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Zum König oder zum Narren muss man geboren sein.

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(Lucius Annaeus Seneca)

Mein Sohn kratzte sich verwundert den Lockenkopf. »Okay, ich habe eigentlich jede andere Reaktion erwartet, nur nicht so eine dermaßen sentimentale Szene. Wieso war dein Vater derart emotional aufgewühlt? Du siehst mich ernsthaft verwirrt. Und warum glaubte er, du seist angeblich tot?«

»Wenn ich diese Reaktion von dir bekomme, kann ich wirklich sicher sein, dass du mir gut zugehört hast. Ich werde dir erläutern, weshalb mein Vater so überzogen reagierte.«

Dieser spontane Gefühlsausbruch war mir enorm peinlich, schon mal er mich »Mein kleiner Sohn« nannte, was ich als sehr ärgerlich empfand, wobei ich mich doch all die Monate über als vollwertiges Mitglied einer Artistentruppe beweisen konnte. Leicht genervt entwand ich mich aus seiner Umarmung. »Bitte Papa. Nicht vor all den Kriegern, das ist mir unangenehm! Und wieso glaubtest du, ich sei tot? Bist du denn gar nicht böse, weil ich aus dem Heiligtum in Uppsala weggelaufen bin? Und darf ich dir Galatea, Bento und Luigi vorstellen? Sie haben mich unterwegs in Mora aufgelesen und mir gewissermaßen die Familie ersetzt«, zeigte ich auf die Artisten, die offenbar die Wiedervereinigung mehr feierten, als ich es persönlich tat.

»Der Bengel wollte unser Pferd Lulu stehlen«, griente Bento. »Nur gelang es ihm nicht, denn der Gaul ist ziemlich schlau.«

»Ja, aber nur, weil meine Stiefel zu klein geworden waren und ich grauenvolle Blasen an den Füßen hatte!«, rechtfertigte ich mein unredliches Handeln.

Mein Vater nickte ihnen zu. »Danke, dass ihr euch so gut um Ragnor gekümmert habt. Bitte, setzt euch zu uns an die Tafel!« Dann wandte er sich an meinen Onkel und den älteren Mann: »Bitte, rückt ein wenig auf, damit die Herrschaften mit uns speisen können.«

Sie nickten, rückten ein wenig zusammen, sodass wir uns zu ihnen mit auf die Bank setzen konnten. »Greift zu!«, forderte Skryrmir die Artisten auf, was Luigi und Bento sofort beherzigten. Nur Galatea hielt sich von den Speisen fern, trank jedoch Met, der ihr sehr zu munden schien.

Mein Vater setzte sich wieder und drückte mich freudig. »Was bin ich froh, dich lebend zu sehen. Ich befürchtete schon, deine Mutter würde mich nie wieder in ihr Bett lassen. Denn als ich dich in Uppsala ließ, stieß sie diese fürchterliche Drohung aus!«, schmunzelte Skryrmir.

»Uppsala?«, zog Galatea fragend eine Braue hoch. »Ragnor, erzähltest du uns nicht, du seist von zuhause weggelaufen?«

»Entschuldigt, aber das war eine reine Notlüge. Hättet ihr erfahren, dass ich aus dem Heiligtum in Uppsala entfloh, wärt ihr vielleicht auf die Idee gekommen, mich dort wieder abzuliefern. Und ich werde dort nicht mehr hingehen!«

»Ganz schön clever, das Bürschchen«, brummte Luigi und wischte sich mit dem Unterarm das herabtropfende Fett von den Lippen. Vor sich hatte er einen riesigen Stapel Fleisch aufgeschichtet, den er systematisch abarbeitete.

Ich meldete mich wieder zu Wort: »Papa, ich frage noch einmal. Wieso bist du mir nicht böse und warum dachtest du, ich sei tot?«, fragte ich meinen Vater.

Dieser lächelte mich an und wurde sogleich wieder ernst. »Weißt du, warum wir hier alle versammelt sind? Und ich rede nicht nur von meinen hier anwesenden Brüdern und Vettern, sondern gleichsam von den Gefolgsleuten und all denen, die vor der Burg auf das morgige Ting warten.«

»Nein, mir wollte niemand etwas darüber sagen«, zuckte ich die Achseln.

»Aus gutem Grund, schließlich könntest du für König Gødrik spionieren. Und weißt du, wer dieser grauhaarige Herr ist, der neben deinem Onkel Ásgrímur sitzt?«

»Nein, den habe ich noch nie gesehen«, gab ich zu und kraulte weiterhin die beiden Hunde Hati und Skoll, die sich unglaublich freuten, mich zu sehen.

Skryrmir machte eine Geste mit der Hand: »Darf ich vorstellen? Das ist Prinz Halfdan, der Bruder des toten Königs Sigurd und somit der Onkel des jetzigen König Gødrik.«

»Aha, hallo«, sagte ich und konnte nicht allzu viel mit dieser Information anfangen.

Halfdan nickte mir freundlich zu und ich fragte mich, wieso er mit den Haraldingern gemeinsam an einem Tisch saß.

Mein Vater klärte mich auf. »Wir wollen Gødrik dazu zwingen, abzudanken und an seiner Stelle Halfdan als neuen, dänischen König einsetzen. Zudem gehört er bald als dein Schwager zur Familie, denn er wird deine Schwester Sigrun ehelichen.«

Zugegeben, ich interessierte mich nicht besonders für Politik. Für mich war es vor allem viel zu kompliziert, um zehn Ecken zu denken, da alles miteinander auf seltsame Weise verknüpft schien, worüber ich absolut keinen Durchblick besaß. Ich empfand jedoch Mitleid mit der armen Sigrun, die in ihrem jugendlichen Alter gezwungen wurde, wenn andere gerade ihre erste Verliebtheit erlebten, einen alten, welken Tattergreis zu heiraten. Sicherlich würde Sigrun ziemlich entsetzt sein, wenn sie ihren Bräutigam zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Zudem fragte ich mich, was sie ohne ihren Zwillingsbruder machen sollte, wo die beiden doch seit ihrer Geburt unzertrennlich waren. Trotzdem musste sich Sigrun den Wünschen unseres Vaters fügen. Das stand völlig außer Frage.

»Äh, und warum wollt ihr den Dänenkönig stürzen?«, fragte ich, und kam mir schrecklich unwissend vor.

»Siehst du, Ragnor. Jetzt nähern wir uns dem Punkt, der hoffentlich deine Fragen beantwortet«, nickte mein Vater. »König Gødrik hat etwas unaussprechlich Frevelhaftes getan. Offensichtlich erfuhr er von deinem Onkel Úlfur, dass ich dich zur Ausbildung im Heiligtum bei der Priesterschaft ließ. Und da er sich meine Gefolgschaft und die, der restlichen Haraldinger sichern wollte, beabsichtigte er, dich von dort aus entführen zu lassen. Nur sandte er ein paar Hohlköpfe, denen diese Sache ganz gewaltig aus dem Ruder lief. Eigentlich sollten sie dich mitten in der Nacht aus deinem Bett entführen. Nur brannte hinterher die Blockhütte mitsamt den Novizen nieder, weil angeblich ein Idiot die Fackel achtlos wegwarf. Wir vermuten hingegen, es steckte Absicht dahinter, denn die Kinder waren eingesperrt. Irgendjemand hatte von außen den Riegel vorgeschoben. Höchstwahrscheinlich, um sicherzugehen, keine Augenzeugen davonkommen zu lassen. Und da diese Mordbrenner wussten, dass du dunkelrotes Haar hast, haben sie den Jungen mitgenommen, auf den diese Beschreibung zutraf. Leider wehrte er sich über Gebühr und so sahen sie sich gezwungen, ihn zu bändigen. Dabei packten diese rohen Schlächter das arme Kind viel zu grob an und es kam, wie es kommen musste. Plötzlich war es tot. Und da sie den Toten nicht mitnehmen konnten, schnitten sie ihm das Haar ab, welches wenig später bei deinem Onkel Ásgrímur als Druckmittel eintrudelte. Ásgrímur hatte jedoch von einem unserer Spione erfahren, was mit dem Besitzer des Haares geschehen war. Darum fuhr dein Onkel zu den Inseln, um mir die niederschmetternde Nachricht deines Todes zu überbringen. Zudem organisierte er das Ting und zog Halfdan auf unsere Seite. Denn auf Gødriks Befehl hin, hatten die Schergen das Heiligtum entweiht, was wir absolut nicht hinnehmen werden. Ein König, der nicht den Gesetzen der Götter gehorcht, hat das Recht auf seinen Status verwirkt! Wir werden ihn stürzen, selbst wenn wir nun wissen, dass du glücklicherweise nicht tot bist. Morgen wird darüber abgestimmt, ob wir Gødrik einen kleinen Besuch abstatten und belagern werden. Und falls wir dafür stimmen, und alle Zeichen deuten darauf hin, wird er von uns so lange unter Druck gesetzt, bis er abdankt. Denn er kann nicht an allen Fronten gleichzeitig Krieg führen. Im Süden bedrängt ihn der alte Karl, und wir kesseln ihn aus Richtung Nord, West und Ost ein, anschließend ziehen wir den Sack zu. Das ist der Stand der Dinge!«, endete mein Vater seinen Bericht.

Mein Onkel Ásgrímur zog mich zu sich und drückte freundschaftlich meine Schulter. »Ragnor, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh wir sind, dich lebend zu sehen. Nur eins verstehe ich nicht. Wie konntest du Gødriks Schergen und dem anschließenden Inferno entkommen?«

»Freilich fand ich es von Anfang an unfair, dass ausgerechnet ich ein Priester werden sollte. Dabei will ich wie du, oder so wie Papa, ein richtiger Krieger werden. Außerdem quälten mich Traumgesichte, die mir ständig zeigten, dass Svenja nicht mehr da ist. Und als mir ein gewisser Wulfric Knutson erzählte, ich sei eventuell in Gefahr, stand mein Entschluss zur sofortigen Flucht bei Vollmond fest.« Ich wandte mich meinem Vater zu. »Papa, kennst du einen Wulfric Knutson? Er meinte, er würde dich kennen. Er lebt auf Jütland, ganz in der Nähe von Úlfur«, versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen.

Mein Vater grübelte eine Weile. »Hm, nein, nicht dass ich wüsste. Da läutet bei mir rein gar nichts. Wie sieht Wulfric Knutson denn aus?«, wollte er wissen.

»Keine Ahnung. Er ist weder jung, noch alt. Ach ja, ihm fehlt, genauso wie dir, ein Auge.«

Mein Vater wurde plötzlich wieder kreideweiß und sagte daraufhin zu diesem Thema überhaupt nichts mehr.

Um das Schweigen zu überbrücken, setzte mein Onkel Ásgrímur stattdessen die Unterhaltung mit mir weiter fort. »Augenscheinlich ist dein Plan aufgegangen, wie?«, fragte er und zauste mir das Haar.

»Leider nicht sofort. Nach meinem allerersten Fluchtversuch fingen sie mich wieder ein, doch beim zweiten Mal glückte die Flucht. Wenig später mussten dann wohl auch König Gødriks Häscher aufgetaucht sein, ansonsten hätten die Priester doch bemerkt, dass ich nicht mehr da war. Vielleicht passierte sogar alles in ein und derselben Nacht?«, mutmaßte ich.

Dann wurde mir bewusst, wer der andere rothaarige Junge war. »Ich glaube, sie haben an meiner statt, den armen Gunnar erwischt. Kein Wunder, wenn er sich wehrte, denn er war ja nicht ich. Der arme Kerl, er wollte nichts inniger, als ein guter Priester werden. Wenn ihr zu Gødrik fahrt, darf ich mit? Das schulde ich Gunnar, er war eine ehrliche Haut!«, entschied ich.

Mein Vater ließ sich jedoch keine konkrete Zusage abringen: »Wir werden sehen«, fasste er sich kurz.

»Aber meine Freunde wirst du doch belohnen, weil sie sich meiner annahmen, oder?«, fragte ich hoffnungsvoll.

»Natürlich. Schließlich brachten sie mir meinen totgeglaubten Sohn wieder heile zurück, auch wenn sie ihn in der Zwischenzeit zu einem Spielmann gemacht haben«, zog er eine gespielt säuerliche Miene. »Und du, mein Sohn, für dich wird es jetzt Zeit, ins Bett zu gehen. Auf, auf!«, scheuchte er mich hoch.

»Ich bin noch gar nicht müde!«, beschwerte ich mich.

»Dennoch längst nicht groß genug, um aufzubleiben. Wünsche deinen Freunden eine gute Nacht!«, forderte er mich auf.

»Gute Nacht, allerseits!«, verbeugte ich mich galant, wurde jedoch gegen meine Willen von meinem Vater hochgehoben und zu Bett getragen. Die beiden Wolfshunde trotteten uns hinterher. »Hey, ich kann selber laufen!«, protestierte ich laut. »Sogar auf den Händen!« Doch das beeindruckte ihn nicht sonderlich. Mir wurde urplötzlich klar, dass ich, zurück in der Obhut meines Vaters, wieder zum Kind degradiert worden war. Ich überlegte mir, ob es nicht lohnenswerter sei, mit den Artisten durchzubrennen. Nur verwarf ich diesen kurz auflodernden Gedanken wieder, weil mich die Sehnsucht packte, sobald ich an meine Geschwister und meine Mutter dachte.

Apropos Mutter… Zumindest war ich in diesem Sommer ihrem obligatorischen Campingurlaub entkommen, was mir ein mächtiges Grinsen entlockte. Mein Bruder Håkon hingegen, tat mir leid, da Sigurd sicherlich längst seinen Bären erlegt hatte.

»Papa? Morgen Früh sind Luigi, Bento und Galatea doch noch da, oder?«, fragte ich abrupt alarmiert.

»Wenn sie nicht Hals über Kopf flüchten, dann natürlich, mein Sohn«, brummte mein Vater, der mich mit ungewohnter Sorgfalt, wie eine Glucke bemutterte und zudeckte.

»Versprich mir, dass sie heute Nacht in der Festung bleiben. Ich befürchte nämlich, sie könnten sonst weggehen, ohne dass ich die Chance habe, mich zuvor von ihnen zu verabschieden«, brachte ich meine Zweifel zu Gehör.

»Keine Bange, das wird nicht geschehen. Und jetzt schlaf schön, mein Junge! Gute Nacht, Ragnor«, gab er mir einen Kuss auf die Wange; dabei pikte mich sein Bart ins Gesicht.

»Ach nö! Papa!«, rubbelte ich den Kuss weg. »Ich bin doch beinahe schon ein Mann! Zwar habe ich keine Gelegenheit bekommen, einen Bären zu töten, aber dafür erlegte ich jede Menge Fische!«, motzte ich herum.

Das unbändige Lachen meines Vaters hielt eine ganze Weile an, selbst als er beim Hinausgehen die Tür hinter sich schloss, um mit den Hunden zu seinen Gästen zurückzukehren.

*

Leider musste ich am nächsten Morgen tief enttäuscht feststellen, dass die Artisten, ohne ein Wort des Abschieds, gegangen waren. Zwar hatten sie nichts Kostbares mitgehen lassen, was ja auch nicht von Nöten war, da mein Vater sie mit Gold, Perlen und Geschmeide belohnt hatte. Womöglich war es einfach nur aus purer Gewohnheit heraus geschehen, so schnell als möglich, das Weite zu suchen. Zudem sahen es die Nordmänner ohnehin nicht besonders gerne, wenn sich Unbefugte während der Versammlung auf dem Gelände aufhielten, denen sie nicht trauen konnten. Nicht in Zeiten, in denen ein Spion wiederum den anderen belauschte. Zumindest haben Luigi, Bento und Galatea mir erspart, vor all den stolzen Kriegern, beim Abschied in Tränen auszubrechen. Insgeheim hoffte ich, ich würde sie irgendwann einmal wiedersehen. Was vermutlich nur frommes Wunschdenken war, denn so wie sie zuvor berichteten, wollten sie nach der Tour durch den hohen Norden, in den warmen, sonnigen Westen ziehen.

Mein Vater hatte inzwischen mein Hab und Gut, welches ich in meinem Beutel im Wagen liegen gelassen hatte, an mein Bett gelegt. Und da die Artisten nun weg waren, wurde mir gewahr, dass ich noch etwas für meinen Erzeuger bei mir trug.

Ich fand ihn in der großen Halle, wo er mit den anderen Anwesenden ein nicht gerade frugales Frühstück zu sich nahm.

»Guten Morgen, Papa«, nickte ich ihm zu und kletterte an die Tafel, wo mir eine Magd sofort eine Schüssel mit Haferschleim servierte, den ich links liegen ließ. Echte Männer essen keinen Haferschleim. Stattdessen griff ich nach Brot, Butter, Käse und Schinken. »Ach, hier, Papa. Das ist für dich!«, legte ich ihm ein kleines Kästchen aus poliertem Edelholz auf den Tisch.

»Hm, was ist da drin? Ein Ring?«, fragte er und öffnete es. Sein Auge weitete sich, als er in ein Auge guckte, das ebenso blau, wie sein eigenes war. »Bei Odin! Du schenkst mir ein Auge?«, fragte er verwirrt. »Wem hast du es herausgerissen, und wieso sieht es noch so frisch aus?«

Daraufhin musste ich lachen. »Papa! Sehe ich aus, als könne ich irgendjemandem ein Auge ausreißen? Dieses Auge ist aus Glas und wurde in einer Glasmanufaktur von einem Glasbläser gefertigt. Tief im Süden, ist das ein ehrbarer Handwerksberuf.«

»Aus Glas?«, echote er verwundert.

»Ja, aus Glas. Und weißt du, wie ich dazu kam? Unterwegs begegneten wir einem Händler, der die gleiche Sprache wie Bento, Luigi und Galatea sprach. Das wurde natürlich gefeiert und der Kerl, er hieß übrigens Signor Coppola, präsentierte uns stolz, was er da Geheimnisvolles zu verkaufen hatte. Er erzählte uns, seine Heimat sei eine Insel namens Murano und zeigte stolz seine Glasartikel, vorwiegend Perlen, Anhänger und eben auch diese seltsamen Glasaugen. Na ja, nicht nur die, sondern auch absonderliche Elixiere, die gegen alles Mögliche und Unmögliche helfen sollten; quasi gegen Hühneraugen und Henkelohren. Jedenfalls sah ich dieses Glasauge und musste sofort an dich denken, weil es die gleiche Farbe wie deines besitzt. Und da ich noch etwas Geld von meinem Auftritt übrig hatte, kaufte ich ihm dieses Glasauge ab. Er sagte, man nimmt es zwischen Daumen und Zeigefinger und setzt es dann einfach in die leere Augenhöhle ein!«, verkündete ich stolz.

Apropos stolz. Mein Vater war selbstredend viel zu stolz, es sofort auszuprobieren, was ich sehr schade fand. Allerdings tauchte er beim Ting zweiäugig auf, was alle Unwissenden in pures Staunen versetzte. Ein Manko hatte diese Glasaugen-Geschichte aber nun doch. Offensichtlich war es für einen etwas kleineren Menschen gemacht worden. Vor allem wenn Skryrmir aß, kullerte ihm dieses eigensinnige Ding ab und zu aus der Augenhöhle heraus. Und wenn er vergaß, vorsichtshalber die Augenklappe darüber zu tragen, brach immer wieder Chaos aus, wenn alle gleichzeitig unter dem Tisch verschwanden, um das Glasauge wieder einzufangen. Trotzdem freute ich mich, für meinen Vater ein Ersatzauge gefunden zu haben, auch wenn er damit nicht sehen konnte und es auch nicht synchron seinem anderen Auge folgte, was manchmal ein wenig absurd aussah, wenn er wie ein betrunkener Kutscher schielte. Insgeheim wollte ich mit dieser Tat wahrscheinlich mein eigenes, schlechtes Gewissen beruhigen, da mein Vater mir erzählte, er hätte damals bei meiner Geburt Odin sein Auge geopfert, damit ich weiterleben konnte.

Zurück zum Ting. Wie mein Vater bereits vorhergesehen hatte, stimmten alle dafür, König Gødrik zu stürzen und die vakante Stelle mit dem alten Halfdan zu besetzen. Seltsamerweise machte sich niemand Gedanken darüber, was der alte Kaiser Karl dazu sagen würde. Sie dachten wahrscheinlich: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Selbstverständlich wurde nicht lange gefackelt und die Langschiffe mit Proviant bestückt.

»Papa? Ich weiß, ich bin noch kein Krieger, aber darf ich mitfahren, um König Gødrik durch meine Anwesenheit zu beweisen, dass er den Falschen getötet hat?«

Mein Vater überlegte. »In Ordnung, aber danach lasse ich dich nach Hause bringen.«

Leider hielt er nach meinem letzten großen Auftritt sein Wort.

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

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