Читать книгу Trust - Arnika Bodenbach - Страница 12

Kapitel 9: Flucht

Оглавление

Paula rückte das Telefon auf ihrem Schreibtisch zurecht, ordnete die losen Blätter in die entsprechenden Aktenordner, räumte ihren Schreibtisch auf und schnappte sich ihre persönlichen Sachen. Bereits auf dem Weg nach draußen, fiel ihr noch etwas ein. Also kehrte sie zu ihrem Schreibtisch zurück und holte einen schwarzen Edding aus der Schublade hervor. Mit diesem bewaffnet, verließ sie ihr Büro, schloss die Tür hinter sich und schrieb auf das cremeweiße Türblatt in großer, leserlicher Schrift:

ACHTUNG!

BETRETEN AUF EIGENE GEFAHR!

TRIEBGESTEUERTER MANN OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE!

Anschließend schulterte sie ihre Tasche, raffte den letzten Rest ihres übriggebliebenen Stolzes zusammen und marschierte auf direktem Weg zum Büro von Theodor Kleinert, Helges Vater. Ihrem kurzen Klopfen folgte ein energisches „Herein!“. Sie betrat das Büro des Seniorchefs des Unternehmens.

„Hallo Paulchen!“ Er hob den Blick und bemerkte ihren aufgesetzten, fast wächsernen Gesichtsausdruck. „Was ist passiert?“

Ganz ruhig fragte Paula: „Theodor, wer ist Christine de la Croix?“

Theodor stutzte kurz: „Christine de la Croix? Sie ist die Gattin meines wichtigsten Geschäftspartners in Frankreich, Philippe de la Croix. - Warum fragst du?“

Aha! Verheiratet ist die Schlampe also auch noch! Und die Frau von Philippe de la Croix... Na, da wird sich Theodor aber freuen.

„Theodor... wenn sie Phillips Gattin ist, was macht sie dann mit Helge in Moskau... in seiner Suite... im Bett deines Sohnes, meines Verlobten?“

„WAS!!!“ brüllte Theodor.

Geduldig wiederholte Paula ihre Frage: „Was macht Christine de la Croix mit Helge in Moskau... in seiner Suite... in seinem Bett?“

Theodor war auf 180! Sein Gesicht lief knallrot an: „DAS DARF JA NICHT WAHR SEIN! DIESE BRUT ENTSTAMMT NICHT MEINEN LENDEN!!!“

Paula drehte sich auf dem Absatz um und verließ gleichgültig das Büro.

Raus hier! Nur weg!

Nach kurzer rasanter Fahrt betrat Paula die gemeinsame Penthousewohnung, lief ins Badezimmer und kramte den korallroten Chanel-Lippenstift hervor, den ihr Helge letztes Mal aus Paris mitgebracht hatte. So bewaffnet schritt sie förmlich an die große Rolf-Benz-Couch aus weißem Wildleder. Mit schwungvoller Schrift hinterließ sie ihrem Ex-Verlobten eine klare Botschaft:

DU STEHST AUF FRANZÖSISCH?

HOFFENTLICH FINDEST DU EINE ANDERE MIT MEHR BISS!

Damit war ihre Entscheidung zum Thema Hochzeit getroffen. Zum Packen ihrer Habseligkeiten benötigte sie gerade mal eine Stunde. Sie hängte den alten, goldenen Spiegel ihrer Großmutter im Flur ab und lud alles in Ihren Mini. Ohne nachzudenken setzte sie sich in den Wagen und fuhr los... Die Zeit verging und ehe sie realisierte, wo sie hinfuhr, stand sie in Hamburg Wandsbek, vor Nells kleinem Fachwerkhaus.

Und nun? Wie geht´s weiter? Ich kann doch nicht einfach Nell überfallen? Am besten warte ich hier im Auto auf sie. Irgendwann wird sie hier vorbeikommen müssen.

Der Regen prasselte auf das Autodach. Fallende Blätter klebten sich an der Windschutzscheibe fest. Langsam und allmählich realisierte Paula, was geschehen war. Er hatte es getan. Er war rückfällig geworden. Er hatte sie betrogen. Paula begann zu frieren. Paula begann zu fallen. In Gedanken rief sie nach ihrem Fallschirm. Sie rief nach Nell...

Nell wo bist du? Ich brauche dich!!!

„Schönen Feierabend wünsch' ich dir!“ Es war Peer Paulsen, Oberarzt der Chirurgischen Abteilung, der den Kopf aus dem Schwesternzimmer streckte. Nell war schon fast außer Sichtweite. Sie dreht sich um und winkte zurück. Peer zwinkerte ihr zu.

„Lust auf einen Kaffee“? Caro, ihre Kollegin, grinste Nell frech an. „Na, wann wirst du endlich seine Einladung zum Essen annehmen? Er lässt ja einfach nicht locker, unser Peer. Und er ist ein Traum von einem Mann“, fuhr die muntere Caro fort. „Ich verstehe nicht, warum du ihn dir vom Hals hältst. Wenn er sich für mich interessieren würde, hätte ich ihn nicht nur dort, sondern auch noch an ganz anderen Stellen… .“

„Mensch Caro! Ich fange nichts mit Patienten an und erst recht nicht mit einem meiner Arbeitskollegen – mag er auch noch so charmant und hübsch sein.“

Caro schüttelte den Kopf. „Du bist ein hoffnungsloser Fall.“

Nell kommentierte diese Aussage mit einem abfälligen Schnauben. Der Aufzug kam, die Türen öffneten sich und beide Frauen stiegen ein.

„Und, was ist nun?“

„Bitte?“, Nell schaute Caro fragend an.

„Kaffeetrinken?“

„Ach so, ja. Nein, heute nicht.“

Caro mustert ihre Kollegin. „Nell?! Was ist denn los? Du wirkst total abwesend. Ist was passiert?“

Nell versuchte sich zu konzentrieren. „Nein, zumindest glaube ich das. Ich habe nur so ein Gefühl und mir klingeln die Ohren. Ich fahr jetzt nach Hause und werde mal schauen, ob alles in Ordnung ist.“

Caro zog einen Schmollmund. „Dann ein anderes Mal, ja?“ Der Aufzug hielt und die Türen glitten auf. Schnell stieg Nell aus dem Aufzug und begab sich zielstrebig Richtung Ausgang. Nell drehte sich kurz zu Caro um und winkte ihr zu: „Ein anderes Mal sehr gerne“. Und schon war Nell durch den Haupteingang verschwunden. Irgendwie hatte sie es eilig. Sie ging zu den Fahrradständern, befreite ihr Rad vom Schloss, schwang sich auf ihren Drahtesel und raste Richtung Heimat. In ihrem Kopf klingelte es wie bekloppt. Sie konnte nur an eins denken:

Ja, Paula. Ich bin unterwegs. Egal was ist, halt aus. Ich bin gleich da.

Das war eine sehr faszinierende Seite ihrer Freundschaft zu Paula. Egal wer wo war – ihre telepathische Verbindung funktionierte immer.

15 Minuten später erreichte Nell ihr kleines Häuschen. Sie erkannte Paulas Mini schon von Weitem. Sie raste in ihre Einfahrt, ließ das Rad einfach fallen und sprintete zum Auto ihrer besten Freundin. Nell riss die Autotür auf und war fassungslos. Was da hinter dem Steuer sitzt konnte nicht ihre Paula sein. Geschwollene Augen vom Weinen, blasses Gesicht, die Haut der Hände marmoriert. Paula wendete zwar langsam den Kopf Richtung Nell – doch schien sie diese gar nicht wahrzunehmen.

Eindeutig Schockzustand. Verdammt noch mal, wenn Helge was mit diesem Zustand zu tun haben sollte…Ich hab´s Paula versprochen. Ich werde ihn kastrieren! EIGENHÄNDIG!

„Paula“? Vorsichtig legte Nell ihre Hände auf Paulas Schultern und schüttelte sie sanft. „Na komm Paula. Wir gehen zusammen ins Haus, ja?“

Wie auf ein verängstigtes Kind redete sie auf Paula ein. Wie ferngesteuert ließ sich Paula aus dem Auto ziehen. Ein Blick ins Innere des Wagens sagte Nell sofort, dass Helge der Grund sein musste. Der kleine Wagen war vollgestopft mit Taschen und Tüten. Und dem Spiegel der Urgroßmutter. Es handelte sich also nicht um einen Spontanbesuch – Paula hatte die Flucht angetreten.

Scheiße. Was war da nur los? Sollte Paula wieder einmal Recht behalten haben? Sollten sich ihre Zweifel tatsächlich bestätigt haben?

Nell fühlte sich für Paulas Elend verantwortlich. Sie hatte ihr Helge förmlich aufgeschwatzt, ohne auf das Bauchgefühl ihrer besten Freundin zu vertrauen. Denn das irrte sich bei Paula nie. Meistens... .

Nell musste Paula stützen. Fast wäre Paula ihr vor dem Auto zusammengebrochen. Eigentlich wäre Paula ein Fall für die Klinik, doch Nell konnte und wollte Paula nicht zumuten, diesen Schock in fremder Umgebung zu verarbeiten. Sie war ja schließlich Trauma-Krankenschwester und konnte in diesem Falle auch eine Klinik ersetzen. Zielstrebig dirigierte Nell das große Häuflein Elend in ihr Schlafzimmer und setzte Paula dort auf der Bettkante ab. Paula war weggetreten. Nell zog ihr die Schuhe aus, schlug die Decke zurück und wollte Paula hinlegen, als diese fest Nells Arm ergriff. Ihre Augen panische, weit aufgerissene Fenster mit Blick in ihr zerbrochenes Inneres.

Nicht an dich heranlassen. Profi. Denk dran Nell, du bist Profi!

„Er. Hat. Es. Getan“.

Paulas Stimme eine ansteigende Hysterie.

„Er. Hat. Es. Getan“, wiederholte Paula.

Nell zog Paula in ihre Arme. Ihr liefen auch die Tränen über die Wangen.

Es ist Paula. Nicht irgendwer. Scheiß auf den Profi…!

Langsam und monoton wiegte Nell ihre Freundin. Damit Paula nicht anfing zu Hyperventilieren atmete Nell laut ein und aus. Langsam und gleichmäßig. Paula begann sich dem Rhythmus anzupassen. Plötzlich krallte sie sich verzweifelt in Nells Sweatshirt. Dabei erwischte sie Haut und kniff Nell. Doch Nell ignorierte diesen Schmerz. Dann brach der Damm und Paula fing an zu schreien. Noch fester hielt sich sie an Nell fest. Nell wiederum schloss ihre Arme noch fester um ihre Freundin, die sich soeben aufzulösen drohte. Das Schreien ging über in heftige Heulkrämpfe. Nell schwieg und hielt ihr zitterndes Bündel einfach weiter in ihren Armen. Die Haltung war sehr unbequem und ihr schmerzten sämtliche Rückenmuskeln – aber egal!

Endlose Zeit verstrich.

Paula wurde ruhiger. Aus lautem Heulen wurde ein stummes Weinen. Nells Oberteil war völlig durchnässt. Etwas später lockerte sich Paulas Ringergriff. Nell nutzte die Chance und ließ Paula vorsichtig in die Kissen fallen. Sie musste sich dringend strecken.

Schlaf! Schlafen hilft Paula am besten.

Nell erhob sich und wollte ins Badezimmer, um dort Schlaftabletten zu holen. Keine Elefantendosis, aber genug um Paulas Verstand eine Auszeit zu geben.

„Nicht, geh nicht“, flehte Paula.

„Sch Sch Sch“, raunte Nell ihr zu. Sie kniete sich neben Paula ans Bett. „Ich gehe nicht weg. Ich gehe nur ins Badezimmer und hole etwas, was dir hilft, Ok?“

Wie einem kleinen Kind erklärte Nell Paula jeden ihrer Schritte. Sie hörte auch nicht auf zu sprechen, als sie im Badezimmer angekommen war, um die Tabletten aus dem Medizinschränkchen zu holen. Sie erzählte einfach weiter, Hauptsache Paula konnte ihre Stimme hören. Zurück im Schlafzimmer musste sich Nell fassen. Das was da in ihrem Bett lag, war nicht ihre beste Jungendfreundin. Ein Wrack. Ein mickriges, kleines Häufchen Elend. Damals war es Paula schon schlecht gegangen. Aber heute? Nell musste sich frei nehmen – sie konnte Paula nicht aus den Augen lassen. Das war die einzige Möglichkeit, Paula nicht in die Klinik bringen zu müssen.

„Hier meine Kleine, nimm die Tablette und spül' sie runter, ja? Ja, so ist's gut. Und jetzt leg dich hin. Ich bleibe bei dir, bis du eingeschlafen bist. Und wenn du aufwachst, werde ich immer noch bei dir sein“. Nell legte all ihre Zuversicht, Liebe und Hoffnung in ihre Stimme.

Paula heftete ihren Blick auf Nell´s Augen. Nell erwiderte ihren Blick. Die Tabletten begannen zu wirken. Paula verdrehte die Augen wie ein Kaninchen und schlief ein.

Trust

Подняться наверх