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Ach, was für ein Kreuz ist doch die öde Familiensimpelei!

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(Oscar Wilde)

»War der getötete Drache die Tragödie, von der du sprachst?«, hakte Agnir nach und ruderte mit den Füßen im kühlen Nass herum. Wir saßen auf dem Badesteg des kleinen Sees und ließen unsere Beine ins Wasser baumeln.

»Nein, obwohl es für den Drachen gewiss so gewesen sein mag. Meine Lebensgeschichte beginnt mit einem Todesfall.

Jemand blies ins Horn. Wenig später legte Skryrmir Thoraldson mit dem großen Langschiff am Steg des heimatlichen Hafens im Reisafjord an. Die Männer waren bester Laune. Sie hatten fette Beute gemacht: Wie die Sonne glänzendes Gold in Form von Münzen, Kelchen, Hostiendosen, Kandelabern und Kleinodien; kostbare, mit Gold durchwirkte Stoffe, aber auch Samt und Seide. Fässer seltenen Weins lagerten vertäut im Bootsrumpf. Wein der vorher als Messwein bestimmt war. Und an Bord befanden sich jede Menge Sklaven mit traurigen und verängstigten Gesichtern, die zukünftig als Arbeitskräfte ihr Leben fristen mussten. Wer nicht während des Überfalls der Nordmänner erschlagen wurde und glücklicherweise mit dem Leben davonkam, fiel ihnen als Lebend-Ware zum Opfer; aus der vertrauten Umgebung gerissen und zum Leibeigenen degradiert. Jetzt hieß es schuften, egal, ob vorher dummer Bauer oder gebildeter Edelmann. Manch einer musste eine weitere Deportation auf sich nehmen. Das bedeutete, weiter im Süden an den Meistbietenden, auf einem der Märkte, verscherbelt zu werden. Frauen jedoch gliederten die Wikinger liebend gern in den Stamm ein – frisches Blut konnte niemals schaden. Britannien galt seit Langem als gelobtes Land. Klöster dienten als bevorzugte Angriffsziele, denn weder Nonnen, noch Mönche galten als schwer bewaffnete und ebenbürtige Gegner. Eine leichte Beute, völlig ohne Risiko. Gewissermaßen flogen den Nordmännern, wie im gepriesenen Schlaraffenland, die gebratenen Hühner direkt ins Maul.

Die Krieger an Bord waren über Gebühr euphorisch, denn die Beute wurde gerecht untereinander aufgeteilt. Die anderen Schiffe, die Skryrmir bei seiner wagemutigen Raubfahrt begleitet hatten, waren bereits längst in die heimischen Häfen eingelaufen. Womöglich feierten die Krieger schon ihren Triumph, betranken sich mit Met und bedeckten dabei ihre Frauen mit Geschmeide und Küssen.

Nur Skryrmirs Mannschaft fuhr stets als erste los und kam als letzte wieder zuhause an. Nicht weil sie etwa unnötig trödelten, sondern weit höher im Norden lebten als alle anderen, was zweifellos den längeren Weg bedeutet. Viele versuchten dem Häuptling schmackhaft zu machen, er solle mit seiner Sippe weiter in den Süden ziehen. Jedoch sträubte sich Skryrmir, der Stammesfürst der Haraldinger, diesen geheiligten Flecken Erde zu verlassen, den einst sein Stammesvater durch Odins Willen für sich und seine Familie eroberte. Stattdessen hatte er mehrere »Filialen« eröffnet, in denen er seine jüngeren Brüder und die Vetternschaft stationierte. Auf gewisse Weise führte er die Vetternwirtschaft ein. Diesen Verwandten war es gerade recht, ihr eigenes kleines Reich zu repräsentieren, womit Skryrmir sie besänftigte und für sich einzunehmen wusste. Somit kamen sie erst gar nicht auf den Gedanken, ihm den Rang streitig zu machen oder gar in den Rücken zu fallen. Die weitest entfernte Zweigstelle befand sich auf der Halbinsel Jütland. Später kam sogar ein Abkömmling eines Seitenzweiges wieder einmal zu Ruhm und Ehre, brachte es sogar bis zum König von Dänemark. Nein, mitnichten Hamlet, obwohl ein paar von den Haraldingern mindestens genauso durchgeknallt waren. Und wieder einmal war es ein Harald, der eine Nase vor der Konkurrenz vorn lag. Einer namens Blauzahn, der augenscheinlich unter einem Dental-Problem litt. Sei´s drum, immerhin lieh er damit der Bluetooth-Technologie seinen Namen.

Wie stets nach der Ankunft, hielt Skryrmir am Steg Ausschau nach seiner geliebten Frau Hildburga und den sechs Kindern. Er selbst, ein Mann, noch recht jung an Jahren, musste früh erlernen, Pflichten und Verantwortung zu übernehmen. Als ältester Sohn des Stammesfürsten Thorald Gunnarsons, wurde er von Anfang an darauf vorbereitet, einmal in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Und dieser Fall trat viel früher ein als ihm lieb war. Thorald Gunnarson, ein Bär von einem Mann, galt in vielerlei Hinsicht als unersättlich. Das nicht nur bei Speis und Trank. Vor allem schöne Frauen hatten es ihm angetan. Eigentlich dachte jeder, mit seiner Konstitution könnte er hundert Jahre alt werden. Eigentlich…

Thoralds Schicksal schlug völlig unerwartet und aus heiterem Himmel zu. Es erwischte ihn während eines Gewitters, bei einem Techtelmechtel, als er genussvoll seine Gespielin im Wachturm begattete. Offenbar beschloss Odin voller Missbilligung, ihn ein wenig mit Gungnir, seinem Blitze sendenden Speer zu kitzeln. Jedenfalls galt es als das letzte amouröse Abenteuer des Stammesfürsten, der ohnehin mehr Frauen sein Eigen nannte, als ein Mann an den Fingern abzählen konnte. So übernahm Skryrmir nicht nur den Familienbetrieb, sondern vertrat die Überzeugung, Odin gefiele es nicht, wenn ein einziger Mann zu viele Furchen verschiedener Weiber beackerte. Damit gab er sich als Verfechter der Monogamie zu erkennen.

Mit einem flauen Gefühl im Magen, verharrte er noch immer auf der Anlegestelle. Nach und nach holten die Frauen, Kinder und Geliebten ihre Krieger ab. Manch einer von ihnen verließ das Langschiff sogar mit neuerworbenem Frischfleisch. Nur Skryrmir blieb allein mit seinem unguten Gefühl, weil niemand ihn in Empfang zu nehmen beabsichtigte, und das, obwohl er nur wenig Verschleißspuren zeigte. Er war sogar, wie versprochen, heil und in einem Stück zuhause eingetroffen. Normalerweise erwartete ihn seine Hildburga bereits voller Ungeduld. Meistens, um ihm voller Stolz das neugeborene Familienmitglied vorzustellen und in den Arm zu drücken.

So sehr es sich der junge Stammesfürst auch ersehnte, war keine Hildburga zugegen. Stattdessen erntete er zwar den gewohnten Respekt, doch unterschwellig warfen ihm die Einheimischen furchtsame, zugleich mitleidige Blicke zu. Bereits wenig später erschien die füllige Gestalt seines Halbbruder Hagbard, alias Hackbart Doppelaxt. Sein kupferroter Schopf war schon von Weitem zu erkennen. Er betrat mit Skryrmirs Kindern den Steg. Die Kleinen kamen auf ihren Vater zu, aufgereiht wie die Orgelpfeifen. Mit traurigen Gesichtern und gesenkten Köpfen traten sie vor ihn.

Wulfgar, der älteste, sechsjährige Sohn, hielt die ein Jahr jüngeren Zwillinge Sigurd und Sigrun an den Händen. Svenja ungefähr vier, hatte ihren kleineren Bruder Håkon an die Hand genommen. Und der Onkel Hagbard trug die Jüngste, die kleine Reinhildis, auf dem Arm, die ihn mal wieder freudig, ein Bäuerchen machend, mit Brei bespuckte.

Bisher gebar Hildburga in schöner Regelmäßigkeit ihrem Gatten Skryrmir jährlich ein Kind. Nur beim letzten ging irgendetwas unsäglich schief. Zuerst blutete seine Gemahlin und anschließend kam viel zu früh, ein totgeborener Sohn auf die Welt. Die Seherin Ylva deutete das als schlechtes Omen. Sie beriet sich mit den Göttern, warf Knochen und beobachtete den Vogelflug. Anschließend empfahl sie dem Häuptling, er solle Odin ein paar ordentliche Blutopfer bringen. Natürlich hielt er sich an Ylvas Rat. Skryrmir verwandelte den Boden des Götterhain in ein wahres Blutbad, bei dem nicht nur Tierblut die heilige Erde durchtränkte. So hofften alle Anwesenden, der Zorn der Götter möge von ihm genommen werden. Denn insgeheim tuschelten etliche hinter vorgehaltener Hand, die Götter zürnten dem Stammesführer, und seine bisherige Glückssträhne sei womöglich unwiederbringlich beendet. Schlimmer noch erging es der armen Hildburga. Sie erholte sich nicht mehr von der Fehlgeburt. Sie kränkelte und jeder Tag ließ sie blasser und magerer erscheinen. Ylva deutete an, irgendetwas fresse die Ärmste von innen heraus auf. Ihre Möglichkeiten seien erschöpft. Nur die Zeit und die Götter könnten der Gemahlin helfen. Als Skryrmir jedoch wieder in See stechen wollte, machte Hildburgas Genesung noch immer keine Fortschritte. Dennoch wollte sie nicht, dass Skryrmir ihretwegen auf die Fahrt verzichtete. Das hätte seine Position als Stammesfürst geschwächt und womöglich Rivalen auf den Plan gerufen. Dankbar liefen Skryrmir und seine Männer gen Westen aus. Um Hildburga eine Freude zu machen, hielt er auf der Insel nach einer Hilfskraft Ausschau, die seiner kränkelnden Gemahlin zur Hand gehen sollte. In einem Kloster fand er sie. Besagte Mathilda war nicht nur eine Nonne, die zu einem seltsamen und schwachen Gott betete. Nein, sie behauptete sogar, ihrem Gott versprochen zu sein. Dieses Kuriosum akzeptierte Skryrmir und verbot seinen Männern, sich an ihr zu vergehen. Die Gottesfrau sprach nicht nur in sächsischer Sprache, sondern beherrschte auch die der Angeln und der Franken, was Skryrmir als vorteilhaft ansah. Es wäre nicht falsch, wenn seine Kinder viele Sprachen sprechen könnten, denn er war ein Visionär und hatte große Pläne. Obendrein verstand diese gebildete Frau viel von der Kräuterheilkunde. Ein Grund mehr, sie in den bestehenden Haushalt einzugliedern.

Hackbart legte seinem Bruder die fleischige Hand auf die Schulter. »Gut, dich zu sehen, Bruder!« Er roch wieder einmal nach Met und dank der kleinen Reinhildis, nun auch nach saurer Milch.

»Mir ergeht es ebenso, Bruder. Hildburga? Ist sie...«, brach dem Häuptling die Stimme, trotz seiner Bemühungen.

»Sie ging vor vierzehn Tagen von uns.«

»Verdammt, erst hatten wir eine ungünstige Wetterlage, dann gerieten wir in einen Sturm. Zwei Schiffe gingen verloren. Zum Glück konnten wir ein paar Männer wieder aus dem Wasser fischen. Meine Anweisung, dass sie gefälligst alle das Schwimmen lernen sollen, hat ihnen buchstäblich das Leben gerettet. Trotzdem, hätten wir besseres Wetter gehabt, wäre ich vielleicht rechtzeitig eingetroffen!«, machte er sich schwere Vorwürfe.

»Quäle dich nicht unnütz«, wiegelte Hackbart ab.

»Es muss schrecklich für sie gewesen sein. Bestimmt rief sie meinen Namen. Erzähl mir alles. Bitte, schone mich nicht.«

Hackbart machte ein gequältes Gesicht. »Na ja, irgendjemand wird sowieso quatschen. Bis zuletzt fragte sie nach dir. Jedenfalls so lange, bis sie endgültig das Bewusstsein verlor. Wir wollten auf deine Rückkehr warten, nur schritt die Verwesung bei dieser Wärme so schnell voran, dass wir sie so bald wie möglich beisetzen mussten. Das Feuer reinigte ihren kranken Körper, denn die Frauen fürchteten, ihnen könnte das Gleiche widerfahren. Und das, obwohl Ylva nachdrücklich erklärte, ihre Krankheit wäre nicht ansteckend. Indessen glaubten viele, etwas Böses, womöglich ein Geist oder Dämon, hätte sie bei lebendigem Leibe aufgezehrt.«

… Mein Sohn hob zögerlich die Hand. »Tschuldige, die Störung, Papa. Aber woran starb Hildburga? Hat sich wirklich ein Dämon an ihr gütlich getan?«

»Natürlich nicht. Ich bin zwar kein Gynäkologe, obwohl deine Mutter stets behauptete, ich hätte Hände wie einer. Nein, ich schätze, sie starb wohl an Unterleibskrebs. Heutzutage werden die jungen Mädchen sogar dagegen geimpft, so jedenfalls deine Schwester Sascha. Ich glaube, gegen das Humane Papillom-Virus, das Gebärmutterhalskrebs auslösen kann.«

»Okay, erzähl weiter«, sagte Agnir...

»Gab es ein Totenfest?«, fragte Skryrmir.

Hackbart streichelte seine ansehnliche Wampe, die in der Zwischenzeit beträchtlich gewachsen war. Er behauptete, er sei noch im Wachstum, und wenn ihn jemand auf seine füllige Figur ansprach, gab er zurück, ein Mann ohne Bauch sei ein Krüppel. »Natürlich. Anschließend veranstalteten wir ihr zu Ehren eine schöne Totenfeier mit großem Festessen. Ihre gesamte, bucklige Verwandtschaft war anwesend. Hildburgas Vater, Runólfur, war über den Tod seiner Tochter sehr verbittert. Hauptsächlich aber nur deshalb, weil er nicht mehr von ihrer hohen Position profitieren konnte. Ich musste ihm als dein Statthalter das Gelöbnis erneuern, dass wir nach wie vor für ihn einstehen, sollten andere Stämme beabsichtigen, die Dolphinger feindlich anzugehen«, berichtete Hackbart seinem Bruder.

Dieser war nicht wirklich in der Lage, dem Wortschwall Hackbarts zu folgen. Zu tief ergriffen war er von der Trauer. Obgleich ihm Odin im Schlaf die Vision von Hildburgas Tod offenbarte, wollte Skryrmir lange nicht die Hoffnung auf eine spontane Heilung aufgeben. Auf Runólfur angesprochen, platzte es aus ihm heraus: »Ich finde es geschmacklos von meinem Schwiegervater, dass er zuerst an sich denkt, anstatt angemessen um meine geliebte Frau und seine Tochter zu trauern!«

Hackbart grunzte und spuckte aus. »Zum Glück ist er jetzt dein Ex-Schwäher, diese feige Arschnase!«

»Oheim Hackbart hat Arschnase gesagt!«, lachte der kleine Håkon. Und obgleich lediglich Skryrmirs dritter Sohn, war Håkon der kleine Sonnenschein und Charmeur in der Familie. Egal was er tat, niemand konnte ihm etwas krummnehmen. Und er tat niemals etwas Bösartiges, jedenfalls nicht mit Absicht, dazu war er viel zu harmoniesüchtig. Wenn die Geschwister stritten, war es grundsätzlich der kleine Håkon, der zu schlichten versuchte, auch wenn er sich im Eifer des Gefechts unbeabsichtigt einen Schlag, Tritt, oder Knuff einfing. Jeder liebte den Kleinen, deshalb nannten sie ihn seltsamerweise auch Balder, so wie Odins Lieblingssohn.

Auch diesmal verfehlte er seine Wirkung nicht. Auf Skryrmirs besorgtem Gesicht flackerte kurzzeitig ein Lächeln auf. »Ja, er hat deinen Großvater eine Arschnase genannt, und das mit Recht!«, streichelte er seinem kleinen Sohn über die weichen, blonden Haare.

Und schon vergaß die trauernde Kinderschar Sitte und Anstand. »Hast du uns was mitgebracht?«, bestürmten sie ihren Vater mit Fragen und bedrängten ihn regelrecht.

»Ja, natürlich, wie könnte ich meine Kinder vergessen!«, öffnete Skryrmir ein Fass mit Äpfeln. Ein Jauchzen erklang, als er das kostbare Obst an die Kleinen verteilte. Beherzt bissen die Racker ins saftige Mitbringsel. Nur die Jüngste, Reinhildis, war damit weitestgehend überfordert, jedoch half Wulfgars Messer. Er schnitt ihren Apfel für sie in gut kaubare Stücke.

Heutzutage finden Kinder Obst oftmals ziemlich uninteressant. Sie sind es gewohnt, immer welches in Griffweite zu haben. In jedem Supermarkt gibt es unzählige Sorten zu kaufen. Im hohen Norden hingegen, gedeihen keine Äpfel. So waren sie in den Augen der Kinder mehr wert als eine Handvoll Gold. Schließlich kann niemand Gold essen.

»Kinder, geht doch schon mal nach Hause!«, schlug Hackbart vor. Liebevoll blickte Skryrmir seinen Kindern hinterher, als sie sich trollten und zur Drachenburg taperten.

Burg klingt jetzt ein wenig hochgestochen. Die Drachenburg war keine Burg im eigentlichen Sinne, wie wir sie heute kennen, sondern eher eine Wurt. Ein nochmals umzäuntes Gebiet innerhalb der Siedlung, das mit einem schweren Tor gesichert werden konnte, welches allerdings für die Siedlungsbewohner offenstand. So durfte jeder zum Stammesfürsten gehen, der einen Rat, oder eine Rechtsprechung benötigte. Die Burg, die auf einer natürlichen Anhöhe stand, ähnelte mehr einer riesigen aus Holz erbauten Halle, zu der einige massive Steinstufen führten. Tiefer und drumherum, befanden sich Ställe, Hütten und Wirtschaftsgebäude. Alles wirkte ziemlich unprätentiös, denn überall liefen Hühner, Ziegen und Schweine herum. Doch zugleich galt die Burg für alle in der Siedlung als letzter, sicherer Rückzugsort. Falls feindliche Stämme ins Dorf einfallen sollten, war sie der Ort, der bis zuletzt den Bewohnern Sicherheit bot.

»Du bist mit den Kindern allein gekommen. Wo ist eigentlich Solveig und wieso hat sie dich nicht begleitet?«, forschte Skryrmir nach. Normalerweise war die junge Solveig für die Aufsicht und Pflege der Kinder zuständig.

Daraufhin wirkte Hackbart ein wenig verlegen. »Tja, was soll ich sagen. Sie kann nicht zugegen sein, mein Fürst. Sie liegt schon seit heute Morgen in den Wehen.«

Dem jungen Stammesfürst schwante etwas. »Wieso bekommt die Kinderfrau ein Kind? Verdammt! Wer ist der Kindsvater?«

Hackbart schwieg und sah so interessiert auf seine Tunika, als versuche er, aus Reinhildis Kotze die Zukunft zu lesen.

»Hackbart, willst du mir etwa damit beweisen, dass unsere Verwandtschaft mit ihrer Behauptung richtig liegt, du seist ein Tunichtgut und Tagedieb, der nur das Fressen, Saufen und Ficken im Sinn hat?«

»Hey, dieses junge Luder hat es drauf ankommen lassen! Wedelte den lieben langen Tag, wie eine rollige Katze, mit ihrer prallen Kehrseite vor meinem Gesicht herum. Dazu immer diese lasziven Blicke, die sie mir über die Schulter hinweg zuwarf. Sie war feucht wie eine läufige Hündin, als ich mit meinen Freudenspender in sie eindrang, also behaupte nicht, sie sei ein unschuldiges Kind gewesen!«

»Trotzdem! Ein neuer Erlass: Für dich ist das Hauspersonal in Zukunft tabu. Der Begriff Kindermädchen heißt nicht, dass jedes Mädchen ein Kind von dir bekommen soll. Dein dämliches Gesicht ist schon so schwer genug zu ertragen. Muss ich etwa befürchten, du planst eine Intrige gegen mich, indem du so viele Bankerte zeugst, dass du mich mit ihnen überrennen kannst? Das Schlimme ist, dass sie dir auch noch alle ähnlich sehen! Und sollte ich mitbekommen, dass dir deine Mutter, die Köchin, heimlich die Mädchen zuführt, werde ich euch beide mit einem Fußtritt aus der Siedlung werfen. Haben wir uns verstanden, werter Bruder?«

Ihrer beider Vater hatte die gleiche Vorliebe zum Hauspersonal wie Hackbart selbst. Sein Vater und die Köchin Aenna, zeugten Hackbart angeblich auf der großen Tafel. Offenbar Thoralds Art, sich für ihre Kochkünste zu bedanken. Da er Aennas einziges Kind war, verwöhnte sie Hackbart nach Strich und Faden. Thorald bezweifelte zwar die Vaterschaft, doch musste man schon blind oder blöd sein, um nicht die Ähnlichkeit zu erkennen. Und da Aenna ihren Sohn so liebte und ihre riesigen Brüste zu viel Milch enthielten, gab sie ihm von Anfang an mehr, als gut für ihn war. Schließlich war er so dick, dass aus ihm kein guter Krieger werden konnte. Einzig mit einer Doppelaxt und der Eigenrotation, verstand er Schaden anzurichten. Vorher bei allen eher verlacht, erbarmte sich der junge Stammesfürst und nahm ihn als seinen Bruder an. Hackbart war ein gutherziger und humorvoller Mensch, der leider eben arg in die Kerbe seines Vater schlug. Trotzdem wollte Skryrmir seinen Bruder nicht missen, denn er war zwar kein herausragend guter Krieger, dafür aber ein hervorragender Diplomat und Statthalter. Zudem besaß er die Fähigkeit, wie ein alter Araber zu feilschen.

Hackbart kratzte verlegen seinen buschigen fuchsroten Schopf und zupfte an seinem Gabelbart, den er für gewöhnlich mit goldenen Ringen verzierte. »Ja, ich habe dich verstanden, Bruder. In Zukunft werde ich die Hände von ihnen lassen.«

»Gut, und Solveig wirst du zu deiner Frau machen, klar?«

»Äh, ist das nötig? Ich weiß wirklich nicht, was Margitta und Merle dazu sagen werden«, blockte er ab.

»Ist mir egal, ich bin in Trauer, also mach mich nicht wütend! Sie müssen halt für eine dritte Frau ein wenig Platz im Bett machen, oder noch besser; baue dir eine größere Furzmulde! Ende der Debatte!«

»Da wir schon von klugen Ehearrangements sprechen... Du solltest so schnell wie möglich wieder heiraten. Wie wäre es, dich mit einer von den Bjolfurern zu vereinen, denn sie sind uns feindlich gesinnt. Fürst Aegirs Schwester, Dagmar, wurde vor einem halben Jahr Witwe. Sie ist fruchtbar und jung an Jahren«, schlug er vor.

»Nein, nicht diese Dagmar!«, schüttelte sich Skryrmir angewidert. »Sie hat kaum noch Zähne und ihre Augen stehen so eng beieinander, dass sie wie verblödet aussieht!«

Hackbart lachte heiser. »Das ist doch kein Hindernis. Dann nimmst du dir eben noch eine attraktive Frau dazu. Weißt du, es heißt, dumm fickt gut. Zudem wird behauptet, zahnlose Weiber könnten ganz besonders hingebungsvoll Schwänze lutschen. Schließlich musst du keine Bange haben, dass sie ihn dir abbeißt!«

»Langsam habe ich deine derben Zoten wirklich über. Weißt du, was die anderen Fürsten über Dagmar erzählen?«, fragte Skryrmir im Anflug einer schweren Verzweiflung.

»Sie sei nicht ganz dicht?«, forschte Hackbart nach.

»Nein, es heißt, ihre Eltern seien Geschwister und sie ist in Wirklichkeit eine Männer fressende Striege.«

»Ich wüsste nicht, was von diesen Gerüchten das schlimmere ist. Gut, lass dir dieses Angebot trotzdem noch einmal ordentlich durch den Kopf gehen«, riet er seinem Bruder.

»Ja, indem ich kotze!«, seufzte Skryrmir herzzerreißend.

Doch Hackbart beachtete ihn nicht weiter. Er schien ein wenig abgelenkt. Stattdessen starrte er zu einer jungen Dame, die mal wieder gewisse Gelüste in ihm wachrief. »Sag mal, wer ist das da?«, zeigte er auf die Dame mit seltsamer Kopfbedeckung.

»Sie, ist das Inkrafttreten meines Erlasses! Sie heißt Mathilda und ist die neue Kinderfrau. Eigentlich sollte sie Hildburga zur Hand gehen, und insgeheim hoffte ich, sie könne sie vielleicht heilen. Egal, sie spricht drei Sprachen. Sie ist eine… wie heißt das? Klingt so ähnlich wie Norne… Ach ja, eine Nonne. Sie ist unantastbar, da sie mit ihrem Gott verheiratet ist. Langsam habe ich das Gefühl, dieser Christengott findet immer mehr Anhänger. Irgendwie beunruhigend, findest du nicht?«, fragte Skryrmir.

»Beunruhigender fände ich es, wenn er auch noch des Nachts bei ihr erscheint, um es ihr zu besorgen!«, erwiderte Hackbart, der ein paar Männer heranwinkte, um das Langschiff zu entladen. Einen wies er an: »Geleite diese Dame in die Burg!«

»Guck sie nicht an, als wäre sie das Dessert!«, knurrte Skryrmir. »Versorgt die Sklaven und ladet den Wein und die Äpfel für die Burg aus. Den Proviant stocke ich morgen für die Knorr auf!«, befahl er den Männern.

»Wieso?«, wollte Hackbart wissen. Er musterte den Blick seines Bruders, der nichts Gutes verhieß. »Du bist gerade erst angekommen. Sag nicht, du willst wieder fort!?«

»Und ob! Odin sandte mir eine Vision. Und du, lieber Bruder, wurdest ebenfalls auserwählt. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Aber wenn es Odins Wille ist, dass du mitkommst, wirst du deinem Gott wohl diese Bitte erfüllen, oder nicht?«

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

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