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Segovia - Stadt des Spuckens und der Ferkel

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Hinter ‘ner Bergkette - so ‘ner Gegend fast wie im Taunus, mit Nadelbäumen und Moospolstern und fließend Wasser den Abhang runter und reichlich Ozon um die Nase - das war ‘n feiner Kontrast für die Augen, nach der steinigen Hochebene, nach den kahlgeblasenen Flächen der Meseta. Und hinter der Bergkette wuchs ‘ne Stadt aus‘m Boden wie aus ‘nem Märchenbuch.

Als wir dicht dran sind, erhebt sich vor uns ‘ne mächtig dicke Mauer, die sich, wie ‘n Ring und noch gar nicht kaputt, um die Häuser schmiegte. Dann, vorspringend wie der Bug von ‘nem Öltanker, - die Bastei eines Schlosses. Nicht so ‘n weiß angepinseltes Disneyschloss wie aus der Glotze, das hier war fast ‘ne Kopie von Neuschwanstein - nur ‘n paar Jahrhunderte älter und solide zusammengepuzzelt; und alles braun-roter Naturstein bis rauf zu den Türmen.

Um die Türme und Zinnen des Alcazars - so heißt der Schuppen nämlich, (hat uns ‘n Mann verraten) - war‘n Unmengen von Dohlen am Herumzirkeln und Umeinandertaumeln. Und wie die so auf ‘ne uralte, verwunschene Weise »Tjark, tjark«, riefen und sonst nichts zu hören war außer ‘nem leisen Windchen, da bekamen wir ordentlich Lust, mal dort ‘ne Wendeltreppe hinaufzustürmen, um das Dornröschen wachzuküssen.

Zuerst sind wir weiter an der Mauer lang, wo‘s kalt von den Steinen runtertropfte und unten ‘n Haufen Unrat rumlag. Als die Mauer zu Ende war, ging‘s offen in die Stadt hinein. Gleich am Eingang ragte ‘n grauer Aquädukt über die Häuser hinaus, so prima in Schuss, als wär er eben erst fertig geworden. Machten die Triebwerke aus und schoben bergauf, in die Fußgängerzone rein.

An der Stelle, wo der Aquädukt anfing, konnten wir sehen, dass da noch reichlich Frischwasser drin entlangströmte bis auf die andere Seite von der Stadt. Das Wasser kam von oben, und ‘n Haufen Leute kamen von oben die Gasse runter, mit Tüten in der Faust. Die sind lässig dahergeschlendert und spuckten uns irgendwelche Schalen ins Gesicht. Dieter war kurz davor, die Luftpumpe aus‘m Halter rupfen, um mal zu zeigen, was ‘n deutscher Weltenbummler davon hält, wenn man ihn gleich zur Begrüßung anspelzt wie aus ‘nem Papageienkäfig raus. Hat‘s dann aber unterlassen und mit mir alles angestaunt, was da so an Gebäuden rumgestanden ist, mit Rundbögen, Spitzbögen, Barockgeschlinge, Rokokogekröse. Glatte Säulen, geriefte Säulen, gedrehte Säulen, solche mit Schnecken obendrauf oder Blattgerank am Ende - wer kennt sie alle beim Namen, die ollen Stützpfeiler?

Dieter hat dann eingesehen, dass die Segovianer das nicht persönlich meinten mit der Spuckerei - die mussten einfach irgendwohin mit der Spreu, in der dicht gedrängten Prozession.

Wir wollten‘s auch mal ausprobieren, als wir oben an so ‘ner uralten Kirche angekommen war‘n. Kauften zwei Rationen gesalzenes Vogelfutter von ‘nem alten Kerl, der da mit ‘ner dreirädrigen Holzbude parkte, wo von der Dachrinne bunte Lakritzschlangen herunterhingen und drinnen Tabak und Bonbons und Popcorn, in klebrige Gläser eingesperrt, den Kunden locken sollten. Rauchen tat der Alte in seinem Verschlag, dass er vor Husten sein eigenes Spanisch nicht mehr verstand.

Jeder mit einer Tüte Kerndln in der Hand, schoben wir wieder die Gasse runter. Am Aquädukt sind wir ‘ne Weile rumgelungert, bis wir‘s Knabbern und Spucken einigermaßen raushatten. Macht richtig Spaß, wenn du dem Vordermann die Abfälle aufn Buckel springen lässt! Dann kehrten wir um, stapften wieder bergan bis zu der ollen Kirche und dem hustenden Lakritzonkel.

Weil‘s jeder so trieb, taten wir‘s auch. Einen Sinn erkannten wir nicht, musste aber einer drin liegen, sonst würden‘s die Eingeborenen nicht so ausdauernd betreiben.

Wie‘s dämmrig wurde, fing‘s tierisch zu kokeln und zu qualmen an aus sämtlichen Kaminen. Die Stunde war gekommen, wo die Segovianer ihre Spanferkel in den Ofen schmeißen, aufn Spieß stecken, zur Suppe verkochen. Die Segovianer sind nämlich nicht nur fanatische Körnerfresser und Herumflanierer, die verputzen auch massenhaft blutjunge Schweinchen. In jedem Restaurant siehst du sie bleich und tot im Fenster liegen. Andere sind schon fertig gebraten und mit ‘ner glänzenden Honigkruste überzogen; da läuft einem das Wasser sonstwo zusammen.

Als wir grade mal wieder Richtung Aquädukt pilgerten, kreuzte ‘ne Schubkarre unseren Weg, mit ‘nem Mann davor, in blutiger Schürze und mit ‘ner Riesenladung Schweinekinder an Bord. Die lagen übereinandergestapelt und schon abgeborstet und abgebrüht, und das Schlachteblut sickerte ihnen so leise aus der Schnauze raus.

Wie nach ‘ner Massenerschießung kam uns das vor oder wie ‘n Leichenkarren während ‘ner Pestepidemie. Sind paarmal fast in so ‘nen Transporter reingestolpert. Kriegten jedesmal anständig was vorgeflucht vom Schieber, und da war der auch schon weiter und rollte ‘ne Rampe hoch, in ‘nen Hausflur rein, wo man schon mit glühender Holzkohle wartete. Wir bekamen Mordskohldampf angesichts der Fleischberge, nur leisten konnten wir uns so was nicht, auf uns warteten Tütensuppen und trocken Brot.

Als die Nacht heraufgeschlichen kam und ‘s immer dunkler wurde, fingen wir an, uns fehl am Platz zu fühlen mit unsern hochbepackten Maschinen und dem gefechtsmäßigen Aufzug. Die haben uns immer scheeler von der Seite angestarrt, und ich schätz mal, die haben uns so allmählich doch mit Absicht unter Beschuss genommen. Zuletzt war‘s ‘n regelrechtes Schrotgewitter und kaum noch auszuhalten.

Je später der Abend, desto feiner die Klamotten. Pärchen beherrschten jetzt das Straßenbild: Aufgedonnert und schwerduftend, die Mädels; schwarzbleich mit drohenden Augen, die Dons. Aufgeputzte Kleine, an der Hand gestrenger Matronen, zeigten mit Finger und Zunge auf uns. Eine alte Vettel spuckte uns was vor die Füße, und das hatte nun wirklich nichts mehr mit Sonnenblumen zu tun.

Da seh ich mir den Dieter an, wie der so mit krummem Buckel vor mir herschiebt, den Bundeswehrparka übersät mit Samenhülsen, und wie ich auf dem seine Baskenmütze gucke, war die nicht mehr schwarz, sondern gesprenkelt mit so allerlei Unappetitlichem … Und da fang ich ‘s Grübeln an, dass ich hintenrum nicht viel anders aussehen müsst, und wie wir wieder oben am Ende sind bei der hellangestrahlten Kirche und dem Lakritzopa, und wie die Schatten in den Fensterhöhlen der ollen Römerhäuser so geisterhaft schwarz anfangen zu glotzen, da sag ich:

»Ich hab die Schnauze voll! Lass uns verschwinden von hier, sonst steigt denen noch was ganz Komisches in die Birne; bei denen weiß man nie.«

Dieter war dann auch gleich einverstanden, und als wir endlich nach ‘ner Ewigkeit wieder unten am Aquädukt angelangt waren, da war der noch viel einverstandener. Denn zum guten Schluss hatten die uns nicht nur angepöbelt, die sind sogar handgreiflich geworden und haben uns angerempelt. Dabei ist dem Dieter seine Karre umgekippt und das Fass davongekollert, in ‘ne Schubkarre rein, mit Ferkelleichen drauf, und über die Füße vom Henkersknecht gerollt; und der hat mit ‘m Beil gedroht; und das Fass ist weitergerollt, den Bergaufflanierern entgegen, dass die wegspringen mussten und immer mehr schimpften und schubsten.

Ein Glatzkopf hat uns mit irgendwas Hartem hinten eins drübergezogen, dass wir um unsre Gräten bangten, und das Fass war noch so weit voraus, dass wir mit ‘nem Schweinsgalopp hinterher mussten - was logischerweise nicht klappte mit den Böcken - und wir links und rechts aus‘m Gleichgewicht kamen und hier mal gegen römisches Mauerwerk, dort mal gegen ‘ne Renaissancetreppe geprallt sind.

Und - du meine Güte - war‘n wir erleichtert, als wir endlich das Fass eingeholt hatten, das eben am Fertigeiern war - aber zum Glück nicht im Eimer. Haben fix das Ding wieder draufgeschnallt und sind raus aus der Stadt, wie die Hühnerdiebe!

Schlagartig war‘s ruhig und still und ganz finster und nur noch so ‘n orangener Schein vom Alcazar; und die Dohlen war‘n schon im Bett. Wir stolperten durch irgendwelches Gestrüpp oder ‘nen Obstgarten, und es roch faulig und verrottet und nach Ruprechtskraut. Haben uns sauelend gefühlt und mal wieder überhaupt nicht wie schneidige Globetrotter. Der Wind hatte sein Tempo verdreifacht, und ‘n feiner Nieselregen hatte sich vorgenommen, uns so sachte aufzuweichen. Wieder saugten sich die Kutten voll, und die Hände sind uns fast am Lenker festgefroren.

Drückten uns dicht an die Stadtmauer ran und pressten die Backen dagegen und suchten und tasteten, ob da nicht wohl ‘ne Schießscharte oder ‘ne Nische wär?

Mit einem Mal war das gar nicht mehr so still, und da drang noch was anderes an unser Ohr als bloß der Wind. Da war so ‘n Quietschen und Sabbern und Grunzen, und es roch verflixt nach Bauernhof.

Was war das?

Die Taschenlampe hat‘s uns verraten: Hinter Holzgittern wuselten Borstentiere, und alle war‘n sie klein und niedlich, mit langen Wimpern und seidigen Haaren. Neben dem Gestank drang ‘n warmer Hauch aus ihrer Behausung, und da beschlossen wir wortlos dasselbe: Holten nur noch die Maschinen ran, und ‘s war kinderleicht, da einzudringen, und die haben uns höflich platzgemacht.

Schön mollig warm hatten die‘s mit ihren hunderten Spanferkelleibern. War‘n wohl Vollwaisen und dachten, wir wollten die adoptieren, und als wir uns auf ‘ne Strohschütte in die Ecke reingewühlt haben, wo‘s schön trocken war und nicht ganz so scharf duftete, da rutschten die grunzend näher und dicht an uns ran und rüsselten und nestelten und bohrten an uns rum, weil die sich eingebildet haben, wir gäben Milch oder was.

Weil wir nur zwei Zitzen hatten, haben wir ‘n paar Flaschen aufgemacht, und die Ferkel haben gierig am Bier herumgesuckelt und gerülpst; und immer mehr kamen herangekrochen, dass wir bald erstickt wären und ‘ne Vorstellung davon kriegten, wie‘s so ‘ner Muttersau mit Zwölflingen zumute sein muss in ihrem Koben. Bei der Wärme und dem Gewusel, das bald nachließ, weil das Bier zu wirken anfing, sind wir dann auch bald weggeduselt. Ich träumte von Zuhause und von den Zeiten, als ich und meine Olle uns noch besser verstanden hatten und die noch nicht herumgesponnen und noch keine drei Zentner gewogen hatte.

Ich wach auf, als jemand mir paarhufig ins Antlitz latscht und so ‘ne Unruhe aufkeimt. Zunächst wusste ich gar nicht, wo ich mich befand, und erkennen konnt‘ ich auch nichts, weil niemand an Nachttischlampen gedacht hatte und ich meine Taschenlampe nicht finden konnte. Nahm dann doch durch die Gitterstäbe ‘nen ultramarinblauen Ausschnitt Nacht wahr und davor, wie Scherenschnitte, - zwei Gestalten! Die flüsterten und schimpften sich leise was zu, aber nicht in Spanisch oder sonst was, sondern ganz Reindeutsch! Dann ruckelten die das Tor auf, wie wir‘s auch aufgeruckelt hatten, und klappten‘s sperrangelweit auf und fingen an zu kommandieren und zu fuchteln und mit ‘ner Taschenlampe zu kreiseln. Als sich nichts weiter tut im Stall, da kommt einer rein und macht den Viechern Beine; und ich mach mich ganz flach ins Stroh rein und hoffe, Dieter würd dasselbe tun.

Nun machte die Ferkelbande sich auf die Keulen und hoppelte widerwillig raus in die Kälte, wo die andere Figur - ‘ne Frau -, sie durch Händeklatschen in alle Himmelsrichtungen auseinanderverteilte und mit ‘nem Fußtritt nachhalf, wenn einer nicht spuren wollt. Wie der Koben fast ganz leer ist, zischt die da draußen: »Schluss, Günther, genug jetzt! Es reicht!«

Und da ist der Typ rausgewitscht, und dann haben die noch beide mit ‘nem Tuch oder ‘nem Laken herumgefummelt und es außen am Gitter festgemacht, dass ich nichts mehr gesehen hab.

Dann war wieder Ruhe.

Die Tür stand weit offen, doch die restlichen Schweinchen wollten bei uns bleiben und haben sich ängstlich an uns rangedrückt.

Dieter hatte von all dem null mitbekommen. Der lag noch da, mit ‘nem Läuferschwein im Arm, und träumte vor sich hin.

Bin dann raus und mal das Tuch untersucht. Da stand drauf mit roter Farbe oder Blut: STOPPT DEN KINDERMORD AN SPANIENS SCHWEINEBABYS!!!

Kein Mensch mehr zu sehen, nur vereinzelte Schweinchen am Herumirren und kläglich am Quieken vor Kälte. Bekam ich‘s mächtig mit der Angst und sah zu, dass ich Dieter wachkriegte - was nicht einfach war, mit seiner Geliebten im Arm.

Und da wird der Himmel auch schon mehr grau als blau, und ‘n Hahn krähte irgendwo über unseren Köpfen von der Mauer runter.

Da haben wir nicht lange gefackelt, sind aufgesessen und haben uns ohne Motorbetrieb davongestohlen, noch ‘ne Zeitlang von befreiten Ferkeln begleitet. Die Segovianer würden ganz schön sauer sein, wenn‘s richtig hell wurde und sie die Bescherung mitkriegten.

Wir rätselten herum, wer die Typen wohl gewesen sein mochten? Die Stimme der Frau war mir bekannt vorgekommen und ich überlegte und grübelte die ganze Zeit in mich rein.

Und als wir schon ‘n Endchen in freier Wildbahn war‘n, kam ich schließlich drauf. Die Kupferhaarige war‘s! Die Zicke mit dem Stuhlzwang. Und ihr Begleiter konnt nur der sensible Jackson gewesen sein, hat der Dieter geschlussfolgert. Bis hierher hatten die‘s also auch geschafft!

Wir legten ‘nen schärferen Gang ein und richteten unsere Vorderräder nach Süden aus, gegen Madrid.

Ich und Dieter nach Afrika

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