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Gesellschaftlicher Wandel

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Während über die oben beschriebenen Schrumpfungsprozesse in Kirche und Theologie allenfalls am Rande einmal theologisch nachgedacht wird – man überlässt diese Fragen den Verwaltungsleuten und dem Management –, ist der gesellschaftliche Wandel insbesondere hinsichtlich Individualisierung und Pluralisierung durchaus ein wichtiges Thema. Die durch diese Entwicklungen entstehende Vielfalt wird auf weite Strecken nicht als Reichtum, sondern als Bedrohung empfunden. Tatsächlich bedeutet der damit verbundene Wandel das Ende von Selbstverständlichkeiten, auf denen die kirchliche Praxis und das Selbstverständnis der Mitglieder bislang beruhten. Glaubensformen, Werte und Normen, die Orientierung geben, waren selbstverständlich der Kirche und ihren Mitgliedern vorgegeben. Die Tradition gab Orientierung. Doch in dem Maße wie die einzelnen sich nicht mehr fremdbestimmen lassen, sondern nur noch glauben, was ihnen einleuchtet, wird die Tradition brüchig und zum Zwangsrahmen, den man zu durchbrechen hat. Die Menschen müssen ihre mentale Landkarte (Huber 1998, S. 19) heute selbst schreiben. Sie müssen ihre Wertvorstellungen und Lebensentwürfe selbst erstellen und selbst dafür einstehen. Es gibt in der Gesellschaft keine selbstverständlich anerkannten Maßstäbe mehr. Christentum und Kirche haben ihre Monopolstellung hinsichtlich Religion eingebüßt. Verantwortliche in der Kirche wie Mitglieder erleben diese Entwicklung als Krise. Man kann von Säkularisierung und Entkirchlichung sprechen. So tut es Wolfgang Huber. Man kann die beobachteten Differenzierungsschübe aber auch positiv sehen als Gewinn an Freiheit und Entwicklungsmöglichkeiten, wie Matthias Kroeger es tut. Wenn man über Auflösungserscheinungen klage, müsse man sich auch „des Terrors der geschlossenen Gesellschaft und ihrer geschlossenen geistigen und moralischen Systeme – also auch der Kirchen und Theologien – erinnern“ (1997, S. 42). Die Ambivalenz der Entwicklungen macht die Sache nicht leichter. Sie zu sehen, bewahrt jedoch vor der Sehnsucht nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“. Ein einfaches Zurück gibt es nicht mehr. Man muss sich der Sache stellen. Die Perspektivkommission der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sah hier schon vor Jahren eine entscheidende Aufgabe: „Was Mitgliedschaft in der Kirche unter den Bedingungen der Individualität bedeutet und wie sie praktiziert werden kann, das ist zu einem Existenzproblem der Volkskirche geworden. Wir sind genötigt, die Beziehungen zwischen dem einzelnen, der Kirche und der Gesellschaft grundlegend neu zu formulieren“ (Person und Institution 1992, S. 21). Bereits in der ersten Befragung über Mitgliedschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahre 1972 erkannte man ein Kommunikationsproblem zwischen der Kirche und ihren Mitgliedern (Hild 1974, S. 259). Eberhard Hauschildt spricht von einer „Verständigungskrise“ (2004, S. 15). Was gelten soll, steht nicht mehr von vornherein fest, sondern muss verhandelt und immer neu ausgehandelt werden. Die klassischen „Großerzählungen“ wie Christentum oder Marxismus-Leninismus haben ihre Verbindlichkeit und legitimierende Wirkung in der Postmoderne verloren (Graf RGG 6, Sp. 1515). Die Menschen sind weder in feste Milieus eingebunden, noch finden einheitliche Deutungssysteme ihre automatische Zustimmung. An die Stelle der festen Vorgaben ist die andauernde Bemühung um das getreten, was tragen kann. Statt Einordnung wird Wahl verlangt. Will man sich in dieser Situation verständigen, kann man sich nicht mehr auf gemeinsame Sätze, allgemein anerkannte Werte usw. berufen, sondern muss an den Erfahrungen der Menschen bleiben.

Auf der Seite der Mitglieder wie der Bürgerinnen und Bürger äußert sich diese Verständigungskrise in so etwas wie einer „Vertrauenskrise“ gegenüber all den Institutionen in der Gesellschaft, von denen man sich bevormundet und nicht in die Kommunikation einbezogen fühlt. So jedenfalls könnte man die Umfrageergebnisse deuten, die nach den Institutionen fragten, denen man Vertrauen entgegenbringt. Die geringsten Werte haben hier die politischen Parteien, Arbeitsämter, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und eben auch die Kirchen, wobei die evangelische Kirche noch etwas besser abschneidet als die katholische. Hohes Vertrauen genießen dagegen die Einrichtungen, die für die Sicherheit, die Bildung oder die Gesundheit gebraucht werden, also: Militär, Polizei, ADAC, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Diakonie und Caritas (Weltsichten 2003, S. 12). Wenn man etwas für sich tun will, kommen viele offenbar nicht auf die Idee, in Richtung Kirche zu blicken. „Das dominante Bild von Kirche ... ist, dass sie schon über die Wahrheit verfügt, dass sie die Wahrheit vertritt, und das nicht ohne Pathos“ (Schloz 2004, S. 95). Solches Überlegenheitsgebahren wirkt auf viele einfach abstoßend.

Die Zukunft der Kirche

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