Читать книгу Ich und Dieter nach Afrika - Wolfgang Manfred Epple - Страница 5
So fing‘s an
ОглавлениеVom Main in ‘ne Nord- und ‘ne Südhälfte zerschnitten, liegt da diese uralte Fabrik am Rand von Frankfurt. Man kann ihre Schlote schon von weitem qualmen sehn, kommt man auf seinem Mofa von Hattersheim her angeknattert. Die Fabrik ist nicht nur mächtig alt, sie auch so riesig, als wär sie ‘ne ganze Stadt für sich. Vier Haupttore hat die Giftklitsche, nach jeder Himmelsrichtung eins. Auf der Nordseite zieht sich kilometerweit ‘ne rote Mauer hin, und der Rest vom Ganzen ist mit Beton und Stacheldraht von der Außenwelt abgeschottet. Der reinste Knast, könnt man sagen.
An den Toren stehen bullige Wärter mit bodenlangen Gummimänteln, und ‘ner Tellermütze aufm Schädel, und ‘nem Schäferhund an der Leine, die passen auf, wer da reinrennt und wieder rauswill. Ihr solltet mal morgens mit der Kamera vor Tor Nord lauern, wenn die Hauptmasse der täglich Zwanzigtausend aus der S-Bahn stürzt! Da hättet ihr ‘n paar unvergessliche Eindrücke für euer Familienalbum - ‘n Anblick für die Götter, sag ich euch. All die ausgelutschten, rotnasigen Sackgesichter in ihren Jeansanzügen. Wie die drauflospreschen und sich schnell noch ‘ne Kippe anbrennen und nach zwei Zügen der Bildzeitungsoma vor die Füße schnippen, bevor der Werksbus sie aufschluckt und zu ihren Wirkungsstätten karrt. Das sind die untersten Chargen, die Hofkulis, die Putzfrauen, die Staplerfahrer und das restliche Sklavenheer. Später, wenn die von der Bildfläche verschwunden sind, kommt die Edelsorte im 1. Klasse-Abteil von Limburg oder Idstein angeschwebt - die Laptopfummler, die Handyquatscher, die Krawattenbubis und die ganze aufgedonnerte Hühnerschar von Büromiezen und Chefsekretärinnen. Nachdem die sich acht Stunden ihre Ärsche plattgesessen haben, schweben sie wieder erstklassig zurück in den Taunus, wo sie für ‘n Schweinegeld in ihren Protzbuden übernachten.
Na, was mich und Dieter betrifft: wir gehörten eher zu der niederen Fakultät, nur dass wir uns den Luxus erlaubten, per Mofa anzureisen. Wie schon unsere Väter und Großväter brummen wir unsern Frondienst als Chemiewerker ab. Is noch gar nicht lange her, da haben wir noch Chemiearbeiter geheißen, aber weil werken besser klingt als arbeiten, hat die Gewerkschaft sich stark gemacht, dass die uns umbenannten, und seitdem hat uns der Job gleich doppel so viel Spaß gemacht.
Verdienten nicht schlecht damals mit der Giftmischerei. Zu Beißen hatten wir genug, und für ‘nen zünftigen Umtrunk in der »Werksstubb« langte es allemal. Und weil wir anfangs zuverlässige Kerls war‘n, bekamen wir schon nach zehn Jahren ‘ne knuffige Werkswohnung zugelost, nicht weit von der Maloche und prima günstig zu erreichen mit unsern Böcken. ‘n Auto lag nicht drin - brauchten wir auch nicht. Den Einkaufskram haben wir spielend in den Satteltaschen bewältigt. Erst nachdem Berta das Fressen anfing, hab ich zweimal fahr‘n müssen.
Ach, ja - Berta … also, zwischendurch hatten wir noch geheiratet, ich und Dieter. Doppelhochzeit, mit Heinrich Golsch und Kulle Psarski als Trauzeugen. Dieters Erna war so ‘ne Rothaarige, Temperamentvolle, Lange. Meine Berta gefiel mir besser, war klein und pummelig, mit pechschwarzen Locken. Was ich und Dieter einfach nicht gebacken kriegten, war das mit dem Nachwuchs. Konnten uns noch so abrackern - es wollt einfach nicht klappen. Da standen wir nun fünfmal die Woche vor ‘nem Kochtopf mit Giftbrühe und glotzten durchs Mannloch, wie hinter dem Bullauge die unterschiedlichsten chemischen Partner stürmisch zu neuen Verbindungen verschmolzen, und war‘n - biologisch gesehen - selber nichts als taube Nüsse.
Berta hat mir mal nach der Kirmes an den Kopf geschmissen, das käm von der Schmutzliteratur, die überall auf Schicht rumfliegen täte, da würd ich mich dran verausgaben. Erna hat einfach nur behauptet, Dieter würd absichtlich untenrum zu heiß duschen, deshalb wär er ‘n Windei. Kurz gesagt: Mit den Jahren verloren wir ganz schön an Ansehen bei unseren Bräuten. Dieters Erna fand schließlich Erlösung beim Marathon, und meine Holde warf sich mit voller Wucht aufs Essen. Zuletzt wog sie zweihundertvierzig Pfund.
Wir wühlten so weiter. Traten pünktlich zur Schicht an, war‘n dem Vorarbeiter zu willen, zogen den Helm vorm Betriebsführer, und arbeitstechnisch konnt uns auch niemand am Zeuge flicken. Die meiste von der sauer verdienten Kohle mussten wir natürlich zuhause abliefern, und nach den Werksferien durften wir uns dann anhören, was Heinrich Golsch, unser welterfahrener Vorarbeiter, wieder Tolles in Malle, Kenia und »Deutsch-Südwest« erlebt hatte. Selber sind wir ja nicht rausgekommen aus‘m Loch. Okay, was der Dieter so alles in seine Eisenbahn gebuttert hat, das kriegste nicht zum Nulltarif - all die Schienen, Loks und Häuschen und dazu noch der ganze Beleuchtungskrams, da fütterste dein Sparschwein so schnell nicht fett von. Und was meine Hobbys betraf - Bier und Doppelkorn - die wurden auch nicht grad billiger bei steigendem Verbrauch in immer härteren Zeiten. (Womit ich nicht sagen will, dass Dieters täglicher Spritkopp dem Kamillentee geschuldet war.) Auf die Art krepelten wir vor uns hin. Vierundzwanzig endlose Jahre. Dem Dieter gingen die Haare aus; ich legte mir ‘nen Buckel zu. Erna keifte, Berta fraß - und eines Tages wachten wir auf und war‘n vierzig, und null Aussicht auf Besserung.
Ach, so ‘ne Chemiefabrik ist überhaupt ein ganz großer Scheiß, will ich euch mal sagen. All das Gift um dich herum. Täglich läufste Gefahr, irgend ‘nen Dreck abzukriegen. Da hilft‘s auch nicht viel, wenn sie dich in diese grauen Filzjacken und Filzhosen stecken und dir ‘ne Gummischürze umschnallen - so ‘n Produktionsbetrieb ist alles andere als ‘n Luftkurort. Außerdem mussten wir uns noch in so plumpige Lederschuhe reinzwängen, so Monsterdinger mit ‘ner Stahlkappe vorn drin - falls uns mal ‘n Giftfass aufn Fuß kippen sollte. Und damit dir kein Giftfass die Denke zerpfeffert, schrauben sie dir ‘nen Blauhelm auf die Kalotte, da glaubste, dir implodiert die Rübe.
Gibt Oldies, wie Maxe Riedel vom Waschplatz, die sind regelrecht verwachsen mit den Schüsseln, die kriegen die noch nicht mal mehr beim Pennen runter, und ich denk mal, die Typen wollen das auch gar nicht anders, so stolz sind sie drauf. Sollen sie doch! Wir jedenfalls haben die runtergerissen und auf die Klinker geschmettert, sobald Heinrich Golsch durch war.
Ach ja - bevor ich‘s vergesse: Die verfluchte Schutzbrille gegen herumspritzende Säuren und herumfliegende Glassplitter, die hat uns komplett zu Idioten gestempelt. Immerhin hatten sie den Vorteil, dass sie mit der Zeit immer trüber geworden sind und wir das ganze Elend nicht mehr so deutlich sehen mussten.
So trittste dann an. Fünfmal die Woche. Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und weiter kommste auch nicht, weil der Herr Vorarbeiter dir ‘n schlechtes Zeugnis ausstellt, wenn sie die Nasenprämien verteilen. Wirst ganz schön sauer, wenn du ständig nur geknechtet und dabei nicht jünger wirst und dein Verstand nicht klarer wird nach all dem Ärger, all dem Bier und all den Kurzen. Dann kann sich‘s irgendwann mal zutragen, dass du Mist baust, dass du nicht ganz aufm Posten bist, wenn‘s brenzlig wird.
Ich und Dieter war‘n auf derselben Schicht, und das letzte Jahr unterlief uns das eine oder andere Missgeschick - schon kurz nach Silvester war‘s losgegangen. Kleinigkeiten anfangs. Mal falsche Abfülle, mal fehlerhafte Einwiege, mal verkehrtes Etikett - Kleinigkeiten. Glaubten wir. Mit unsern Ölköppen haben wir nicht gepeilt, wie der Vorarbeiter sich was notiert hat. Und erst recht nicht gepeilt haben wir, dass er‘s dem Meister petzte und der‘s dem Betriebsführer.
Na, und dann kam diese verdammte Nachtschicht, die alles ins Rollen brachte. War von Donnerstag auf Freitag.
Nach ‘nem Zoff mit Erna - die war wegen irgend so ‘ner Lappalie total ausgerastet und hatte ihm die halbe Bahnanlage zu Klump gehauen - war Dieter so besoffen zum Dienst erschienen, dass er nicht merkte, wie hinter ihm im Kessel ‘ne Reaktion außer Kontrolle geriet und der ganze Klumpatsch durch den Kühler übers Dach wegkochte. Ich hockte seit ‘ner Stunde aufm Klo und war nach ‘nem Streit mit Berta auch erst knapp unterhalb von zwo Promille.
Wie ich zurückgetorkelt komm, hängt da der Dieter aufm Stühlchen, den Schädel zwischen den Knien, und schnarcht wie ‘n Ratz. Hinter ihm war der 2000-Liter-Kochtopf am Herumtoben wie ‘n wildgewordener Dinosaurier! Der Fußboden war wie verrückt am Zittern, und der Glaskühler bebte unter den Siedeverzügen - der wär fast geplatzt. Als ich aufn Schreiber starrte, sind mir fast die Augen durch die Brille geschossen! Temperaturanzeige in Grün: Oberster Anschlag. Der gleiche Horror in Blau! Der Druck war so stark angestiegen, dass die Nadel bald aus‘m Schaltschrank geflitzt ist. Bevor wir eingreifen konnten, ging der zweite Kessel ab. Irgendein Ventil war verkehrt geschaltet, doch war der Dieter nicht fähig, zu sagen, welches, als ich ihn endlich wachhatte.
Da heulte auch schon die Sirene los, und das Rotlicht aufm Schrank war wie bekloppt am Rotieren; und da kamen sie hereingestürmt. Heinrich Golsch vorneweg, Kulle Psarski im Kielwasser - und dahinter ‘n Elektromann und ‘n Betriebsschlosser. Mit vereinten Kräften haben die den dritten Pott gerade noch so in Griff gekriegt, doch statt sich zu freuen, haben die uns abwechselnd und gleichzeitig zur Schnecke gemacht und gedroht, dass man sich noch eingehend mit uns beschäftigen würd, sobald die Frühschicht eingetrudelt wär.
Mit einem Schlag war‘n wir stocknüchtern. Dieter war so am Zittern, dass ihm der Helm vom Kopf gerutscht ist, und ich, ich hätt mich am liebsten ins Klo runtergespült.
Die Jungs von der Frühschicht kamen zur Ablöse, und wir sollten sofort nach dem Duschen unverzüglich beim Betriebsführer antanzen. Heinrich Golsch hat dazu mit seinem Schwarzbuch gefuchtelt und mit den Schultern gezuckt - da wär‘n ihm als Vorarbeiter leider die Hände gebunden.
Noch unter der Brause haben wir beschlossen: Mit uns nicht! Diesmal nicht, meine Herren!
Ungefönt sprangen wir in die Jeansanzüge und entwischten mit knapper Not durchs Tanklager. Enterten den nächstbesten Werksbus zum Tor, rannten am Pförtner vorbei, erreichten schweißüberströmt den Parkplatz.
Zwischen tausend Werksfahrrädern warteten unsere Mofas.