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Unabkömmlich bis zum Sieg

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Eine Woche später erreichte sie ein Fernschreiben des Leutnants Otto Freiherr von Berg:

Bin in einem besonderen Einsatz, unabkömmlich für unbestimmte Zeit, alles soll trotzdem seine Ordnung haben, schlage Ferntrauung vor. Kümmer mich um die vorgesetzten Stelle. Meine Eltern informiere ich, sie kommen aus Uckermark nicht raus und erst zur kirchlichen Trauung.

Heil Hitler

Otto

P. S.: Holen kirchliche Trauung so bald wie möglich nach!

Die große Enttäuschung war Paulas Schwester anzusehen. Auf diese Weise hatte Inge sich nicht vorgestellt, den Bund fürs Leben einzugehen.

»Romantisch ist das nicht gerade«, sagte sie mehrmals laut vor sich hin und unterdrückte dabei ihre Wut und Enttäuschung. Ihre Wut auf den Krieg, auf Hitler und auf ihren Zukünftigen. Wobei beim Letztgenannten die Enttäuschung überwog. Erst nach einem langen Gespräch mit ihrer Mutter sah sie ein, dass es keine andere Möglichkeit gab, ihr zukünftiges Kind zu legalisieren und nicht als uneheliche Mutter abgestempelt zu werden. Es musste also eine Ferntrauung sein. Was auch immer das zu bedeuten hatte und welche Konsequenzen damit verbunden waren. Inge ging am nächsten Tag wieder gemeinsam mit ihrer Mutter zum Standesamt.

Der Beamte erkannte beide sofort wieder und begrüßte zuerst die zukünftige Braut mit den Worten:

»Na Madamchen, hammse alle Papiere zusammen?« Inges Nicken wertete er als Zustimmung, sodass er fortfuhr. »Dann kann es ja losgehen mit dem Heiraten.«

Inge klärte ihn über die besonderen Umstände der Trauung auf:

»Es gibt ein Problem. Mein zukünftiger Mann ist unabkömmlich an der Front in besonderem Einsatz und bekommt in absehbarer Zeit keinen Heimaturlaub. Er hat eine Ferntrauung vorgeschlagen. Das ist so wahrscheinlich leider das Beste. Die Heiratsgenehmigung seines Bataillonskommandeurs hat er bereits bekommen und sendet diese per Post an uns. In spätestens zwei Wochen liegt mir alles vor. Jetzt möchte ich einen Termin für die Trauung hier im Standesamt abstimmen. Würden sie mir bitte dabei helfen?« Der Behördenangestellte schaute sie nachdenklich an, bevor er antwortete.

»Sie sind in dieser Woche schon die vierte junge Frau, die eine Ehe in Abwesenheit des Mannes schließen möchte«, dann sah er sie plötzlich richtiggehend betroffen an und ergänzte, als ob er laut mit sich selbst sprechen würde:

»Eine dieser Trauungen wird sogar eine postume Eheschließung werden. Das hatte ich Gott sei Dank auch noch nie. Der Bräutigam ist bereits vor einem Monat in Russland gefallen. Eine schreckliche Sache für diese arme Frau. Aber wir leben ja in schrecklichen Zeiten.« Nach einer kurzen Pause wandte er sich wieder Inge zu.

»Da haben sie es ja zumindest etwas besser, Fräulein Hirschmann. Kopf hoch! Wenn der Krieg vorbei ist, wird alles gut.« Diese Bemerkungen munterten Inge nicht gerade auf, sondern führten zu noch mehr negativen Bildern in ihrem Kopf. Eine postume Eheschließung hörte sich nicht schön an. Hoffentlich blieb ihr wenigstens das erspart, dachte sie und tupfte sich bei diesen Gedanken vorsichtig einige unvermeidbare Tränen aus ihren Augenwinkeln. Nachdem die weiteren Details besprochen waren, legten sie den 20. Juli 1942 als Termin für die Trauung fest und verabschiedeten sich.

Ottos Heiratsgenehmigung erreichte Brandenburg rechtzeitig Mitte Juni und Inge ging zusammen mit Paula zum Postamt, um das Einschreiben abzuholen. Inge freute sich, als sie das Dokument in ihren Händen hielt.

»Nun wird alles gut Schwesterherz«, sagte sie strahlend zu Paula.

»Ja«, antwortete Paula. »Ich kann mich jetzt ja offiziell freuen, Ende des Jahres Tante zu werden. Einen Strampler werde ich dir auch stricken. Die Frage ist nur, welche Wolle ich besorgen soll. Rosafarbige oder blaue?«

»Nimm am besten Gelbe«, erwiderte Inge glücklich bei dem Gedanken an ihr zukünftiges Baby in sich hineinlächelnd. Ob ihr Kind wohl mehr nach Otto oder ihr kommen würde, überlegte sie weiter.

Dreitausend Kilometer Luftlinie entfernt in der ägyptischen Wüste bei Al-Alamain wurden fast identische Gedanken gedacht. Otto träumte in der schweißtreibenden Hitze Afrikas von seiner Braut Inge, seiner Hochzeit mit allem, was dazugehörte, seinem Sohn oder seiner Tochter, einer richtigen Familie und einem schönen Haus im Grünen. Kurz gesagt: einer wundervollen Zukunft in Deutschland. Sein Blick wanderte dabei langsam über die unendlichen Sanddünen, blieb an den getarnten Panzern hängen und wanderte schließlich hin zu den eng zusammenstehenden Mannschaftszelten. Ein Stückchen weiter, im Schatten einer Düne, stand ein deutlich größeres Zelt. Es war die Kommandozentrale von Generalfeldmarschall Erwin Rommel, dem Wüstenfuchs. Die Wärme war für alle unerträglich, die Vorräte schrumpften zusehends und die Kräfte und die Motivation der überwiegend sehr jungen Soldaten ließen von Tag zu Tag nach. Otto döste etwas und träumte mit geschlossenen Augen weiter. Wie schön wäre es jetzt, in einem Lokal an der Havel zu sitzen und sich ein gut gekühltes Bier zu gönnen. Oder zwei. Sobald er wieder in der Heimat wäre, würde er das nachholen. Visionen eines Befehlsempfängers.

In Brandenburg betrachtete sich Inge in dem großen Standspiegel im Flur. Ihr Bauch war nicht mehr zu übersehen. Das Brautkleid war zum Glück auf Vorrat passend genäht, das Essen und die Getränke für eine kleine Feier deponiert und die ganze Familie Hirschmann sehnte das Datum der Trauung herbei. Die zukünftige Braut wurde von Tag zu Tag nervöser. Paula fand alles einfach nur spannend, die werdende Oma strahlte Gelassenheit aus und der werdende Opa war sowieso die Gelassenheit in Person. Paul war die Ruhe selbst. Es war ja alles geregelt und somit gab es keinen Grund zur Nervosität.

Am Tag der Trauung hatten sich alle, wie es sich gehört, festlich angezogen und gingen zu Fuß die belebte Adolf-Hitler-Straße entlang zum »Altstädter Rathaus«. Bereits beim Öffnen der imposanten mit Eisen beschlagenen Rathaustür zuckte Inge zusammen und wollte sich am liebsten umdrehen und weglaufen. Die Beklemmung, die sich wegen der Abwesenheit Ottos seit Wochen verstärkt bemerkbar machte, wurde von allen, so gut es ging, ignoriert. So standen sie rechtzeitig vor dem Trauzimmer und brauchten nicht lange zu warten. Beim Betreten des tristen Raumes fiel ihr Blick auf die bereitgestellten Stühle. Inge erstarrte. Auf dem Platz ihres fehlenden Bräutigams lag ein Stahlhelm, der wohl die Abwesenheit des zukünftigen Ehemanns symbolisieren sollte. Inge war einer Ohnmacht nahe, konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken und nahm erschüttert neben diesem kalten Kriegssymbol Platz. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie den Standesbeamten schluchzend. Der schüttelte den Kopf und antwortete:

»Das ist leider Vorschrift und hat in Ihrem Fall nichts zu bedeuten. Sie brauchen keinen Schreck zu bekommen. Alles ist in Ordnung. Ihrem zukünftigen Mann ist nichts passiert.«

Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, wurde die Zeremonie so fortgesetzt, als ob Braut und Bräutigam, die Trauzeugen und die Familienangehörigen sich wie üblich vor dem vollziehenden Beamten versammelt hätten. Als Platschke den kompletten Text der Heiratsgenehmigung vorgelesen hatte, wurde Inge direkt gefragt, ob sie mit Otto Freiherr von Berg die Ehe eingehen und als gemeinsamen Familiennamen den Nachnamen ihres Ehemannes tragen wollte. Nach Inges Zustimmung, einem deutlich zu vernehmenden »Ja«, ihrer erstmaligen Unterzeichnung mit Ingeborg Freifrau von Berg und den Unterschriften ihrer Eltern als Trauzeugen, war die Trauung besiegelt und vollzogen.

Das Familienstammbuch wurde mit dem Vermerk »Ehe in Abwesenheit des Mannes geschlossen« versehen und an Inge mit höflicher Gratulation verbunden, überreicht.

»Stammbuch der Familie von Berg«, las die jetzt junge Ehefrau laut vor.

Erst jetzt durften alle Anwesenden die Braut beglückwünschen.

»Das war ja kurz und schmerzlos«, konnte sich Paul Hirschmann nicht verkneifen. »Aber am Ende wird doch immer alles gut. Ganz sicher. Ende gut, alles gut, wusste schon der alte Shakespeare.« Über diese aufheiternde Bemerkung des sonst so gestrengen Familienoberhauptes schmunzelten die drei Damen und Inge entlockte es sogar ein leichtes Lachen.

»Ja«, sagte Paula. »Alles wird gut«, lachte ebenfalls leise und dachte an ihren Kalle.

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