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Hexenmedizin: Eine gute Medizin?

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Wolf-Dieter Storl

Hexenmedizin ist Medizin der Erde. Es ist die älteste Medizin der Menschheit, die Heilkunde der wenigen noch existierenden Naturvölker. Es ist das Urwissen, die wahre Religio, die Urerinnerung, das Erbe unserer steinzeitlichen Vorfahren, weitergetragen in ständig sich wandelnder Form durch das neolithische Bauerntum hindurch, durch die Bronzezeit, die Eisenzeit bis in das wundergläubige christliche Mittelalter. Die Inquisition versuchte, das alte Wissen zu zerstören. Aber weder Folter noch Scheiterhaufen noch der Kahlschlag der sogenannten rationalen Aufklärung, auch nicht die reduktionistische Zwangsjacke einer seelenlosen positivistischen Wissenschaft vermag dieser Naturmedizin dauerhaften Schaden zuzufügen. Denn sie lebt nicht allein von morschen, staubigen Überlieferungen, sie wird gespeist aus der klaren Quelle der Hellsichtigkeit, aus der unmittelbaren Inspiration der Devas, aus den Eingebungen der Geister der Pflanzen, Tiere, der Steine, Sterne und Elemente.

Bei der Hexenmedizin geht es um Wissen, um die Heilkräfte unserer inneren und äußeren Natur. Hexenmedizin ist mehr als nur ein faktisches Wissen um die Heilpflanzen, Giftgewächse, psychedelischen oder gynäkologischen Mittel. Es geht um die verschüttete Fähigkeit, mit den Tier- und Pflanzengeistern zu reden und mit ihnen Freundschaft zu schließen. Es geht um die Ekstasefähigkeit, die diese Kommunion mit den Geschöpfen ermöglicht.

Diese Naturmedizin kennt zwar die Power-Pflanzen, die Rausch- und Ekstasebringer, die den Menschen ergreifen, die Grenzen seines alltäglichen Daseins sprengen und ihn in »jenseitige« Welten katapultieren. Sie kennt vor allem aber auch die milden Gewächse, die kosmische Harmonien einfangen und sie dem Menschen vermitteln, so daß er heil sein kann. Nur wenn die Ausstrahlungen des Menschen glücklich und gesund sind, kann die Natur glücklich und gesund sein. Deswegen hält Mutter Gaia kraftvolle Kräuter und Wurzeln bereit.

Hexenmedizin transzendiert die Schulmedizin, die, im Korsett der experimentellen Naturwissenschaft eingeschnürt, nur das materiell Erfassbare, das Äußerliche, mißt und dokumentiert und blind tastend, nach dem Prinzip des trial-and-error, vorgeht. Hexenmedizin sieht das »innere Wesen« der Krankheiten, die »Würmlein klein ohne Haut und Bein«, die Haß- und Neidwürmer, die uns »wurmen« und uns die Lebenskraft wegsaugen. Sie sieht die »Zaubergeschosse«, die verletzenden Gedanken, die sich tief in das leiblich-seelische Gefüge einbohren. Zur Heilung der Schäden, die diese ganz realen ätherisch-astralen Entitäten und okkulten Negativ-Energien hervorrufen, ruft der Hexenmediziner, der Schamane, die Schamanin, ihre Verbündeten. Das sind die Pflanzen, Steine, Tiere, das Wasser, das Feuer, die Erde. Auch diese haben eine tiefe Dimension, in ihnen verkörpern sich Geistwesen, Engel und Devas. Mit ihnen kann man reden. Sie können antworten.

Hexenmedizin weiß um die Lebendigkeit des Seins, um die Seelen und Geister aller Geschöpfe. Sie ist magisch, und deswegen verunsichert sie diejenigen, deren Seele tot ist und erstarrt, deren geistiges Auge geblendet ist. Sie macht ihnen Angst, da sie ein Spiegel ihres Unvermögens ist. Für die bigotten Inquisitoren rührte die Wirkkraft dieser Medizin von dem Teufel her. Die Hüterin uralter Weisheit wurde zur Buhlerin des Bösen gemacht. Für die armen Schulmeisterlein des selbstbenannten Aufklärungszeitalters war die Hexenmedizin lästiger Aberglaube, falsches Denken, das aus dem Landvolk herausgedroschen werden mußte. Für die Herren der heutigen Ideologie ist sie schlicht indiskutabel, etwas für Schizophrene, für Geisteskranke, bestenfalls für hoffnungslose Romantiker. Und dennoch wird sie es sein, die uns aus unserer gegenwärtigen ökologischen und seelischen Krise herausführen kann, denn ihre Wurzeln reichen tief und zapfen die heilenden Gewässer des Urwissens an.

»Wenn das Starke dem Schwachen Gewalt antut, heißt das: es stellt sich gegen die Natur. Was sich gegen die Natur stellt, wird sehr bald zu Ende gehen.«

LAO-TSE, Tao-Te-King 55

Aber auch das muß gesagt werden: Es gibt sie, die böse Hexe! Auf der ganzen Welt, von Südamerika bis Ostasien, von Afrika bis Ozeanien, kennt man den asozialen Zauberer, die boshafte Zauberin, die, von Mißgunst und Neid getrieben, ihr okkultes Wissen einsetzt, um anderen Schaden zuzufügen. Vor allem in unstabilen Gesellschaften, wo Armut, Gewalttätigkeit und Konkurrenzdruck vorherrschen, werden ihre Machenschaften gefürchtet. Ein zentrales Anliegen der afrikanischen Medizin ist es, derartige Schadenzauberer ausfindig und unschädlich zu machen. Ethnologen haben genügend Beispiele von Hexerei und Voodoo-Mord aus exotischen Ländern zusammengetragen (LESSA/VOGT 1965:298). Aber auch in der westlichen Welt gibt es das Phänomen. Mitte der siebziger Jahre strömten Hippies, alternative Kommunarden, illegale Einwanderer, gescheiterte Existenzen und Hunderttausende Südkalifornier auf der Flucht vor Gewalt und Umweltkatastrophen (Dürre, Smog) in die noch unberührten Wälder des Bundesstaats Oregon. Das resultierende unstabile soziale Klima wurde der Nährboden für Zauberei und krankhaften Okkultismus. In diesen Jahren – ich lebte damals in Oregon – häuften sich die bizarren Vorfälle: Immer wieder fanden Farmer Pferde und Kühe tot auf den Weiden; ihnen waren Geschlechtsorgane und Euter herausgeschnitten worden. Nicht weit von meinem Wohnort wurde ein Anhalter aufgegriffen, seine Taschen voll abgeschnittener Menschenohren. Die Tankstelle, an der ich gewohnheitsmäßig tankte, war eines Tages unbedient, der Grund: Ein Biker hatte die Tankstellenwärterin erschlagen und ihr das Blut aus der Schlagader gesaugt, ehe er weiterfuhr. Man sprach von Hexerei und Satanismus. Mit der »Hexenmedizin«, von der hier die Rede ist, haben solche Pathologien nichts zu tun! Auch mit dem rabiaten, männerfeindlichen Feminismus, der in Oregon zur damaligen Zeit seltsame Blüten trieb, hat Hexenmedizin nichts zu tun. Die archaische Medizin ist ganzheitlich, männlich und weiblich, Sonne und Mond.

Und schließlich gibt es auch noch die böse Märchenhexe, die kleine Kinder frißt, wie wir es aus Hänsel und Gretel kennen. Aber bei ihr handelt es sich niemals um einen lebenden Menschen, sondern um einen negativen seelischen Archetypus, der die Reifung der individuellen Seele blockiert und hemmt. Diese »Hexe« versinnbildlicht die Angst, die das Licht der Wahrheit fürchtet. Sie haust im Dunkeln, unbefruchtet vom Licht. Da sie von der Ganzheit des Selbst abgespalten ist, kann sie nicht leuchten; sie ist notgedrungen häßlich. Wie die alte Winterhexe aus Stroh, die das Landvolk im Frühling verbrennt, damit die schöne Göttin des Sommers Einzug halten kann, muß auch diese Hexe durch das läuternde, verwandelnde Feuer des Geistes gehen. Erst dann kann sich die Königstochter (Anima) mit dem Königssohn (Animus) vermählen. Die Hochzeit versinnbildlicht das Finden zum Selbst, das Heil- und Ganzwerden. Die kirchlichen Fanatiker, die Inquisitoren, waren selbst von dem Archetypus der häßlichen, lebensfeindlichen Hexe besessen. Sie projizierten ihre seelische Krankheit, ihre Besessenheit, auf arme, alte, schuldlose Frauen, die sie folterten und auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Was ein innerer seelischer Prozeß der Ganzwerdung sein sollte, wurde so zu einer äußeren, schwarzmagischen Handlung.

Um Hexenmedizin ihrem Wesen nach zu verstehen, müssen wir tief in den Brunnen der Erinnerung schauen. Sie hat ihre Wurzeln in der Naturerfahrung unserer steinzeitlichen Vorfahren. In diese Gründe wollen wir nun eintauchen.

Hexenmedizin

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