Читать книгу Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes - Xiaolong Zhou - Страница 26
2.2.2 Die Als-Ob-Philosophie und die Gewissheit der Existenz Gottes
ОглавлениеAus den obigen Schlussfolgerungen ergibt sich das folgende Problem: Wenn die Eigenschaft Gottes respektiv auf den Menschen oder in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Welt und Gott übertragen wird, kann dann daraus erschlossen werden, dass Gott nur eine freie Schöpfung des Menschen ist? Dieses Problem hängt mit der häufigen Verwendung des Wortes als ob in Kants Philosophie zusammen. In Unterabschnitt 1.3.2 zitieren wir viele Absätze, in denen Kant durch die Analogie Gott als höchste Intelligenz betrachtet hat. Jeder Absatz enthält das Wort „als ob“, beispielsweise „als ob sie Anordnungen einer höchsten Vernunft wären“, oder „wir sind genöthigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei.“ Neben der theoretischen Philosophie ist „als ob“ von Kant sehr häufig in den Bereichen der praktischen Philosophie, der Religionsphilosophie, der Ästhetik usw. angewendet worden.1 Die Frage ist nun, wie das „als ob“ verstanden werden kann. Hans Vaihingers Als-Ob-Philosophie repräsentiert eine Tendenz, Kants Gottesbegriff als eine heuristische Fiktion zu betrachten.
Des Weiteren deckt Hans Vaihingers Als-Ob-Philosophie, wie der Untertitel seines Buches andeutet,2 ein breites Themenspektrum ab, das die theoretische, die praktische und die Religionsphilosophie umfasst. Vaihinger glaubt, dass Kant ein Vorläufer der Als-Ob-Philosophie ist und dass der so von ihm interpretierte Kant der wahre Kant ist.3 Diese Untersuchung befasst sich mit der Verwendung der Als-Ob-Philosophie in der Religionsphilosophie. Anhand der Zusammenfassung von Heinrich Scholz können wir Vaihingers Konzept der Religionsphilosophie bzw. die Verwendung der Als-Ob-Philosophie in der Religionsphilosophie veranschaulichen:
„(1) Im Zentrum der Religion steht der Gottesglaube.
(2) Die empirische Religion versteht unter dem Gottesglauben den Glauben an das Dasein Gottes.
(3) Dieser Glaube ist sinnlos, denn es gibt keinen Gott.
(4) Die Aufhebung dieses Glaubens ist aber nicht gleichbedeutend mit der Aufhebung der Religion.
(5) Religion im Vollsinne des Wortes ist mehr als bloßer Gottesglaube; sie ist die Gestaltung des Lebens durch diesen Glauben. Die Lebensgestaltung ist gewissermaßen der Ausweis der Religion.
[…]
(7) Da nun von einer Wirklichkeit Gottes schlechterdings nicht die Rede sein kann, so muß der Gottesglaube als Glaube an ein imaginiertes höchstes Wesen definiert werden.“4
Für die Als-Ob-Philosophie existiert Gott daher nicht, und das menschliche Konzept von Gott ist etwas, das sich die Menschen vorstellen, und damit eine Fiktion der menschlichen Vernunft. Die Religion ist nur ein Glaube an die von den Menschen selbst geschaffene Idee Gottes. Ausgehend von einem solchem Fiktionalismus betrachtet Hans Vaihinger Gott bei Kant schlechthin als Fiktion der menschlichen Vernunft, denn Gott existiert tatsächlich nicht. Hans Vaihinger hat das „als ob“ in Kants Schriften eingehend untersucht: von den vorkritischen Schriften bis zum Opus Postumum, von der theoretischen Philosophie über die praktische Philosophie bis hin zur Religionsphilosophie. Er ist der Meinung, dass die wahre kritische Philosophie Kants die Als-Ob-Philosophie ist. Dies kommt an folgenden Stellen zum Ausdruck. Zum Beispiel zitiert Hans Vaihinger einen Satz aus dem Abschnitt Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft der KrV: „wir müssen alles, was nur immer in den Zusammenhang der möglichen Erfahrung gehören mag, so betrachten, als ob diese eine absolute.[…] Einheit ausmache, […] zugleich aber, als ob der Inbegriff aller Erscheinungen (die Sinnenwelt selbst) einen obersten […] Grund […] habe, nämlich eine gleichsam selbständige, ursprüngliche und schöpferische Vernunft, […] als ob die Gegenstände selbst aus jenem Urbilde aller Vernunft entsprungen wären.“5 Daraus erschließt Hans Vaihinger: „d.h. man dürfe sich dieser Begriffe als heuristischer Fiktion bedienen.“6 Die folgenden Absätze repräsentieren die typische Auffassung von Hans Vaihinger:
„Also ‚die Voraussetzung, dass eine höchste Intelligenz alles nach den weisesten Zwecken geordnet habe‘ usw. – alle diese Vorstellungen, welche doch ‚blosse Ideen‘ sind, will Kant auch als ‚Glaube‘ bezeichnen. Also in diesem Sinne, in diesem Zusammenhang ist Glaube so viel als die Annahme, als ob etwas wäre, was nicht wirklich ist und nicht wirklich sein kann. Nicht nur Kant nennt hier diese fiktiven Annahmen ‚Glauben‘—auch rückwärts aus der Geschichte der Religionen, speziell aus der Geschichte der Mystik, lässt sich durch viele Beweise erhärten, dass auch umgekehrt vielfach vielen Gläubigen ihre Glaubenswelt nur eine bewusste Selbsttäuschung, d.h. eben eine Welt von bewusster Fiktion war – und noch heute ist.“7
Hans Vaihinger entlehnt seine Argumente aus dem philosophischen Denken Nietzsches und betrachtet den Gegenstand des Glaubens als bewusste Selbsttäuschung und Fiktion. Somit wird der Schluss gezogen, dass der kantische Gegenstand des Glaubens nur eine selbstgeschaffene Fiktion ist.
Hans Vaihingers Interpretation der kantischen Glaubenslehre wird von Erich Adickes entschieden widersprochen. Zunächst müssen die Behauptungen von Erich Adickes vorgelegt werden. Im von ihm herausgegebenen Opus Postumum widersetzt er sich ausdrücklich der Interpretation von Hans Vaihingers Fiktionalismus.8 Erich Adickes kritisiert den Fiktionalismus des Weiteren in Kant und die Als-Ob-Philosophie (1927). Er geht dabei von folgendem Postulat aus: „Historische Auffassung gegen unhistorische Vergewaltigung unter dem Drang nach aktuell-systematischer Verwertung.“9 Adickes schreibt, dass Hans Vaihinger das Ding an sich, Gott, die Seele, die Willensfreiheit, die Unsterblichkeit nicht als „wirkliche Realitäten“, „sondern als bloße Fiktion“ betrachtet und damit das historische Studium von Kants Philosophie „ein Opfer seines systematischen Dranges“ wird.10 Erich Adickes untersucht ausführlich Hans Vaihingers Ansichten und prüft detailliert und systematisch die kantischen Texte. Was das Thema dieser Untersuchung betrifft, ist hier festzustellen, dass Erich Adickes die Ideentheorie in der transzendentalen Dialektik untersucht und zu einer anderen Schlussfolgerung als Hans Vaihinger kommt: „Unter den Stellen aus R.V. [sc. Kritik der reinen Vernunft], die V. [sc. Vaihinger] zugunsten seiner Theorie anführt, ist keine einzige, die irgendwie zwänge, die Vernunftidee als Fiktion in V.’schem Sinn anzusehen. Ja, nicht einmal eine, die eine solche Interpretation auch nur zuließe.“11 Was außerdem die Frage nach der Gewissheit der Existenz Gottes angeht, weist Erich Adickes darauf hin: „Auch in den meisten Als-Ob-Stellen deutet nicht nur nichts darauf hin, daß Kant sie in fiktivem Sinn verstanden wissen wollte; sie widerstreben vielmehr geradezu einer solchen Interpretation, sobald man sie in ihrem natürlichen Zusammenhang betrachtet. Was sie zum Ausdruck bringen sollen, ist nur die Unsicherheit und Ungewißheit, ja! das absolute Versagen der theoretischen Vernunft in transzendenten Dingen, ihre Unfähigkeit, die Gegenstände der Vernunftideen zu erkennen und ihre Realität zu erweisen.“ 12 D.h. gemäß Adickes sind die Gegenstände der Ideen (z. B. Gott und die Seele) niemals eine Fiktion. Was diese „Als-Obs“ tatsächlich bedeuten, ist, dass die Existenz der diesen Ideen entsprechenden Gegenstände in Unsicherheit und Ungewissheit bleibt.13
Hans Vaihinger und Erich Adickes vertreten zwei gegensätzliche Ansichten über die Gewissheit der Existenz Gottes: Hans Vaihinger geht davon aus, dass Kant die Existenz Gottes direkt leugnet, während Erich Adickes argumentiert, dass Kant nur zugibt, dass die Gewissheit der Existenz Gottes nicht garantiert werden kann. Wir stimmen mit Erich Adickes’ Standpunkt überein. Wir werden im Folgenden weiter darüber nachdenken. Aufgrund des Themas dieser Dissertation beschränken wir uns darauf, die Idee von Gott als der höchsten Intelligenz zu thematisieren.
(1) Gott ist die höchste Intelligenz, und seine objektive Gültigkeit kann nicht garantiert werden. Der Grund liegt darin, dass Gott als Ding an sich kein Objekt der Anschauung ist, so dass die Kategorien des Verstandes ihn nicht direkt bestimmen können. Kant hat in der transzendentalen Deduktion der Vernunftideen im Anhang zur transscendentalen Dialektik der KrV klar gemacht, dass die Vernunftideen keine gleichermaßen objektive Gültigkeit haben wie die Kategorien, die das sinnliche Objekt direkt bestimmen können: „Es ist ein großer Unterschied, ob etwas meiner Vernunft als ein Gegenstand schlechthin, oder nur als ein Gegenstand in der Idee gegeben wird. In dem ersteren Falle gehen meine Begriffe dahin, den Gegenstand zu bestimmen; im zweiten ist es wirklich nur ein Schema, dem direct kein Gegenstand, auch nicht einmal hypothetisch zugegeben wird, sondern welches nur dazu dient, um andere Gegenstände vermittelst der Beziehung auf diese Idee nach ihrer systematischen Einheit, mithin indirect uns vorzustellen.“14 In dieser Dissertation wurde wiederholt betont, dass Kant die analogische Methode verwendet, um Gott als die höchste Intelligenz in der Beziehung zwischen Gott und der systematischen Einheit der Welt zu definieren. Die höchste Intelligenz ist letztendlich nur eine regulative Idee für uns.
(2) Da Gott das Ding an sich ist und alle Bestimmungen davon indirekt sind, ergeben sich folgende Fragen: (a) Kann die Existenz Gottes direkt geleugnet werden, wie Hans Vaihinger es getan hat? (b) Wenn Gott als die höchste Intelligenz definiert wird und dadurch diese Eigenschaft Gottes nur ein aus der Erfahrung entlehnter Begriff ist, kann man dann behaupten, dass dies unvermeidlich zum Anthropomorphismus führt?
Was die Frage (a) angeht, ist die Antwort relativ einfach. Hans Vaihinger leugnet nachdrücklich die Existenz Gottes. Allerdings entspricht diese Haltung nicht Kants Absicht. Kant behauptet: „denn ein Widerspruch ist in ihnen (den psychologischen und theologischen Ideen) nicht, wie sollte uns daher jemand ihre objective Realität streiten können, da er von ihrer Möglichkeit eben so wenig weiß, um sie zu verneinen, als wir, um sie zu bejahen!“15 Hier bedeutet „kein Widerspruch“ so viel wie „fehlerfrei denkbar“. Da die theologische Idee, bzw. Gott als höchste Intelligenz, keinen Widerspruch aufweist, besteht zumindest eine logische Möglichkeit, dass Gott auch tatsächlich existiert. Da es keine Möglichkeit gibt, dass irgendeine Anschauung dieser Idee entspricht, ist es für den Verstand unmöglich, in der empirischen oder sinnlichen Welt einen Grund zu finden, die Existenz ihres Gegenstandes zu bestätigen oder zu leugnen.
Kants Haltung zeigt sich besonders deutlich in den Prolegomena. Einerseits räumt Kant ein: „nach den allerklärsten Beweisen, die wir oben gegeben haben, würde es Ungereimtheit sein, wenn wir von irgend einem Gegenstande mehr zu erkennen hofften, als zur möglichen Erfahrung desselben gehört, oder auch von irgend einem Dinge, wovon wir annehmen, es sei nicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung, nur auf das mindeste Erkenntniß Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen.“16 Diese Passage steht in vollkommenem Einklang mit dem allgemeinen Geist der kritischen Philosophie, d.h. die unmittelbare Bestimmung des Dinges an sich überschreitet die Grenzen der Erfahrung und ist daher unzulässig. Dies ist jedoch nur die Hälfte der Geschichte, die andere Hälfte lautet wie folgt:
„Es würde aber andererseits eine noch größere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einräumen, oder unsere Erfahrung für die einzig mögliche Erkenntnißart der Dinge, mithin unsre Anschauung in Raum und Zeit für die allein mögliche Anschauung, unsern discursiven Verstand aber für das Urbild von jedem möglichen Verstande ausgeben wollten, mithin Principien der Möglichkeit der Erfahrung für allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen.
Unsere Principien, welche den Gebrauch der Vernunft blos auf mögliche Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst transscendent werden und die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon Humes Dialogen zum Beispiel dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte.“17
Kant kritisiert hier grundlegend jene Philosophen, die an den Grenzen der Erfahrung festhalten und „die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben“. Er kritisiert diejenigen, die nicht über die Ideen sprechen und sogar dogmatisch die Existenz der Gegenstände der Ideen leugnen. Kant kritisiert hier David Hume. Ich bin jedoch der Meinung, dass auch Hans Vaihingers Konzept zur Zielscheibe dieser Kritik werden würde. Kurz gesagt, es ist völlig falsch, die Existenz Gottes direkt zu leugnen. Dies ist mit Kants Philosophie ganz unvereinbar.