Читать книгу Die dentale Trickkiste - Wolfram Bücking - Страница 17
ОглавлениеProblem: Die Vertikalschraube eines Aufbaus ist im Implantat gebrochen – was tun?
1998 war bei einer Patientin die einseitige Freiendlücke im Oberkiefer mit einer implantat-/zahngestützten Brücke versorgt worden. Jetzt stand die Patientin als Notfall in der Tür und hatte zwei Bruchstücke in der Hand. Die Inspektion ergab: Die auf einem Implantat und einem Geschiebe an Zahn 13 verankerte Freiendbrücke 14 bis 16 war herausgebrochen (Abb. 1 und 2). Die vertikale Halteschraube war frakturiert. Das Bruchstück, der untere Teil der Schraube, steckte tief im Implantat (Typ Screw-Vent Innensechskant Titan). Es war sogar ein Teil des oberen Sechskants am Implantatkopf ausgebrochen. Das Freiendglied war abgebrochen (Abb. 3).
Abb. 1 Bruchstücke der Patientenbrücke
Abb. 2 Das tief liegende Schraubenbruchstück im Gewindekanal des Implantates
Abb. 3 Röntgenbild Regio 13 bis 16
In Fällen wie diesem sollte man zunächst sorgfältig über die möglichen Ursachen nachdenken. Eine biologische Ursache schied hier aus, denn die Patientin knirschte nicht. Vielmehr handelte es sich um ein mechanisches Problem: Die vertikale Halteschraube und der Implantatkopf waren überlastet. Darüber hinaus wirkten sicher exzentrische Kräfte auf das angelötete Freiendglied. Die ganze Konstruktion war schlicht und einfach für die Kaubelastungen zu schwach ausgelegt (Abb. 4).
Abb. 4 Die Gesamtsituation mit den einzelnen gebrochenen Komponenten
Solche Situationen werfen stets mehrere Fragen auf:
Lässt sich das Schraubenbruchstück aus dem Implantat entfernen?
Kann das Implantat belassen werden?
Wie soll eine neue Versorgung aussehen?
Die erprobte Lösung: Herausdrehen der Schraube gegen den Uhrzeigersinn
Schraubenbrüche treten immer wieder auf. Dies passiert besonders bei Außensechskantsystemen (Brånemark, 3i, Steri-Oss, Lifecore u. a.) (Abb. 5). Ursprünglich war diese Verbindung zwischen Aufbauteil und Implantat als Sollbruchstelle konstruiert. Bei einer exzentrischen Überlastung sollte die vertikale Halteschraube brechen und das Implantat unversehrt bleiben. Man hat in den ersten Dekaden erfolgreicher Implantologie nicht geglaubt, dass die dentalen Implantate viel größeren Belastungen standhalten könnten, als wir uns das je erhofft hatten.
Abb. 5 Bruch der Schraube bei einem Außensechskantsystem
Bei der Außensechkantkonstruktion wirkt im Falle exzentrischer Belastungen die ganze Kraft auf die vertikale Halteschraube. Diese Schraube allein sorgt für den Halt des Aufbaus, was von der Technik als Kraftschluss definiert wird. Dies überfordert in vielen Fällen die Schrauben, so dass sie sich häufig lockern und bisweilen sogar brechen. Deshalb wurden zu Beginn der 90er Jahre Innensysteme konstruiert, seien es Sechskantsysteme (z. B. Frialit 2) oder das berühmte Tube-in-Tube-System (Camlog) (Abb. 6). Bei diesen Innensystemen wurde im Falle exzentrischer Kräfte durch das Ineinandergreifen größerer, vor allem längerer geometrischer Passformen eine Belastungseinleitung über die Form in den gesamten Implantatkörper erreicht. Die Technik definiert dies als Formschluss (Abb. 7). Bei dieser Art der Verankerung kommt es nur noch sehr selten zur Schraubenlockerung – den Bruch einer Schraube habe ich selbst noch nie beobachtet.
Abb. 6 Konstruktion Innensysteme (Camlog Tube-in-Tube, Frialit 2 Innensechskant)
Abb. 7 Kraftschluss versus Formschluss
Zurück zum Schraubenbruch: Ist das im Gewindekanal des Implantates verbliebene Bruchstück nun fest oder lose? Wenn wir die mechanische Funktion der vertikalen Halteschraube überdenken, bei welcher der Halt des Aufbaus ausschließlich durch die Spannung zwischen dem Kopf der Schraube und ihren Gewindegängen bewirkt wird, kommen wir zum eindeutigen Ergebnis: Das Bruchstück ist lose (Abb. 8)! Wie können wir es nun aus dem Schraubenstollen entfernen, ohne die Gewindegänge und den Kopf des Implantates zu beschädigen?
Abb. 8 Schraubenbruchstück – fest oder lose?
Methode 1
Soweit mir bekannt ist, haben die meisten Implantathersteller so genannte Rescue Sets im Programm, mit denen das Schraubenbruchstück aus dem Schraubenstollen entfernt werden kann. Dazu wird ein passendes Kopfteil mit einem Vierkantdorn aufgesetzt. Mit Linksdrehungen des Dorns zentral im Bruchstück gelingt fast immer ein langsames Ausdrehen desselben. Doch wir stehen jetzt vor dem Problem, und die Firma kann das Rescue Set erst in 24 Stunden liefern. Unter Umständen ist es sogar ausgeliehen und muss erst zurückgefordert werden, was einige Tage in Anspruch nehmen kann. Wir brauchen aber sofort eine Lösung.
Methode 2 (Abb. 9)
Abb. 9 Schraubenschlitz in das Bruchstück schneiden!?
Man nehme eine spitze Fräse oder einen ganz spitzen Diamantschleifer und versuche, in den Kopfteil des Bruchstückes einen Schraubenschlitz einzuschleifen. Bitte tun Sie das nicht! Sie beschädigen dabei das Innengewinde und verschweißen sogar die Schraube kalt mit dem Innengewinde, da Sie den Schlitz zwangsläufig in den Oberrand ausdehnen. Wahrscheinlich bekommen Sie die Schraube heraus, müssen aber das Innengewinde nachschneiden und dazu einen Gewindeschneider bei der Herstellerfirma anfordern.
Abb. 10a bis c Feiner Hartmetallrosenbohrer im Winkelstück
Sie verwenden einen kleinen Hartmetallrosenbohrer mit langsamer Drehzahl im grünen Winkelstück, setzen zentral auf und drehen das Schraubenstück gegen den Uhrzeigersinn heraus. Dabei „eiert“ der Bohrer leicht, was zu einer Ausdrehbewegung führt. Diese Methode funktioniert zuverlässig und sofort.
Abb. 11a und b Anwendung des Zahnsteinentfernungsgerätes
Sie nehmen ein Schall- oder Ultraschallgerät zur Zahnsteinentfernung, adaptieren einen langen Aufsatz und setzen die Spitze leicht exzentrisch mit Druck auf den Kopf des Bruchstückes auf. Mit Linksdrehungen und mit Hilfe der Wasserspülung gelingt es nahezu immer, das Schraubenbruchstück erfolgreich auszudrehen. Diese Methode wendeten wir auch bei unserem Patientennotfall an, und zwar bis das Schraubenteil deutlich das Innenteil überragte.
In solchen Situationen muss unbedingt Sorge dafür getragen werden, dass das vollständig ausgedrehte und gelöste Schraubenteil vom Patienten nicht verschluckt oder gar aspiriert wird. Dazu sollten wir ein „Auffangnetz“ einziehen (Abb. 12). Dieses Netz kann aus einem aufgeknüpften chirurgischen Tupfer oder dem hier vorgestellten Wundverband Topper bestehen, mit welchem der Mundboden sorgfältig abgedeckt wird. Das Schraubenbruchstück wird dann vollständig ausgedreht und fällt in unser „Auffangnetz“ (Abb. 13).
Abb. 12 Das Bruchstück muss aufgefangen werden!
Abb. 13 Das Auffangnetz mit dem Schraubenbruchstück
Im vorliegenden Fall bemerkten wir bei genauerem Hinsehen, dass der obere Teil des Innensechskants ausgebrochen war (Abb. 14). Dies ist eine Schwäche des hier eingesetzten Implantatsystems Screw-Vent (Fa. Core-Vent, früher von Fa. Dentsply vertrieben). Es war zu schwach konstruiert, so dass es bei großen Belastungen häufiger zu Ausbrüchen kam.
Abb. 14 Der ausgebrochene Implantatkopf
Nach dem Ausdrehen des Schraubenbruchstückes stellte sich die Frage, ob das Implantat belassen und prothetisch weiterverwendet werden konnte. Wir entschieden uns nach reiflicher Abwägung dafür, aber es musste ein zweites, unterstützendes Implantat gesetzt werden (Abb. 15). Im Anschluss an die Einheilung des Implantates wurde eine Brücke 16 15 B mit Auflage auf dem bestehenden Geschiebe an Zahn 13 im Labor hergestellt und mit Carboxylatzement definitiv zementiert (Abb. 16 bis 20).
Abb. 15 Zusätzliches Implantat gesetzt
Abb. 16a und b Eingeschraubte Aufbaupfosten (a) und Röntgenkontrolle (b)
Abb. 17a und b Gerüsteinprobe mit definitivem Bissregistrat
Abb. 18 Die fertig gestellte Implantatgeschiebebrücke
Abb. 19a und b Die Aufbauschrauben werden mit 20 Ncm eingeschraubt
Abb. 20 Die definitiv zementierte Implantatgeschiebebrücke
Anmerkung: Es soll Untersuchungen geben, die eine Auflösung der Titanoberfläche des Gerüstes beschreiben. Dies gilt aber nur für im Labor gegossene Titangerüste, welche ich nie verwendet habe. Bei industriell gefertigten Titanaufbauten ist lediglich eine schwache Mattierung zu erkennen. Die Außengerüste wurden immer aus hochwertiger Goldaufbrennlegierung hergestellt.
Im hier vorgestellten Fall wurde die eingegliederte Brücke abschließend sorgfältig mit Hilfe der FGP-Einschleifmethode auf exzentrische Kontakte überprüft, welche den Langzeiterfolg der Restauration sehr gefährden würden (vgl. Kapitel „Die funktionelle prothetische Vorbehandlung“, S. 171 ff.).
Materialliste
1 Ausgebrochenes Implantat: Screw-Vent (Ersatzteile erhältlich bei Fa. Zimmer Dental, Freiburg; www.zimmerdental.de).
2 Zusatzimplantat (Fa. Camlog, Wurmberg; www.camlog.com).
3 Wundverband Topper (Johnson & Johnson Wound Management/Fa. Ethicon, Norderstedt; www.ethicon.de).
4 Bissregistrat Pattern Resin (Fa. GC Germany, München; www.gceurope.com).
5 Carboxylatzement Durelon (Fa. 3M Espe, Seefeld; www.3mespe.com/de).