. Sogar heute geht das noch, und zwar schneller und billiger als mit technischen Geräten.

Die Fähigkeit, das Wetter zu beeinflussen, ist überall eine der anerkannten schamanistischen Fähigkeiten. Die alteuropäischen Schamanen benutzten Haselstäbe, um Regen zu machen. Noch im Mittelalter scheint es solche Regenmacher gegeben zu haben. In Hexenprozeßakten aus dem 17. Jahrhundert lesen wir: »Ein Teufel überreicht einer Hexe einen Haselstab und heißt sie damit in den Bach zu schlagen, worauf ein Platzregen erfolgt.« Oder: »Ein Hexenbub peitschte mit einer Haselgerte das Wasser, bis ein Wölkchen davon aufstieg. Nicht lange darauf ging ein Gewitter nieder.« (BÄCHTOLD-STÄUBLI III 1987: 1538)

Garstiges Wetter läßt sich mit der Haselkraft auch wieder beruhigen. Wenn es zu arg blitzt und hagelt, werfen Allgäuer Bäuerinnen einige Haselkätzchen aus dem am Mariahimmelfahrtstag (15. August) geweihten Kräuterbüschel ins Herdfeuer. Hatte nicht auch Maria, als sie ihre Base Elisabeth in den Bergen besuchen wollte, Schutz vor einem Gewitter unter einer Haselstaude gefunden? Bis in dieses Jahrhundert wußte man, daß der Haselstrauch mit Fruchtbarkeit zu tun hat. »In die Haseln gehen« bedeutet nichts anderes als zu koitieren. »Anneli, mit der rote Brust, chomm, mer wend i d’ Haselnuß«, heißt es in einem Schweizer Volkslied. »Leichten« Mädchen steckte man einen Haselzweig als Maien. In der Symbolsprache des Mittelalters galt die Hasel als »Baum der Verführung«. In einem mährischen Lied warnt eine Jungfrau den gefährlichen Baum:

»Hüt dich, hüt dich, Frau Haselin, und tu dich wohl umschaun, Ich hab daheim zween Brüder stolz, die wollen dich umhau’n!«

Unverdrossen antwortet Frau Hasel:

»Und hau’n sie mich im Winter um, im Sommer grün ich wieder,

Verliert ein Mädchen seinen Kranz, den find sie nimmer wieder!«

Kein Wunder, daß die Nonne Hildegard von Bingen nicht sonderlich gut auf die Hasel zu sprechen war: »Der Haselbaum ist ein Sinnbild der Wollust, zu Heilzwecken taugt er kaum – es sei denn als Mittel gegen männliche Impotenz.« Bei Kinderlosigkeit wurde damals ein Haselzweig über das Bett der Eheleute gehängt. Und als Zeichen, daß sie in bester Hoffnung war, trug die Schwangere Haselzweige mit Nüssen.

»Wenn’s Haselnüsse gibt, gibt’s auch viele uneheliche Kinder.« »Wenn d’ Haselnüss g’rotid (geraten), do g’rotid d’ Huere.« Solche Sprüche gibt es in ganz Europa. Volkskundler führen sie darauf zurück, daß die jungen Leute, wenn sie im Wald Nüsse sammeln, dem Argwohn der Sittenwächter entgleiten. Wahrscheinlicher ist jedoch eine andere Erklärung: Naturverbundene Menschen stimmen sich unwillkürlich auf die Fruchtbarkeitsrhythmen des Waldes ein und haben daran teil.

Unsere Vorfahren glaubten, die Ahnengeister selber seien es, die die unverbrauchten Kräfte der Wildnis und des Jenseits, den Lebenden vermitteln. Sie sind es, die die Kinder schicken und die Felder mit frischem, grünem Leben segnen. Bei den nordeuropäischen Heiden gehörte es mit zu den mittwinterlichen Ritualen, daß in Pelz vermummte Burschen in die Dörfer einfielen und Mensch und Vieh mit Haselruten droschen. Sie verkörperten die Ahnengeister. Auch der Wintergott der Kelten, der grüne Mann, der zur Wintersonnenwende die Häuser, Herde und Herzen der Menschen besuchte, trug Haselruten, deren Schlag fruchtbar, zeugungsfähig und milchreich macht.


Der Haselstrauch (Corylus avellana L.) gilt seit alters her als magischer Baum und wichtiges Mittel der Hexenmedizin. Schon die antiken Autoren schrieben der »Pontischen Nuß« magische Kräfte und seltsame Wirkungen zu. Bei Dioskurides heißt es, daß »die gebrannten, mit Öl fein geriebenen Schalen die Pupillen der blauäugigen Kinder schwarz färben, wenn der Vorderkopf damit eingerieben wird« (I, 179). (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbucb, 1577)


Wer den Haselwurm – ein Wesen halb Mensch, halb Schlange – finde und von seinem Fleisch esse, erlange, so glaubte man, wunderbare Kräfte.

Aber auch die Lebenden können den Jenseitigen notwendige Kräftigung zukommen lassen. Haselnüsse wurden seit dem Neolithikum als Totenspeise den Gestorbenen in die Hand oder zwischen die Zähne gedrückt. Die keltischen Toten wurden – wie etwa der »Fürst von Hochdorf« (Hallstatt-Zeit) – auf Haselzweige gebettet. Am altkeltischen Totenfest im November zogen die Kinder, als Totengeister und Gespenster verkleidet, bettelnd von Haus zu Haus. Man schenkte ihnen – es sind die Samen des Lebens, die den Winter überdauern – Haselnüsse und Äpfel. Die Germanen, insbesondere die Alemannen, steckten Haselnußstecken auf die Gräber.

Nicht nur die Fruchtbarkeit ist ein Geschenk der anderen Welt, sondern auch jene Weisheit, die den gewöhnlichen Menschenverstand weit übersteigt. Die Haselnuß macht diese Weisheit den Lebenden zugänglich, läßt sie die härtesten »Nüsse« (Rätsel) knacken. Keltische Richter trugen Haselstäbe. Auch die antiken Herolde, die wie Hermes die Grenzen überschreiten, trugen solche Stäbe, damit ihre Worte klug und gut gewählt sein mögen. Die Germanen umsteckten den Thing, den Platz, wo Rat gehalten wurde und wo Zweikämpfe stattfanden, mit Haselstäben. Auf diese Weise konnte der Donnerer Thor, dessen Hammer das Recht verkörpert, anwesend sein. Diesem Gott der Fruchtbarkeit, des fruchtbaren Regens, dem Hüter der Erdschätze und Gebieter der Schlangen, war der Haselstrauch geweiht. Ihm gehörten auch die verborgenen Schätze, die sich mit der Wünschelrute aufspüren lassen. Vermutlich war der Stiel des Thorhammers aus Haselholz. Aber auch der Schamanengott Odin/Wotan, Herr der Barden und Zauberer, wollte nicht auf die Haselrute verzichten. Der ihm geweihte Zauberstab wurde am Wotanstag (Mittwoch) aus der Hasel geschnitten und mit geröteten Runen verziert. Von der Hasel heißt es, sie sei den Schlangen feind. Der heilige Patrick, Patron der Iren, vertrieb angeblich mit einem Haselstab alle Schlangen von der Grünen Insel. Im Schwarzwald gab man Kindern, die weit zu gehen hatten, Haselzweige, damit sie vor Schlangen sicher waren. Und zieht man mit einem Haselstab einen Kreis um eine Schlange, so kann sie nicht hinaus.

Dennoch glaubte man, daß der Haselwurm – eine weiße Schlange mit goldener Krone – unter einer sehr alten Haselstaude haust, und zwar einer, die von einer Mistel befallen ist. Augenzeugen beschreiben diese Schlangenkönigin als halb Mensch, halb Schlange. Sie hätte einen Kopf wie ein Säugling oder eine Katze und weine wie ein Kind. Paradeiswurm wird sie im Mittelalter genannt, weil man glaubte, es handle sich um dieselbe Schlange, die einst die ersten Menschen im Paradies verführte. Demjenigen jedoch, der diese Schlange findet und von ihrem Fleisch ißt, kommen wunderbare Kräfte zu: Er wird Macht über die Geister haben, wird sich unsichtbar machen können und wird die verborgenen Heilkräfte aller Kräuter kennen. Paracelsus soll einen solchen Wurm verspeist haben, »deshalb haben die Kräuter, wenn er auf das Feld hinausgegangen, gesprochen und ihm kundgetan, gegen welches Übel und Krankheit sie heilsam wären«. Natürlich ist es nicht leicht, den Wurm zu fangen. Vor Sonnenaufgang an einem Neumondtag soll man hingehen. Dazu muß man selbstverständlich die richtigen Sprüche kennen: zum einen, um die Haselstaude anzusprechen, zum anderen, um den Wurm zu beschwören. Damit es ruhig bleibt, muß man das Zaubertier mit getrocknetem Beifuß bestreuen.

Bei diesem mysteriösen Wurm handelt es sich um die in der Tiefenmeditation erscheinende Imagination des archaischen Hirnstamms samt limbischem System (gekrönter Schlangenkopf). In diesem ältesten Teil des Nervensystems sind die Instinkte verankert. Sexualität, Fruchtbarkeit, auch Ahnungen und Stimmungen haben hier ihre physiologische Basis. Die Hasel kann diesem Zentrum feine Impulse vermitteln.

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