Читать книгу GO EAST - Zaubi M. Saubert - Страница 20

Zehn

Оглавление

Ein paar Tage später waren Horst und ich abends bei Bolldorf, einer anderen alternativen Kneipe. Wir hatten hier unseren neuen Bekannten Sandro getroffen. Sandro hieß eigentlich Sandro Berg und kannte jeden in Halle und jeder kannte Sandro. Er war ziemlich korpulent und gab zusammen mit seiner Größe eine imposante Erscheinung ab. Seine langen schwarzen Haare und die Tatsache, dass er ganz passabel Gitarre spielte, trieben ihm die Frauen nur so in die Arme. Von Beruf war er Taxifahrer, etwa in meinem Alter und tanzte auf allen Hochzeiten. Heute kam noch ein Freund von ihm dazu, Klaus-Peter Sack. Und der bot uns tatsächlich seine Wohnung an. Er habe was Neues in Aussicht und die Anderen wären auch bereits ausgezogen.

»Cool«, meinte Horst begeistert. Aber die Sache musste doch einen Haken haben, überlegte ich und fragte ihn das auch. Na ja, der Zustand der Wohnung wäre nicht so toll, da müsste hier und da etwas dran gemacht werden. Und auch die Öfen würden teilweise nicht mehr so richtig funktionieren. Aber die Wohnung wäre schön groß und läge direkt gegenüber der Schorre. Dem ehemaligen Jugendkulturhaus Philipp Müller, nun Halles größte Disco. Wir verabredeten uns gleich euphorisch für den nächsten Tag mit Klaus-Peter, um uns die Wohnung anzusehen.


Es war das letzte Haus auf der linken Seite der Straße, direkt vor der Kurve. Ein großer dreigeschossiger Altbau mit graubeigefarbenem Putz, der überall munter herunterbröckelte. Das war mal ein schickes, hochherrschaftliches Haus gewesen, dachte ich mir beim Blick von der anderen Straßenseite. Aber nun hatte es seine besten Tage offensichtlich hinter sich. Im Treppenhaus fiel überall der Putz von der Wand und es sah ziemlich desolat aus. Die ehemals schöne alte Holztreppe sah vergammelt aus und einzelne Sprossen des Treppengeländers fehlten. Laut Klingelbrett gab es nur vier Wohnungen im Haus.

Klaus-Peter wohnte im dritten Stock. Puh, ganz schön viele Stufen hier hinauf, dachte ich. Die Wohnung, die wir betraten, war riesig. Vom Treppenhaus war sie durch ein altes, vierflügeliges Glas-Holz-Element abgetrennt und dahinter gelangte man auf einen großen Flur, von dem fünf Türen abgingen: Zwei richtig große Zimmer und ein kleineres zur Straße, die Küche und auch die Toilette zum Hof, ein riesiges Verbindungszimmer führte zum hinteren Wohnungsteil. Die Küche war ebenfalls sehr geräumig mit separater Speisekammer. Das große Verbindungszimmer führte auf einen Balkon und weiter auf einen kleinen Flur, von dem das Bad abging und noch zwei weitere Zimmer folgten. Hier konnte man sich ja verlaufen. Auffällig fand ich, dass die ganze Wohnung total vollgerümpelt war mit alten Möbeln, Sperrmüll und was weiß ich noch allem. Na, den Umzug möchte ich nicht machen, dachte ich.

Wir waren beide total begeistert, wenngleich mich so ein paar Sachen stutzig machten. Bei einigen der schönen alten Holztüren fehlten teilweise die Türfüllungen. Und in der Küche, auf einem gammeligen Holzfußboden, stand eine verrußte Emaillewanne. Später erfuhr ich, was es damit auf sich hatte. In einem indianerartigen Ritual hatten die Bewohner eines Tages, mangels anderen Holzes, einfach die Türfüllungen herausgebrochen, damit in der Emailleschüssel ein Lagerfeuer entfacht. Oh, die schönen Türen, welch ein Frevel.

Die Toilette, die separat vorne am Wohnungseingang vom Flur abging, sah nicht sehr einladend aus. Als Spülung diente ein Stück Gartenschlauch, welches am Wasserhahn des Waschbeckens befestigt war und das man unter die Klobrille geklemmt hatte. Aber gut, Klaus-Peter hatte ja gesagt, man müsse etwas an der Wohnung machen. Und diese Mängel mal ausgeblendet, fand ich die Wohnung super. Riesige Zimmer, allein vier hohe, doppelflügelige Zimmertüren, altes Eichenparkett, teilweise Stuck und sogar ein Balkon. Die Wohnung wollten wir haben, das stand fest.

Bevor wir gingen, besprachen wir mit Klaus-Peter das weitere Vorgehen. Er teilte uns mit, dass wir zur HWB müssten, der Halleschen Wohnungsgenossenschaft, und zwar in das Büro in der Bruckdorfer Straße. Die zuständige Sachbearbeiterin dort wäre eine Frau Kurtz. Die sollten wir schön von ihm grüßen, die würde ihn gut kennen und wäre in Sachen Mietvertrag wohl für uns zuständig. Er wollte in den nächsten drei Wochen ausziehen. Ich fragte ihn zum Schluss noch, wie wir die Wohnung denn von ihm übernehmen würden. Leer? Na ja, meinte er, das meiste würde er natürlich mitnehmen. Etwas Kleinkram bliebe vielleicht übrig. Kein Problem, versicherten Horst und ich, wenn wir dafür zu solch einer Wohnung kämen, wollten wir uns da nicht so kleinlich anstellen.

Gleich am nächsten Tag sprachen Horst und ich in der HWG-Außenstelle vor. Diese befand sich in einer Dreiraumwohnung eines schmucklosen grauen Altbaus. Frau Kurtz saß in einem kleinen, freudlosen Büro, an einem schäbigen, abgenutzten Schreibtisch und wirkte ziemlich unlustig. Sie war Mitte vierzig, blond und so dick, dass ich mich fragte, wie sie den ganzen Tag auf diesem winzigen hölzernen Drehstuhl hocken konnte. Als ich uns beide vorstellte, wirkte sie noch gelangweilt neutral. Als ich dann aber konkret auf die Wohnung zu sprechen kam, merkte ich schon, wie ihre Neutralität einer gewissen Ablehnung wich. Und erst recht, als sie erfuhr, dass wir Klaus-Peter Sack kannten. Auf den war sie offensichtlich gar nicht gut zu sprechen. Außerdem hatte ich ja nur Anrecht auf eine Zweiraumwohnung und die Wohnung in der Philipp-Müller-Straße wäre ja viel größer, versuchte sie uns abzuwimmeln.

Aber so leicht gaben wir nicht klein bei. Was denn sonst mit der Wohnung geschehen würde, wenn der Mieter auszöge, wollten wir wissen? Ob sie denn irgendwen anders haben würde, der die Wohnung bekommen solle? Sie mauerte, und offensichtlich waren wir ihr nicht ganz geheuer. Bekannte von Klaus-Peter Sack zum einen. Gut, wenn ich an die verheizten Türfüllungen dachte, hatte ich dafür sogar Verständnis. Und zum anderen waren wir Wessis. Das machte uns ja per se schon mal verdächtig. Wir versuchten, sie sanft zu umgarnen, machten deutlich, dass Klaus-Peter nur ein flüchtiger Bekannter und kein Freund sei, wir mit ihm auch gar nicht so viel zu tun hätten und versuchten, uns so, bezüglich ihrer Vorbehalte ihm gegenüber, mit ihr zu solidarisieren. Bauchpinseln nennt man das wohl. Aber was tut man nicht alles für eine Wohnung.

Wahrscheinlich lag es auch etwas an unserem Auftreten, womit die gute Frau Kurtz nicht so ganz klarkam. Der Unterschied zum Ossi lag beim Wessi nämlich darin, dass er bei Behörden nicht so devot kuschend und bittstellerisch daher kam. In der DDR war ein kleiner Sachbearbeiter, der über die Zuteilung oder Verweigerung einer Wohnung entscheiden konnte, schon ein Halbgott und konnte sich dementsprechend auch so aufführen. Dass dem so war, hatten wir in vielen Gesprächen erfahren. Mir fiel mein erstes Zusammentreffen mit einer gewissen Olga wieder ein. Da wurde nicht auf die persönlichen Rechte gepocht, das war man hier nicht gewohnt, und es wurde von der Obrigkeit schon erst recht nicht toleriert. Da half nur freundlich tun, artig nicken und auf Wohlwollen hoffen.

Der Wessi dagegen kannte seine Rechte, forderte sie ein und benahm sich auch dementsprechend. Das führte häufig zu einem arroganten, großspurigen Auftreten, wofür der Wessi auch bald berühmt sein sollte. So wirkten sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme halt aus. Ich war immer bemüht, so nicht rüberzukommen, aber den bettelnden Duckmäuser wollte ich hier auch nicht spielen. Dass die Frage über die Vergabe der Wohnung nicht gleich an diesem Tag entschieden wurde, war uns sowieso klar. Frau Kurtz erklärte, sie müsse unser Anliegen in der Wohnraumberatung vorbringen und dann werde man sehen. Wir klärten noch, wann wir wieder nachfragen sollten, und verabschiedeten uns dann.


Ein paar Tage später waren wir wieder in dem kleinen, rumpligen Büro bei Frau Kurtz, die gleich leicht unfreundlich reagierte, als sie uns sah. Ja, entschieden wäre noch nichts, teilte sie uns mit. Außerdem müsse sie sich die Wohnung erst einmal ansehen. Nichts einfacher als das. Wir vereinbarten gleich einen Termin, in der Hoffnung, dass Klaus-Peter da auch Zeit hatte oder uns zumindest einen Schlüssel gab. Nach dem Termin gingen wir gleich bei ihm vorbei und er sicherte zu, an dem besagten Termin anwesend zu sein.


Donnerstagmorgen um zehn Uhr trafen wir überpünktlich vor dem Haus in der Philipp-Müller-Straße ein und sahen Frau Kurtz bereits vor dem Haus warten. Heute war sie uns gegenüber auch gar nicht mehr so zugeknöpft. Guter Dinge betraten wir gemeinsam das Haus, stiegen in den dritten Stock hinauf und klingelten. Es dauerte einen Moment, bis Klaus-Peter erschien und öffnete. Er wirkte etwas derangiert, so als wenn er eine kurze Nacht hinter sich hatte und überhastet aufgestanden war. Die übertriebene Freundlichkeit, mit der er Frau Kurtz begrüßte, kam bei dieser überhaupt nicht gut an.

Aber sie schien doch willens zu sein, die Sache voranzubringen, und so klärten wir das weitere Prozedere. Klaus war eigentlich schon dabei, auszuziehen, wie er erklärte, sodass wir die Wohnung in Kürze übernehmen könnten. Was wir auch möglichst bald wollten. Als Frau Kurtz eine der lädierten Türen sah und eine Erklärung forderte, druckste Klaus herum. Sie sah sich die ganze Wohnung mit leicht angewidertem Gesichtsausdruck an und machte sich dabei Notizen. Nachdem sie alles gesehen hatte, verabschiedete sie sich etwas verschnupft und meinte, wir sollten am nächsten Tag noch einmal bei ihr vorsprechen. War das nun positiv? Würden wir die Wohnung von ihr bekommen?

Die Chancen dafür standen gut, wie wir am nächsten Tag erfahren sollten. Wieder waren Horst und ich in dem kleinen Büro bei Frau Kurtz erschienen. Und tatsächlich ließ sie durchblicken, dass sie uns die Wohnung geben würde. Beinahe wäre ich ihr um den feisten Hals gefallen und hätte sie vor Glückseligkeit geküsst, aber doch nur beinah. Zum 1. November könnten wir den Mietvertrag bekommen, aber nur unter einer Bedingung. Ich wusste doch, dass die Sache einen Haken hatte.

»Der Mieter, der Herr Sack, muss die Wohnung besenrein übergeben«, verlangte sie.

Wow! Na, wenn das alles war, jubelte ich innerlich. Das sollte ja nicht das Problem sein, dachte ich mir, leider in Verkennung der Tatsachen, wie sich noch herausstellen sollte.

GO EAST

Подняться наверх