Читать книгу Ich und Dieter nach Afrika - Wolfgang Manfred Epple - Страница 10

Froschschänke

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»Leberkäse«, sagt Dieter, indem er sich nochmals lautstark schneuzte, während wir die Böcke bestiegen. »Ich hab ‘nen Riesenappetit auf Leberkäs mit Sauerkraut und Kartoffelbrei! Ob‘s sowas wohl gibt in Paris?«

»Logo«, sag ich. »In so ‘ner Weltstadt findste alles. Und ‘n großes Weißbier für jeden - ich geb einen aus.«

Na, da war ich ‘n bisschen vorlaut gewesen - da war keine bayerische Wirtschaft, nirgendwo, soviel wir auch herumkurvten. Klapperten so ziemlich die gesamten Viertel um den Nordbahnhof ab. Um Montmartre herum haben wir gesucht, am Place Pigalle war nichts und im Bezirk der leichten Damen schon gar nicht. Wir gerieten in Ecken und Winkel, da kämpften Japaner mit armlangen Pinseln vor sperrigen Gerüsten, auf denen fettbestrichene Ölschinken unter ihrer Farblast in allen Fugen ächzten. Und nur ‘n Stückchen weiter, da brodelte wieder Orient in Reinkultur. In rauchgeschwängerten Kaffeehäusern gestikulierte arabische Männlichkeit vor Mokka und Messing; Kebabhöhlen qualmten in ‘nem zischenden Inferno aus blakendem Olivenöl, Bohnenkraut und wildem Majoran; hinter den Fensterscheiben der Couscousbuden simmerte Hirsegrütze in Gemüsebrühe mit Fleischbrocken um die Wette. Das alles stieg uns mächtig verlockend in die Riechkolben, aber Dieter hatte sich auf Leberkäs versteift und sonst nichts. Jemand schrie was von ‘nem Turm herunter, der aussah wie ‘ne Mondrakete vorm Start, und schließlich half uns ‘ne Horde Halbstarker auf den Weg, nachdem sie uns tüchtig an den Gepäckträgern durchgeschüttelt hatte. Da haben wir endgültig kapiert, dass dieses Nest nicht mit uns harmonierte und sahen zu, dass wir Land gewannen.

Nach ‘ner Ewigkeit erwischten wir endlich ‘ne Ausfallstraße, und die Stadt zerkrümelte so nach und nach in ihre Randbezirke. Dann wendete sich doch noch alles zum Guten, wenn auch nicht auf den ersten Blick. Wir entdeckten ‘n Wirtshaus direkt an der Seine, wo sich Paris schon ins Ländliche auflöst, da draußen, wo - wie Dieter wusste - damals die Impressionisten in ihren Malkähnen durch die Binsen geschippert sind und, modellflankiert, sich ‘nen lauen Lenz gemacht haben.

Die Wirtschaft hieß »Grenouille«. Auf Holzstelzen gluckte sie zur Hälfte im Wasser, halb ruhte sie auf der Uferböschung. Silberpappeln flüsterten im Wind, und unzählige Frösche quakten im Röhricht.

Wir knallten uns auf die Terrasse und warteten ab. Libellen zickzackten, in allen Blautönen schillernd, um unsere Köpfe, die Sonne schien freundlich, und ‘ne Nachtigall schluchzte Liebeslieder dazu. Orderten die Speisekarte. Die gab‘s sogar in Deutsch, nur für Leberkäs war da kein Platz. Sämtliche Mahlzeiten hatten was mit - Amphibien! zu tun. Ich wollt schon wieder aufspringen, da hat Dieter mich zurückgehalten und gesagt, nu wär‘s auch egal, er hätt kein Nerv mehr, weiterzusuchen. Er schlug das Buch mit den grünen Deckeln auf und fing an mit Vorlesen:

»Drei Laubfrösche auf Butterbrot?«

»Nein, danke!«

»Tieflandunken, normannische Art?«

»Passe!«

»Dann aber Geburtshelferkröte im Reisrand, mit geschmorten Totentrompeten in Weißweinsoße?«

»Verzichte dankend - Lass mich mal!«

Ich hab‘s von vorn bis hinten durchgeblättert, und alles, wo keine Lurche drinsteckten, hatt‘s dafür mit Schnecken. Da ließ ich mich breitschlagen und wagte mich an die panierten Froschschenkel mit Knoblauchbutter und geröstetem Weißbrot. Dazu passte ‘n trockener Chablis und ‘n doppelter Jägermeister.

Dieter wollt noch weiterstudieren, hat behauptet, sogar der Buchdeckel wär aus feinsten Froschleder gewirkt - ich sollt nur mal fühlen, wie samtig das sei; und er sagte weiter, ich dürfte mich nicht wundern, wenn der Kellner auf Froschschenkeln herbeigehüpft käm. Fing ‘s Kichern an und blätterte und blätterte und betete mir lärmig das restliche Programm herunter: »Pass auf: Blätterteigtaschen, mit Kaulquappen gefüllt, ‘ne sahnige Biersoße zum Drüberkippen … oder das hier: Froschkönig auf Seerosenblatt plus Goldorange? Oder bevorzugen der Mißjö lieber doch Grenouille parisienne - fünferlei Amphibien im Bratenschlauch? - Tut er nicht? - Und der Dieter? Is der Dieter eventuell scharf auf ‘ne Ladung Krötenlaich auf zerstoßenem Zitroneneis?«

So hat er weitergekohlt, bis er beim Kulmbacher Weißfrosch im Sauerkrautbett stutzig wurde, sich aber wegen des saftigen Preises dann doch für die Schenkel entschieden hat. Nur wollt er Ketchup obendrauf und ‘ne Ladung Pommes nebendran.

Alles klar.

Der Garçon nickte, klappte die Froschbibel zu, ist aber neben dem Tisch stehen geblieben, hat federnd in den Knien gewippt und über unsere Köpfe weg aufs Wasser rausgepeilt.

»Is was, Meister?«, frag ich, »haben wir was falsch gemacht?«

Dreht er sich um, schüttelt den Kopf, lächelt nachsichtig und macht ‘ne Handbewegung - mir nach! - und schlüpft durch die Schwingtür ins Haus. Wir hinterher. Und wie wir da reinkommen, kriegen wir ganz pralle Augen, hatten sowas noch nie gesehn! Sah aus wie in ‘nem Zoogeschäft.

In ‘ner verschachtelten Anhäufung buntbeleuchteter Glaskästen quaksten und krabbelten übereinander weg ganze Hundertschaften Frösche, Kröten, Unken. In allen Größen - huckepack oder einzeln hintereinander - krochen sie die Scheiben entlang, drückten die Bäuche dagegen, rutschten mit den Händen ab, fielen aufn Rücken. Einer versuchte sogar ‘ne Leiter hochkraxeln - vermutlich ‘n Wetterfrosch - und der hat uns so ‘nen wissenden Blick aus seinen Märchenaugen entgegengefunkelt.

»Bitte, wällen Sie, meine Erren«, sagt der Kellner. »S`il vous plâit - suchen Sie aus, wällen Sie gleisch!«

Wir zeigten hierhin, zeigten dorthin und wie viel davon. Der Kellner nickte befriedigt, klatschte dreimal laut in die Hände; und da nahte im Sturmschritt auch schon der Koch. Eine Mütze hatte der aufm Kopf schwanken, die streifte fast an den Kronleuchtern. Der Koch fackelt nicht lang und angelt sich gleich den ersten Kandidaten heraus - es war der Wetterfrosch - und fasst mit der rechten Hand ein Hinterbein, mit der linken das andere, und - so schnell konnten wir gar nicht gucken - hatte der Frosch einen Überschlag gemacht und war seine Sprungwerkzeuge los auf die eleganteste und zierlichste Art. So ging‘s etliche Frösche weiter, bis wir Zeichen gaben, nu wär‘s genug! Sah ziemlich komisch aus, wie die feuchten Vertreter mit ungläubigem Blick ihre Turnstunde absolvierten. Von der Last ihrer Schenkel befreit, klatschten sie auf die Fliesen runter, wo sie, nun gar nicht mehr sportlich, sich ins Dunkel unter die Tische verkrümeln wollten. Ich ließ den Dieter im Glauben, die Gliedmaßen würden sich binnen vier Wochen erneuern.

Unter den Klängen einer stilechten Quetschkommode rollten die Fressalien an. Und die Kellner sahen aus wie richtige Franzosen, trugen richtige Baskenmützen und weiße Hemden und rote Halstücher, wie wir das von ihnen erwartet hatten. Sie stellten das Zeug ab. Sah lecker aus! Wie die Beinchen von Stubenküken.

»Mallßeit, die Erren!«, schnarrte der Oberkellner.

Legten wir los. Schmeckte so ähnlich, wie‘s aussah, doch ‘n Witz war’s trotzdem, da kann ‘n verhungerter Globetrotter schwerlich von satt werden. Mussten noch zweimal nach Pommes schicken, bis wir halbwegs abgefüllt war‘n.

Dann saßen wir so rum und nippten an unserm Jägermeister und quatschten von der Zukunft.

Am Nachbartisch erbrauste ein lautes »Aaah!«. Wir drehten uns hin, und da war wieder der Kellner mit dem Koch zugange. Der lüftete ‘ne polierte Edelstahlglocke und enthüllte fünf riesige Ochsenfrösche mit jeder ‘ner Zitrone im Maul. Der Kellner griff ‘ne Flasche Cognac beim Hals, nachdem er sie überall rumgezeigt hatte, zog mit den Zähnen den Korken raus und nahm ‘nen guten Mund voll. Inzwischen hatte der Koch ‘n silbernes Röhrchen aus der Schürze gekramt und bohrte es wie ‘n Torero dem nächstbesten Riesenfrosch in die Hintertür. Der Kellner beugte sich jetzt runter mit prallen Backen, steckte den Edelstrohhalm zwischen die Lippen, kniff die Augen zusammen und pustete drauflos; pustete bis der eingeschrumpelte Froschleib sich blähte wie ‘n Luftballon. Dann ließ er sein Feuerzeug klicken, trat ‘nen Schritt zurück - und: »E voilà!«, rief er aus, indem er wie ‘n Tanzmeister die rechte Hand in die Luft warf - und da machte es »Puff!«, und in ‘nem Feuerball zerplatzte die Delikatesse, würzigen Bratenduft verströmend. Es kokelte noch ‘n Moment weiter, erlosch und war fertig. Fünfmal sahen die Gäste dieses Schauspiel, fünfmal klatschte man Applaus. Dann traten Messer und Gabel in Aktion. Koch und Kellner schnappten sich den Servierwagen und zogen sich unter schaumigem Akkordeongedudel rückwärtsdienernd zurück.

Nu war‘s Dieter, der von seinem Stuhl aufspringen wollte, aber ich hab ihn runtergedrückt und ‘n bisschen was von fremden Ländern und Sitten verklickert und dass er nicht alles und jedes mit ‘ner Frankfurter Würstchenbude vergleichen soll.

Wurde noch ‘n spitzenmäßiger Abend da draußen am Wasser.

Ein Skatverein aus Offenbach kam reingeschneit, der hatte sich die halbe Terrasse reserviert. Und dann gab‘s wieder was zum Staunen, als die ihr Essen vorgesetzt bekamen: Rippchen mit Kraut, Nürnberger und Schäufelsche. Und Blunzen und saure Zipfel schleppte man herbei und Steinkrüge mit Äppelwoi und endlich auch Weißbier, Altbier, Bockbier, Korn - doppelt und einfach - Kümmerlinge, Underberg und Küstennebel!

Und wir hockten da mit Gerumpel im Bauch. Wir guckten so lange, bis einer gewinkt hat und guckten weiter, bis alle gewinkt haben; da ließen wir uns denn nicht länger bitten und haben den Herrschaften tüchtig unter die Arme gegriffen.

Dieter wurd gleich von ‘ner dicken Skatschwester aufn Schoß gezogen, und die hat den genudelt wie ‘ne polnische Weihnachtsgans und ihm ins Ohr gelacht und ihn gekitzelt, wenn er das Maul grad so richtig voll hatte. Dann hat sie Weißbier in den reingekübelt, bis er mit den Beinen strampelte. Damit war er gründlich entschädigt für alles, was ihm an Unannehmlichkeiten widerfahren war in der großen, fremden Stadt, und ich kann euch versprechen: ich ging auch nicht leer dabei aus!

Als wir spät, sehr spät unsere Böcke bei den Hörnern fassten und in die Wiese hinausschoben, waren wir in Hochform und blau wie die Haubitzen. Dieter machte dauernd »quaaak, quaaak« und hüpfte voraus, wobei er mehrmals auf die Nase fiel und sich halb kaputtlachen wollt.

Ich und Dieter nach Afrika

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