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Tagnachtgleichen

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Die Tagnachtgleichen im Frühling und im Herbst sind zwei der vier Kardinalpunkte im Sonnenjahr. Auch an diesen Tagen, heißt es, versammeln sich die Hexen. Um die Frühjahrstagnachtgleiche erscheint die Holle als Gärtnerin, deren erste Gaben frische, lebensspendende grüne Kräuter sind. Im Herbst dagegen, zur Tagnachtgleiche, ist sie Erntegöttin. Nun werden Obst und Nüsse geerntet und die Herbstsaat eingebracht, derweil sich das Leben allmählich in die Kammern und den Stall zurückzieht. Altheidnische Erntefeste mit Gelagen, Schmausereien, Loswerfen und Wallfahrten zu den Totengräbern, die zu Ehren der Göttin und des Erntegottes gefeiert wurden, leben im Michaelsbrauchtum weiter. Der Erzengel Michael, Führer der himmlischen Heerscharen, ersetzt den Erntegott, den Lugh, Jupiter oder Donar.

Im Bauernkalender galt Micheltag (29. 9.) als Beginn der Winterarbeit – dem weiblichen Spinnen und Garnmachen, dem männlichen Weben –, eine Arbeit, die bis zu Lichtmess (1. 2.) anhalten würde. Es hieß: »Michel steckt das Licht an, Gesinde muß zum Spinnen ran!« In der Spinn- oder Rockenstube wurde eifrig gesponnen und dazu gesungen. Die Frauen gingen – so hieß es – auf »Rockenfahrt«, auf »Weiberreise«. Die Großmütter berichteten von ihren Lebenserfahrungen, Dorfvorfälle und Liebesverhältnisse wurden besprochen und gegen jene, die gegen die gute Sitte verstoßen hatten, wurden Urteile gefällt. So spannen und woben die Frauen – wie die Schicksalsgöttinnen selber – mit ihren Gedanken und ihrem Geschwätz am künftigen Schicksal des Dorfs und der Sippe.

»Was das ganze Jahr verschwiegen bleibt,

Kommt auf in der heiligen Brechtelzeit.« (Kärntner Spruch)

Draußen ist derweil nun der Altweibersommer. Die feinen Spinnenfäden, die gleißend durch die Luft schweben und in den Zweigen hängen, galten als die Fäden von der Spindel der Frau Holle. Die archaische Göttin, die den Lebensfaden der Geschöpfe spinnt und deren Schicksal webt, erschien manchmal den Frauen in den späten Abendstunden und half ihnen bei der Arbeit.

Wie kaum eine andere Pflanze wurde die Herbstzeitlose, die »Spinnblume« oder »Kiltblume« (alemannisch Cloilt, Kilt = Arbeit am Abend), mit der dunkleren Jahreszeit assoziiert. Sie ist die »Lichtblume«, da man jetzt beim Schein des Kienspans, des Kamins oder der Laterne arbeiten mußte. Sie galt als echte »Hexenblume« und gehörte selbstverständlich auch ins Repertoire der Giftmischerinnen.


Die Herbstzeitlose (Cokhicum autumnale) ist eine wichtige Heilpflanze der Hexenmedizin. Heute wird das gefürchtete Giftgewächs nur noch in der Homöopathie (Colchicinum), u.a. bei Rheumatismus, Gicht und Arthrose in Frühstadien, verwendet. Nach Boericke (Handbuch der homöopathischen Materia medica) erzeugt das Mittel »Träume von Mäusen«. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)

Die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale)

Wenn im Herbst die Sonne ihre Kraft verliert und die Nächte länger als die Tage werden, tauchen plötzlich zarte, blasslila Blüten auf den abgeweideten Wiesen auf. Nackt sind sie, ohne Blätter, Stengel oder sonstige Hüllen. Wie Krokusse, die irgendwie den Frühling verpaßt haben, sitzen sie da im kalten Herbstwetter und hoffen auf die letzten steifgliedrigen Insekten, die sie bestäuben könnten. Da sie sich aber nicht einmal die Mühe machen, diese mit betörendem Duft zu locken, bleibt der Besuch oft aus. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als selbst tierhaft beweglich zu werden: Sie krümmen die Staubfäden über die Narbe und bestäuben sich selber.

Nach dieser Bestäubung vergehen ein paar Monate, bis der Pollen den langen Griffel zu den Fruchtknoten hinunter wächst. Der Fruchtknoten mitsamt den Samenanlagen befindet sich nicht wie bei normalen Blüten auf einem der Sonne entgegengehobenen Podest, sondern in der Zwiebelknolle, eine Spanne (zwanzig Zentimeter) tief im dunklen Erdboden. Die subterrane Befruchtung der Eizellen findet zudem zur Wintersonnenwende statt, wenn die Nächte am längsten sind! In einer Jahreszeit, in der andere Pflanzen starr in Samen- oder Knospenruhe verharren und sich den aus dem Kosmos einstrahlenden Bildkräften öffnen, feiert dieses unheimliche Gewächs Hochzeit.

Im Frühjahr dann, wenn andere Pflanzen zu blühen beginnen, wächst die Samenkapsel zusammen mit meist drei stumpfen, tulpenähnlichen Blättern aus der Erde empor. Aber schon im Mai werden die grünen Blätter der Herbstzeitlose gelb, welken dahin und verschwinden ganz, so daß das abergläubische Volk einst glaubte, die Hexen hätten sie zu Walpurgis als Salat verspeist. Dürre, rasselnde Samenkapseln mit unzählig vielen schwarzen Samen sind alles, was im Frühsommer übrigbleibt. Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat und die Natur im Grünen und Blühen nur so schwelgt, findet man keine Spur von der seltsamen »zeitlosen« Pflanze. Sie versteckt sich wie eine böse Fee vor dem lebensschenkenden Gestirn.

Das ungewöhnliche Liliengewächs hat die Volksimagination stark beschäftigt, das bezeugen die vielen regionalen Namen. Heinrich Marzell, dessen Lebenswerk darin bestand, sämtliche Pflanzennamen im deutschsprachigen Raum zu sammeln, macht bei der Herbstzeitlose nicht weniger als fünfhundert verschiedene Benennungen aus, die alle etwas über ihr Wesen aussagen. Neben Namen, die ihre Giftigkeit andeuten, wird sie vor allem als Winterkünderin genannt: Sie heißt »Michaelisblume«, »Herbstschneeblume«, »Winterblume«, auch »Grummetblume«, da sie nach der letzten Heuernte (Grummet) erscheint. Sie ist die »Galleblume«, da sie nicht nur bitter und giftig wie Galle ist, sondern auch weil sie um den Sankt-Gallus-Tag (16. Oktober) blüht. (MARZELL 1943:1070)

Ähnlich wie die Frühlingsblumen (Sauerklee, Sauerampfer), die gegen Hitze, Durst und andere »sommerliche« Schäden helfen sollen, soll die Herbstzeitlose gegen alle Schäden gut sein, die der Winter bringt. Die Staubgefäße und Stempel wurden in Fett zu einer Salbe gekocht, die aufgesprungene Hände (Frostrisse) heilen soll. Vorbeugend gegen Frostbeulen, rieb man ungeschützte Körperstellen mit der ersten Blüte ein, die man fand. Frauen zerrieben eine Blüte dieser »Spinnblume« zwischen den Händen, damit ihnen beim winterlichen Spinnen die Hände nicht wund oder steif wurden. Mit der »Lichtblueme« bestrich man im Zürcher Oberland die Augenlider, damit man bei der Arbeit während der bevorstehenden Wintermonate nicht müde würde.

Obwohl sie die Arbeit des Garn- und Tuchmachens ankündigt, wird die Herbstzeitlose vielerorts als »Nackte Jungfer«, »Nackte Maid« oder »Nackte Hur« bezeichnet, da diese Faule Grete »zu faul ist, ihre Blöße mit einem Blätterkleid zuzudecken, wie alle anständigen Blumen!« So wird sie in der Blumensprache zum Symbol der Unkeuschheit. In Sankt Gallen wurden den Mädchen mit zweifelhaftem Ruf die klappernden Fruchtkapseln – die sogenannten Hundshoden oder Pfaffensäcke – am 1. Mai vor die Tür gestreut.

Es ist zu erwarten, daß eine Pflanze, die dermaßen aus dem normalen Sonnenrhythmus ausschert, giftig ist. Die Zeitlose ist tatsächlich äußerst toxisch. Sie enthält zwanzig verschiedene Alkaloide. Knollen, Blätter und Blüten, aber vor allem die Samen, sind giftig. Tödliche Dosis: Fünf Samen! Das Gift wirkt langsam wie Arsen. Erst nach Stunden, ja, nach einem Tag, spürt der Vergiftete das Kratzen und Brennen im Mund, das allmählich in Erbrechen übergeht, blutige Durchfälle, Krämpfe, Blasenschmerzen und Herzrhythmusstörungen folgen, bis dann nach ein oder zwei Tagen der Tod durch Lähmung des Atemzentrums eintritt. Mit verächtlichen Namen – »Giftzwiebel«, »Hennenverreck«, »Ziegentod«, »Hundsblume«, »Viehgift«, »Leichenblume«, »Teufelswurz« – bedachte der Volksmund diese Giftpflanze. Als »Lauskraut«, als Läusegift, war sie allenfalls gut.

Als »Euphemeron«, »das in einem Tag Tötende«, und »Feuer der kolchischen Medea« bezeichneten die Griechen das geisterhafte Gewächs. Diese Medea war eine Zauberin, eine Jüngerin der schwarzen, dreiköpfigen Hexengöttin Hekate. In ihrem Garten am Schwarzen Meer, in Kolchis – daher der Gattungsname Colchicum –, wuchsen Weißer Germer, Oleander, Tollkirsche, Schierling, Fingerhut und andere Giftpflanzen. Als Jason, der griechische Argonaut, das Gestade von Kolchis betrat, verliebte sich Medea leidenschaftlich in den jungen Seefahrer. Mit einem Gebräu ihrer Kräuter schläferte die Zauberkundige den Drachen ein, der das Goldene Vlies bewachte und verhalf den Argonauten zur Flucht.

Ihrer Kunst ist es zu verdanken, daß es die Herbstzeitlose überhaupt gibt. Neun Nächte wanderte Medea durch unwegsame Wälder und Gebirge, um Hexenkräuter zu sammeln, die den greisen Vater ihres Geliebten verjüngen sollten. Sie zerstückelte den Alten, kochte ihn in dem Gebräu und setzte ihn – es handelte sich wahrscheinlich um eine archaische Schamaneneinweihung – wieder neu zusammen. Aus den Tropfen, die unversehens auf den Boden fielen, sprossen die ersten Herbstzeitlosen hervor.

Während die Bauern die Blume meistens fürchten und verfluchen, halten moderne Genforscher das giftige Liliengewächs hoch in Ehren. Diese biotechnischen Zauberer haben entdeckt, daß das Colchicin, das Hauptgift, zellwachstumshemmend wirkt. Genau genommen hemmt es während der Mitose die Ausbildung des Spindelapparats sowie die Bildung von Zellwänden. Somit ist es möglich, die Zellteilung in der Metaphase aufzuhalten, die Chromosomen zu photographieren und genaue Chromosomenkarten (Karyogramme) zu erstellen. Colchicin verhindert die weitere Zellteilung, beeinflußt jedoch nicht die mitotische Verdopplung der Chromosomen. Also läßt sich auf diese Weise eine Vervielfachung des Chromosomensatzes erreichen. Mit colchicininduzierten Mutationen wurde schon Erbgut manipuliert. Es wurden zum Beispiel Tabakpflanzen mit erheblich größeren Blättern erzeugt, und schwedischen Forschern gelang sogar die Züchtung polyploider Riesenkaninchen.

Anders gesagt, das Gift hat die Fähigkeit, das archetypische, geistige Formprinzip vom protoplasmischen Leben abzuspalten. Insofern ähnelt es in der Wirkung den radioaktiven Strahlen, die ja ebenfalls sprunghafte Mutationen erzeugen. Die alte Astrologie stellte die Herbstzeitlose unter die Herrschaft des finsteren, kalten Saturn, jenen Planeten, der als »Hüter der Schwelle« am Rand der Erscheinungswelt agiert. Heute würden wir diese Pflanze eher dem Pluto, der chaotisierenden, kataklysmischen Macht jenseits der Schwelle zuordnen.

Die moderne Medizin untersucht die Möglichkeit, die zellteilungshemmende Colchicin-Wirkung in die Krebs- und Leukämietherapie zu integrieren. Schon die Volksheilkunde versuchte Warzen, Hühneraugen, ja sogar krebsige Geschwüre, mit frischgepflückten Herbstzeitlosen zu behandeln. Einst trug man die Zwiebel in der Tasche oder als Anhängsel, wenn Pest und andere ansteckende Seuchen das Land heimsuchten. Dem zugrunde lag der Gedanke, ein Gift mittels eines stärkeren Gifts abzuwehren.

Als Gichtmittel haben sich Colchicin-Tinkturen bis heute bewährt. Schon der römische Arzt Galenus und die Araber setzten das Herbstzeitlosengift bei den äußerst schmerzhaften, akuten Gichtanfällen erfolgreich ein. Die Knolle galt als »Signatur« eines von der Gicht deformierten Fußes. Tatsächlich hemmt die Tinktur die Aufnahme von Harnsäurekristallen durch die weißen Blutkörperchen in den Gichtknoten. Der Schmerzanfall verebbt sofort; Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle sind jedoch die Nebenwirkungen der Behandlung. Die Homöopathie, die es versteht, den schrecklichsten Giften ihren Stachel zu nehmen, verschreibt Dilutionen bei verschiedenen Leiden, wie Gicht, Gelenkrheuma, Herzbeutel- und Brustfellaffektionen, Durchfall, Übelkeit oder Wassersucht.


Halloween (altenglisch der heilige Abend) wurde ursprünglich am Novembervollmond gefeiert. Es markierte den Anfang der Herrschaft des Winter- und Totengottes. Zu dieser Zeit schwärmten die Geister aus, und die Schamanen (Hexen) gingen auf Reisen. Zu Halloween wird heute sogar ein spezielles Bier mit Kürbis gebraut. Die Kürbisse stellen den Vollmond dar. (Bieretikette)

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