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Kapitel 3: Die Eingebung

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Die Eingebung begegnete Paula in einer Samstagnacht. Zuvor hatten sie und Nell in der Hannoveraner Szenebar ‚Bolero’, ordentlich auf den Putz gehauen. Sie hatten zu guter Musik bis zum Muskelkater getanzt. Dabei hatten beide ihren Durst mit Mojitos gestillt. Mit zu vielen Mojitos. Mit viel zu vielen Mojitos.

Paulas Eingebung kam in fleischgewordener Form. Er hieß Helge. Helge Kleinert. Helge war acht Jahre älter als Paula. Surfertyp. Groß, blond, gebräunte Haut dank Sonnenbank, verwegenes Lächeln, blitzende blaue Augen. Frauenheld. Nicht unbedingt durchtrainiert, aber gut gebaut. Er stach schon beim Betreten des Boleros hervor. Er überragte die meisten Männer. Umgeben von einer Ausstrahlung, die den Schneegipfel des K2 zum Schmelzen gebracht hätte. Selbstbewusstsein – genug um eine ganze Armee damit ausstatten zu können. Manche hätten ihn als arrogant und überheblich beschrieben. Doch Paula war zu diesem Zeitpunkt schon zu betrunken, um solche Feinheiten überhaupt bemerken zu können. Wider Paulas Natur ließ sie es zu, das Helge sie nach Hause bringen durfte. Nell hatte sich schon Stunden zuvor abgesetzt und zurück nach Hamburg fahren müssen. Wie so oft, hatte sie kurzfristig den Dienst für eine erkrankte Kollegin übernommen. Doch Nell sah darin eine Chance, ihre beste Freundin endlich in die festen Händen eines Mannes zu geben. Also brachte Mr. Sunshine Paula in ihre kleine, kuschelige Dachgeschosswohnung. Ihr Reich inmitten der hannoverschen Nordstadt. Das Haus von außen ein wenig schäbig, das Treppenhaus renovierungsbedürftig, die Nachbarschaft stets anonym. Keiner der Mitbewohner erweckte bei Paula genug Interesse, um ihn wenigstens auf einen Kaffee einzuladen. Doch in ihren 38 Quadratmetern unterm Dach hatte sie es sich mit ihren finanziellen Mitteln sowie Nells Unterstützung so gemütlich wie nur möglich gemacht. Dorthin, in ihr Nest, ihren Rückzugsort, nahm sie einen wildfremden Kerl mit. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Ja, was nur? Ganz einfach – Nix!

Von der Nacht bekam Paula nicht viel mit. Als Paula morgens aufwachte, lag sie angezogen bis auf ihre Schuhe im Bett. Brav zugedeckt und mit einem höllischen Kater, der genauso gut ein ausgewachsener, prähistorischer Säbelzahntiger hätte sein können. Als ihre Augen sich endlich bereit erklärten, sich auf Scharfsicht einzustellen, entdeckte sie eine Visitenkarte auf ihrem Nachttisch. Nicht einfach eine Visitenkarte aus recyceltem Papier – nein! Auf hochweißem Büttenpapier mit Goldprägung in 3D-Optik stand da geschrieben:

EXPORT KLEINERT GmbH

DIE Exportexperten für den weltweiten Versand Ihrer Güter

Helge Kleinert

Projectmanager Business Development

Im Graufinkeck 7

30159 Hannover

Tel. 0511 – 47 28 32 –19

Fax 0511 – 47 28 32 – 27

Mob. 0175 – 14 777 22 8

helgekleinert@EKG.de

EXPORT KLEINERT GmbH

DIE Exportexperten für den weltweiten Versand Ihrer Güter

Helge Kleinert

Projectmanager Business Development

Im Graufinkeck 7

30159 Hannover

Tel. 0511 – 47 28 32 –19

Fax 0511 – 47 28 32 – 27

Mob. 0175 – 14 777 22 8

helgekleinert@EKG.de

Beim Lesen des Namens klingelte etwas…..

Sie dreht die Karte herum:

Ruf mich an!

Gruß Helge

Kurz und schmerzlos. Entweder war die Nacht so enttäuschend, dass es nicht mehr Worten bedarf oder aber er wollte ihr einen Gefallen erweisen und ihr einen Verhaltenstherapeuten empfehlen. Da sie noch vollständig bekleidet war, ging sie von Variante eins und zwei gleichzeitig aus. Mit Mühe schob sie die tonnenschwere Bettdecke von sich und begab sich quälend langsam in die Vertikale. Sie saß. Auf der Bettkante. Um sie herum drehte sich plötzlich alles. Trotz Kater und Gleichgewichtsstörungen schaffte sie es in ihr Miniaturbad. Auf dem kurzen Weg dorthin riss sie lediglich eine Lampe vom Flurschränkchen herunter und fegte beim Versuch, sich nicht aufs Maul zu legen, zwei gerahmte Bilder von der Wand. Rechtzeitig erreichte sie die Kloschüssel. Mit dieser verbrachte sie einen Großteil des Morgens. Zwischenzeitlich gelang es ihr, das Chaos im Flur zu lichten, sowie ein Frühstück aus Aspirin und Fencheltee zu sich zunehmen. Das dringende Duschen vertagte sie auf unbestimmte Zeit. Gegen Abend hatte sie auch diesen Punkt von ihrer verkaterten To-Do-Liste streichen können. Jetzt blieb nur noch die Visitenkarte.

Soll ich ihn anrufen? Was soll ich dem denn nur sagen?

Hi – war schön gestern?

Was war schön? Ihre peinliche und verzweifelte Art, sich ihm an den Hals zu schmeißen? Nell hatte noch nicht einmal den Versuch unternommen, sie zu stoppen. Was hatte sie ihm wohl erzählt – in einem Anfall von Redewahn Dank zu vieler Mojitos?

Nie wieder Mojitos! Oder - Ok - vorerst nie wieder Mojitos!

Wie ein Tiger ging Paula in ihrer kleinen Wohnung auf und ab. Anrufen? Nicht Anrufen? Beim zufälligen Blick in den Spiegel entschied sie sich sofort für nicht Anrufen. Hätte sie ihn angerufen, wäre es einer Verzweiflungstat nahegekommen. Und diesen Eindruck wollte sie auf keinen Fall erwecken! Zu gerne würde Paula sich fallen lassen wollen und gehalten werden. Lieben und die Angst vor Enttäuschungen zu verlieren.

Das Telefon klingelte.

Du lieber Gott! Ich habe ihm doch nicht etwa im Suff meine Nummer gegeben?

Und wenn schon. Er hatte sie nach Hause gebracht. Er könnte genauso gut bei ihr vorbeikommen, klingeln und sie persönlich auslachen. Nach dem 8. Klingeln hob Paula ab.

„Hallo meine Süße!“ Nells sanfte Stimme umspielte Paulas gespannte Nerven. „Du hast gestern aber ganz schön Vollgas gegeben.“ Nell redete einfach weiter. „Ich vermute, du hast dich bereits mit deiner Kloschüssel ausgesprochen, dein Chaos gelichtet, dein Spezialfrühstück zu dir genommen und hoffentlich geduscht?“

„Ja Mama!“, brachte Paula zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.

Nell lachte ihr so typisches, herzerweichendes Lachen. „Hast du auch schon den Surfertyp von gestern Nacht angerufen? Oder diskutierst du immer noch mit dir selber? Viel kann bei euch ja nicht gelaufen sein, so wie du dich abgeschossen hast... .“

„Stopp!“ Paula unterbrach ihre beste Freundin. „Warst du dabei? Oder hast du heimlich Kameras angebracht? Oder hast du etwa mit ihm telefoniert?“

Nell lachte. „Weder noch. Ich kenn' dich einfach nur gut.“

„Anscheinend zu gut“, kommentierte Paula.

„Ach komm schon Paula. So schlecht sah der Typ nicht aus. Und er ist der Sohn des Inhabers einer Exportfirma hier in Hannover. Also eine gute Partie.“

„Nell!“

Doch Nell redete stur weiter. „Er war wenigstens so höflich und hat dich NUR zu Hause abgesetzt ohne sich an dich ranzuschmeißen. Ist doch schon eine großartige Leistung von ihm. Somit hatte er mehr Anstand als die anderen Typen, denen du bisher so begegnest bist.“

„Nell!“

„Und ich dachte, wenn du dich mit ihm noch ein oder zweimal triffst… .“

„NELL!!! Hör auf mich zwanghaft verkuppeln zu wollen. Nur damit du dir nicht so viele Sorgen um mich machen musst. Mach’s wie meine Eltern oder meine Tante – bring mich ans andere Ende der Welt oder geh einfach aus meinem Leben.“

Ach Scheiße!

Schweigen – langes Schweigen! Paula schossen die Tränen in die Augen. Sie traute sich nicht, mehr zu sagen, geschweige denn aufzulegen. Sie ließ den Hörer einfach fallen, taumelte zu ihrem Bett und vergrub sich in die Kissen.

Vorbei... Nells unermessliche, aber nicht unerschöpfliche Geduld. Sie hatte es schon wieder getan – unfair, unter die Gürtellinie gehend. Sie weinte und weinte und weinte. Irgendwann hatte ihr Körper weder die Kraft noch die Reserven, um noch mehr Tränen zu vergießen. Paula starrte gegen die Wand. Plötzlich war alles zu eng und gleichzeitig zu groß. Unpersönlich. Es war nicht ihr Leben. Wenn sie sich nicht bald selber fand oder wenigstens eine Konstante in ihr Leben kam – egal ob in fleischgewordener- oder beruflicher Form…..

Wie lange konnte man in einem luftleeren Raum überleben?

Auf einmal schlangen sich vertraute Arme um Paula. Sie zuckte noch nicht einmal. Der Geruch, die Wärme, die Stimme...

NELL!

Ihre Nell, die extra für sie den erneuten Weg von Hamburg nach Hannover auf sich genommen hatte. Ihre Nell, die in wenigen Stunden ihren Dienst beginnen musste und bestimmt noch nicht zum Schlafen gekommen war. Erneut packte Paula ein heftiger Heulkrampf. Und was tat Nell? Sie tat, was sie immer tat: Sie wiegt ihre beste Freundin in den Armen, als hielte sie ein verlorenes Kind darin.

„Es...es tut mir leid!“ brachte Paula mit heiserer Stimme heraus.

Nell hob eine Augenbraue. „WAS tut dir leid? WIE LANGE tut es dir leid? WANN bekommst du dich endlich in den Griff? Ich denke ernsthaft darüber nach, meinen Job in der Klinik sausen zu lassen und die Betreuung für dich zu übernehmen.“

Paula konnte bei dieser Vorstellung nicht anders als lachen. Auch Nell stimmte mit ein. So lagen sie lange in Paulas geblümten Himmelbett.

„Jetzt aber mal ernsthaft Paula.“ Nell war es, die die Sprache als erstes wiedergefunden hatte. „Paula, so kann das nicht weitergehen! Fang endlich an zu Leben. Such dir 'ne Ausbildungsstelle oder einen richtigen Job. Oder einen Mann. In welcher Reihenfolge auch immer. Ich mache mir Sorgen um dich. Ernsthafte Sorgen!“

Paula setzte sich auf. Sie sah den so fremden, ernsten Gesichtsausdruck in Nells feinem Gesicht.

„Oh Gott! Nell, du meinst das ernst?!“

„Ja, Paula, das tue ich“, sagte Nell mit fester und leiser Stimme. „Ich bitte dich als meine Seelenverwandte, wirf deinen alten Ballast über Bord und geh nach vorne. Und hör auf zu glauben, dass Gott dich hasst. Gott meint es trotz allem sehr, sehr gut mit dir!“

Nach kurzer Pause fuhr sie fort: „Ruf Helge endlich an. Triff dich mit ihm. Geh mit ihm aus und lebe! Lerne endlich zu Vertrauen! Und zwar noch anderen Menschen außer mir. BITTE PAULA!“

In dieser Bitte schwang so viel Liebe, Verletzlichkeit, Fürsorge und Verzweiflung mit, dass Paula an sich halten musste, um nicht erneut in Tränen auszubrechen.

„Ich muss mich wieder auf den Weg nach Hamburg machen. In vier Stunden beginnt meine Schicht und ich habe nicht sonderlich viel geschlafen… .“

„Es tut mir leid“, entgegnete Paula kleinlaut. „Ich werde ihn anrufen. Versprochen!“

Nell stand auf. Mit Sicherheit lag Zweifel in ihren Augen, doch wegen des Dämmerlichtes konnte Paula es nicht bestimmt sagen. Nell ging, ohne sich umzudrehen. Leise zog sie die Tür ins Schloss.

Scheiße!

Für die Beziehung zu ihrer Seelenverwandten war es fast fünf nach zwölf.

Paula stand auf und trat vor den Spiegel. Sie sah sich fest in die Augen und trat sich innerlich selbst in ihren viel zu dicken Hintern.

Los jetzt, Paula! Jetzt oder nie. Mach es direkt, sonst drückst du dich doch nur wieder.

„Wer ist da?“ Eine verschlafene Männerstimme. Etwas heiser, aber tief und angenehm.

„Hallo Helge, hier ist Paula.“

„Wer? Ach Paula. Die Mojito-Paula aus dem Bolero?“

„Ja?!“

„Entschuldige, du hast mich gerade geweckt.“

„Wie geweckt? Wie spät ist es denn?“ Verzweifelt suchte Paula ihr Handy, um sich über die aktuelle Uhrzeit zu informieren.

Was? Halb drei morgens! Ach du Schreck.

„Du Helge...“, stammelte Paula ... „es tut mir leid. Ich habe wohl irgendwie meine Zeitrechnung verloren. Ich rufe dich einfach die Tage noch mal an. Was meinst du?“

Paula wollte schon auflegen, doch Helge schrie laut genug ins Telefon, um sie daran zu hindern. : „Hey Paula – nicht auflegen!“

„Ähm, ich bin noch dran.“

Der muss mich doch für einen totalen Sozialfall halten.

„...in einer halben Stunde, Ok?“

„Wie bitte?“

„Wo in einer halben Stunde?“

„Bei McDonalds in der Georgstraße“, wiederholte Helge geduldig.

Paula hatte leider nicht mitgekommen, wie Helge es geschafft hatte, sie zu einem spontanen Nachtausflug zu McDonalds zu überreden. Die einzige Möglichkeit zu dieser unchristlichen Zeit, einen Kaffee trinken zu gehen.

Tja, warum eigentlich nicht?

Schließlich hatte sie ihrer besten Freundin versprochen, den Typen anzurufen und zu treffen. Warum also nicht jetzt sofort damit anfangen?

„Ja, Ok Helge. In einer halben Stunde dann.“

„Super, bis gleich!“ flötete Helge - scheinbar von den Toten auferstanden - in den Hörer und legte auf.

Oh Mann!

Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Nur Nell zuliebe einen Kerl treffen, bei dem sich ihr Magen zusammenzog? Ja, Nell zuliebe würde sie das tun. Ein weiteres Mal blickte sie auf die Uhr ihres Handys. Noch 20 Minuten. Was sollte sie anziehen. Nachts um drei für ein Date – war es eigentlich ein Date? Bei McDonalds zum Kaffeetrinken... . Es fühlte sich nicht so an.

Sie entschied sich für Jeans und einer dunkelgrünen Bluse mit hohem Kragen. Sie wollte auf keinen Fall verzweifelt wirken. Darüber zog sie eine bequeme schwarze Collegejacke. Schuhe – sie brauchte ja auch noch Schuhe. Fast wäre sie barfuß aus dem Haus gegangen. Sie entschied sich für schwarze Slipper. Kein Makeup, kein Parfum. Entweder wollte der Kerl sie so wie sie eben nach einem durchgekotzten Tag aussah oder eben nicht.

Basta! Kopf hoch, Bauch rein, Brust raus!

Oh Gott – wem machte sie hier eigentlich was vor? Auf jeden Fall sich selbst am meisten.

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