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Kapitel 13: Gefühlschaos

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Einige Wochen später.

„Hey du Bücherwurm“. Nell kam vom Dienst nach Hause. Äußerst gut gelaunt. Nell war immer gut gelaunt, immer lächelnd, meistens jedenfalls. Aber das unübersehbare Grinsen, welches Nell´s Gesicht zierte, war nicht normal.

„Alles klar bei dir? Oder hast du als Proband an einer neuen Medikamentenstudie teilgenommen“? Paula war mehr als skeptisch.

„Weder noch“, säuselte Nell vor sich hin.

„Mit dir stimmt doch was nicht. Was war heute los im Krankenhaus“?

Nell steckte den Kopf aus dem Badezimmer heraus. „Nichts, was soll denn gewesen sein?“

Paula wurde es zu blöd. Sie verließ die Küche, in der sie bis gerade noch an ihren Büchern gesessen hatte. „Nell, was zum Henker ist los? Entweder stehst du unter Drogen oder…..“

Nell hatte sich zwischenzeitlich ausgezogen und in ein Handtuch gewickelt. Sie war im Begriff, duschen zu gehen.

„Ok, du willst es wissen? Ich bin so super drauf, weil ich heute einem unserer Patienten eine saftige Ohrfeige verpasst habe!“

Paula blieb der Mund offen stehen. „Du hast WEM WAS verpasst?“

Nell tat diese Information mit einer lässigen Handbewegung ab. „Ach dem Kerl geht’s gut. Der hat wahrscheinlich nur `ne Beule, wenn überhaupt. Sonst nix.“

„Aha. `Ne Beule, wenn überhaupt?!“ Paula war gereizt. „Du hast noch nie gegenüber jemanden die Hand erhoben. Ok – die Nummer mit dem Tritt in Helges Eier vergessen wir hier an dieser Stelle. Aber du bist die, die während der Rushhour auf der A1 die Frösche von A nach B trägt, nur damit sie nicht überfahren werden. Du bist diejenige, die in mühevoller Handarbeit einem Hamster ein Holzbein schnitzen würde, damit er nicht der Euthanasie zum Opfer fällt. Nell! Noch mal die Frage: Warum hast du WEM eine Ohrfeige verpasst?“

„Ach Mensch. Du bist aber heute gereizt. Bekommst du deine Tage oder was?“ Jetzt war es an Nell, ungehalten zu werden.

„NELL!“

„OK, du willst wissen was, wann, wo und warum? Ab in die Küche!“

Paula sauste in die Küche, gespannt wie ein Flitzebogen. In einer einzigen Bewegung zog sie den Küchenstuhl hervor und ließ sich elegant darauf plumpsen. Erwartungsvoll blickte Paula Nell an.

„Du weißt ja das wir im Moment unterbesetzt sind. Also darf ich zur Zeit Springer spielen. Heute hatte ich die Ehre, in der Ambulanz zu werkeln.“

Paula nickte zustimmend. „Ja, dass ihr zurzeit knapp besetzt seid, erzählst du mir mindestens dreimal am Tag. Aber jetzt zur Ohrfeige!“

Nell hob eine Augenbraue. „Ho Brauner! Bin doch dabei, oder? Übe dich in Geduld!“

Paula hielt den Mund und verkniff sich ihren nicht jugendfreien Kommentar.

„Also: Da kam heute so ein Typ in die Ambulanz“, setzte Nell ihren Vortrag fort. „Groß, sehr groß. Mehr als gut gebaut. Du weißt, was ich meine? Ein Hüne, aber elegant. Für diese Größe beeindruckend zarte Hände, Chirurgenhände. Glatze. Aber das stand ihm gut. Er sah nicht gefährlich damit aus – im Gegenteil. Also der wurde reingebracht. Sah aus, als ob er sich mit einer ganzen Kneipenbesatzung geprügelt hat. Überall Prellungen und Abschürfungen. An manchen Stellen hatte er auch Verbrennungen ersten und zweiten Grades. Eine hässliche Schnittwunde am Oberschenkel. Ich hatte das Glück ihn zu Versorgen. Ich hab‘ die Erstanamnese gemacht. Dabei hatten wir immer wieder Blickkontakt, aber viel intensiver, als ich es je mir einem anderen Patienten gehabt habe. . Dann kam Peer zum Nähen rein. Die Hosen mussten natürlich runter. Oh Paula, dass kannst du dir gar nicht vorstellen – nur Muskeln. Bei dem hatten sogar die Muskeln Muskeln.“

Nell verdreht schwärmend die Augen.

„Und weiter?“, fordert Paula Nell auf.

„Also, Peer kam rein und schaute sich die Wunde an. Sah echt übel aus. Peer fing an die Wunde zu säubern. Und was machte der Kerl? Der sah mir in die Augen, lächelte und verzog keine Miene. Keinen Piep gab der von sich. Und du kannst dir nicht vorstellen, was der Typ für Augen hatte. Das dunkelste und verführerischste Braun was ich je gesehen habe. Zart und fließend wie Schokolade. Mit Toffeesplittern durchzogen. Peer fragte ihn, ob er eine lokale Sedierung möchte. Er ließ mich nicht aus den Augen und sagte nur knapp ‚Nö’.

Peer zuckte mit den Achseln und begann zu Nähen. Der Typ lag da vor uns auf der Pritsche und erzählte mit uns über Gott und die Welt, ohne mit der Wimper zu zucken. Peer wurde fertig und packte zusammen. Den Rest durfte ich dann machen. Reinigen, Salbenverbände und so….“

Nell stellt pantomimisch ihre Handbewegungen nach. Ihr Blick war verklärt und abwesend.

„Kann das sein, dass dir der Typ gefallen hat?“

„Hmm“, hauchte Nell. „Was? Nein überhaupt nicht. Wie kommst du denn darauf? Hätte ich ihm sonst eine Backpfeife verpasst?“, konterte Nell für sie untypisch heftig.

„Ist klar“, antwortete Paula trocken. „Und dann, wie ging es weiter?“

„Du lässt mich ja gar nicht ausreden“, entgegnete Nell entrüstet. „Auf jeden Fall war ich dann irgendwann mal fertig mit meiner Arbeit. Ich entsorgte die Verbandsreste und Tupfer, räumte auf und desinfizierte mir die Hände. Ich dachte, der Kerl zieht sich an. Ich drehte mich zu ihm, um ihn zu fragen, ob er alles in Ordnung wäre und er noch Schmerzmittel brauchte. Ich denk´ ich sehe nicht recht. Da stand der total lässig an der Pritsche, fix und fertig angezogen. ‚Nö, keinen Bedarf’, erklärte er mir kurz und knapp. Er war weder blass, noch standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. ‚Danke ‚sagte er und kam auf mich zu. ‚Kein Problem, ist mein Job’ gab ich zurück. Versuchte ihn auf Distanz zu halten. ‚Ob ich mit ihm Kaffeetrinken gehe?’ fragte er mich auf einmal.“

Nell drehte sich einmal um die eigene Achse und rollte mit den Augen. „Ist das zu fassen? Der fragte mich allen ernst ob ich mit ihm Kaffeetrinken gehe.“

Paula musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut los zu Lachen. Aber ihre Gesichtsfarbe wechselte in ein purpurrot und verriet sie somit.

„Was gibt es da zu lachen, Frau Brehm?“, herrschte Nell ihre Freundin an.

„Oh ha, es hat dich erwischt! Und es ist ein Patient, der dir gefällt. Was ist denn mit deinem Vorsatz…?“

Nell baute sich vor Paula auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Willst du den Rest noch hören oder nicht?“

Paula hob entwaffnend die Hände.

„Also sagte ihm, dass ich nicht mit Patienten Kaffeetrinken gehe und das ich jetzt mit jemanden zum Röntgen müsste. Ich verabschiedete mich und verließ das Behandlungszimmer. Der Typ ließ sich aber nicht abwimmeln. Dann kam mir auch noch Sven entgegen und eröffnete mir, dass ich jetzt in Pause könne. Der Patient fürs Röntgen wäre schon versorgt. Na toll, denke ich…. Ich wollte so schnell wie möglich ins Schwesterzimmer, welches im Obergeschoss liegt, also marschiere so schnell wie möglich in Richtung Treppenhaus. Der Typ spaziert neben mir her, als ob ich in Zeitlupe schleichen würde. Der humpelt nicht. Keine Lahmheit oder Schonhaltung oder so was.“ Nells Stimme überschlug sich. Fast hysterisch fuhr sie fort: „Also, ich ab Richtung Treppenhaus. Der Kerl immer noch hinter mir. Auf halbem Stockwerk drehe ich mich um und fragte ihn, was das soll. Ob er ein Stalker oder so was wäre oder irre. Er sagte cool: ‚Weder noch’ und lächelte. Ich war wie festgewachsen. Er kam mir entgegen und blieb zwei Stufen unter mir stehen. So war ich gerade groß genug, dass er mich nicht ins Dekolleté fiel. ‚Was er will’, pflaume ich ihn an. Und er grinst nur und meint‚ er wollte sich für die sehr angenehme Behandlung bedanken’. Ich schnappe nach Luft, konnte mich weder rühren noch was sagen.

Nell packte sich an die Brust. Sie war blass und schien das Erlebte noch mal zu durchleben.

„Auf jeden Fall ging der Kerl hin, zog mir meinen Kittel soweit hoch das mein Bauch frei liegt. Und dann KÜSSTE ER MICH AUF DEN BAUCHNABEL!“

Paula hatte die Luft angehalten. Jetzt ließ sie die Luft mit einem lauten Schnaufen aus.

„Er hat dich geküsst? Auf den Bauchnabel? Auf mein Engel-Tattoo? Und was hast du gemacht?“, fragte sie fassungslos.

Nell schaute Paula an. „Ich habe ihn angeschaut und ihm dann eine gepfeffert. Anscheinend hatte er damit nicht gerechnet, denn sein Kopf flog zur Seite und er schlug mit Wucht mit dem Kopf gegen die Wand des Treppenhauses“

Nell setzte ihr so typische ‚Tut-mir-leid-Miene’ auf und schmollte.

„Und was macht er?“ fuhr Nell fort, „er schaute mich nur an, rieb sich den Schädel, lächelte und meinte, ‚Ein einfaches ‚Ja‘ hätte es auch getan.’ Ich fragte ihn, ob er es nicht verstehen wolle oder könne. Ich hätte nein gesagt und das mit meiner Ohrfeige untermauert. Darauf der Typ ganz trocken: ‚Das Wort gäbe es in seinem Wortschatz nicht und aufgeben käme überhaupt nicht in Frage’. Ich konnte nicht anders und lachte lauthals los.“

Mittlerweile hatte Nell am Küchentisch Platz genommen. Sie sah regelrecht mitgenommen aus.

„Und weiter? Bist du ihn losgeworden?“, hakte Paula nach. Nell sah aus dem Fenster.

„Ja. Nein. Er hat sich wohl an die Grundlagen der Konversation erinnert. Er heißt Bull.“

Paula hob fragend eine Augenbraue.

„Ja, so stellte er sich mir dann vor. Und dann bedankte er sich noch einmal höflichst für die gute Behandlung.“

Nell nestelte am Saum ihres Handtuchs herum, welches sie immer noch um sich geschlungen hatte.

„Dann hat er nach dem Tattoo gefragt. Warum ich einen Engel, der auf einer Handfläche sitzt, mit einer Miniatur-Weltkugel in den Armen, auf meinem Bauch, rund um meinen Bauchnabel tätowiert habe.“

„Und was hast du ihm gesagt?“, fragte Paula gespannt. „Na, dass ich es von meiner allerbesten Freundin geschenkt bekommen habe. Gestochen nach deiner Vorlage. Und ich habe dein Gedicht, welches du zu diesem Tattoo geschrieben hast, vorgetragen:

Auf dieser Welt wandelte ich schon so lange

hatte Sorgen, hatte Bange,

dass mein Dasein ist verfehlt,

und es Gott an Interesse wohl fehlt,

mich hat einfach vergessen und verdrängt,

keine Gedanken an mich verschenkt.

Hab’ mich abgefunden mit dem Fakt,

Bin ein misslungener Schöpfungsakt.

Dann getaumelt und gestrandet

und in deinem Reich gelandet.

Kaputt, gebrochen und geschunden,

hast du mich für Wertvoll genug gefunden,

hast mich geborgen und gepflegt,

repariert, poliert und seitdem gehegt.

Als ob ich größter Schatz von Wert

und diese Sichtweise dich ehrt.

Was du in mir siehst?

Ich werde es wohl nie verstehn!

Doch muss ich nicht verstehen,

wenn ich glaube – trotz Zweifel und Zagen.

Gott hat mir mit dir in diesen Tagen

einen Engel geschickt.

Zum guten Schluss.

Nell schaute mit gesenktem Kopf zu Paula herüber. „Bist du sauer?“

Paula schüttelte gedankenverloren den Kopf. „Wie hat er reagiert?“

Nell schaute Paula nun direkt an. „Er hat gesagt, dass es absolut passend ist. Wenn er meine beste Freundin wäre, hätte er das Gleiche getan.“

„Und dann?“

„Du, Paula – ich habe das Angebot zum Kaffeetrinken nicht angenommen. Ich habe ihm gesagt, dass ich prinzipiell weder mit Kollegen noch mit Patienten ausgehe. Aber es wäre ja was Anderes, wenn er mich zufällig – sagen wir mal, samstagabends in einer Billard-Bar, vielleicht mit den Namen ‚Happy B’ treffen würde. Dann würde ich mich auch auf einen Drink einladen lassen….“

Paula riss die Augen auf und lachte. Dann prustete sie und versuchte nach Luft zu schnappen.

„Wer hätte das gedacht? Nelia Sophie Dammberg bricht ihre eisernen Prinzipien…Dieser Bull muss entweder der Leibhaftige sein oder aber das sinnlichste männliche Wesen dieser Welt, dass er dich mit einem Kuss auf den BAUCH so verführen kann.“

Nell wurde rot. Etwas, was so gut wie nie vorkam. Vielleicht nach dem Joggen, wenn Nell von ihrer 5,5 km langen Route nach Hause kam. Aber auch nur manchmal.

Paula ergriff die Hände ihrer Seelenschwester. „Nell, es ist in Ordnung. Absolut! Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen oder entschuldigen. Selbst wenn du ohne Ohrfeige einfach ja gesagt hättest, wäre es in Ordnung gewesen. Ich freue mich für dich! Auf diesen kosmischen Himmelsreiter bin ich gespannt – aber Gnade ihm Gott, sollte er dich verletzten – ich schwöre, ich gehe für dich in den Knast!“

Nell traten die Tränen in die Augen – noch etwas, was es bei Nell sonst nicht gab. Sie zog Paula in ihre Arme und hielt sie fest.

„Paula“, murmelte sie in Paulas Haar. „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?“

Paula rückte Nell etwas von sich ab, sah sie verwirrt an und sagte mit Nachdruck: „So was fragst du mich? Diese Antwort wirst du selber finden müssen! Aber denke dran, egal was ist, wir bleiben zusammen! Du weißt: loyal and ready to kill… .“

Nell lachte und küsste Paula auf die Wange.

“So, jetzt gehe ich aber endlich Duschen.“

„Mach nur, ich weiß ja jetzt, was ich wissen muss.“ Paula grinste Nell mit einem unverschämt schiefen Lächeln an.

„Ich habe noch eine Verabredung mit meinen Büchern, mach dir um mich keine Sorgen. Langeweile kommt die nächsten Monate in meinem Wortschatz sowieso nicht vor“.

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