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Göttliche Besucher der kleinen Kulturinsel

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Vom Jenseits, aus dem tiefen Wald, kamen auch die Götter, ihren Tribut zu fordern, um zu segnen und zu inspirieren. Noch lange bis in unsere Zeit hinein kam der mit Tannen- und Stechpalmenzweigen geschmückte Lebensgeist durch den tief verschneiten Winterwald geschritten, segnete zur Sonnenwende die Tiere im Wald und im Stall, ehe er dann die Menschen mit der Vision des neu entstehenden Lebenslichts beglückte. Dieser lichtbringende Geist lebt weiter im Christkind, das zur Mitternacht kommt, wie auch im Weihnachtsmann. Von weit her kommt dieser, vom Nordpol oder aus dem finsteren saturnischen Tannenwald. Oft fliegt er, wie der Schamane, mit einem Rentierschlitten, reitet einen Hirsch oder geht gar zu Fuß. Eine lustige Bande Heinzelmännchen begleitet ihn. In tiefster Nacht schlüpft er durch den Rauchfang, um die Schlafenden mit der lebensspendenden Haselrute zu berühren und ihnen gutes Schicksal in die aufgestellten Schuhe zu streuen.

Auch zu anderen Zeiten, die der Reigen der Sonne, der Wandel des Mondes und das Weben kosmischer Konstellationen bestimmten, kamen die Jenseitigen, die Transsinnlichen, durch die Hecke, um eine Weile bei den Menschen zu wohnen. Beim Vollmond im Februar war es die weiße, jungfräuliche Lichtgöttin, die mit ihrem Bären und einer Schar übermütiger Elementarwesen die Erdhöhle verließ. Sie weckte die Bienen und die unter der Schneedecke noch schlafenden Samen; sie rüttelte an den Baumstämmen, so daß der Saft erneut floß. Auf ihren Einzug bereiteten sich die steinzeitlichen Menschen mit der reinigenden Schwitzhütte vor. Vergorener, mit Honig gesüßter Birkensaft sorgte für viel Lustbarkeit. Von den erwachenden Lebensgeistern ergriffen, von den tanzenden, johlenden Elementarwesen begeistert, fingen auch sie an wild zu tanzen und drollige Faxen zu schneiden. Auch den krankheitsbringenden Geistern – meist verkrüppelte, knorzige Gestalten mit verzerrten Gesichtern – huldigte man und schickte sie mit einigen kleinen Opfergaben wieder zurück in den Wald. Die alemannische Fastnacht mit ihren Wildmännle- und Hexentänzen ist ein Nachklang dieses alten Naturfestes. In den Umzügen mit scheußlichen und schönen Perchten werden die vielen transsinnlichen Wesenheiten, die die Menschensiedlungen zu dieser Jahreszeit besuchen, sichtbar dargestellt. Der 1. Februar, heute Lichtmesstag, wurde von den Inselkelten als Imbolc-Fest zu Ehren der Birkengöttin gefeiert. Als einer der »Kreuz-Viertel-Tage« gilt er noch immer als Hexenfeiertag.

»Freut euch, ihr Birken,

Freut euch, ihr grünen!

Zu euch gehen die Mädchen, euch bringen sie Kuchen, Backwerk und Omletten.«

(Altrussisches Lied)

Die Birke (Betula)

Der Geist des Birkenbaumes erschien den archaischen Menschen als eine in Licht gehüllte Jungfrau, voller Zauber- und Heilkraft. *Bhereg, »umhüllender Glanz«, nannten die Urindogermanen die gütige, menschenfreundliche Göttin. So heißt der Baum – in verschiedenen Abwandlungen – in den germanischen, slavischen, baltischen, keltischen und romanischen Sprachen noch immer. Überall wird er mit Reinheit, Licht und dem Neuanfang in Beziehung gesetzt.

Die Kelten sahen Brigit, die Muse der Weisheitssucher, Heiler und inspirierten Sänger, in der Birke. Sie ist die weiße, jungfräuliche Lichtgebärerin, die im Februar die Tage wieder länger werden läßt. In dieser Vorfrühlingszeit zapften die Naturvölker die Birken an, um die kostbare Flüssigkeit zu gewinnen. Der Saft treibt Harn und Galle, entschlackt und reinigt das Blut, stärkt Niere und Harnorgane.

Der lichte Baum rief bei slavischen und sibirischen Völkern schlanke, weißgefiederte Schwanenjungfrauen in den Sinn. Manchmal vermählten sich diese mit Schamanen und verliehen ihnen die Flügel, die sie in ätherische Dimensionen tragen würden. Die Germanen dachten beim Anblick des hellleuchtenden Baumes an Freya in ihrem herrlich funkelnden Halsschmuck (Brisingamens). Auch mit Bertha, »der Leuchtenden«, assoziierten sie den Baum.


Die Birke (Betula sp.) galt allgemein als der Baum, aus dessen Ästen der »Hexenbesen« gebunden wurde. Der »Hexenbesen« war ursprünglich ein schamanisches Geistpferd, eine heidnische Lebensrute (Fruchtbarkeitssymbol) und wurde als Zauberbüschel bei Heilritualen und zum Schutz des Hauses verwendet. Die durch Schlauchpilzbefall (Taphrina) verursachten Deformationen (Zweigverwachsungen) der Moor-Birke (Betula pubescens Ehrh.) werden bis heute in der botanischen Literatur als »Hexenbesen« bezeichnet. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)

Auch im fernen Himalaya weihte man die Birke (Sanskrit Bhurga) der strahlenden, weißen Göttin, deren Reittier der weiße Schwan oder die Gans ist. Sarasvati – so wird sie dort genannt – inspiriert die Menschen mit Weisheit und Gelehrsamkeit, mit Schreib- und Redekunst. Sie bringt alles zum Fließen, auch den Fluß der heilerischen und dichterischen Inspiration. Auch sie erscheint den Menschen im Februar, wenn ganze Scharen sauber herausgeputzter Schulkinder und Gelehrte ihr Bildnis durch die Straßen tragen. Die ersten Bücher, auf denen die vedischen Seher ihre Visionen niederschrieben, bestanden aus Birkenrinde. Auch in Europa galt die Birke als Baum des Lernens. Schon in der Antike wurde den Kindern mit Birkenruten die Lust zum Lernen beigebracht.

Die Birke steht wie die weiße, jungfräuliche Göttin selbst für Anfang und Neubeginn. Sie ist jung und frisch, gleich einem unbeschriebenen Blatt, auf dem sich Zukünftiges manifestieren kann. Birkengrün symbolisiert die Verheißung eines neuen Frühlings. Zum Anfang des landwirtschaftlichen Jahres steckt(e) der nordeuropäische Bauer Birkenzweige auf seine Äcker und Gebäude. Beim ersten Weidegang treibt er das Vieh mit Birkenruten oder läßt es über Birkenzweige laufen. Mit dem Birkenmaien »pfeffert«, »schmackostert« oder »fitzelt« er alles, was gedeihen soll. Auch die jungen Frauen werden nicht verschont und so mit viel Gelächter aus den Betten getrieben. Die Birke steht auch für den Anfang der Liebe. Schon in vorchristlichen Zeiten steckten verliebte Burschen zur Maienzeit frische, grüne Birkenzweige vors Haus der Angebeteten. Die jungen Leute tanzten freudige Reigen um den Maibaum – eine geschmückte Birke. Und wenn Freya die Liebe mit der Geburt eines Kindleins segnete, dann begrub man den Mutterkuchen (Plazenta) als Dankesopfer an die Göttin unter einer Birke. Auch die Wiege, das erste Bettchen des neuen Erdenbürgers, sollte aus Birkenholz geschnitzt werden.

Selbstverständlich machten die Druiden die Birke (Beth) zum ersten Buchstaben ihres Baumalphabets (Beth-Louis-Nion) und zum ersten Monat des Baumkalenders. Robert Ranke-Graves glaubt zu wissen, daß sich dieser Monat vom 24.12. bis zum 20.1. erstreckte (RANKE-GRAVES 1988). Da aber der keltische Kalender ein beweglicher Mondkalender war, der von Neumond zu Neumond ging, ist eine derart exakte Zeitangabe eher zweifelhaft. Wahrscheinlich fiel der Birkenmonat mit dem Erscheinen der Lichtjungfrau im Februar zusammen.

Die Germanen kannten eine Birken-Rune (), ein magisches Zeichen, das die weiblichen Wachstumskräfte des Frühlings vermittelte. Das wenigstens glaubt mein Freund Arc Redwood, ein englischer Gärtner, der diese Rune in Holz ritzt und rötet und wie ein Idol in seinem Garten aufstellt. Dadurch, behauptet er, wächst alles viel besser.

Nicht nur im kulturellen Sinn, sondern auch in der Natur, steht die Birke im Zeichen des Neubeginns. Der kältetrotzende Baum war der erste, der nach dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher die freiwerdenden Böden besiedelte. Mit seiner Hilfe konnten die Steinzeitmenschen überleben. Ausgrabungen zeigen, daß paläolithische Jäger und Sammler ihre Pfeilspitzen und Harpunen mit Birkenteer am Schaft befestigten, Schuhe und Behälter aus Birkenrinde und Kleidung aus Rindenbast herstellten. Auch der jungsteinzeitliche »Ötzi«, den man tiefgefroren in einer Gletscherspalte im Ötztal fand, trug Birkenrindenbehälter bei sich. Wie unsere steinzeitlichen Vorfahren benutzen die Indianer und Sibirier noch heute Birkenrindenbehälter. Ahornsirup hält sich das ganze Jahr in solchen Behältern. In Notzeiten essen sie die Innenrinde, und im Frühling zapfen sie den zuckerhaltigen Saft an, den sie gelegentlich zu einem alkoholischen Getränk vergären lassen. Für die Ojibwa-Indianer ist die Birke noch immer der wichtigste Baum: Sie bedecken ihre Wigwams (Wohnhütten) und machen alles von Kanus bis Löffel, Teller und Worfeln für den Wildreis aus der Birkenrinde, sogar wasserdichte Eimer und Kochtöpfe. Gekocht wird in den genähten und verharzten Birkenrindentöpfen mit glühend heißen Steinen, die hineingetan werden.

Die Birke steht für Reinheit. Heiligtümer und sakrale Orte wurden mit Birkenbesen kultisch gefegt, um böse Geister hinauszubefördern. Später wurde aus dem archaischen Kultbesen der Hexenbesen, auf dem die Hexen zum Blocksberg fliegen. In England geht man gelegentlich noch immer mit dem Birkenbesen gegen unsichtbare fliegende Astralwesen (»Hexen«) oder die von ihnen herbeigehexten Läuse und Flöhe vor. Auch das alte Jahr wird mit einem Birkenbesen herausgekehrt. Im alten Rom trugen die Liktoren bei der Amtseinführung eines Magistraten ein rot geschnürtes Birkenreisigbündel voran. Das als Fascis bezeichnete Bündel, mit einem Beil in der Mitte, galt als Zeichen der säubernden Gesetzesmacht. Der Saubermann Mussolini vereinnahmte diese Symbolik für seine faschistische Bewegung.

In der Nähe des Einödhofs, auf dem ich lebe, steht eine »Besenkapelle«. Wie andere solche Kapellen im alemannischen Raum ist sie dem Pest-Patron Rochus geweiht. Leidet ein Einheimischer an »Aißen« (Hautkrankheiten), dann nimmt es ein Familienangehöriger auf sich, zu dieser Kapelle zu pilgern, um Heilung zu erbeten. Als Opfer muß er einen Besen aus Birkenreisig mitbringen. Vor einigen Jahren noch lagen Dutzende solcher Besen in der Kapelle.

Birkenruten gehörten – wie noch heute in der Sauna und im russischen Dampfbad – zum Inventar der steinzeitlichen Schwitzhütte. Das Peitschen des überhitzten Körpers wird als heilend und reinigend empfunden. Die Indianer vom Oberen See legen während des Schwitzhüttenzeremonials Birkenrinde – sie enthält ätherische Öle – zur Reinigung der Lungen und Haut auf die glühenden Steine.

Die archaischen Völker assoziierten die Birke mit Licht und Feuer. Aus zusammengerollter, getrockneter Birkenrinde stellten sie hell brennende Fackeln her. Aber nicht nur das. Der Zunderschwamm (Fomes fomentarius), der vor allem auf Birken wächst, eignet sich wie kaum etwas anderes zum Feuerzünden. Dabei wird ein Holzstock – meist ein Eschenstab – so schnell gequirlt, daß der Schwamm, der als Unterlage dient, zu glimmen beginnt und Feuer fängt. Im bildhaften Denken der Naturvölker ist das ein Sexualakt, wobei der Birkenschwamm den weiblichen, feuergebärenden Schoß darstellt – ein weiterer Bezug zur lichtgebärenden Göttin!

In der Neuen wie in der Alten Welt setzten Heiler den Kranken kleine glimmende Stückchen des Zunderschwamms als Brennkegel (Moxa, Punk, touch’wood) auf schmerzende Stellen. Solche angekohlte Schwammstücke wurden etwa bei Ausgrabungen der Maglemoos-Leute gefunden, die vor zehntausend Jahren in Nordeuropa lebten. Die heilige Hildegard von Bingen greift auf diese steinzeitliche Heilmethode zurück: Bei Rücken-, Glieder- und Eingeweideschmerzen verschreibt sie Brennkegel aus Birkenrinde. Aus der so entstandenen Brandwunde würde das Gift oder der Krankheitsgeist hinausgehen können.

Ein weiterer Schwamm ist mit der Birke symbiotisch assoziiert: Der rote, psychedelisch wirkende Fliegenpilz (Amanita muscaria). Mit seiner Hilfe kletterten die Schamanen der nördlichen Halbkugel den Weltenbaum »hinauf« bis zu den Wurzeln, um die Götter und Geister zu besuchen. Auch in diesem Zusammenhang ist der Bezug zum Licht gegeben: Der Fliegenpilz wird in Sibirien oft als Blitzpilz bezeichnet. Er wird nur nachts eingenommen, und er erzeugt im Inneren des Auges entoptische Lichtphänomene, die dem Aufleuchten von Blitzen ähneln. Nun verstehen wir auch, warum die Nordgermanen die Birke nicht nur der Freya, sondern auch dem Gewittergott Thor weihten. Manabozo, der Kulturheld der Ojibwa, fand in einer hohlen Birke Schutz vor den Geschossen der Donnervögel; seither räuchern die Indianer mit Birke, um diese Blitzträger zu beruhigen oder zu vertreiben. Die Allgäuer Bäuerinnen verbrennen übrigens auch Birkenzweige – die vom Fronleichnamsumzug übrigblieben –, wenn es allzusehr gewittert. In protestantischen Gegenden werden zu Pfingsten -dem Tag als der Heilige Geist in der Gestalt von Feuerzungen auf die Gläubigen herabkam – Gebäude und Fahrzeuge mit frischem Birkenlaub geschmückt.


Sarasvati, die indische Göttin der Heiler, Sänger und Gelehrten, entspricht der keltischen Birgit. Ihr Reittier ist der Schwan oder die Wildgans.

Die Birke ist der Schamanenbaum schlechthin. Es ist eine geweihte, geschmückte Birke, die der eurasiatische Schamane hinaufsteigt, wenn er die Geisterwelt besucht. Seine Maske ist aus Birkenrinde geschnitten, seine Familiare sind aus Birkenholz geschnitzt. Der Rahmen der mit Rentierhaut überspannten Trommel ist aus dem Holz einer Birke – vorzüglich einer, die vom Blitz getroffen wurde. Die Sibirier erzählen, daß die Wiege des Urschamanen unter einer Birke stand und daß ihm Birkensaft in den Mund getropft sei.

Auch die Toten werden von Birken geborgen und beschützt. Die Ojibwa wickeln ihre Toten in Birkenrinde ein. Die Jakuten umhüllen damit den Kopf erlegter Bären. Die Kelten setzten den Toten – etwa dem Fürsten von Hochdorf oder dem Krieger von Hirschlangen – einen konischen Birkenhut auf. Eine alte schottische Ballade erzählt von den verstorbenen Söhnen, die ihrer Mutter mit Birkenhüten auf dem Kopf erscheinen. Die Hüte sind ein Zeichen, daß sie nicht als Gespenster herumspuken wollen, sondern wieder in den Himmel zurückkehren werden.

Im Mai, wenn alles blüht und sprießt, kam der strahlende Sonnengott vom Himmel, seine schöne Braut, die Blumengöttin, zu freien. Unter großem Jubel zog sie ihm vom Wald oder dem nahe liegenden heiligen Berg – später aus dem Heiligen Hain oder aus einem höhlenartigen Tempel – entgegen. Im Maibaum – meist eine geschälte Birke – und einem mit bemalten Eiern, roten, in Opferblut getauchten Bändern und anderen Votivgaben geschmückten Blumenkranz nahm das göttliche Paar unmittelbare Gestalt an. Manchmal auch verkörperten sich die Götter in der geschmückten Maibraut und dem Maikönig, der schönsten der Jungfrauen und dem stärksten Jüngling im Dorf. Sie wurden meist mit Raserei und wilden Orgien empfangen. Wie konnte es auch anders sein, denn die unmittelbare Gegenwart des Göttlichen raubt den Menschen den Verstand! Noch lange feierten die Erben der jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Bauern die mit blühendem Weißdorn geschmückte Maikönigin.


Der Beifuß (Artemisia vulgaris) war eine der bedeutendsten Ritualpflanzen der Germanen. Das frische Kraut wurde zum Vertreiben von Krankheitsgeistern in Büscheln über die Befallenen gestrichen und anschließend verbrannt. Beifußkraut ist einer der ältesten in Europa benutzten Räucherstoffe. Der Beifuß gilt auch als ein Johanniskraut. (Holzschnitt aus HIERONYMUS BOCK, Kreutterbuch, 1577)

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