Читать книгу Jugenddiebe - Claus D. Zimmermann - Страница 19

Schulkurzschluss

Оглавление

Immer wenn Rektor Hinzpeter mit hochrotem Kopf und eiligen Schrittes das Klassenzimmer betrat, zuckten alle zusammen und bemühten sich, nicht in seine Richtung zu schauen. Alle blickten betreten auf die Bücher vor sich und vermieden jegliche Auffälligkeit. Champignonstrategie: Der Kopf, der herausschaute, wurde geköpft. Höchste Alarmstufe, dachte auch Paula sofort.

»Meine Damen und Herren, ich habe ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen«, verkündete Rektor Hinzpeter, Urgestein der neustädtischen Realschule und hundertprozentig überzeugter Nazi, mit wichtiger Miene.

»In Friedenszeiten hätten Sie von heute an noch sechs Monate Zeit bis zu Ihrer Abschlussprüfung der Mittleren Reife. Nun leben wir gemeinsam in besonderen Zeiten, die ebensolche Maßnahmen benötigen. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, unterrichten im November 42 an unserer Schule von den ehemals 60 Lehrerinnen und Lehrern nur noch 18 Kräfte. Der Rest unterstützt unser Vaterland an der Front oder wurde anderweitiger Nutzung zugeführt. Daher mussten wir Ihren Lehrplan anpassen, ihn dramatisch kürzen und auf weniger relevante Fächer verzichten. Auf der anderen Seite wartet auf Sie die Arbeitsfront, die laut Reichsarbeitsdienst dringend jede, also auch ihre Unterstützung benötigt. Seien Sie stolz darauf, unserer Heimat dienen zu dürfen. Wir haben daher beschlossen, ihre Prüfung auf den 18. November vorzuverlegen. Das ist der Buß- und Bettag, an dem sonst schulfrei wäre, damit Sie und die involvierten Lehrkräfte auf diese Weise den Tag sinnvoller nutzen. Als einziges Fach wurde neben Deutsch und Mathematik die aktuelle deutsche Geschichte als prüfungsrelevant bestimmt. Ich gehe davon aus, dass jeder von Ihnen diese drei Bereiche aus dem Effeff beherrscht und in drei Wochen seine Schulzeit erfolgreich abschließt.«

Mit einem zackigen »Heil Hitler« und militärischem Knallen der Hacken verließ der Schulleiter das Klassenzimmer. Dort hinterließ Hinzpeter eine graue Wolke der Ratlosigkeit. Durfte man sich freuen oder sollten die Schülerinnen und Schüler eher betroffen sein? Alle sahen sich fragend an und brauchten eine längere Bedenkzeit, um den Auftritt ihres obersten Lehrers zu verdauen. Paula ergriff, da sie die Klassensprecherin war, als Erste das Wort.

»Leute, wir müssen das Beste daraus machen. Wir sollten schon ab morgen gemeinsam anfangen, zu pauken«, schlug sie vor. »Die guten Schüler unterstützen dabei die Schwächeren. Dann schaffen wir es alle. Bereits in drei Wochen ist die Penne für uns vorbei. Das ist doch herrlich, oder?« Allgemeiner Jubel brandete auf und bestätigte Paulas Ansage. Der Vorschlag war hiermit angenommen.

In den nächsten Wochen hatte Paula voll mit ihrer Prüfungsvorbereitung zu tun und leider keine Möglichkeit, sich mit ihrem großen Blonden zu treffen. Das betrübte sie, aber sie dachte oft an ihn. »Mein lieber Kalle«, schwärmte sie hin und wieder etwas zu laut und irritierte damit ihre Mitschülerinnen. Egal. Die wussten natürlich Bescheid und lächelten verständnisvoll. Die drei Wochen verflogen rasend schnell und der Tag der Wahrheit, also der Prüfungstag, war plötzlich da. Die Schriftliche war nicht allzu schwer für Paula, die Mündliche meisterte sie auch mit Leichtigkeit. Sie war ja wortgewandt und konnte gut improvisieren. Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit hieß ihre oft praktizierte Devise. Bereits Ende November wurden die Ergebnisse verkündet. Alle hatten die Mittleren Reife erfolgreich bestandenen und wurden nun ins Leben, genauer gesagt an die Heimatfront, entlassen. »Es geht eben nichts über eine gute Vorbereitung«, lobte Paulas Vater sie, als sie ihrer Familie ihr Zeugnis präsentierte und stellte die unvermeidbare Frage:

»Und was willst du jetzt machen?« Diese Frage hatte Paula erwartet. Sie hatte aber keine eindeutige Antwort parat.

»Ich überlege es mir noch«, war ihre ausweichende Erwiderung.

Was sie nach ihrem Schulabschluss beruflich machen sollte, wusste Paula wirklich noch nicht. Viele Möglichkeiten wurden ihr 1942 nicht geboten.

»Wahrscheinlich werde ich eine Lehre im Hotelfach bei befreundeten Hoteliers oder bei meinem Vater machen«, erzählte sie ihren Mitschülerinnen.

»Aber mal sehen, ob sich noch etwas Besseres findet«, ergänzte sie im nächsten Moment.

Jugenddiebe

Подняться наверх