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0 Einleitung 0.1 Fragestellung

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In der zweiten Auflage der KrV behauptet Kant in der Vorrede: „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.“1 In seinem System der Philosophie wird Gott aus den Gegenständen der Erkenntnis ausgeschlossen, indem Kant alle Erkenntnisse durch die Grenzen der Erfahrung beschränkt. In der transzendentalen Methodenlehre der KrV und auch in der KpV spielt die Gottesidee durch den Vernunftglauben und die Moralreligion wieder eine große Rolle im praktischen philosophischen System Kants. Deswegen ist Gott ein Gegenstand des Glaubens statt der Erkenntnis. Kants Denkweise hatte einen großen Einfluss auf die Philosophie und Theologie späterer Generationen. Im Hinblick auf die Philosophie nennen wir Hegel als Beispiel, dessen Philosophie versucht, dem kantischen Agnostizismus in Bezug auf Gott zu widersprechen und die gewisse Erkenntnis von Gott dialektisch zu erhalten. Theologisch betrachtet folgt Schleiermacher, der „der Kant der Protestantischen Theologie“ ist,2 dem kantischen Agnostizismus zur Gottesfrage. Auf dessen Grundlage verbindet er die Religion mit dem Gefühl. In dieser Arbeit werde ich vor allem die Auswirkung Kants auf Schleiermacher untersuchen und sie gleichzeitig an manchen Stellen auf Hegels System beziehen.

Karl-​Heinz Michel hat in seiner Schrift über die Gotteslehre Kants die Auswirkung der oben genannten kantischen Theorie folgendermaßen beschrieben: „Theologische Aussagen wurden dadurch, nach Kants Auffassung, ausschließlich zur Sache des Glaubens (eines Glaubens, der nur subjektiv für wahr halten, aber eben nichts wissen kann), weil Gott in Natur und Geschichte grundsätzlich unerkennbar bleibt. Diese negative Beantwortung der Frage der Erkennbarkeit Gottes warf ganz besonders für die Dogmatik ein schweres Problem auf. Denn wenn man Kant folgen wollte, dann stand angesichts der welt- und geschichtsgebundenen Gottesaussagen der biblisch-​christlichen Tradition nur noch der Weg eines agnostizistischen Rückzugs offen.“3 Danach nimmt Karl-​Heinz Michel die Glaubenslehre Schleiermachers als Beispiel, um diese Auswirkung zu erklären: Dies sei eine Glaubenslehre, „welche ihre theologischen Aussagen nicht mehr, wie bisher, von einem wahrnehmbaren geschichtlichen Handeln Gottes aus, das dem Glauben vorausgeht und ihn begründet, sondern vom persönlichen, subjektiven Glauben aus entwickelte.“4 Außerdem fügt Karl-​Heinz Michel die wichtigen Theologen nach Schleiermacher (wie W. Hermann, R. Bultmann, G. Ebeling) zu dieser Genealogie hinzu. Karl-​Heinz Michel zufolge hat, allgemein gesagt, die von Kant und Schleiermacher beeinflusste Theologie eine „Umdeutung des Handelns Gottes extra nos in ein nur noch pro me erfaßbares Handeln“ bewirkt.5

Karl-​Heinz Michels Meinung ist typisch bei diesem Thema. Obwohl die scharfsinnige Einsicht Michels sehr lehrreich ist, um die Theologie nach Kant und Schleiermacher zu verstehen, löste seine Auffassung doch einige Missverständnisse aus, die heute in der Forschung zur Religionsphilosophie von Kant und Schleiermacher existieren.

(1) Nach der Formulierung Karl-​Heinz Michels sei für Kant „nur noch der Weg eines agnostizistischen Rückzugs offen“. Allerdings müssen wir fragen: Was ist eigentlich der Agnostizismus in Kants und Schleiermachers Gotteslehre? Bezieht er sich auf Gottes Existenz oder auf seine Eigenschaften? Auf den ersten Blick scheint sich der Agnostizismus sowohl auf Gottes Existenz als auch auf seine Eigenschaften zu beziehen, aber wir werden darauf hinweisen, dass das dezidierte Motiv, welches Kant zum pro me erfassbaren Handeln führt, die Unerkennbarkeit der Existenz Gottes ist. Im Vergleich dazu spielen die Eigenschaften Gottes eine große Rolle in Kants System. Dies ist nicht vereinbar mit einem Agnostizismus. Wir möchten auch zeigen, dass die Existenz Gottes niemals ein Problem für Schleiermacher war. Schleiermachers Agnostizismus bezieht sich auf die Eigenschaften Gottes.

(2) Im oben genannten Bild von den kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien wäre die Idee Gottes nur eine subjektive Wahrheit in dem Sinne, dass der Gottesbegriff nicht auf die Objektivität (nämlich auf Gott selbst) zu beziehen ist. Dieser subjektive Charakter ist dann besonders betont, wenn man vom Gottesbegriff bzw. Religionsverständnis Schleiermachers redet. Die Kritik von Hegel und Emil Brunner ist typisch für die Deutung von Schleiermachers Religionslehre, sie ist nahezu vorherrschend in deren Erklärung. Zum Beispiel schreibt Hegel in der Vorrede zu Hinrichs’ Religionsphilosophie: „Soll das Gefühl die Grundbestimmung des Wesens des Menschen ausmachen, so ist er dem Tiere gleichgesetzt, denn das Eigene des Tieres ist es, das, was seine Bestimmung ist, in dem Gefühle zu haben und dem Gefühle gemäß zu leben. Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu sein, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird. Der Geist hat aber in der Religion vielmehr seine Befreiung und das Gefühl seiner göttlichen Freiheit; nur der freie Geist hat Religion und kann Religion haben; was gebunden wird in der Religion, ist das natürliche Gefühl des Herzens, die besondere Subjektivität; was in ihr frei wird und eben damit wird, ist der Geist“.6 Außerdem gibt es noch andere Forscher, die Kants Religionsphilosophie als eine Art von schleiermacherschem Subjektivismus betrachten.7 Deswegen stelle ich hier die Frage: Wenn Kant und Schleiermacher ihre Religionstheorie auf die Subjektivität gründeten, sind die kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien dann wirklich rein subjektiv, ohne irgendein Objekt zu treffen?

(3) In Hinsicht auf den Agnostizismus gibt es auch Differenzen zwischen Kant und Schleiermacher. Diese werden bei der Beschreibung Karl-​Heinz Michels nicht deutlich. In der Tat kritisiert Schleiermacher die kantische Theorie in vielfältiger Hinsicht, deswegen ist es irreführend zu behaupten, Schleiermachers religiöse Theorie sei nur eine Variation der kantischen Philosophie. Vielleicht sind die Unterschiede zwischen beiden Philosophen bedeutender als die Übereinstimmungen. Obwohl Kant und Schleiermacher ihre Religionsphilosophie auf die Subjektivität gründen, basiert Kants Theorie von der Gewissheit der Existenz Gottes auf der praktischen Vernunft, die die Spontaneität des Subjekts beinhalte. Im Gegensatz dazu steht Gott bei Schleiermacher in einer ursprünglichen Relation mit dem Subjekt, die sich auf die extreme Rezeptivität des Ichs richtet.

Trotzdem repräsentieren die kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien ein neues Paradigma und eine Tendenz, um die Religionsphilosophie zu begründen, indem sie die Gewissheit der Existenz Gottes nicht in der Natur und in der Geschichte suchen, sondern nur in der Subjektivität, bzw. in der Beziehung zwischen Gott und dem Ich. Deswegen ist in diesen Religionsphilosophien der Zusammenhang zwischen Gott und Welt, zwischen Gott und Subjekt gänzlich anders als in Hegels Religionsphilosophie, die keine Anstrengungen unterlässt, die Erkenntnis von Gott zu erhalten. Also hat Karl-​Heinz Michels Argumentation ihre Berechtigung.

Zusammenfassend wird deutlich, dass Kant und Schleiermacher einen neuen Trend in der Religionsbegründung gefördert haben, indem sie die Gewissheit der Existenz Gottes in der Beziehung zwischen Gott und dem Subjekt suchten. Allerdings zeigen sich doch viele Unterschiede im Detail, die man nicht vernachlässigen sollte. Unter den Forschern gibt es noch Missverständnisse, die einiger Erklärungen bedürfen.

Folglich behandelt diese Untersuchung die Übereinstimmungen und die Unterschiede beim Thema „Erkenntnis und Gewissheit der Existenz Gottes“ bei Kant und Schleiermacher. In meiner Dissertation werde ich die kantischen und schleiermacherschen Religionsphilosophien aus der Perspektive der Erkenntnis Gottes und der Gewissheit seiner Existenz behandeln. Die Erkenntnis Gottes ist ein wichtiges Problem für Kant und Schleiermacher, ein Agnostizismus gilt jedoch bei Kant nicht für die Eigenschaften Gottes, sondern nur für seine Existenz. „Agnostizismus“ bedeutet nicht, dass Kant und Schleiermacher aufgegeben haben, Gott zu erkennen; es bedeutet auch nicht, dass Gott für Kant und Schleiermacher nur eine menschliche Schöpfung ist. Das grundlegende Motiv der Religionsbegründung durch die Subjektivität liegt (sowohl bei Kant als auch bei Schleiermacher) darin, dass die Gewissheit der Existenz Gottes nur durch die Beziehung zwischen Gott und dem Subjekt garantiert wird.

Mit dem Titel „Religion ohne Erkenntnis Gottes“ (1) möchte ich einige Missverständnisse klären bzw. einigen zu erwartenden Vorwürfen widersprechen. Z. B. werden manche denken, dass Kant einen unerkennbaren Gott behauptet; deswegen seien nach Kant alle die Grenze der Erfahrung überschreitenden Diskussionen über Gott abzulehnen. Allerdings entspricht diese Auffassung den sich überall wiederholenden Diskussionen über Gott in Kants Schriften nicht. Zudem könnte man z. B. kritisieren, dass die Gefühlstheorie Schleiermachers subjektiv sei, jedoch verkennt diese Kritik die Tatsache, dass Gott eine wichtige Rolle in diesem Gefühl (oder im unmittelbaren Selbstbewusstsein, wie Schleiermacher es nennt) spielt. (2) Mit diesem Titel möchte ich auch die Frage stellen, ob es möglich ist, eine Religionstheorie zu begründen, ohne irgendeine Erkenntnis Gottes vorauszusetzen. Kant und Schleiermacher kritisieren dogmatische Behauptungen über Gott in der Vernunfttheologie oder in der natürlichen Theologie. Ich möchte untersuchen, ob sie es wirklich vermieden haben, eine Erkenntnis Gottes vorauszusetzen.

Religionsbegründung ohne Erkenntnis Gottes

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