Читать книгу Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen - Elke Bulenda - Страница 7

Der Handel war es, der eigentlich die Welt aus ihrer Barbarei gezogen hat.

Оглавление

(Karl Julius Weber)

Agnir schüttelte verständnislos den Kopf. »Also ehrlich. Ich finde es ziemlich geschmacklos von deinem Vater, dem Händler Temudschin seinen Sohn abkaufen zu wollen!«

»Hör mal, das war vor zwölfhundert Jahren. Damals galt ein Menschenleben als nicht besonders viel. Wenn jemandem deine Nase nicht passte, schlug er unverblümt mit seinem Schwert auf dich ein. Sogar der spätere Kaiser ließ Menschen festsetzen und anschließend verkaufen, obwohl er heutzutage als Humanist gefeiert wird, und sogar ein Preis nach ihm benannt wurde«, erklärte ich meinem Sohn, der eindeutig froh sein konnte, im Hier und Jetzt zu leben. Nun, sein Onkel Cornelius hatte früh genug damit begonnen, sein Lied über den Humanismus in das Ohr von Agnir zu blasen. Zum Glück weigerte dieser sich nicht, mit dem Schwert zu kämpfen.

»Okay, ich habe jetzt gecheckt, dass die Leute damals anders tickten. Erzähl weiter, ich kann es kaum erwarten!«

Die beiden frisch gebadeten Wikinger wirkten ein wenig verunsichert, als sie sich, nach fremdartigen Ölen duftend, zur Jurte des Skythen begaben.

Skryrmir blickte auf das absurde Konstrukt, das er in Händen hielt: »Meinst du nicht, wir hätten statt dieses Stockfisch-Bouquets, nicht doch lieber ein paar Blumen mitbringen sollen?«, fragte er seinen Bruder. Ihm war es sichtlich peinlich, eine Faust voller Stockfisch als Mitbringsel dabei zu haben.

»Ach was!«, winkte Hackbart ab. »Wo viele Menschen unter einem Dach leben, wird auch viel gegessen. Deshalb ist es ein gutes Gastgeschenk. Blumen? Wo sollen wir um diese Zeit noch welche herbekommen? Außerdem verfüttern die Hunnen sie sowieso nur an ihre Pferde.«

»Und wie wäre es mit Met?«, fragte Skryrmir.

»Du weißt doch gar nicht, ob sie überhaupt so etwas trinken. Diese Handtuchköpfe...«

»Sarazenen, Hackbart, sie heißen Sarazenen!«

»Das ist mir völlig wumpe, wie sie heißen. Jedenfalls dürfen die aus Glaubensgründen keinen Alkohol trinken! Puh, bin ich froh, dem richtigen Glauben anzugehören. Was wäre die Welt für ein schrecklicher Ort, müsste man sie ständig nüchtern durchwandern. Los, komm schon! Schließlich haben wir es deinen blöden Visionen zu verdanken, in diese dumme Situation geraten zu sein!«, beschwerte sich Hackbart mal wieder.

»Ich tue nur das, was mein Gott mir befiehlt! Wenn die Götter von mir verlangen, ich solle für sie sterben, dann sterbe ich für sie! Deshalb werde ich dereinst irgendwann mit ihnen in Walhalla schmausen!«, deklamierte Skryrmir im Brustton der Überzeugung.

»Echt? Und ich muss nicht erst warten draufzugehen, um ordentlich zu futtern! Ich esse lieber, solange ich noch lebe und einen funktionierenden Geschmackssinn besitze! Und hast du dir eigentlich schon mal vorgestellt, wie das ist, jeden Abend exakt dasselbe Tier zu essen? Wie soll das vonstatten gehen? Wird am Morgen im Kollektiv gekotzt und geschissen, damit der Eber Sährimnir wieder aus seinen Einzelteilen zusammengebaut werden kann? Schließlich muss er abends beim Servieren wieder vollständig sein! Na, dann! Überleg mal!«, sagte Hackbart grinsend. Er konnte jemandem mit seinen Ausführungen schon mächtig den Appetit verderben.

»Also wirklich! Du pflanzt mir ganz üble Bilder ein!«, grummelte Skryrmir kopfschüttelnd. »Hey, wer bist denn du?«, fragte er das kleine Skythenmädchen, das vor Temudschins Jurte stand und nach jemanden Ausschau hielt.

Hackbart nutzte die Situation, um seinem Bruder nochmals zu zeigen, was eine Harke ist. »Na, wer wohl! Das ist deine zukünftige Braut!«

Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin Samija und soll auf euch warten! Seid ihr die Nordmänner, die gekommen sind, um ›Klein Attila‹ zu heiraten?«, fragte sie zutraulich.

»Klein Attila?«, fragte Skryrmir entsetzt. In seinem Kopf flackerte das Bild eines Mädchens mit einem Hunnenbart auf, welches schreiend einen Krummsäbel über dem Kopf schwang.

»Hast du gehört? Klein Attila! Komm, lass uns abhauen!«, brummte Hackbart seinem Bruder zu. Doch zu spät. Samija hatte bereits Skryrmirs Hand gepackt und zog ihn mit sich.

Vor der Jurte blieb Samija stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen, und rührte mit einem Holzlöffel in einem hängenden Sack herum. Sie blickte zum großen Nordmann: »Los, du musst auch einmal den Airag umrühren, damit er gelingt! So will es der Brauch!«

»Äh… Brauch?«, sagte Skryrmir rhetorisch bewandert, klemmte sich umständlich das Bouquet aus Trockenfisch unter den Arm, da Samija seine andere Hand nicht loslassen wollte, nahm ebenfalls den Holzlöffel und rührte den Airag um, was immer das auch sein mochte. Wahrscheinlich irgendetwas Milchiges vom Pferd, denn das Zeug sah ziemlich weiß aus und roch säuerlich vergoren. Nachdem er seinen Teil dazu beigetragen hatte, dass der Airag gelänge, reichte er den Rührer an seinen Bruder weiter.

»Was, bei Odins Speer, ist das?«, zuckte Hackbart entsetzt zurück, nachdem er daran geschnüffelt hatte.

»Airag!«, sagte Samija altklug.

»Das weiß ich jetzt selbst, du Naseweis!«, blaffte er zurück. Ihm schwante, dass er von dieser sauren Milch nicht verschont bleiben würde.

Skryrmir wollte noch eins wissen: »Sag mal, wie ist denn Klein Attila so?«

»Du hast wohl keine Schwestern, wie?«, fragte sie.

»Oh, doch. Natürlich!«

»Dann weißt du ja, wie Schwestern sein können! Doof!«, knurrte sie und verdrehte die Augen. Die kleine Samija rief ihrem Vater etwas in ihrer seltsam klingenden Sprache zu.

Daraufhin öffnete er die Tür der Jurte: »Schrei nicht so, Samija! Sonst verkaufe ich dich, bevor wir morgen Früh abreisen!« Jedoch lächelte er dabei. Zum Glück, sonst hätte Skryrmir ihm spontan einen guten Preis für sie geboten, bevor jemand anderes sie kaufte.

»Ah, herzlich willkommen, Skryrmir. Herzlich willkommen, Hackbart. Tretet ein!«, winkte er sie zu sich.

Die beiden Nordmänner zogen die Köpfe ein, traten in die Jurte und gerieten ins Staunen. Eigentlich dachten sie, die Nomaden wären zu bemitleiden, weil sie ihr ganzes Leben in Zelten fristen mussten. Als sie jedoch wahrnahmen, wie luxuriös das Interieur war, hoben sie die Füße und zogen freiwillig ihre Stiefel aus, damit der wunderbare Teppich nicht beschmutzt wurde. Sogar eine geschlossene Kochstelle gab es in dieser gut eingerichteten Bleibe. Nun, mit diesem Holzfußboden wäre es definitiv zu riskant, ein Kohlebecken zu benutzen.

»Schön habt ihr es hier!«, äußerte sich Skryrmir spontan. »Oh, habe ich beinahe vergessen! Hier!«, überreicht er seinem Gastgeber das Stockfisch-Bouquet. Hackbart tat es ihm gleich.

Temudschin schien schier begeistert, zumindest tat er so. »Vielen Dank! Wir kommen nicht oft in den Genuss, Fisch zu essen. In den Steppen der Mongolei gibt es leider zu wenig Wasser und wenn, dann direkt von oben. Bei starkem Wind, auch schon mal von der Seite.«

»Hab ich dir doch gleich gesagt! Stockfisch ist ein sehr gutes Gastgeschenk!«, lobte Hackbart seinen Scharfsinn.

»Das ist Ojuna, meine Frau«, stellte der Skythe sein Ehegesponst vor. Diese verbeugte sich höflich, murmelte etwas Unverständliches und reichte ihnen eine Schale mit… Airag.

Als die kleine Samija das unterirdisch begeisterte Gesicht sah, welches Hackbart schnitt, lachte sie und zupfte an seiner Tunika. »Wenn du Airag nicht magst, musst du nur ein wenig nippen, das reicht schon. Nur nicht austrinken, sonst bekommst du die Schale wieder aufgefüllt.«

»Auch wieder so ein Brauch, wie? Danke für diese Information!«, zwinkerte Hackbart der Kleinen dankbar zu. Er nippte am Airag und gab die Schale schleunigst weiter an Skryrmir, der mutig einen größeren Schluck nahm. »Hm, gut. Schmeckt so ähnlich wie unser Skyr, nur prickelnder, findest du nicht auch, Hackbart?«

»Du weißt ganz genau, dass ich laufen gehe, sobald mir jemand Skyr andrehen will!«, brummte dieser beleidigt.

Als Nächstes reichte Temudschin ihnen eine wesentlich größere Schüssel. Hackbart trank daraus und reichte sie an seinen Bruder weiter. Auch der trank einen großen Schluck. In einem waren sie sich einig. Es schmeckte besser als Airag. »Hm, gut.« »Schmeckt ein wenig nach Veilchen«, bemerkten beide.

Samija, ihre Mutter und Temudschin wirkten äußerst amüsiert. Sie lachten ausgelassen und tuschelten in ihrer Sprache.

»Haben wir irgendetwas verkehrt gemacht?«, fragten die Nordmänner unisono.

»Nein, aber offensichtlich schmeckt euch das Waschwasser mit der Veilchenseife wesentlich besser, als unser selbstgemachter Airag«, lächelte der Nomade verschmitzt.

»Oh!«, grinste Skryrmir schief. »Schmeckt trotzdem gut.«

»Liegt vielleicht daran, dass da kein Pferd drin ist. Also ich könnte noch einen Schluck davon gebrauchen!«, nahm es Hackbart nicht ganz so ernst.

»Gut, hier habt ihr noch etwas, aber ich würde vorschlagen, ihr wascht euch zuerst damit die Hände, bevor ihr es gänzlich austrinkt!«, reichte Temudschin ihnen die Schüssel zurück. Ojuna verbeugte sich währenddessen und gab ihnen Tücher, zum Abtrocknen ihrer Hände. Nachdem nun auch alle anderen saubere Hände vorweisen konnten, wurde aufgetischt. Die Nordmänner wurden angewiesen, es sich auf den Polstern mit den vielen Kissen und Fellen bequem zu machen. Jeder bekam einen großen Teller in die Hand gedrückt.

Ojuna hatte die Speisen auf dem Ofen warm gehalten und verteilte zuerst großzügig Chorchog, gegartes Hammelfleisch. Dazu reichte sie jedem eine Schale mit in Schaffett frittierten Teigtaschen; Chuuschuur nannte sie diese. Alle griffen beherzt zu. Hackbart war froh, dass sie nicht irgendwelches Gemüsezeug aßen, denn auch das konnte er nicht ausstehen. Allerdings reagierte er leicht irritiert, als er eine Schüssel mit einer ihm unbekannten Beilage in die Hand gedrückt bekam.

»Was ist das? Sind das etwa Ameiseneier?«, fragte er entsetzt.

Temudschin beruhigte ihn. »Nein, das ist Reis, eine Getreidesorte, die bei uns zu fast jeder Mahlzeit gereicht wird. Da sind keine Ameisen drin und wenn es dich beruhigt, auch kein Pferd, mein Freund.

»Gegen Pferd habe ich generell nichts, solange es ordentlich durchgebraten wird!«, grinste der dicke Nordmann.

Vom gesalzenen Milchtee, den die Skythen Süütei Tsai nannten, waren die Nordmänner nicht sonderlich angetan, dagegen mundete ihnen der Milchschnaps namens Arkhi schon eher, und das, obwohl dort sicherlich Pferd drin war. Zünftig war das Essen. Doch so musste es wohl sein, wenn diese Nomaden den ganzen Tag unter freiem Himmel zubrachten und das bei extrem niedrigen Temperaturen.

Und doch schien Skryrmir etwas zu vermissen. Wo war die Tochter im heiratsfähigem Alter? Er befürchtete, der listige Kaufmann wolle ihn betrunken machen, um dafür zu sorgen, dass er sich die Braut schön soff.

Beim Abräumen der letzten leeren Teller, fasste er sich ein Herz: »Temudschin. Verzeihe meine Neugierde, aber fehlt nicht jemand? Sagtest du nicht etwas von einer Tochter im heiratsfähigem Alter? Du nimmst es mir doch nicht übel, wenn ich mich nach ihr erkundige?«

»Nein, sie konnte nicht beim Essen zugegen sein, weil sie sich noch ein wenig herausputzen musste. Nicht, dass sie es nötig hätte. Ich wollte ihr Zeit geben und euch natürlich mit einem guten Essen bewirten. Sie wird sofort da sein. Ich schaue mal nach, ob sie nicht vielleicht doch heimlich davon geritten ist«, stand er auf und verließ das Zelt.

Hackbart sah zu Skryrmir. »Du meine Güte! Sie hatte über zwei Stunden Zeit für ihre Garderobe! Wenn sie jetzt noch nicht fertig ist, stimmt mit ihr etwas ganz gewaltig nicht!«

»Vielleicht ist sie ja nur schüchtern?«, fragte der Ältere.

»Klar, und dann wird sie Klein Attila genannt, oder was? Eher ist sie auf und davon, weil sie hörte, dass sie mit einem Nordmann verheiratet werden soll. Oder bekommt die Knöpfe über ihrem Buckel nicht zu!«, mutmaßte Hackbart.

Endlich kam Temudschin wieder zurück. Allein. Er verbeugte sich freundlich. »Verzeiht, darf ich euch meine Tochter Numa vorstellen? Sie ist so freundlich, uns etwas auf der Morin chuur vorzuspielen.«

»Was ist eine Morin chuur?«, fragte Skryrmir interessiert.

»Das ist unsere berühmte Pferdekopfgeige. Kennst du die Geschichte, wie diese entstand?«

»Nein, aber ich würde sie nur zu gerne erfahren.«

»Einst lebte ein Junge in den weiten Steppen, der besaß einen wunderschönen weißen Hengst. Diesen wollte jedoch ein böser Fürst unbedingt für sich. Doch der Junge konnte sein geliebtes Pferd nicht hergeben. Also stahl der Fürst den weißen Hengst, doch der lief wieder zurück zu seinem wahren Herren, weil dieser ihn liebte und gut zu ihm war. Dies passte dem Herrscher überhaupt nicht, und wenn er den weißen Hengst schon nicht besitzen konnte, so sollte es der Junge ebenso wenig. Und so tötete er das weiße Pferd. Der Junge war untröstlich und vermisste seinen Freund. Eines Nachts erschien ihm der weiße Hengst in seinen Träumen. Er sagte ihm, dass er wieder lebendig würde, wenn der Junge sich aus seiner Haut, seinen Knochen und aus seinem Haar ein Musikinstrument baut. Dies tat der Junge und als er die Saiten seiner Pferdekopfgeige strich, erzählte das Instrument von den Weiten der Steppe, vom Himmel und dem Wind, und er hörte sogar die Hufschläge der Pferde.«

»Eine wunderschöne Geschichte«, sagte Skryrmir.

»Ja, sie berührt mich genauso, wie das Spiel der Geige. Darf ich vorstellen? Numa«, verneigte er sich erneut.

Eine zierliche Person betrat das Zelt. Sie trug ein wunderschön glänzendes Kleid aus geblümter, türkisfarbiger Seide, dazu die passenden Stiefel und einen emalierten Haarschmuck mit bunten Perlen. Sie verneigte sich mit vollendeter Eleganz und blickte anschließend kurz zu den Nordmännern auf. Sie zwinkerte dem blonden Skryrmir zu.

Hackbart zog die Luft ein: »Ist das jetzt ein Witz? Das ist doch diese Rotznase, die auf dem Anger vor dem Markt ihre Bogennummer aufführte! Warum haben sie dem Burschen ein Kleid angezogen?«, fragte er verwundert.

Skryrmir beruhigte ihn. »Meintest du nicht selbst, mit diesem Burschen würde irgendetwas nicht stimmen? Dein Bauch hatte recht. Nur ist er kein Bursche, sondern ein verkleidetes Mädchen. Nun, wenn hier überall ungehobelte Kerle herumlaufen, würde ich meinen Töchtern ebenfalls die Kleidung eines Jungen empfehlen.«

»Ach so...«, sagte Hackbart, dem endlich ein Licht aufging, was es mit dem Kleid auf sich hatte.

Skryrmir nickte dem Mädchen aufmunternd zu. »Verzeih die Störung. Es lag leider einiges im Argen. Bitte, wir sind jetzt aufmerksam, mein Ehrenwort… Numa«, setzte er hinterher. Er sprach ihren Namen so aus, als würde er ihn auf seiner Zunge zergehen lassen, um festzustellen, ob er ihm schmeckte.

Die Skythin nickte und begab sich zu einer Truhe, aus der sie einen umwickelten Gegenstand herausholte. Sie befreite ihr Musikinstrument aus mehreren Lagen braunen Stoffs. Skryrmir fragte sich sofort, was das für ein braunes Gewebe war. Es schien fest und schwer, zudem sah es sehr warm aus.

Numa zog einen Hocker näher, setzte sich darauf und klemmte das seltsame kastenförmige Musikinstrument zwischen ihre Schenkel.

Aus einem ihm völlig unbekannten Grund schoss Skryrmir bei diesem Anblick das Blut in die Ohren.

Als hätte Numa seine Gedanken erraten, errötete sie ebenfalls. Mit zierlicher Geste nahm sie ihren Bogen zur Hand. Natürlich keinen, der Pfeile verschoss, sondern jenen, mit dem sie die zwei Saiten der Pferdekopfgeige strich, obwohl Skryrmir so war, als hätte Amor einen seiner Pfeile direkt in sein Herz geschossen. Ach ja, die Pferdekopfgeige. Sie besitzt ungefähr die Größe einer Gambe, hat aber lediglich zwei Saiten. Im Gegensatz zu einer Gambe fehlen jedoch die typischen Stege. Die Saiten sind aus den Schweifhaaren eines Hengstes gemacht. Das hat nichts mit Machismo zu tun, sondern weil der Schweif einer Stute mit deren Urin in Berührung kommt und das Haar porös und unbrauchbar für die Geige macht.

Numa strich die Saiten und entlockte dem Instrument einen betörenden Gesang. Und während sie das tat, sah Skryrmir Bilder vor seinem geistigen Auge. Die Geige sang von dem weiten Himmel, der den Horizont berührt, der Steppe, dem Wind, der im Sommer sanft die Haut streichelte, jedoch im Winter schneidend wie ein Messer sein konnte. Das Instrument sang von den Pferden, die wie Pfeile über die grasbewachsene Ebene flogen. Es erzählte von Liebe und Tod, von Kampf und von Frieden.

Er konnte seine Augen nicht von Numa lassen; bewunderte ihre langen, seidigen Wimpern, wenn sie den Blick senkte. Er fühlte sich tief berührt. Nachdem Numa ihr Lied beendete, wischte er sich die Augen.

»Hab was ins Auge bekommen«, murmelte er.

Hackbart grinste und flüstert ihm zu. »Na klar, Bruder. In alle beide gleichzeitig. Ich weiß, was du im Auge hast. Eine kleine Skythin, wie? Pass auf, wenn du sie von hinten nimmst. Sie hat bestimmt vom vielen Reiten dicke Schwielen am Hintern!«

»Hackbart!«, knuffte er ihn dafür. »Du bist unmöglich«, flüsterte er zurück. »Wir sollten ihr sagen, dass es sehr schön war, was sie da gespielt hat.«

»Warum sagst du mir das?«, fragte Hackbart leise.

Temudschin wartete gebannt.

»Vielen Dank, Numa«, verneigte sich Skryrmir. »Das war atemberaubend.« Er nickte dem Skythen zu. »Temudschin? Eine Frage. Darf ich einen Moment mit Numa unter vier Augen sprechen? Keine Bange, wir gehen nur kurz vor das Zelt. Ist das für dich in Ordnung?«

Der Skythe nickte. »Ja, bitte.« Er wandte sich an seine Tochter. »Numa?«

»In Ordnung, Vater«, antwortete Numa, verstaute jedoch zuerst das Musikinstrument zurück in die Kiste. Als sie damit fertig war, stand Skryrmir bereits neben ihr und reichte ihr seine riesige Pranke. »Numa, wenn ich bitten darf?«, führte er sie vor das Zelt. Erst da wurde ihm gewahr, dass es davon noch mehr gab und diese Jurte nicht die einzige war.

Numas Hand war warm und ein wenig rau von der Arbeit. Trotzdem streichelte er mit seinem Daumen über ihren Handrücken.

Sie schaute erwartungsvoll zu ihm auf. Er jedoch, schien um die richtigen Worten zu ringen. Endlich fasste sich der Nordmann ein Herz: »Numa. Ich bin nicht gut, was Worte betrifft, sondern eher ein Mann der Taten. Ich muss zugeben, das war jetzt eine Überraschung. Allerdings eine sehr angenehme. Trotzdem fehlen mir die Worte, was dich betrifft.«

Numa presste die Lippen zusammen. »Vielleicht darf ich dir alles erklären?«

»Ja, aber erst, wenn ich fertig bin. Bitte bedenke meine Worte. Du weißt sicherlich, weshalb wir bei deinem Vater zu Gast sind. Eigentlich wegen des Bogens. Und ich muss sagen, ich bin zutiefst verwirrt. Denn ich würde den Bogen wirklich gerne haben. Allerdings werde ich mit leeren Händen von dannen ziehen, wenn du nicht mit mir gehen willst. Man sagt uns Nordmännern nach, wir seien skrupellos. Nun, das mag stimmen, in Bezug auf den Kampf. Aber hier handelt es sich nicht um einen Kampf. Hier geht´s ums Geschäft. Und du bist sozusagen diejenige, auf deren Rücken alles ausgetragen wird. Hör zu. Ich will dich zu nichts zwingen, wenn du nicht bereit bist, mit mir zu gehen. Ich möchte keinesfalls, dass du aus deinem vertrauten Familienverband gerissen wirst, um von einem Barbaren in die Fremde verschleppt zu werden. Ich brauche niemanden an meiner Seite, der unglücklich ist. Und glaube mir, ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich fühle mich mies, weil es den Anschein erweckt, als würde ich dich als kleineres Übel nehmen müssen, dich sozusagen kaufen. Du bist aber viel zu wertvoll für einen dermaßen groben Kuhhandel. Ich überlasse dir die Entscheidung«, endete er seinen Monolog.

»Deine Skrupel ehren mich. Denn es zeigt mir, dass meine Wahl nicht verkehrt war«, sagte Numa und nahm eine von Skryrmirs langen, blonden Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger. »Haare, so weich wie Seide.«

»Äh, ich verstehe nicht«, meinte er irritiert.

»Weißt du, was ich zu meinem Vater sagte, als ich euch zu unserer Jurte brachte?«

»Nein, woher soll ich das wissen. Ich verstehe eure Sprache nicht einmal ansatzweise so gut, wie ihr die unsere sprecht.«

»Du musst es einfach mal mit meinen Augen sehen. Mein Vater liegt mir schon eine geraume Weile damit in den Ohren, es sei für mich an der Zeit, endlich zu heiraten. Ich weiß nicht, wie es bei euch Nordmännern ist, aber in unserem Stamm ist es Sitte, dass die Mädchen nach außerhalb verheiratet werden, währenddessen die Jungen weiter im Familienverband verbleiben, um die Blutlinie weiterzuführen«, erklärte sie.

Skryrmir nickte. »Ja, bei uns ist es gang und gäbe, dass die Mädchen in fremde Verbände einheiraten. Meistens als Friedensstifter. Sie binden den anderen Stamm in ein freundschaftliches Verhältnis zu unserer Familie ein.«

»Nur seid ihr sesshaft, wir hingegen nicht ganz so. Mein Vater meinte, wenn ich mich nicht bald für einen Bräutigam entscheide, übernimmt er die Entscheidung. Nun, ich sagte zu meinem Vater, als ich euch zu ihm brachte, er solle dir keinen Bogen geben, sondern herausfinden, ob du verheiratet bist. Das sagte ich. Denn du bist anders als die anderen. Nicht nur, weil deine Augen blau sind und dein Haar blond ist. Du hast mit mir wie mit einem deinesgleichen geredet. Du hast erkannt, dass wir Menschen alle gleich sind, egal welchem Stamm wir angehören. Außerdem bist du über die Meere gekommen, und ich will das Meer sehen«, lächelte Numa verschmitzt.

Skryrmir machte große Augen. Er hatte damit gerechnet, sie würde in Tränen ausbrechen, ihn bitterlich anflehen, um nicht mitgehen zu müssen. Mit allem, nur nicht mit dem.

»Außerdem bist du ein Fürst. Eine gute Partie! Und so nachdenklich«, bemerkte sie.

»Na ja, ich weiß ja nicht, was du für Vorstellungen hast, aber ich habe weder eine Krone, noch hocke ich den ganzen Tag auf einem Thron herum. Bei uns im Norden ist es etwas anders. Ich bin nur der Stammesführer, mehr nicht. Und wenn ich meine Entscheidungen nicht gut durchdenke, schreit wieder ein Benachteiligter Zeter und Mordio. Es ist nicht leicht, weise Entscheidungen zu treffen.«

Das Mädchen winkte ab. »Offensichtlich hast du bisher alles richtig gemacht, was willst du mehr?«

»Hm, irgendetwas sagte mir schon, dass du sehr hartnäckig sein kannst. Jetzt im Nachhinein muss ich zugeben, dass mir dein Hüftschwung verriet, dass du ein Weib bist. Ich habe mir nichts dabei gedacht, wie ich dich von hinten betrachtete, als ich zurückfiel, um mit Hackbart zu reden. Nur dachte ich, für einen Burschen hast du einen seltsamen Gang. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob nicht vielleicht alle Skythen so weibisch laufen«, grinste er, als er sah, wie trotzig Numa ihn ansah.

»Das sagst du nur jetzt, damit du nicht wie ein Trottel dastehst«, kniff sie die Lippen zusammen.

»Oh, mach das nicht. Wenn du so die Lippen aufeinander presst, siehst du aus wie dein Vater. Natürlich stehe ich ohnehin schon wie ein Trottel da. Ihr habt uns an der Nase herumgeführt, und wolltet uns vor Augen halten, dass wir nicht vorurteilsfrei auf euch Skythen blicken. Nun, ich nannte euch nicht Hunnen. Was hast du eigentlich so lange da draußen getrieben, während wir mit fettem Hammelfleisch abgefüttert und mit Arkhi betrunken gemacht wurden?«, wollte Skryrmir wissen.

Numa zuckte mit den Schultern. »Na, was wohl? Eine Stute hat gefohlt. Es ist ein falbes Hengstfohlen geworden. Ich nannte den kräftigen Kerl Skryrmir«, grinste Numa frech.

Der Nordmann musste laut lachen. »Du stehst wohl auf große, blonde Kerle, wie?«

»Ja«, gab Numa unumwunden zu. »Du bist so nett, wenn du lachst. Bitte lache in Zukunft viel mit mir.«

»In Ordnung. Augenscheinlich ist mit dir mein Glück zurückgekehrt. Nun denn, wenn wir schon ehrlich zueinander sind, dann will ich dir sagen, dass du eventuell mit Anfeindungen rechnen musst, wenn du mit mir gehst. Ich werde es zwar zu verhindern wissen, dass man dich ein Schlitzauge, oder einen Hunnen nennt, nur ich kann nicht unterbinden, dass man so etwas über dich denkt. Zudem bin ich ein Witwer mit sechs Kindern. Ich werde meine Sprösslinge nicht dazu zwingen, dich als ihre Mutter anzuerkennen. Du könntest sowieso eher ihre große Schwester sein. Wie alt bist du eigentlich?«

»Sechzehn«, sagte Numa selbstbewusst. »Dann sollen sie eben Numa zu mir sagen.«

»Ach du liebes Bisschen, sechzehn? Nun gut, auch ich habe früh angefangen. Das Leben ist kurz und voller Gefahren. Trotzdem bin ich sechs Jahre älter als du. Und ich bezweifle, ob du überhaupt in der Lage bist, von mir ein Kind auszutragen. Du bist so klein und so… zart«, gab er zu bedenken.

Nun nahm sie wieder diesen trotzigen Ausdruck an. »Ich schwöre beim Gott Tengri, in einem Jahr wirst du von mir einen weiteren Sohn haben!«

»Oh, bitte! Lass die Götter aus dem Spiel. Es geht um unsere Zukunft. Ich finde es schon unheimlich, dass Odin mich zu dir führte. Jetzt will ich nicht auch noch einen Tengri haben. Obwohl, solange er nur dich nervt, kann´s mir eigentlich egal sein. Ich sehe schon, dich werde ich sowieso nicht mehr los. Ich muss dich wohl erst mitnehmen und über Bord werfen!«

»Kannst du ja mal versuchen! Ehe du mich gepackt hast, habe ich dir bereits ins Auge geschossen!«, drohte Numa.

»Oh, ihr verdammten Hu… Skythen! Gut, gehen wir es deinem Vater sagen. Oh Gott, Hackbart wird ein Problem werden. Er kann dich nicht leiden.«

»Ich kann ihn ebenso wenig leiden. Er ist ein dummer, lauter und fetter Mann.«

»Na, das kann ja noch heiter werden. Bringen wir es hinter uns!«, sagte Skryrmir mit Leidensmiene.

»Du hast uns gesagt!«, lächelte Numa.

»Ja, das wird sich in Zukunft wohl nicht verhindern lassen!«

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

Подняться наверх