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Kalle kommt ins Gleiten

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»Lauft schon ihr lahmen Schnecken. Schneller ihr faulen Säcke«, halb brüllend, halb lachend und angespannt vor Vorfreude auf seinen ersten Flug, versuchte Kalle seine Kumpel von der Segelschule, die sich nach Kräften bemühten, das 120 Kilogramm schwere Segelflugzeug zum Abheben zu motivieren, mit rauen Worten anzutreiben.

»Noch dreißig Meter, noch zwanzig, noch zehn«, zählte der junge Pilot, um seine Nervosität zu überspielen. Schweiß stand auf seiner Stirn und tropfte bereits auf sein Hemd. Im Geiste ging Kalle nochmals seine verinnerlichte Theorie durch. Jetzt den Steuerknüppel langsam ran ziehen. Die SG 38 ruckelte etwas und hob endlich langsam und behäbig ab. Kalles Puls schnellte nach oben, sein Herz pochte wie verrückt. Jetzt bloß den richtigen Moment erwischen, um das Auskupplungsseil zu betätigen, dachte er. Jetzt? Nein noch etwas warten. Jetzt aber, ausklinken und los!

Unter sich sah Kalle seine Seilmannschaft. Die Jungs jubelten, rissen die Arme nach oben und applaudierten voller Begeisterung. Sein erster Start war ihm geglückt. Nun glitt er gute zweihundert Meter in zehn Meter Höhe den Hang hinunter. Der Fahrtwind zerrte an seiner Fliegerbrille und der Steuerknüppel rüttelte in seinen Händen. Freude über den gelungenen ersten Versuch und Angst vor der Landung wechselten sich ständig ab. Sein Puls normalisierte sich, sein Herzschlag ging von Galopp über in langsamen Trab.

Einmal noch kräftig durchatmen und dann siegte das Glücksgefühl. Freude pur.

»Hurra, ich fliege«, schrie er und versuchte, das Rauschen des Fahrtwindes und das Klappern seines Gleitflugzeuges dabei zu übertönen. Nur er hörte sich brüllen, aber alle anderen am Boden konnten seine Gefühle nachempfinden. Weder von dem glitzernden Wasser der herrlichen Havellandschaft, die sich am Horizont zeigte, noch von den Kumuluswolken, die sich wie riesige Wattebäusche am Himmel tummelten, bekam Kalle etwas mit. Einfach nur auf das Fliegen konzentrieren, dachte er und atmete noch einmal tief durch. Entspanntes gleiten. Absolute Freiheit. Unendliches Glücksgefühl. Das Leben war schön!

»Der Flieger will nicht an der Erde kleben, wer fliegen kann, hat mehr vom Leben!«, hörte sich Kalle auf einmal laut sagen. Der Lieblingsspruch seines Segelfluglehrers Werner Müller, den er sicherlich bei Quax geklaut hatte. Komischerweise fiel ihm dieser Spruch genau in dem Moment ein, als sich die Nase seines Flugzeuges senkte und langsam anfing, sich in Richtung Grasnarbe zu bewegen. Hilfe, was nun?, fragte Kalle sich selbst. Wie war das noch mal? Ach ja, jetzt fiel es ihm wieder ein. Den Knüppel langsam und mit Jefühl nach hinten ziehen. Die Kiste in Balance halten und abwarten, bis es Rums macht. Es machte Rums und das Flugzeug vibrierte mit jedem Bauteil für einige lange Sekunden. Dann war plötzlich Ruhe.

»Erste Landung geglückt. Mensch und Maschine haben überlebt«, schallte es kurz darauf hinter ihm und die Pranke seines Fluglehrers landete mehrmals unsanft aber wohlwollend auf seiner Schulter. Kalles Seilmannschaft machte es dem Trainer sofort nach und sorgte für ernst gemeinte Anerkennung, aber auch vielen Andenken an seinen ersten Flug in Form von reichlich blauen Flecken. Mit den Worten »Heute Abend ist eine Runde fällig. Ihr seid alle eingeladen«, versuchte der junge Pilot die Truppe zu besänftigen.

Im Anschluss durfte Wolle es seinem besten Freund nachmachen. Jetzt musste Kalle beim Laufstart des Übungsgleiters das lahme Zugpferd spielen und die SG 38 in die Luft katapultieren. Anstrengung pur. Schweißausbrüche waren dabei unvermeidbar. Blasen an den Händen vom Halten des Zugseils auch. Fliegerschicksal.

Nach etwa zehn Minuten war die nächste Runde für den erfolgreichen Erstflug fällig. Noch etliche folgten und es wurde auf diese Weise ein lustiger Abend, an dem niemand an den Krieg dachte und Politik kein Thema war. Jeder der Jungs war einfach stolz und glücklich und sogar etwas dankbar, in der Flieger-Hitlerjugend sein zu dürfen. Dank der Flieger-HJ würde es Kalle sicher schaffen und Flieger werden, wie tausend andere vor ihm und genauso viele nach ihm. Die meisten von ihnen, die zu Piloten der deutschen Luftwaffe ausgebildet wurden und in den Krieg zogen, überlebten den grausamen Zweiten Weltkrieg nicht.

Kalle wusste zwar, dass Krieg kein Abenteuerspiel war, hielt an seinem Traum vom Fliegen jedoch fest und nahm sich vor, noch in diesem Jahr die vorgegebenen 30 Schulflüge für die A-Prüfung zu schaffen.

Dann käme er seinem Traum von der ME 109 ein großes Stück näher.

»Ich werde der legitime Nachfolger von Mölders werden«, versicherte er seinem Freund Wolle.

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