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Paris - ganz schön gefährlich

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Die Sonne war schon so ziemlich am Wegsacken, als wir gemächlich über die Place de la Concorde tuckerten. Eine supergewaltige Sonnenuhr haben die da mitten ins Pflaster reingerammt, und gleich dahinter geht‘s achtspurig die Champs-Elysées hinauf.

»Kann ‘n Mann ja richtig neidisch werden!«, staunte Dieter, als wir unsere Böcke an den Brunnen unterhalb der Sonnenuhr lehnten.

Hatte er recht. War wirklich die größte Sonnenuhr, die wir je gesehen hatten; und ganz vollgemeißelt war die - mit so kleinen Männchen und Piepmätzen und ‘ner Geheimschrift, aus der wir nicht schlau wurden. Na, ich denk mal, in so ‘ner Weltstadt wie Paris kann man sich natürlich nicht mit schepprigen Sprühdosen zufrieden geben, um die Kulisse nach seinem Geschmack ‘n bisschen zu verschönern; hier greifen die Kids gleich ganz solide zu Hammer und Meißel. Frag mich bloß, wie die da hochgeklettert sind? Jedenfalls kann sich ‘n Putzlappen an so was die Zähne dran ausbeißen.

Dieter stiefelte gleich drauflos, quer übern Platz. Der wollt sich mal ‘n Pissoir aus der Nähe begucken. »Weil‘s typisch Paris is - genau wie Eiffelturm und Louvre. Das muss man einfach mitgemacht haben.«

Ich hol ‘n Kochpott raus, tauch ihn in den Brunnen und zieh ihn halbvoll wieder raus und mach den Kocher startklar. Paris hat neben Pissoir und Eiffelturm den Vorzug, dass man‘s Wasser von überall raus bedenkenlos trinken kann. Ihr könnt euch bestimmt denken, von wem wir das gelernt hatten.

Kaum dass ich die Nudeln drin hatte, war Dieter schon zurück, aber mit knallroter Birne und am Zittern wie ‘n Rochen. Keucht er: »Ich hatt Ihn eben rausgeholt, da greift so ‘n Bürschchen danach, und wollt sich ‘n Taschengeld verdienen. Hab‘s grad noch geschafft, die Fliege zu machen. Werd ich wohl nicht mehr reinschneien in so ‘ne Pissbude, da kannste Gift drauf nehmen. Glaubt denn der, wie ich ausseh?«

»Na, denn nicht«, sag ich. »Hau dich hin - Nudeln sind gleich fertig.«

Um uns herum brauste der Feierabendverkehr. Fürchterliches Gehupe, klaro, aber prima war‘s doch, so im Auge des Orkans sein Abendbrot zu verdrücken. Aufm Brunnenrand hockte allerlei Jungvolk und machte Musik mit allem, was Krach erzeugt. So ‘ne Bohnenstange mit Haaren bis zum Arsch runter war ihrem Saxophon einen am Ablutschen, da könnt‘s ‘nem langgedienten Eunuchen warm ums Herz werden. Dieter wollt seine Mundharmonika einblasen, aber ich sag: »Wart man damit, bis wir in der Wüste sind!«

Als wir aufgefuttert hatten, haben wir uns leider ‘n anderes Plätzchen zum Übernachten suchen müssen; die Bullen ham uns weggejagt. Um nicht aufzufallen, haben wir das Maul gehalten und uns in Richtung Champs-Elysées verkrümelt. Die Böcke, die war‘n uns plötzlich ‘n Klotz am Bein - gern wär‘n wir da solo herumspaziert - aber wo abstellen, die Dinger?

Da fiel uns der Triumphbogen ins Auge, der war hell angestrahlt wie ‘ne Schießbude, da würd keine Sau draufkommen, ‘nen Diebstahl zu riskieren. Brauchten wir nicht lang zu überlegen. Also rüber über die Straße, und die Böcke beim Olympischen Feuer angekettet.

Vorm ersten Bistro warfen wir uns gleich in die Korbstühle; und das war toll, wie all die piekfeinen Leute so an einem vorbeiflaniert sind. Ich glaub, ich hab sogar Boris Becker aus ‘nem Hutladen rausstolzieren sehn, hab aber Dieter nix gesagt, sonst wär der gleich hin wegen Autogramm und so. Wir hockten da lässig herum und schluckten nun doch dieses trübe Absinthzeugs, das sie hier Pastis nennen. Gar nicht übel, die Brühe, ging ganz schön zügig in die Birne. All die knackigen Puppen war‘n am Vorüberwackeln, doch nicht ‘ne einzige hat uns ‘nen Blick zugeworfen. Nach‘m dritten Glas kriegte Dieter ‘nen Moralischen, wollte zu seiner Ollen, und wenn nicht zu seiner Ollen, doch wenigstens auf ‘ne Matratze plus Wärmflasche aus Fleisch und Blut.

»Geh doch wieder runter an dein Pisshaus«, sag ich, »vielleicht ergibt sich da doch noch was!«

Wir zahlten und marschierten in die Nacht hinein, Kurs Eiffelturm. Dieter hörte auf, von Betten zu quatschen und verschoss seinen Vorrat an Franzosenwitzen.

Dann ‘ne dicke Überraschung: Gegenüber vom Eiffelturm, auf der andern Seite vom Fluss, begann Afrika, und damit war‘n wir teilweise schon am Ziel. Die Afrikaner hockten da im Dunkeln herum, hockten auf den Treppenstufen und oben auf der Mauer aus klotzigen Steinquadern. Dieter konnt‘s nicht abwarten und wollt gleich drauflosknipsen. Wer weiß, was passiert wär, hätt ich ihm nicht die Pocket aus der Hand geschlagen. Denn so viel hatte ich auch schon in der Glotze gesehn: dass mit dieser Sorte Herrschaften nicht gut Kirschen essen ist - besonders nachts. Bestenfalls knöpfen sie dir die Moneten ab, im schlimmsten Fall kannste deine Knochen als tausendteiliges Puzzle im nächsten Krankenhaus abliefern. Diese Brüder hier schienen mir sogar Wilddiebe und Elfenbeinhändler zu sein. Immense Werte hatten die um sich herumdrapiert: ‘n ganzer Garten aus meterlangen Stoßzähnen war da gepflanzt, reichlich verziert mit Schnitzwerk; und ganze Elefantenfamilien marschierten über die Bastmatten; und von Kleiderständern baumelten Ledergürtel herunter wie geräucherte Baumschlangen. Als ob‘s nicht reichte, lag da, wüst übereinandergestapelt, außerdem noch ‘n kunterbunter Querschnitt durchs gesamte Washingtoner Artenschutzprogramm: Schildkrötenpanzer und halbe Korallenriffe und ausgestopfte Krokodile und Paradiesvögel, Zebrafelle, Antilopenbeine, getrocknete Affenbälger - und ich bin mir sicher: ich hab da sogar ‘nen blondhaarigen Schrumpfkopf gesehn!

Die Wilddiebe hockten da und schwiegen düster vor sich hin. Das Mondlicht muss denen mächtig in den Augen gestochen haben, deshalb schützten die sich mit Sonnenbrillen; und zusätzlich hatten sie dicke Pudelmützen über die Krausköppe gestülpt oder wenigstens Baseballkappen, damit sie keinen Mondstich abbekamen.

Dieter stand staunend wie ‘n Kind vorm Spielzeugladen und war am Flüstern: »Afrika! - dunkel-lockende Welt …« Und greift sich ‘nen Stoßzahn und wiegt ihn hin und her und malt mit den Fingern die Verzierungen nach. Lass die Pfoten davon, will ich noch sagen, da war‘s schon zu spät. Einen satten Hunni hat er hingeblättert und sich noch unterwürfig herumbedankt und dabei eingebildet, er hätt das Schnäppchen seines Lebens gemacht. Nun fing der Händler das Grinsen an und hat seine Sparkasse aufblitzen lassen - die ganze Fressluke die reinste Goldmine.

Ich konnt die Freude von Dieter nicht die Spur teilen, weil ich keine Lust hatte, mit Elfenbein erwischt zu werden. Bin ich also bisschen sauer gewesen und hab nix mehr geredet und auch die nächsten Stunden nicht viel.

Hätt ich damals geahnt, was dieser Stoßzahn uns noch für ‘n Glück bringen würde, wär ich ‘n bisschen weniger ruppig mit Dieter umgegangen. Später hat‘s mir leid getan, aber erst mal hab ich den Dieter vor mir her geschubst durch die halbe Stadt, bis wir ganz fußlahm wurden und hundsmüde und ich nichts dagegen hatte, dass wir uns unter ‘ne Brücke hauten.

Ging nicht, weil da schon die Clochards herumpennten und null Bock hatten auf unsere Gesellschaft. Die haben uns Beine gemacht und mit Flaschen geschmissen. Sind wir rüber auf die andere Seite gedackelt und bei Notre Dame vorstellig geworden, aber die alte Lady hat nicht aufgemacht - da konnten wir noch so laut an die Pforte pochen. Sind wir noch ‘n Weilchen rumgestanden, und die Zähne haben uns zu Klappern angefangen, denn inzwischen war‘s ziemlich frisch geworden. Dieter stand bibbernd und umarmte seinen Stoßzahn, und sagt er: »Hätten doch bei dem Schneckenzwerg bleiben sollen die Nacht über, dann würden uns jetzt die sieben Schneewittchen das Blut zum Kochen bringen. Überleg mal, Kurti: das wär‘n dreieinhalb für jeden gewesen und …«

»Und schön schleimig vor allem - und du hättest die hundert Mäuse nicht ins Klo runtergespült, und ich hätt nicht die ganze Zeit die Schnauze halten müssen, weil ich nicht sauer gewesen wär mit deiner Schnapsidee - aber nu isses zu spät, nu müssen wir die Suppe auslöffeln.«

War sträflich behämmert von uns gewesen, so einfach drauflos zu marschieren ohne die Böcke, wo doch der Dümmste weiß, dass ‘n Cowboy sich niemals von seinem Zossen trennt, besonders auf feindlichem Territorium. Haben uns lärmig ‘nen Schwall an Unfreundlichkeiten an die Köpfe geworfen, bis mir nichts mehr einfallen wollt, nur noch dem Dieter. Sagt er: »Da häng ich hier rum in ‘nem fremden Kaff, nix zu fressen, nix zum Saufen, kann mich kaum noch auf den Beinen halten, und in den Satteltaschen verdunsten Madame Rum und Mademoiselle Doppelkorn - Trösterinnen der Nacht, Kameradinnen unter fremden Sternen …«

»Lass bloß die Lyrik unter Verputz!«, sag ich, und denn haben wir uns gerappelt und sind weitergeschoben - half ja alles nichts. Eigentlich war‘s nicht viel mehr als nur ‘n Trotten mit gesenkten Häuptern, was wir zustande brachten, doch kaum einer hat‘s gesehen - die lagen alle längst in ihren französischen Betten.

Die Nebenstraßen waren genauso zugemüllt wie die in Metz, nur die Häuser war‘n höher. Der Mond stand leicht verwaschen an ‘nem kohlschwarzen Himmel und schaute gleichgültig herab. Dieter wollt sich dann aufmachen, das Studentenviertel zu suchen. Studentinnen hätten ‘n mitleidiges Herz und würden sich gern was dazuverdienen - da könnten wir garantiert irgendwo unterschlüpfen. Doch keinen Schimmer, wie dort hinfinden. Dieter sprach null, ich überhaupt kein Französisch, und ‘n Stadtplan - Fehlanzeige. Menschenskinder - so ‘ne riesige Stadt kann einem schon ganz schön den Schneid abkaufen, besonders in der Nacht und besonders, wenn man nicht weiß, wo man pennen soll.

Wir stolperten an ‘nem elend langgestreckten, palastartigen Schuppen vorbei. Arkaden und Fenster und Fenster und Arkaden und dazu das Geisterlicht der Natriumlaternen. Bei irgendeiner der tausend Lampen stolperte Dieter über ‘nen Pappkarton, der halb den Weg versperrte. Nicht mit Absicht, aber trotzdem: Abrissbirne! Der Karton platzte auf, und ‘n stinkendes Lumpenbündel kam rausgekullert. Will‘s eben beiseite kicken, da fängt das an, lebendig zu werden! Zwei Wesen sind draus hochgeschnellt wie so Gespenster von ‘ner Geisterbahn und legten los mit Fluchen und Fäusteschütteln. Das erste Gespenst - ‘ne Ruine von Weib - hat gleich drauflosgespuckt und sich auf den Dieter geworfen, der nicht ganz fest auf den Beinen war, das Gleichgewicht verloren hat und der Länge nach aufs Pflaster knallte. Ihr Wohnkumpan - ‘n Kerl mit ‘ner Stirn wie ‘n Neandertaler, wollt nun mir ans Leder, so sauer war der über den Verlust seiner Fürstensuite. Er kommt auf mich zugeschlurft, und ich seh, dass er nur Badelatschen anhat. Die Zehen von dem war‘n schwärzlich abgefault, und um die Beine hatte er sich Binden drumgewickelt, die war‘n ganz durchtränkt von Eiter und gingen bis unter den Saum seines Bademantels.

»Mille Francs!«, brüllt der Kerl, schüttelt die Faust und kommt näher.

Das Weib hatte inzwischen Dieter am Wickel. Sie hockte rittlings auf seiner Brust, machte sich dran, ihm die letzten paar Haare auszurupfen und kreischte dazu wie ‘ne Sau aufm Weg zum Schlachthof

Ich will mir eben die Ohren zuhalten, da ist er heran, der vereiterte Kerl, erwischt mich beim Kragen, zwingt mich in den Schwitzkasten und will mich auspressen wie ‘ne Zitrone. Wie‘s mir so langsam flimmerig vor Augen wird, seh ich mit halbem Auge, wie‘s mit Dieter weiterging.

Seine Partnerin war noch ‘n Endchen vorgerutscht und an seinem Kinn zum Halten gekommen. Dieter hat sich tapfer geweigert, auf diese Art Französisch zu lernen, hat versucht, sich aufzurichten - aber kriegte‘s nicht gebacken: Wie zwei Henkel griff die seine Ohren und hat dem seine Rübe aufs Pflaster geschmettert wie ‘nen halbgefüllten Teekessel. Obwohl mir die Luft so sachte knapp zu werden begann, hab ich mich ‘nen Bruchteil von ‘ner Sekunde amüsieren müssen, wie leer die Birne von meinem Kumpel geklungen hat - doch dann wurd‘s mir ernsthaft flimmerig vor Augen.

Paris sehen und sterben - sollte es das gewesen sein?

Bevor‘s mir ganz und gar zappenduster wurd im Oberstübchen, konnt ich noch rechtzeitig ‘n Paar Motorradstiefel erkennen, und ich besaß grad noch so viel Grips, dass ich gerafft hab, das sind die von mir … Ich taumelte rückwärts, schnappte paar Züge Frischluft, und als ich wieder halbwegs klar war, konnt ich Dieters Stoßzahn liegen sehn; der war ihm aus der Hand geflogen und schimmerte auf den Steinplatten, im Geisterlicht der Natriumlampen. Ich rübergeflitzt und kurz danach war die französische Reitstunde beendet.

Die Amazone verstummte wie ausgeknipst und rollte seitlich weg in den Rinnstein, wo sie reglos aufm Rücken liegenblieb. Der Kerl hatte inzwischen ‘ner Weinbuddel den Boden ausgeschlagen und kam so langsam auf mich zugehumpelt, das Ding in der Hand wie ‘n Mikrophon, als wollt er ‘n Interview mit mir machen. Hab‘s ihm verweigert, und diesmal ist es Dieter gewesen, der mit dem Elfenbein die passende Antwort gewusst hat. Zum Abschluss haben wir schnell noch die Flachpappe drüber gedeckelt, damit die sich keinen Schnupfen einfangen, dann sind wir abgezischt.

Keine Ahnung, wie lange wir so umherirrten - alle Erinnerungen sind in ‘nem grauen Nebel versunken. Ich weiß nur noch, wie wir die Place de la Concorde endlich wieder erreichten, den einzigen Platz auf der Welt, wenn ich nicht schief liege, der nach ‘nem Flugzeug benannt ist. Und ich seh den Dieter noch vor mir, wie er seine zerbeulte Rübe in den Brunnen taucht und gurgelt und spült und sich die Fusseln wäscht und gar nicht mehr aufhören will. Nachdem er auch seinen Stoßzahn gründlich gebadet hatte, winkte die Rettung.

Als wir am Triumphbogen anlangten, brannten da noch immer die Scheinwerfer, doch war‘n kaum noch Autos unterwegs. Wie spät‘s war, konnten wir nur schätzen. Dieters Uhr hatte ‘nen Sprung und war vorhin voll Wasser gelaufen; ich hatte meine schon kurz vor der Grenze feierlich auf ‘nem Stein erledigt.

Waren wir froh, als wir unsere Böcke im Schein des Olympischen Feuers blinken sahen! Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ‘ne Erleichterung das gewesen ist! Kann nur einer nachempfinden, der wie ich, allein und mit Dieter, so ‘ne Nacht in ‘ner wildfremden Stadt durchlitten hat.

Nun fiel der ganze Schrecken von uns ab wie so ‘n Leichentuch. Dieter trocknete seine Fusseln am heiligen Feuer und hörte auf zu bibbern, nachdem ich ihm ‘ne randvolle Tasse Rum eingeflößt hatte. Dann fingen unsere Mägen von unten her loszuknurren, ein sicheres Zeichen, dass wir quicklebendig waren.

Ich kramte unsere Pfefferlinge raus, die gegrillt fast noch leckerer schmeckten als kalt aus der Faust. Dazu ‘ne herzstärkende Dröhnung Doppelkorn, und unsre Batterien war‘n aufgeladen. Prächtig geknackt! Dank des Feuers, das unermüdlich gebrannt hatte, ohne, dass wir auch nur einmal nachlegen mussten, war‘s mollig warm und trocken gewesen.

Durch den Frühverkehr, der jetzt mächtig zu Gange war, sind wir aufgewacht, erfrischt an Leib und Seele. Keiner hat uns gestört, als wir in aller Ruhe unsere Siebensachen zusammenpackten. Und Dieter verstaute mit so ‘nem verschwörerischen Grinsen seinen Stoßzahn.

Wir in den Kreisel rein und uns in den achtspurigen Verkehr eingefädelt und die Champs-Elysées runter, gespannt auf neue Abenteuer.

Wir knatterten am Ufer der Seine entlang. Sah schon viel freundlicher aus, jetzt, wo‘s am Tag war. Unter den Brücken entkorkten sie ihren Frühstückstrunk und prosteten uns zu.

Am Jardin des plantes machten wir halt wegen Dieter, der scharf war auf exotisches Grünkrams. Der hat geglaubt, wir könnten da was über essbare Früchte und so ‘n Zeug erfahren, das würd uns unterwegs ‘ne Hilfe sein, sollten wir mal keinen Laden finden.

Am Eingang des Gartens lag ‘ne Unmenge Riesenkristalle auf Sockeln herum, war‘n aber durch Hammer und Meißel von Hobbymineralogen schon so abgenutzt, dass sie ihre ganze Leuchtkraft und Durchsichtigkeit verloren hatten. Ein garagengroßer Amethyst sah nur noch aus wie ‘n Haufen gefrorener Rotegrütze. Dann überall Beete. Studentenblumen, Astern, Stiefmütterchen - das ganze Programm von Gärtner Pötschke. Dazwischen breite Sandwege mit Tauben und Spatzen am Draufrumpicken, flankiert von grüngestrichenen Bänken von Anno Toback. Auch reichlich Köter auf der Rolle, die nicht an Verstopfung litten. Es gab kleine Lauben, von Geißblatt umrankt, dahinter ging‘s mehr menschlich zur Sache; und im unvermeidlichen Irrgarten drüben war‘n Weiber am Quieken und Häscher am Grölen.

Schließlich begann ‘ne Platanenallee. Die Stämme standen dick wie Litfaßsäulen und war‘n mit gelben und grauen Flecken gesprenkelt - die findste in Frankfurt massenhaft. Zwischendrin lungerten zwielichtige Typen herum, quatschten uns um Zigaretten an und wollten so Bildchen der härtesten Sorte an den Mann bringen. Dieter hat sich gleich mit ‘nem ganzen Dutzend versorgt. Penner dösten in der Sonne, und ganz hinten, auf ‘nem Hügel, wuchsen Bäume, die keine Sau kennt. Deshalb hatte man grüne Schilder aufgestellt und mit weißer Farbe lateinisch draufgepinselt, wo die herkamen und wie die hießen. Ich kann mich noch an ‘ne Araucaria excelsa erinnern, so ‘ne Art Plastikweihnachtsbaum von monströsem Wuchs, und all die Korkeichen und Esskastanien mit überall Efeu drum herum, die hab ich mir auch gemerkt.

Aufs Aquarium haben wir verzichtet. Dafür lockte ‘n melodisches Geschrei, das klang wie ‘ne übergeschnappte New Yorker Polizeisirene, uns rüber zum kleinen Zoo. War das ‘n Vogel? Oder war das die Begleitmusik von diesem Kinderkarussel? Keins von beiden war’s.

Es war einfach ‘n Affe. Ein Gibbon mit Armen bis zum Boden runter. Der Gibbon turnte den Gaffern was vor auf seinem Klettergerüst, da konnt einem ganz schwindlig werden. Einarmig, beidarmig klammernd tobte das Vieh herum, jaulte zwischendurch markerschütternd, spielte an seinen Nüssen und hat doch kein einziges Mal vorbeigegriffen.

Am Bärenkäfig - oder genauer: bei der Bärengrube - hätte es Dieter um ein Haar erwischt. Am Boden der Grube lümmelten drei fette hellbraune Teddys. Überall Nüsse und Bananenschalen und Bonbonpapier. Sogar ‘n leeres Glas Honig. Die Leute lehnten oben am Gitter, warfen alles runter, was schmecken sollte und fraßen Eis und Popcorn dabei. Die Viecher waren knallsatt und sahen aus, als könnten sie nie mehr aufstehen, so fett und faul war‘n die da am Rumsumpfen. Wenn einer mal ‘nen Lutscher oder Eukalyptusbonbon auf die Nase bekam, blinzelte er nur schläfrig, zog die Schnauze kraus, hob kaum den Kopf.

Da hatte Dieter die Idee mit dem Landjäger, beißt ‘n Stück ab, und spuckt‘s runter, dem Größten direkt auf den Riechkolben. Was dann geschah, war das Werk weniger Sekunden. Im Bärengehege stand ‘n Baum, der war so zurechtgestutzt, dass er nur noch aussah wie ‘n polierter Totempfahl. Das Riesenvieh ist da rauf, in ‘nem Affenzahn, das hätt der Gibbon nicht besser hingekriegt. Wie er an der Spitze ist, stellt er sich auf die Hinterhaxen, holt mit der Tatze aus und reißt dem Dieter nicht nur den Landjäger aus der Flosse, auch der Ärmel von seiner Kutte hat ganz schön einen mitgekriegt.

Alles ging so verflucht schnell, und wir haben uns ‘nen bedeutsamen Blick zugeworfen. Bei der Überquerung der Pyrenäen und draußen in den spanischen Sierras würden wir auf der Hut sein müssen, zusehen, dass wir die Landjäger, geruchsdicht verpackt, ganz unten im Gepäck versteckten.

Nach dieser Lehrstunde pflanzten wir uns auf ‘ne Bank und zogen ‘n Bier. Dieter holte seinen Zeichenblock raus und kritzelte an ‘nem Gewächs mit ‘nem Stamm wie ‘n versteinerter Dickdarm.

Hatte ich schon erzählt, dass Dieter nicht nur gern einen auf Lokführer macht, sondern auch mit ‘ner künstlerischen Ader geschlagen ist? Hatt ich nicht? Also - der Dieter ist manchmal am Zeichnen, hat schon mit Stiften hantiert, als wir noch im Kindergarten war‘n. Mit Blei und Kuli hauptsächlich. Blumensträuße und Katzen und, von den Lidlprospekten abgekupfert, Badenixen, wenn die Jahreszeit passte. Und dann noch heimlich aufm Fabrikgelände: schrottiges Gemäuer und Schornsteine und Maschinen. Sogar Karikaturen von den Schichtkumpels hat er versucht - nur von Heinrich Golsch nicht, das hat er sich nicht getraut. Dann hat ihm seine Olle »Malen nach Zahlen« zu Weihnachten geschenkt, und danach hat er sich manchmal tagelang eingebildet, er wär van Gogh und hat wirres Zeug geredet von Durchbruch und Ausstellung. Ich hab ihn machen lassen, hab nur gesagt: »Solang du mir nicht mit ‘nem Rasiermesser um die Nase fuchtelst, kannste tun und lassen, was du willst.« Dann hat er sich wieder abgeregt und ist in den Keller, zurück zu seiner Eisenbahn.

Nachdem Dieter fertig war mit dem Dickdarm, hat er den Kram wieder eingepackt, und wir haben uns noch bisschen umgeguckt und ganz zufällig gefunden, was wir letzte Nacht gesucht hatten: das Studentenviertel. Das liegt nämlich direkt hinterm Botanischen Garten.

Im Studentenviertel gab‘s ‘n Haufen Kneipen, Bistros und Bars. Da hockten die Studenten drinne und ließen den Professor ‘nen guten Mann sein. Aus einer dieser schummrigen Bars winkten uns sogar paar Mädels mit ‘nem Stück Zucker, das sie vor sich ins Cognacglas getunkt hatten.

»Finger weg«, warn ich, »mach bloß keinen Scheiß! Da sind bestimmt k.o.-Tropfen drinne! Und dann liegste ausgeplündert irgendwo in der Gosse, und nix nach Afrika!«

Dieter hat nichts dazu gesagt und mich wie ‘nen Hund an der Leine reingezogen in den Laden. Manchmal werd ich nicht schlau, aus, was sich in dem seiner Birne so abspielt - aber in einer Sache ist er berechenbar geblieben bis zum Schluss: Dem braucht nur ‘n Weib ins Auge zu schauen - schon ist er hin.

Wir also rein in die Pinte. Großes Hallo am Tisch! Kerle waren auch dabei, was meinen Verdacht mit den k.o.-Tropfen verstärkte. Man forderte uns grinsend auf, uns hinzupflanzen. Eine Dunkle mit Korkenzieherlocken und ‘nem Mund wie ‘ne geplatzte Tomate hielt Dieter das getränkte Zuckerstückchen hin, genau wie ‘nem Schoßhündchen. Das Hündchen spitzte die Lippen und machte Männchen. Ganz lange Fingernägel hatte die Dunkle, die war‘n golden mit silbernen Sprenkeln drauf, und ‘nen Geruch verströmte die, als wär sie mitsamt ‘nem Parfümladen in die Luft geflogen.

Bevor Dieter zuschnappen konnte, hatt ich schon in meine Parkatasche gegriffen und auf Anhieb gefunden, was ich suchte. Ich ploppte gleich den ganzen Deckel runter und würzte großzügig drauflos.

Der Tisch belebte sich auf beeindruckende Weise, und es war das erste Mal, dass ich die zündende Wirkung von spanischem Pfeffer so hautnah erlebte. Stühle kippten, Gläser sprangen, Flaschen stürzten, Tische rückten. Die Dunkle sprang hoch wie ‘n Schachtelmännchen, wobei die Zuckerdose von der Platte gehüpft ist, dann unterhielt sie die heftig Niesenden mit ‘nen scharfen Tänzchen, wobei ihre Garderobe auf ‘ne hinreißende Art in Unordnung geriet. Niemand achtete darauf, jeder war mit sich selbst beschäftigt.

Ich konnt gar nicht so oft »Gesundheit!« rufen, wie geniest wurde, und die ganze Bude war gleichzeitig ein einziger tobender Hustenanfall von ‘nem Blindenverein. Dieter hatte leider auch was abgekriegt, war gleichfalls wie verrückt am Spucken und Niesen, trotzdem hat er seine Hündchenposition nicht aufgegeben, wartete noch immer mit gespitzten Lippen auf seine Zuckerstückchen. Hab ihn mir beim Kragen gepackt, und raus auf die Straße.

Im Galopp rannten wir am Zaun entlang, bis wir endlich ‘nen Nebeneingang zurück in den Botanischen Garten gefunden hatten. Dieter ist paarmal mächtig ins Schleudern gekommen, weil er nichts sehen konnt und mit Niesen zugange war. Wir stürmten also rein in den Garten, ‘nen bewaldeten Hügel rauf, und schlüpften in ‘nen Pavillon, wo wir mit kochendem Blut auf ‘ne Bank plumpsten und nach Luft japsten.

So nach ‘ner Anzahl Minütchen gewann Dieter seine Sehkraft zurück, konnt sich aber nicht recht drüber freuen, und die Tränen sind ihm nur so aus‘n Augen gekullert, und der Sabber ist ihm aus der Nase gelaufen.

Wie ich ihm ‘n Taschentuch reichen will, hat er den Kopf geschüttelt und gesagt, nu wollt er nichts anderes mehr, als heim; wollt nur noch sein Horn vom Mofa abholen, sich in den nächsten Zug setzen und sonst nichts!

War ich ziemlich ratlos für ‘ne Weile und hab rumüberlegt, wie ich ihn wieder hinkriegen soll. Sag ich schließlich - und hab da alles reingelegt an Betonung, was ich aufbieten konnt -, hab gesagt, er könnt ruhig fahren, meinetwegen, und ich würd ihn sogar persönlich am Bahnhof abliefern, aber mein Kumpel wär er dann die längste Zeit gewesen, und er sollt mal sehn, was die mit dem Zuhause anstellen würden, und er sollt erst mal sehn, was die auf der Schicht mit dem machen würden - ich jedenfalls würd allein weitermachen und die Sache durchziehn bis zum süßen Ende. Dann hab ich nichts mehr gesagt und zugeguckt, wie‘s in dem gearbeitet hat.

Aufgestanden ist er dann, hat sich die Nase geputzt und ist langsam losgeschlichen. Ist aber nicht lange weggeblieben und auch ohne Horn zurückgekommen. Hat sich entschuldigt und mir ‘n Dankeschön in die Hand geschüttelt dafür, dass ich ihn »vor Unheil bewahrt hätte«, und er würd nie wieder solchen Schwachsinn verzapfen von Aufgeben und die Flinte ins Korn und so weiter.

Kollerte mir heimlich ‘n ganzes Matterhorn von der Seele runter, denn ich hätt, ehrlich gesagt, nicht ‘n Fünkchen Lust drauf gehabt, allein weiterzumachen, hätt das nie gepackt, im Leben nicht.

Sind wir also Arm in Arm zurückgeschlendert zum Haupttor, wo unsere Böcke parkten.

Ich und Dieter nach Afrika

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