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2.2.3 Die Unterscheidung des dogmatischen und symbolischen Anthropomorphismus

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Im Folgenden soll die Antwort auf die Frage (b) gegeben werden: Ist es ein vulgärer Anthropomorphismus, wenn man Gott als die höchste Intelligenz definiert? Zunächst soll darauf hingewiesen werden, dass Kants Philosophie den Anthropomorphismus nicht ablehnt. Kant behauptet in Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft der KrV: „Eben daher sind wir auch berechtigt, die Weltursache in der Idee nicht allein nach einem subtileren Anthropomorphism (ohne welchen sich gar nichts von ihm denken lassen würde), nämlich als ein Wesen, das Verstand, Wohlgefallen und Mißfallen, imgleichen eine demselben gemäße Begierde und Willen hat etc., zu denken, sondern demselben unendliche Vollkommenheit beizulegen, die also diejenige weit übersteigt, dazu wir durch empirische Kenntniß der Weltordnung berechtigt sein können.“1 Es muss geklärt werden, welche Art von Anthropomorphismus von Kant zugelassen wird.

In den Prolegomena verdeutlicht Kant seine Position durch seine Kritik an Hume. Hume entwirft den Dialog zwischen Cleanthes, Philo und Demea in Dialogues. Cleanthes unterstützt den teleologischen Beweis der Existenz Gottes (d.h. den physikotheologischen Beweis bei Kant), der als ein Beweis a posteriori gilt. Demea unterstützt den kosmologischen Beweis und den philosophischen Deismus, er plädiert nämlich für den apriorischen Beweis der Existenz Gottes. Philo kritisiert, dass der teleologische Beweis von Cleanthes nur ein Anthropomorphismus sei, und er wirft auch dem apriorischen Beweis von Demea vor, dass der Gott des Deismus tatsächlich keine Auswirkungen auf die Welt hat; damit bezweifelt er letztendlich die Fähigkeit der Menschen, Gott überhaupt zu erkennen.2 Philo vertritt Humes eigenen Standpunkt.3 In den Prolegomena untersucht Kant eingehend die Kritik Humes am Deismus und Anthropomorphismus. Nach Kants Auffassung muss der Deismus den Anthropomorphismus zu Hilfe rufen:

„Hume hält sich immer daran: daß durch den bloßen Begriff eines Urwesens, dem wir keine andere als ontologische Prädicate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff in concreto abgeben können; es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern: wie seine Causalität beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen.“4

Hier bezieht sich Kant auf Humes Kritik am Deismus, dass nämlich der vom Deismus erkannte Gott nur ontologische Prädikate besitze und nur als eine Ursache der Welt bezeichnet werde. Allerdings ist dies nicht genug, die Beziehung zwischen Gott und Welt in concreto zu bestimmen. Angesichts dieser Schwierigkeit ist es zwingend, dass sich der Deismus notwendig zum Theismus verhält, indem er die empirischen Prädikate wie Verstand und Willen in sich aufnimmt. Allerdings wird diese Aufnahme der empirischen Prädikate unvermeidlich einen Anthropomorphismus verursachen. Kant weist weiter darauf hin: „Seine gefährlichen Argumente beziehen sich insgesamt auf den Anthropomorphismus, von dem er dafür hält, er sei von dem Theism unabtrennlich und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man ihn aber weg, so fiele dieser hiemit auch, und es bliebe nichts als ein Deism übrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann.“5 Hume zufolge gibt es ein Dilemma für die menschliche Vernunft: man muss entweder den Deismus akzeptieren, der aber „zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen“ kann, oder zum Theismus tendieren, der jedoch mit dem Anthropomorphismus unzertrennlich verbunden ist.

Kant akzeptiert Humes Ansicht, dass der reine Deismus nicht als Grundlage der Religion und Moral dienen kann. In Abschnitt 1.1 wurde folgende Passage aus der Vorlesung über Rationaltheologie zitiert: „Davon können wir nun aber unmöglich schon begnügen lassen; denn so würde uns ein solcher Gott nichts helfen; er wäre zwar ein Ding, das aber ganz isoliert für sich ist, und in keinem Verhältniße mit uns stehet. Zwar muß dieser Begriff von Gott den Anfang aller unserer Erkenntniß von Gott ausmachen, aber allein für sich genommen, ist er unbrauchbar, und, ohne daß wir mehr von Gott erkennen könnten, ganz für uns entbehrlich. Soll uns dieser Begriff Nutzen schaffen; so müssen wir sehen, ob nicht jene ontologischen Prädikate aus Beispiel in concreto angewandt werden können. Und das thut der Theist, indem er sich Gott als die oberste Intelligenz denkt. Wenn wir nun Gott auch Prädikate in concreto beilegen wollen; so müssen wir die Materialien zum Begriff von Gott aus empirischen Principien und Kenntnissen nehmen.“6 Kant sagt hier klar, dass ein solcher Gott, nämlich das ens realissimum, uns nichts helfe und isoliert sei; damit sei er unbrauchbar. Um diese Idee zu nutzen, denkt der Theist Gott als die höchste oder oberste Intelligenz und nimmt die Prädikate (Verstand und Wille) aus der Erfahrung hinzu. Die Haltung, die Kant in dieser Passage einnimmt, ist der von Hume ähnlich.7

Jetzt muss der Deismus die Prädikate Gottes der Erfahrung entnehmen und damit notwendigerweise zum Theismus und letztendlich zum Anthropomorphismus führen. Zur Frage, ob der Übergang vom Deismus zum Theismus und Anthropomorphismus gänzlich irrational und unerlaubt ist, sind Kant und Hume unterschiedlicher Meinung: Hume lehnt diesen Übergang nachdrücklich ab; im Gegensatz dazu kritisiert Kant Humes Ablehnung. Kant ist der Auffassung, dass es nicht gerechtfertigt ist, den Anthropomorphismus restlos abzulehnen:

„Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urtheil blos auf das Verhältniß einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntniß liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sind. Denn alsdann eignen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften an sich selbst zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken, und vermeiden dadurch den dogmatischen Anthropomorphismus; wir legen sie aber dennoch dem Verhältnisse desselben zur Welt bei und erlauben uns einen symbolischen Anthropomorphism, der in der That nur die Sprache und nicht das Object selbst angeht.“8

Diese Passage bringt viele der oben diskutierten Themen zum Ausdruck: wir beschränken unsere Erkenntnis auf das Verhältnis Gottes zur Welt, damit diese sich Erkenntnis nicht auf Gott an sich bezieht. Offenkundig greift diese Passage die Analogie auf, und dadurch macht Kant deutlich, wie man durch die Analogie Gott denken kann: „wir sind genöthigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei.“9 Daher bezieht sich diese Passage darauf, wie man Gott als die höchste Intelligenz behandelt. Kant sagt hier, dass wir uns an die Grenzen der Erfahrung halten können, wenn wir Gott nicht an sich selbst bestimmen, sondern ihm die höchste Intelligenz in Bezug auf das Verhältnis zwischen Gott und der Welt zuschreiben. Dadurch kann der von Hume kritisierte dogmatische Anthropomorphismus vermieden und Gott dementsprechend als die höchste Intelligenz gedacht werden. Dies ist aus Kants Sicht ein symbolischer Anthropomorphismus.10

Ich behaupte, dass sich der symbolische Anthropomorphismus wenigstens aus zwei Gründen von dem dogmatischen Anthropomorphismus unterscheidet: (1) Die Anwendung der analogischen Methode erlaubt den Menschen, nicht Gott an sich, sondern nur die Beziehung zwischen Gott und der Welt zu bestimmen. Der Kern des symbolischen Anthropomorphismus besteht darin, Gott in Beziehung zur Welt zu setzen und nicht Gott an sich allein darzustellen. Wie das Haus und die Uhren, deren Schönheit und Ordnung von Handwerkern verursacht werden, so wird die systematische Einheit der Welt durch die höchste Intelligenz hergestellt. Es ist die analogische Methode, die den symbolischen Anthropomorphismus vom dogmatischen unterscheidet. Durch die Analogie vermeiden die Menschen die Gefahr, Gott an sich unmittelbar zu bestimmen. (2) Gott als die höchste Intelligenz unterscheidet sich in qualitativer und quantitativer Hinsicht von der menschlichen Intelligenz, sodass das aus der Erfahrung entlehnte Prädikat (nämlich die Intelligenz) im höchsten Maße gereinigt wird. Obwohl göttliche und menschliche Intelligenz gemeinsam mit dem Wort „Intelligenz“ bezeichnet werden, sind die Unterschiede zwischen ihnen sehr groß. Die höchste Intelligenz ist intellectus archetypus, im Gegensatz dazu hat die menschliche Intelligenz teil am intellectui archetypo. In Unterabschinitt 1.3.2 wurde festgehalten, daß Kant durch die viam negationis und die viam eminentiae die menschliche Intelligenz von der göttlichen qualitativ und quantitativ unterschieden hat. Aufgrund der Punkte (1) und (2) kann behauptet werden, dass der Anthropomorphismus bei Kant niemals dem vulgären und dogmatischen Anthropomorphismus entspricht. Er bestimmt nicht Gott an sich. Außerdem versucht er, die aus der Erfahrung entlehnten Prädikate zu reinigen.

Die Inhalte des Abschnitts 2.2 sind an dieser Stelle zusammenzufassen. Während wir die Eigenschaft, nämlich die höchste Intelligenz, Gott zuschreiben, so dass die Idee Gottes eine regulative Rolle spielen kann, um die systematische Einheit der Welt in ihrer Beziehung zu Gott besser zu verstehen, hat Kant immer betont, dass diese Bestimmung keine von Gott an sich ist, sondern von Gott in der Beziehung zwischen Gott und Welt. Kant hat wiederholt gesagt, man könne so denken, als ob die systematische Einheit der Welt aus der höchsten Intelligenz Gottes stamme. Was Gott an sich ist, können wir aber nicht erkennen. Allerdings soll nicht behauptet werden, dass Gott nur das Ergebnis einer menschlichen Fiktion sei, wie dies Hans Vaihinger tut, der glaubt, dass Gott bei Kant nicht existieren könne. Diese Schlussfolgerung Hans Vaihingers wird von Kant eindeutig abgelehnt. Wenn wir Gott mit dem aus der Welt entlehnten Prädikat bestimmen, bedeutet das nicht, dass wir unbedingt in einen dogmatischen Anthropomorphismus verfallen würden, weil Kant sich von dem Deismus und dem dogmatischem Anthropomorphismus deutlich abgrenzt. Der kantische symbolische Anthropomorphismus definiert Gott zwar als die höchste Intelligenz, doch kommt Kant weder zum Schluss, dass die Intelligenz das Prädikat von Gott an sich sein muss (gegen den dogmatischen Anthropomorphismus), noch gibt er zu, dass wir völlig ohne Erkenntnis Gottes sein können (gegen den Skeptizismus Humes). Was das Thema dieser Untersuchung angeht, ist die Gewissheit der Existenz Gottes als des Dinges an sich nicht garantiert, diese bleibt immer eine offene Frage für die menschliche Vernunft.

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