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Reinrassige Verbindung

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An einem Nachmittag im Mai 42 betrat Paula die Wohnstube in ihrem Elternhaus und nahm sofort die gespannte Atmosphäre im Raum wahr. Was war denn hier los, fragte sie sich. Dann sah sie ihre große Schwester Inge auf dem Sofa sitzen und bemerkte, dass bei ihr etwas nicht stimmen musste. Die bereits volljährige Ingeborg sah völlig verheult, ihr Vater Paul wütend oder zumindest sehr ernst und ihre Mutter richtig traurig aus. Die Stimmung konnte als gedrückt bezeichnet werden. Was war passiert?

Inge hatte den Fronturlaub ihres Bekannten Otto Freiherr von Berg dazu genutzt, sich heimlich zu verloben. Das war so weit in Ordnung. Wie bei vielen Männern im Kriegseinsatz war die Pause zwischen töten oder getötet werden kurz. Inges Freund war nur wenige Tage zu Hause und hatte es daher eilig, das Thema Verlobung und die anschließende Familiengründung voranzutreiben. Das war auch der Ungewissheit geschuldet, dass ein Wiedersehen nicht garantiert war. Otto wollte mit einer positiven Perspektive im Kopf, die ihm einen Grund zu überleben lieferte, wieder an die Front fahren. Das war mehr als verständlich.

Vater Paul hatte gegen die Beziehung seiner Ältesten nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Der hochgebildete und adlige Offizier des Brandenburger Baulehrbataillons z.b.V., der späteren Division Brandenburg, war ihm als Schwiegersohn sehr recht. Er und auch seine Frau Maria akzeptierten Otto und mochten ihn ohne Einschränkungen.

Was ihnen allerdings ganz und gar nicht gefiel, war, dass Otto und seine Verlobte, also ihre älteste Tochter Inge, die Hochzeitsnacht schon vorgezogen hatten. Bei allem Verständnis für die unwirkliche Situation in Kriegszeiten gab es moralische und gesellschaftliche Grenzen. Außerdem kam es, wie es schon so oft gekommen war. Der vorverlegte Vollzug der noch nicht geschlossenen Ehe war leider nicht ohne Folgen für die arme Inge geblieben, die gerade ihre Beichte vor ihren Eltern abgelegt hatte und jetzt als heulendes Elend vor ihnen saß. Ihr aufgeregtes Schluchzen war kaum zu ertragen.

Paula wurde in die Geschichte eingeweiht. Wenn nichts dazwischenkam, wurde sie Ende dieses Jahres Tante, rechnete sich Paula aus. So richtig freuen konnte sie sich jedoch nicht darüber. Arme Inge, dachte sie. Es gab allerdings etwas, was die zu Tode betrübte Inge nicht wusste und ihr auch nicht verraten wurde. Denn ihre Eltern waren auch mal jung und ebenfalls nicht moralischer als sie gewesen. Inge selbst hatte als Siebenmonatskind das Licht der Welt erblickt. Die Dinge wiederholen sich.

»Wie soll es jetzt bloß weitergehen?«, fragte Inge nach einigen stillen Minuten der Beruhigung, die nur ab und zu durch kurzzeitiges Aufheulen der Delinquentin unterbrochen wurden und schaute ihre Eltern halb fragend und halb um Hilfe flehend an. Ihr altes Leben als sittsame Tochter drohte gerade zu Ende zu gehen. Ihr Vater ergriff als erster mit ernster Stimme das Wort, um Sachlichkeit bemüht, aber verständnisvoll.

»Ein ungeschriebenes Gesetz sieht in dieser Situation vor, euch schnellstmöglich zu vermählen. Euer Malheur müssen ja nicht alle mitbekommen. Es sollte möglichst verheimlicht werden, sonst geht das große Gerede los.

Um euch beiden und uns als Eltern Peinlichkeiten zu ersparen, bleiben uns nur wenige Wochen Zeit. Da heißt es, schnell zu reagieren. Quasi unverzüglich!«

Es hätte die Familie Hirschmann sicherlich getröstet, wenn sie gewusst hätten, dass in Deutschland niemals mehr Siebenmonatskinder geboren wurden als während des Zweiten Weltkrieges. Ernsthaft gewundert hat sich niemand über diese Tatsache.

Vater Paul reagierte entsprechend seiner Ansage und wurde sofort am nächsten Tag aktiv. Etwas Eigeninteresse und noch mehr Mitleid mit seiner Erstgeborenen trieben ihn zur Eile. Er sendete ein Fernschreiben an das Kommandantenbüro des Leutnants Otto Freiherr von Berg in Berlin. Die Botschaft war nur ein wenig verschlüsselt.

Vertraulich persönliche Nachricht. Heimaturlaub blieb nicht ohne Folgen. Inge näht sich bereits Brautkleid und sammelt Papiere zusammen. Wann kann die Trauung stattfinden? Gruß Dein »Schwiegervater« Paul.

Ihm war bewusst, dass sie möglicherweise in diesen ungewissen Kriegstagen längere Zeit auf eine Antwort warten mussten. Was sie erst später erfuhren, war, dass Otto zu diesem Zeitpunkt bereits abgeordnet war und sich nicht mehr in Berlin befand.

Er war inzwischen mit einem streng geheimen Einsatz beauftragt worden und hielt sich in Nordafrika auf. Generalfeldmarschall Rommel, den alle nur den »Wüstenfuchs« nannten, benötigte seine hervorragenden Englisch-Kenntnisse im Feldzug gegen die Briten, hieß es.

Wie Paul auf penetrantes Nachfragen erfuhr, trieb sich Inges zukünftiger Bräutigam an einem unbekannten Ort in der Wüste Afrikas zwischen Alexandria und Kairo herum. Natürlich nicht freiwillig, sondern per Order. Er konnte diesen Einsatzbefehl selbstverständlich nicht verweigern.

So war das im Zweiten Weltkrieg. Eigentlich war das in allen Kriege so. Befehl war Befehl. Verweigerung bedeutete immer schon die Höchststrafe für den Betroffenen. Im Zweiten Weltkrieg hieß das Standgericht, also sofortige Exekution.

»Dann musst du wohl noch etwas auf deinen Otto warten, Ingemaus«, versuchte Maria ihre betrübte Tochter zu trösten.

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