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Wer das Abenteuer sucht, braucht nur ein paar Rechnungen nicht pünktlich zu zahlen.

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(Anonym)

Mein Sohn machte große Augen. »Dann hast du eine Weile bei den Spielleuten gelebt? Kannst du auch jonglieren?«

»In der Tat. Mit Telekinese sogar freihändig. Ich glaube so manches Kind wünscht sich, wenn es den Zirkus besucht, einmal genauso zu sein, wie die Artisten, und ebenso zu leben. Nun ja, wir lebten nicht gerade wie die Maden im Speck und konnten froh sein, wenn für uns ein paar Münzen abfielen. Du musst dir vorstellen, die Siedlungen waren damals weit gestreut und hatten nur in etwa zweihundert Bewohner. Und da ich der Kleinste der Truppe war, bettelte ich mit großen Kinderaugen vor allem die Frauen um Brot und Getreide an. Viele hatten Mitleid und steckten mir dann und wann ein Ende von einer Wurst, oder etwas Käse zu. An glücklichen Tagen gab es sogar ein Stückchen Honigkuchen. Selbstverständlich wurde alles brüderlich untereinander aufgeteilt. Zudem lehrte mich Bento wie man jonglierte, auf den Händen ging und - davon war ich ziemlich begeistert - präzise Messer zu werfen. Natürlich brachte ich mich in die Truppe ein und trat mit ihnen auf, um anschließend mit der Mütze umherzuwandern und unseren Lohn einzufordern. Luigi beneidete ich ganz besonders. Irgendwann wollte ich mal genauso stark sein wie er. Er konnte mit bloßen Händen Hufeisen verbiegen. Auf eines war ich jedoch besonders stolz: Ich durfte sogar nachts im Wagen schlafen. Eigentlich dachte ich, die schöne Galatea würde mit mir das Bett teilen, doch seltsamerweise schlief sie meistens tagsüber, bis wir die nächste Siedlung erreichten. Sie behauptete, sie sei eine Nachteule und wäre gerne lange wach. Deshalb sei sie lieber nachts unter freiem Himmel. Zudem hatte sie noch eine seltsame Marotte: Niemals sah ich sie irgendetwas essen. Nun ja, jedem das Seine. Ich wusch, kochte und putzte für die Truppe. Sie akzeptierten mich, ganz so, wie ich war. Sie versuchten nicht, mich umzuerziehen, oder an mir herumzunörgeln, oder gar mit einem bespuckten Taschentuch an meinem Gesicht herum zu reiben. Ich durfte rülpsen, furzen und in der Nase bohren.«

»Hey! Wieso darf ich das dann nicht?«, fragte Agnir.

»Wenn du Geld verdienst, kannst du nochmal anfragen!«

»Okay, das könnte noch ein Weilchen dauern. Erzähl doch bitte weiter!«, drängte er.

Manchmal fühlte ich mich allerdings ein wenig zerrissen. Selbstredend wollte ich wieder nach Hause zu meiner Mutter und meinen Geschwistern. Nichts wünschte ich mir sehnlicher; selbst wenn mein Vater ein Donnerwetter auf mich niederregnen lassen würde. Vielleicht wüsste Numa, das mich erwartende Unheil zu verhindern, das hoffte ich jedenfalls. Trotzdem stand nicht hundertprozentig fest, dass ich dort auch wirklich bleiben dürfte. So gesehen drohte mir, wieder nach Uppsala zurückgeschickt zu werden. Immerhin hatte ich meinem Vater wenig Ehre gemacht, und da ich gegen seinen Willen handelte, konnte ich ernsthaft damit rechnen, von ihm verstoßen zu werden.

Andererseits machte es mich ein wenig traurig, meine neu gewonnenen Freunde irgendwann verlassen zu müssen. Aber was will man machen? Leider kann man nicht alles haben, auch wenn man es sich noch so sehr wünscht. Falls mein Vater mich verstieß, würde ich die Truppe suchen und mich ihnen wieder anschließen. Das war zumindest eine annehmbare Option.

Am Lagerfeuer erzählte mir das Trio fantastische Geschichten darüber, was sie schon alles erlebt hatten. Selbst am Kaiserhof in Aachen gaben sie eine Vorstellung.

»Und wie ist der Kaiser Karl so? Ich hörte, er schlachtet Heiden ab!«, wollte ich unbedingt wissen.

»Was glaubst du wohl? Wären wir hier, wenn wir keine treuen Christenleute wären? Der Kaiser war nobel in Gold und Purpur gekleidet und ist wirklich ziemlich groß. Na ja, sonst würde er wohl kaum Karl der Große heißen!«, beschied Bento, der selbst kaum größer als eins fuffzig war.

Luigi brummte. »Er fand uns amüsant, gab uns zu essen und warf uns ein paar goldene Münzen zu.«

»Echt? Ihr seid Christen?«, fragte ich ungläubig. Bisher sah ich noch niemals welche. Außer eben die geopferten Mönche, oder unsere Mathilda.

»Natürlich, nur spielt der Glaube bei uns keine große Rolle«, nickte Bento. In meinen Augen war er sowieso ein geflohener Zwerg, der nichts vom Graben hielt.

»Aha. Stimmt es, dass Karl der Große in einem Haus aus Stein wohnt?«, fragte ich neugierig.

Galatea nickte. »Nun, ich würde es nicht als Haus bezeichnen. Es ist seine Kaiserpfalz. Er ließ dort eine große Kapelle erbauen, mit einem achteckigen Innenraum, einem Oktogon.«

Das war mir dann doch ein wenig zu kompliziert, mir so etwas auch nur ansatzweise vorzustellen. Stattdessen meldete ich mich zum Matratzen-Horchdienst und ging in den Wagen.

Eine Frage bewegte mich immerzu. Was sollte ich nur ohne meine schöne Galatea machen?

Eines Tages nahm ich mir ein Herz und fragte, ob sie meine Frau werden wolle. Natürlich war ich mit meinen acht Jahren viel zu jung, aber fragen kostet schließlich nichts. Außerdem würde ich ohnehin bald neun Jahre alt werden. Quasi schon ein Mann in den besten Jahren.

Statt mich auszulachen, nahm sie meine Hand und legte sie in ihre kühle eigene. »Mein lieber Ragnor. Ich fühle mich wirklich geschmeichelt, da du der Erste bist, der mich so etwas Ehrenvolles fragt. Leider muss ich dein Angebot ablehnen, da du viel zu jung für die Ehe bist. Hör mal, wenn du im passenden Alter bist, bin ich viel zu alt für dich. Eines Tages wirst du ein nettes und hübsches Mädchen finden, in das du dich unsterblich verliebst. Dann wirst du mich vergessen!«, sagte sie und gab mir einen kühlen Kuss auf die Stirn.

»Hm, schade«, entgegnete ich geknickt. »Aber nein! Ich werde dich niemals vergessen!«, gelobte ich und gab ihr ganz dreist einen Kuss auf den Mund. Danach hatte ich den ganzen Tag ein seltsam taubes Gefühl auf den Lippen. Ich fragte mich, woran das wohl liegen mochte. Vielleicht war sie doch nicht die Richtige für mich?...

Aus dem Frühling wurde ein schöner, warmer Sommer. Da wir in den Siedlungen übernachteten und in aller Frühe aufbrachen (aus gutem Grund, denn wir klauten nämlich alles, was nicht niet-und nagelfest war), kamen wir recht flott voran. Je weiter westlich uns der Weg führte, desto salziger wurde die Luft und anstrengender die Strecke. Wir hatten das Gefühl, als müssten wir stets nur bergauf fahren. Die dicke Lulu tat ihr Bestes. Trotzdem schnaubte sie, als sei sie am Ende ihrer Kräfte. So spannten wir die brave Stute aus und führten sie am Zügel. Stattdessen zog Luigi für eine Weile den Wagen. »Das macht mir überhaupt nichts aus!«, behauptete er. »So bleibe ich in Form!«, brummte der stärkste Mann der Welt. Zumindest behauptete er, er sei der stärkste Mann der Welt.

Spät abends erreichten wir letztendlich Heimdal, einen kleinen Ort vor Niðaróss. Uns fiel sofort auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Hier war der Teufel los. Dort, wo sich die Siedlung meines Onkels befand, standen überall Zelte, Wagen und Pferde drumherum. Üppig aufgeschichtete Lagerfeuer brannten; es wurde gekocht, gegessen und getrunken. Im Fjord dagegen lagen unzählige, vertäute Langschiffe. Der Anblick war schier atemberaubend. Mir war so, als stünde ein großer Krieg bevor. Nie zuvor sah ich so viele kampferprobte Krieger.

Neugierige Blicke streiften unseren auffälligen Rummelwagen. Und da wir ebenfalls hungrig waren, starteten wir sogleich unsere erste Vorführung.

»In Ordnung, Ragnor. Geh, und sprich du bei deinem Onkel vor!«, befahl Bento. »Und lass dich nicht fressen, du halber Hahn. Wenn du deinen Onkel erreicht hast, gib Bescheid, wir kommen dann nach«, sprach´s und führte mit Alter Ego zur Belustigung der anderen, seine Bauchredner-Nummer auf.

Es war nicht einfach, für so einen kleinen Knopf wie mich, durch das Labyrinth des Lagers bis zur Festung meines Onkels vorzudringen. Sehr zu meinem Missfallen, war das Tor der Siedlung geschlossen. Zudem hoffte ich, dass es sich hier nicht um eine feindliche Belagerung handelte. Demgemäß fragte ich den nächstbesten Krieger, der mit einem Trinkhorn voll Met vor einem wärmenden Feuer stand.

»Hallo?«, fragte ich. »Was ist denn hier los? Warum sind all die vielen Krieger hier? Gibt es Krieg?«, wollte ich wissen.

»Unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen?«, grunzte der Recke abwertend. »Hier findet morgen das Ting statt. Und jetzt verschwinde, Rotznase, oder es setzt was!«, brummte der Kerl und schüttete sein Met in sich hinein.

Aha, das Ting. Glücklicherweise keine feindliche Belagerung, sondern eine Ratsversammlung. Ich fragte mich, was der Grund dafür sei. So trollte ich mich und versuchte Einlass in die Festungsanlage zu bekommen. »Hallo, lass mich rein. Ich will zu meinem Onkel!«, sagte ich zu dem Krieger, der das Tor bewachte.

»Verschwinde, Kleiner! Ich will auch so vieles!«, trat er nach mir. So artistisch geschult, wie ich war, wich ich ihm gekonnt aus, was ihm wiederum ein mürrisches Knurren entlockte.

Ich ließ mich nicht abschütteln. »Nein, ich geh nicht! Ich bin den weiten Weg nur für ihn gekommen! Lass mich sofort zu meinem Onkel!«, forderte ich ungeduldig.

Der große Kerl wirkte ein wenig gestört und zudem tierisch gelangweilt, ließ seinen Blick über die Lager schweifen, tat so, als sei ich Luft und sah dann, wie rein zufällig, wieder zu mir. »Ach, hab mich doch nicht geirrt, da war doch ein Geräusch. Bist ja immer noch hier! Muss dringlich sein, wie? Na schön, du Floh… Und wer ist dein Onkel?«

»Ásgrímur Thoraldson«, antwortete ich daraufhin. »Ich war im Frühjahr mit meinem Vater hier! Dich habe ich auch gesehen. Du heißt Einar, oder Steinar Magnusson«, erzählte ich ihm in der Hoffnung, er würde sich ebenfalls an mich erinnern.

Darin hatte ich mich weitestgehend getäuscht. Er schüttelte seinen ungepflegten Kopf, dass die Kopfläuse flogen: »Nee, kann mich nicht an dich erinnern. Meinst du, ich bin beeindruckt, nur weil du meinen Namen kennst? Den kann dir einer von unseren Leuten gesagt haben. Na, gut. Wer bist du denn? Und wer ist dein Vater? Bist du etwa ein Bankert von diesem dicken, unnützen Hackbart?!«, fragte er abfällig.

»Nein, ich bin Ragnor, Sohn von Skryrmir Einauge!«

»Klar, und ich bin Heimdall, und das, hinter mir, ist Bifröst, die Regenbogenbrücke!«, grunzte er genervt.

Und ich verstand die Welt nicht mehr. Warum glaubte mir niemand, dass ich Ragnor, und Skryrmir mein Vater sei. Ich fühlte mich nach Strich und Faden verarscht, und trat deprimiert den Rückweg zu unserem bunten Wagen an.

Inzwischen war Luigi dran. Indes schien seine kraftvolle Vorführung die stolzen Krieger förmlich zu provozieren. Nun ja, irgendwie kein Wunder. Befeuert vom Adrenalin, berauscht vom Met und mit der Mehrheit im Rücken, fühlten sie sich stark genug, um sich mit Luigi anzulegen.

Ein torkelnder Nordmann versuchte Luigi das Hufeisen wegzunehmen. Luigi ließ es los, und der Betrunkene verschwand mit viel Schwung von der Bildfläche. Damit hatte Luigi schon mal die Lacher auf seiner Seite. Allerdings ließ sich der Störenfried davon nicht kopfscheu machen. »Obacht!«, sagte er und zeigte auf das erbeutete Hufeisen. »Alle Blicke auf mich. Das, was dieser Kerl kann, das kann ich schon lange! Ich verbiege jetzt dieses Hufeisen!«, versprach er großspurig.

Nun war ich wirklich gespannt. Denn Luigi behauptete stets, er sei der stärkste Mann der Welt.

Der Betrunkene fasste mit jeweils einer Hand ein Ende des Hufeisens. Dann startete er seinen Versuch, den Pferdeschuh auseinander zu biegen. Sein Gesicht wurde puterrot und die Adern an seinen Schläfen und dem Hals quollen hervor. Er versuchte es mit Luft anhalten, und dann wieder mit kontrolliertem Atmen, doch nichts half. Er stöhnte, zog und drückte, bis er plötzlich einen lauten Furz ließ.

»Oh Mann, Aegir! Hörte sich an, als sei schon ein bisschen Land mitgekommen, wie? Lass gut sein und zieh dir lieber eine frische Hose an!«, rief ein großer Kerl, der dem armen Aegir ziemlich ähnlich sah. Wahrscheinlich war er dessen Bruder. Die Nordmänner um uns schlugen sich vor Lachen auf die Schenkel und warfen großzügig mit Münzen, weil sie sich wunderbar unterhalten fühlten.

Aegir nahm zum Glück den Rat seines mutmaßlichen Bruders an und klopfte unserem Luigi aufmunternd die Schulter: »Nichts für ungut!« Selbstverständlich bekam Luigi sein Hufeisen zurück, das er daraufhin mit Leichtigkeit verbog. Er erntete wieder wohlverdienten Applaus und der Geldregen ging erneut auf ihn nieder. Eins musste ich neidvoll zugeben, geizig waren diese mutigen Kämpfer jedenfalls nicht.

Bento tippte auf meine Schulter. »Hey, was ist los? Gibt´s Probleme? Wolltest du nicht zu deinem Onkel Ásgrímur?«, fragte er neugierig und musterte mich dabei kritisch.

Die Antwort war mir ein wenig peinlich, weil es den Anschein erweckte, als sei ich ein Aufschneider und hätte die Truppe über meine Herkunft belogen. »Der Kerl am Tor meinte, er würde mich nicht kennen. Er ließ mich nicht rein!«, biss ich mir schmollend auf die Lippe.

Bento reagierte nicht so, wie ich es vermutet hatte: »Na, na, Ragnor. Kein Problem. Wir sind Artisten. Für uns gibt es keine Schwierigkeiten - wir lösen sie. Wir kommen überall rein, sogar hinter die Linien! Kopf hoch!«, munterte er mich auf, indem er mir Alter Ego unter das Kinn knuffte. Sofort schöpfte ich wieder ein wenig Hoffnung.

Wieder schaute ich mich um: »Worum geht es hier eigentlich? Du musst wissen, die Erwachsenen halten uns Kinder für Idioten. Mir haben sie nicht verraten, wieso sie überhaupt hier sind. Nur, dass morgen das Ting abgehalten wird.«

»Soweit mir berichtet wurde, geht es um eine Abstimmung, nämlich ob sie gegen König Gødrik in die Schlacht ziehen, oder eben nicht. Er muss irgendetwas fürchterlich Blasphemisches getan haben, so wie hier alle auf Krawall gebürstet sind«, berichtete Bento kopfschüttelnd.

»Äh, was ist Blasphemisch?«, wollte ich wissen.

»Ihr Heiden…«, verdrehte er die Augen. »Blasphemie ist, wenn jemand gegen heilige Gesetze verstößt«, erklärte er.

»Aha! Was hat er denn...«

Weiter kam ich nicht, weil ein Horn ertönte. Von unserer Anhöhe konnten wir erkennen, wie mehrere Langschiffe in den Fjord einliefen. Sofort ertönte ein Lärm, der es uns nicht mehr ermöglichte, eine vernünftige Unterhaltung zu führen. Alle Anwesenden schlugen mit ihren Schwertern oder Äxten auf ihre Schilde. Speerträger stampften mit den Speerschäften auf den Boden. Dabei riefen sie ununterbrochen: »Krieg, Krieg, Krieg…«

Offensichtlich stand ihr Entschluss bereits fest.

Ein Langschiff hatte ein besonders auffälliges Segel; ein riesiger roter Drache prangte darauf. »Das ist das Boot meines Vaters und mein Onkel ist auch dabei!«, rief ich hocherfreut und rannte ohne zu zögern zum Anleger hinunter. Wieder einmal schien das Pech recht zähflüssig an mir zu haften, denn es gab kein fortkommen. Alles drängte sich, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Dabei machten sie immerzu diesen ohrenbetäubenden Lärm. Ich wollte mich bis in die erste Reihe durchdrängeln, doch so ein ungehobelter Kerl schlug mir mit der Faust ins Gesicht. Taumelnd fiel ich auf den Hosenboden. So schnell es ging, rappelte ich mich wieder auf, um durch die Beine der Umstehenden zu krabbeln, jedoch packte mich jemand am Gürtel - und unversehens fand ich mich in den hinteren Reihen wieder.

»Papa! Papa!«, rief ich immer wieder. Nur konnte er mich bei diesem Lärm nicht hören. Zum Glück reagierte meines Vaters Hund auf mich. Er bahnte sich wedelnd seinen Weg durch die Menge. »Hey, Hati!«, rief ich erfreut. Doch dann ertönte ein schriller Pfiff. Daraufhin klemmte der Hund den Schwanz ein und machte schleunigst kehrt. »Oh, Mann! Das glaube ich doch nicht! Scheiß die Wand an!«, fluchte ich. Schnell versuchte ich Anschluss zu finden, winkte, hüpfte und bemühte mich redlich, zu meinem Vater vorzudringen, wurde aber dabei von seinen Gefolgsleuten abgedrängt. Und dann erreichten sie die Festung - und die Tore schlossen sich hinter ihnen. Bedrückt wanderte ich wieder zum Rummelwagen.

»Und? Hast du deinen Vater gesehen?«, fragten Bento und Luigi. Sie nickten verschwörerisch Richtung Wagen. Galatea hatten wir vorsichtshalber in der Kutsche versteckt, da wir sie nicht einem Haufen betrunkener Wikinger ausliefern wollten.

Wir kletterten in den Wagen, um uns in Ruhe zu besprechen. Ich war am Boden zerstört, weil ich das Gefühl hatte, das Schicksal wolle unbedingt verhindern, dass ich zu meinem Vater gelangte. Galatea legte tröstend ihre Arme um mich. Die Nähe tat mir gut. Trotzdem hatte ich nichts Positives zu vermelden: »Ich habe meinen Vater und auch meinen Onkel gesehen. Nur haben mich die anderen nicht an sie herangelassen. Sie tobten wie die Verrückten. Meinen Vater habe ich beinahe nicht wiedererkannt. Von zuhause kenne ich ihn als gelösten und freundlichen Mann, aber hier erschien er mir völlig fremd. Gänzlich anders, so gravitätisch und streng. Sie haben ihn begrüßt wie einen König. Ich bin total verwirrt und habe, ehrlich gesagt, ein bisschen Bammel, wie er reagieren könnte, wenn er mich sieht!«, gab ich zu.

Galatea klopfte mir aufmunternd die Schulter. »Kopf hoch, Ragnor. Wir hätten es schlimmer erwischen können. Stell dir mal vor, diese Kerle wären alle Feinde deines Vaters.«

Sie wandte sich an die Herren. »Bento, wir fahren bis vor das Tor der Festung. Wenn wir da sind, werde ich aussteigen und vorschlagen, die hohen Herren zu bespaßen. Also, lasst uns losfahren!«, schlug sie optimistisch vor.

»Wie du wünscht, meine Schöne«, sagte Bento und verschwand durch die Wagentür, nahm Lulus Zügel auf und schon rumpelten wir los.

»Der Typ am Tor, er wird mich wiedererkennen und nicht reinlassen!«, befürchtete ich.

»Ach, was!«, sagte Galatea, setzte mir Bentos Ersatz-Narrenkappe auf, stopfte mein langes, rotes Haar darunter und schminkte mein Gesicht mit weißer Paste; malte mir schwarze Rauten über die Augen und schmierte rote Farbe auf meine Lippen. Fehlte nur noch eine E-Gitarre und ich hätte bei der Rockgruppe Kiss mitmachen können. Zum Glück gab es die damals noch nicht, sonst wäre mein Leben sicherlich anders verlaufen. So ausstaffiert hätte mich nicht mal meine eigene Mutter wiedererkannt, geschweige denn gewaschen.

»Halt!«, hörte ich den Befehl von Einar, oder Steinar Magnusson. »Was soll das werden, wenn es fertig ist?«, wollte er wissen. Galatea öffnete den zweiten Knopf ihrer Bluse und kletterte durch die Wagentür nach vorn.

Bei ihrem Anblick strich Magnusson unwillkürlich über seinen struppigen Schopf, um ihn ein wenig zu glätten und ansehnlicher zu machen.

»Hallo«, sagte Galatea mit ihrer hypnotisch schönen Stimme.

»Aber hallo!«, sagte Magnusson. »Ähm... was ist euer Begehr?«, fragte er schon wieder etwas förmlicher, dennoch zuvorkommend freundlich, und dabei auf ihr Dekolleté glotzend.

»Wir sind Spielleute und halten es für eine gute Idee, die hohen Herren zu bespaßen. Was sagst du dazu?«, fragte Galatea und starrte Magnusson, ohne zu blinzeln, in die Augen. Der Kerl vor dem Tor blickte Galatea an, wie ein paralysiertes Kaninchen eine Schlange.

»Ja, Spielleute seid ihr. Hey, ich habe eine Idee, wie wäre es, wenn ihr die hohen Herren bespaßt? Sie nehmen gerade an einem Abendessen teil, vielleicht fällt für euch, statt für die Hunde, ein wenig vom Festmahl ab?«, schlug er vor.

Die Schöne nickte. »Ja, das ist eine ganz hervorragende Idee. Öffne das Tor«, riet sie ihm.

»Öffnet das Tor!«, rief Magnusson im Befehlston. Innen wurde ein Riegel fortgezogen und das Doppeltor schwang auf.

Bento gab Lulu die Zügel. Rumpelnd setzte sich der Jahrmarktswagen in Bewegung.

»Halt!«, rief Magnusson plötzlich. Sofort ergriff mich ein banges Gefühl. »Was habt ihr da im Wagen?«, wollte er wissen.

»Den großen und den kleinen Luigi«, antwortete Galatea ungezwungen und öffnete die Tür, damit Magnusson einen Blick hinein werfen konnte, was er auch unverzüglich tat.

»Du lügst!«, behauptete Magnusson, »Ich sehe nur einen riesigen und einen winzigen Luigi!«, lachte er amüsiert, wobei er mich augenscheinlich nicht wiedererkannte. »Weiterfahren!«, befahl er und wir setzten uns wieder in Bewegung. »Aber bleibt auf dem Gelände der Vorburg! Sobald ihr dran seid, sagt der Hausmeier euch Bescheid!«

»Geht klar!«, winkte Galatea und warf ihm eine Kusshand zu, bevor sich die Tore hinter uns krachend schlossen.

»Ha, ha. Winziger Luigi? Wie weit soll ich eigentlich noch sinken?«, beklagte ich mich bitterlich. »Wie hat Galatea das gemacht?«, wollte ich vom riesigen Luigi wissen.

Der Riese zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, ich denke, das ist ihr Charme. Dem kann sich keiner entziehen. Vor allem nicht, wenn er Augen im Kopf hat, und sie einen Knopf mehr an ihrer Bluse öffnet!«, grinste er errötend.

Jetzt meldete sich wieder Bento zu Wort: »Ich wusste gar nicht, dass unsere Lulu ein trojanisches Pferd ist! Na, habe ich nicht gesagt, dass Probleme dazu da sind, um sie zu lösen? Wir sind drin! Nichts steht mehr der glücklichen Familienzusammenführung im Wege! Hey, wenn du wieder mit deinem Vater abhaust, dann lässt du aber meine Kappe hier!«, frotzelte er.

»Die kannst du deinem Alter Ego da hineinstecken, wo normalerweise deine Hand ist!«, ahmte ich seine Art zu reden nach.

»Ach, weißt du was? Wenn dein Alter genug bezahlt, darfst du sie als Andenken behalten!«, revidierte er seine Aussage.

»Was bildest du dir ein?«, fragte ich. »Dann würde ich bestimmt nicht die olle Kappe mitnehmen, sondern Galatea!«

Der Narr winkte ab. »Träum weiter, kleiner Luigi. Da frage ich mich doch glatt, wer von uns beiden der größere Narr ist. Und ich beziehe mich dabei nicht auf die Körpergröße!«

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

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