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Wenn die Pferde rar werden, werden Mäuse gesattelt.

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(Sprichwort der Beduinen)

Agnir lachte amüsiert.

»Warum kicherst du so? Hat ein Karpfen in deinen Zeh gebissen?«, fragte ich interessiert.

»Nein, ich stelle mir gerade vor, was Nana wohl zum Verhalten deines Onkels Hackbart gesagt hätte. Ich mag ihn irgendwie. Nur schade, dass er nicht mehr lebt. Manchmal vermisse ich einen Onkel, der ein paar derbe Zoten von sich gibt.«

»Ja, manchmal wünsche ich mir auch meinen dicken Onkel zurück, dann würde deine Oma Fergus nicht immer ihren ganzen Frust an mir auslassen. Sei froh, du hast doch Cornelius, der ist klug nicht so verfressen.«

»Sag mal, wieso weißt du eigentlich, wer genau was gesagt hat und wie alles wirklich war. Du warst doch gar nicht dabei«, wollte mein Sohn wissen.

»Tja, bei uns hoch im Norden, waren die Winter verdammt lang und dunkel. Fernsehen gab es nicht, niemand von uns konnte lesen und überhaupt waren Bücher teuer und selten. Sie wurden damals nicht gedruckt, sondern aufwendig von Mönchen kopiert und kostbar mit Marginalien und Bildern verziert. Also saßen wir in der großen Halle und quengelten so lange auf die Erwachsenen ein, bis sie irgendwelche Geschichten von sich gaben. Meistens die Nordischen Sagen, oder eben selbst erlebte Abenteuer. Sowohl mein Vater, als auch Onkel Hackbart waren hervorragende Erzähler, deren Geschichten dich so packten, als seist du selbst dabei gewesen«, wusste ich zu berichten.

»Stimmt, mir ergeht es genauso. Ach ja… Eine Frage habe ich noch… Was ist eigentlich ein Bankert?«

»Das ist ein veralteter Begriff für ein illegitimes Kind. Bankert bedeutet soviel wie: ›Mit einer Magd auf der Schlafbank gezeugt‹, eben ein anderer Ausdruck für Bastard.«

»Oh, ach so. Aber bitte, erzähle weiter, denn ich bin wirklich gespannt darauf, was als Nächstes passiert.«

Dass mein Onkel Hackbart von Skryrmirs Visionen alles andere als begeistert war, kann sich jeder bildhaft ausmalen. Er liebte den behaglichen Komfort eines geordneten Haushalts. Darum muss die lange Bootsreise für ihn den Eindruck eines Höllenritts hinterlassen haben. Vermutlich dachte er, wenn mein Vater von der Plünderfahrt zurückkäme, gäbe es ein großes Fest mit vielen Spezereien. Stattdessen musste er mit ihm zwei Tage später Richtung Bergen auslaufen. Skryrmir brauchte gerade bei den jungen Männern keine großartige Überzeugungsarbeit leisten. Jedenfalls nicht, als er erklärte, wie die Reiseroute verlaufen sollte. Denn diesmal stach er nicht in die weite See, sondern verlud mit seiner Mannschaft die erbeuteten Sklaven, dazu reichlich von unserem berühmt-berüchtigten Stockfisch, und steckte noch etwas Kleingeld ein. Die Fahrtroute verlief gen Süden, immer an der Nordischen Küste entlang, bis vorerst Bergen. Zwischendurch machten sie dann und wann halt. Nicht nur, weil Hackbart ständig allen in den Ohren lag, die Reise sei unbequem. Er verabscheute es, entweder an Bord oder aber unter dem freien Himmel schlafen zu müssen. Überhaupt, ohne Bett bekäme er gar kein Auge zu; dabei brauche er seinen Schönheitsschlaf. Das behauptete er zumindest, obwohl er derjenige war, der dermaßen von der Fahrt gelangweilt wurde, dass ihm die Augen zu fielen. Jedenfalls musste er keinesfalls auf den Luxus einer Bettstatt verzichten, denn sie legten abends stets einen Zwischenstopp ein und übernachteten bei Verwandten, bei denen sie zugleich nach dem Rechten schauten. Im besagten Bergen verkauften sie einen Teil der erbeuteten Sklaven, besuchten nebenbei wieder mal Verwandtschaft, denen Skryrmir folgendes von seiner Vision erzählte: »Odin ist mir im Traum erschienen. Er deutete nach Süden und sagte, dort würde etwas auf uns warten, das uns Haraldinger bei unseren Fahrten unbesiegbar macht. Nach Heiðabýr sollen wir fahren, um ein gutes Geschäft abzuschließen. Anschließend geht die Reise weiter östlich nach Hólmgarðr. Und ebendort wird sich uns der Sinn der Reise erschließen.« Der junge Stammesfürst glaubte seinen Traumgesichten. Genauso fest glaubte er an Odin. Und so folgte er seinem Gott bedingungslos, wenn dieser etwas von ihm forderte. Seit Harald tat das jeder Stammesführer. Schließlich musste etwas dran sein, denn die Haraldinger wären dadurch sonst nicht so einflussreich geworden.

Bei den Landgängen wurde Skryrmir das Beileid ausgesprochen, aber sie begrüßten auch neue Familienmitglieder, schmiedeten Pläne für die nächsten, im Frühjahr anliegenden Kaperfahrten, betrieben Tauschhandel, und natürlich wurde getrunken und geschmaust. Nachdem die Vettern und Brüder erfuhren, wohin die Reise gehen sollte, steuerte jeder etwas dazu bei, womit sie selbst ein wenig von der Fahrt profitieren konnten. Beim Abschied versprach Skryrmir, wiederzukommen, nicht nur, um den Gewinn vorbeizubringen, sondern auch, um ihnen mitzuteilen, wie die Prophezeiung in Erfüllung gegangen sei. Schätzungsweise waren die Verwandten zusehends erleichtert, den gefräßigen Hackbart wieder losgeworden zu sein. Wären sie nicht wieder zügig abgereist, hätte er ihnen sonst möglicherweise sämtliche Haare vom Kopf gefressen und alle Frauen im gebärfähigen Alter geschwängert.

Von der Skandinavischen Küste aus, ging die Fahrt weiter in das Kattegat. Sie schifften sich durch den langen Arm der Schlei ein und erreichten bald darauf Heiðabýr, auch Haithabu genannt, nahe Schleswigs. Übersetzt bedeutet es soviel wie Heidehof. Dort verkauften sie den Rest der Sklaven und stockten ihren Bedarf an Proviant auf, da weiter östlich das Einflussgebiet der Haraldinger endete und somit nicht mit weiterer Verwandtschaft gerechnet werden konnte.

Heiðabýr war damals ein lebhaftes Handelszentrum der Dänen. Dort konnte man nicht nur Tauschhandel betreiben, sondern weitere Kontakte zu anderen Stämmen knüpfen. Und ganz wichtig, Informationen austauschen. Später residierte dort sogar der König Gøtrik von Dänemark. Damals gab es noch kein vereinigtes Dänemark, so wie es in der heutigen Form existiert. Der König war lediglich Herrscher über Värmland, Westerfold, Hedemarken, Hedeland, Schleswig, Westmare und ein paar weiteren Inseln. Doch zu der Zeit, als Skryrmir und Hackbart dort verweilten, regierte gerade Gøtriks Vater, König Sigurd.

Als er erfuhr, dass Skryrmir in Heiðabýr verweilte, schickte er einen Boten, der die Reisenden darüber unterrichtete, sie seien als Gäste des Königs herzlich willkommen. Sie sollen ihm folgen. Vor Ort begrüßte König Sigurd sie voller Wärme. Nichtsdestotrotz zeigte er sich zutiefst besorgt darüber, was weiter im Süden vor sich ging. Der Christenkönig Karl, Pippins Spross, häufte Macht an, wie kein Regent vor ihm. Sogar seinen eigenen Bruder Karlmann habe er auf dem Gewissen, nur, um sich dessen Gebiete einzuverleiben. Man munkelte, Karl würde mit dem Oberpriester in Rom Geschäfte machen. Es war die Rede von einer Schenkung. Dafür wollte der Oberste Hirte König Karl zu einem westlichen Caesaren ernennen. Und das, obwohl es längst einen Caesaren im östlichen Byzanz gab. Darüber hinaus, waren sie überein gekommen, einen heiligen Orden zu gründen, der gegen alle Ungläubigen ziehen sollte. Den Orden des heiligen Michael. Sigurd gab zu bedenken: »König Karl könnte auf die dumme Idee kommen, Ansprüche auf meine Gebiete zu erheben. Zudem verfährt der Frankenkönig gnadenlos mit, in seinen Augen, Ungläubigen. Die Gebiete der Langobarden, Awaren und der Bayern hat er bereits geschluckt. Zurzeit nimmt er sich gerade die Sachsen zur Brust und zwingt diese, seinen christlichen Glauben anzunehmen. Er will sie gnadenlos unterwerfen. Allerdings beißt er sich an den von Widukind verratenen Stämmen die Zähne aus, was uns eine erholsame Verschnaufpause bringt. Karls Problem ist, dass er die Sachsen als ein Ganzes sieht, dabei leben sie in losen Stammesverbänden. Kämpft er gegen die Westfalen, trommeln die Ostfalen die Nordalbingier zusammen, mit denen sie den Angreifern in den Rücken fallen. Ich hoffe jedenfalls, die Sachsen-Stämme werden Karl noch lange beschäftigen. Also frage ich dich Skryrmir: Wirst du mir mit deinen Männern zur Seite stehen, sollte dieser gierige Karl seine Krallen wetzen, um sich mein Land zu holen? Mit der Taufe zum Christentum fiel mir mein vorheriger Verbündeter, der Herzog Widukind, in den Rücken. Er macht jetzt mit Karl gemeinsame Sache. Dieser war sogar sein Taufpate! Mir graut es davor, einen abgemagerten Halbnackten anbeten zu müssen, der an einem Kreuz hängt! Was würden unsere Ahnen dazu sagen? Nein, ohne mich! Eher stürze ich mich ins eigene Schwert!«, grunzte er abwertend.

Skryrmir brauchte nicht lange nachzudenken. »Gewiss werde ich dir zur Seite stehen, falls es zu einem feindlichen Übergriff der Franken kommt. Ich gehe mal davon aus, dass dein Sohn Gøtrik noch keiner Braut versprochen wurde?«, fragte er neugierig. Seine blauen Augen funkelten belustigt.

»Nein, bisher noch nicht. Aber ich dachte da eventuell an Alfthild, vom Stamme der Nordalbingier.«

»Falls es zu einem Bündnis zwischen uns kommen soll, gebe ich deinem Sohn meine Tochter Sigrun zur Frau.«

Der Dänenkönig wirkte ernsthaft überrumpelt, gab jedoch angesichts des ihm dräuenden Unheils, knirschend seine Zustimmung.

Als sie später im Schlafgemach wieder unter sich waren, bemerkte Hackbart: »Hast du das Gesicht von König Sigurd gesehen, als du ihm rotzfrech deine Tochter aufs Auge drücktest?«

»Was soll´s. Ich investiere in unsere Zukunft, wenn meine Tochter Sigrun die Königin von Dänemark wird. Wenn Sigurd nicht so ein krasses Arschflattern gehabt hätte, wäre ich nicht so nassforsch vorgegangen. Aber er soll einen angemessen hohen Preis bezahlen, wenn er schon von uns fordert, dass wir unser Haraldinger Blut für ihn vergießen.«

»Weißt du, was ich denke? Früher oder später wird sich entweder Sigurd, oder Gøtrik mit den übriggebliebenen Sachsen arrangieren. Und dann wird irgendwann Karl mit ihnen eine beiderseits akzeptierte Grenze aushandeln. Sigurd wird nicht zulassen, dass die Haraldinger ihm etwas diktieren.« Hackbart lachte. »Ich dachte schon, er erstickt an seinem Happen und lässt uns alle töten.«

»Wenn er uns tötet, verstößt er damit gegen das heilige Gastrecht und erzürnt die Götter. Na ja, wer weiß, vielleicht hat er es bereits ins Auge gefasst. Die Nacht ist noch nicht vorüber! Schlaf jetzt!«, meinte Skryrmir daraufhin und grinste.

Hackbart tat in dieser Nacht kein Auge mehr zu...

Am nächsten Tag brachen sie auf. Nun setzten sie ihre Fahrt Richtung Osten fort. Hackbart bemitleidete sich selbst, weil ihm das trockene Smørebrøt von jeher suspekt war, genauso wie die viel zu stille Ostsee, die sie durchfuhren. Sie umrundeten das Baltikum und das Land der Esten, anschließend durchfuhren sie die Newa mit ihren Sumpfgebieten. In diesen Auenwäldern tobte das pure Leben. Sie sahen Biber, Kraniche und kleine Vögel, die wie Edelsteine in der Sonne glitzerten. Die Newa mündete im Ladogasee. Dort legten sie eine kurze Verschnaufpause in der Siedlung Ladoga ein, um Frischwasser und Proviant aufzunehmen. Von Ladoga aus folgten sie dem Verlauf eines Flusses namens Wolchow.

Endlich erreichten sie ihr Ziel: Hólmgarðr, (Neugarten) dem heutigen Weliki Nowgorod, im Lande der Rus.

Hackbart erhob sich feierlich von seinem Sitz. »Gepriesen sei Odin!«, warf er die vom Rudern schwielig gewordenen Hände in die Luft. »Ich werde verrückt! Ich rieche gebratenes Schweinefleisch! Endlich wieder etwas Ordentliches zu essen! Herrlich, ich freue mich, wieder in einem Bett zu schlafen. Und vor allem, wieder ein Weib zu besteigen! Diese Reise war eine Strapaze! Ich habe bestimmt schon Gewicht verloren!«

»Gewiss, mein Freund mit den schweren Knochen! Du hast Gewicht verloren«, lachte Úlrik. »Dir ist nämlich gerade eben beim Aufstehen eine schwere Schinkenhaxe aus der Tasche gefallen!« Dröhnendes Gelächter ertönte.

Sie vertäuten das große Langschiff und luden ihre Waren aus. Jeder nahm so viel mit, wie er tragen konnte. Zuvor losten sie jedoch per Strohhalm aus, wer als Erster die Wache beim Boot übernehmen musste. Dann trennten sie sich vorerst, mit dem Auftrag, einen möglichst vorteilhaften Preis für ihre Waren herauszuschlagen. Das allerdings, so Skryrmirs Auflage, ohne dabei die Fäuste sprechen zu lassen.

Der Stammesfürst, in Begleitung seines Bruders, ließ das rege Treiben des riesigen Marktes von Hólmgarðr auf sich einwirken. Überall herrschte geschäftiges Treiben. Menschen fremder Herkunft kreuzten ihren Weg. Die, mit den schmalen Augen und hohen Wangenknochen, kamen aus dem Osten. Aus dem Westen stammten die slawischen Völker, die seltsame Götter anbeteten. Teilweise hatten diese fremden Götter sogar mehrere Gesichter. Sie trugen alle eigentümliche Namen: Svarog, Dažbog, Perun, Veles. Die Elb-und Ostslawen beteten wiederum völlig andere Götter an: Radegast, Svantovit, Triglaw und Jarovit. Dazu kamen noch diverse Elementargeister.

Dunkelhäutige Menschen sahen sie ebenfalls. Einige trugen sogar obskure Tücher um die Köpfe gewickelt.

»Die haben sich bestimmt den Schädel gestoßen. Ist garantiert nur ein Verband«, vermutete Hackbart. »Boah, sieh dir nur diese Pelze an und wie weich die sind!«, zeigte er auf einen Stapel, den ein Pelzhändler präsentierte. »Was ist das hier?«, deutete er auf ein seidiges dunkles Fell.

»Zobel«, antwortete der Händler.

»Woher hast du es?«, erkundigte sich der Dicke.

»Aus dem Gebiet rund um die Newa. Das, mein Freund, bleibt allerdings unter uns!«

»Hör mal, wem sollte ich das weitererzählen, wir sind hier völlig fremd! Was willst du für… Wie viele brauche ich, um für meinen Umhang einen ordentlichen Pelzkragen zu machen?«

»Äh, du bist ein großer Mann! Du wirst sicherlich zehn davon benötigen. Greif zu, ich mach dir einen annehmbaren Preis!«, versprach der Händler. Schnell schlossen sie das Geschäft ab.

Der Markt war schier atemberaubend. Nie zuvor sahen sie so viele verschiedene Stände, die so mannigfache Waren anpriesen. Der Lärm wirkte beinahe unerträglich, der durch die verschiedenen Rufe in diversen Sprachen verursacht wurde, weil jeder seine Ware feilbot. Je lauter, desto besser. Die Luft war durchdrungen von tausend Düften. Nicht nur von angenehmen. Lebendige Tiere standen ebenfalls zum Verkauf.

Trotzdem lief ihnen das Wasser im Munde zusammen und so probierten sie Honig, Brot, Wurst und Käse. Nebenbei schlossen sie ein vorteilhaftes Geschäft mit einem Fischhändler ab, der sein Glück nicht fassen konnte, qualitativ so hochwertigen Stockfisch zu bekommen. Er beschnüffelte die Ware wie ein Zollhund. »Wie viele Fässer davon habt ihr mitgebracht? Und sind sie ebenso von dieser Qualität?«, fragte er gierig.

»Genug Fässer, um uns alle reich zu machen«, grunzte Hackbart mit vollem Mund, der sofort das Feilschen übernahm. Beiläufig verdrückte er quasi im Vorbeigehen ein halbes Spanferkel. Dieser Handel nahm beinahe lebensbedrohliche Formen an, weil der Dicke mit der angebissenen Schweinshaxe herumfuchtelte. Verbissen wollte jeder für sich einen größtmöglichen Vorteil herausholen. Endlich wurden sie sich einig, spuckten in die Hände und schlugen ein. Gutgelaunt begleitete Hackbart seinen neuen Geschäftspartner und dessen Karren zum Langschiff.

Skryrmir unterhielt sich derweil noch ein wenig mit Milan, dem Sohn des Fischhändlers, der die Aufsicht über den Stand während seines Vaters Abwesenheit übernehmen musste. Als der Nordmann ein paar Leute johlen und klatschen hörte, wurde er neugierig. »Was geht da vor? Warum ist da so ein Aufruhr? Sind das da hinten etwa Vaganten?«, fragte er.

»Nein, die Hunnen. Das musst du einfach gesehen haben!«

»Hör mal. Wenn der dicke Riese zurückkommt, richte ihm aus, ich sei dort drüben beim Platz«, sagte er dem Jungen.

»Sage ich ihm. Du bist ja nicht zu übersehen, er wird dich schon finden!«, grinste Milan.

»Kommt drauf an, wann er zurückkommt. Womöglich nötigt er deinen Vater noch dazu, mit ihm eine ordentliche Menge Met zu trinken. Danke, Milan, war nett, dich kennenzulernen!«, drückte er ihm einen Bernstein in die Hand.

»Danke! Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite, Nordmann!«, freute sich der Junge.

Mit einem prickelnden Gefühl der Neugierde, machte sich Skryrmir auf, um zu sehen, was dort auf der Wiese vorging.

Auf der Lichtung, umringt von Publikum, ritt ein Junge auf einem ziemlich kleinen, wendigen Pferd und führte dabei seine atemberaubende Reitkunst vor. Er ritt völlig freihändig auf seinem trittsicheren Pferd, welches er allein durch den Druck seiner Schenkel lenkte. Nebenbei schoss er mit einem Bogen einen Pfeil in die Luft, den er mit einem weiteren Pfeil wieder herunterholte. Die Leute waren schier begeistert, jubelten und klatschten. Skryrmir war völlig von den Socken. Nie zuvor hatte er jemanden so schnell einen Pfeil nach dem anderen ziehen sehen. Pferd und Reiter bildeten eine perfekte Einheit. Nach diesem Kunststück ritt der junge Reiter in einen Parcours, in dem zwölf Zielscheiben kreisförmig aufgebaut waren. In hohem Tempo ritt er eine Volte, drehte sich im Sattel in die jeweilige Schussrichtung und zielte dabei auf die Zielscheiben. Jeder Pfeil traf ins Schwarze, kein einziger ging fehl. Das Publikum raste vor Begeisterung. Nur der Kerl, der vor Skryrmir stand, spuckte verächtlich in den Sand, zeigt auf den Jungen mit der Pelzkappe und knurrte: »Scheiß Hunnen. Sie sind wahre Teufel. Nicht umsonst heißt es, sie hätten die Pest im Schlepptau!«

Skryrmir grinste. Das Gleiche behauptete man auch von den Nordmännern, die mittlerweile als »Geißel der Menschheit« tituliert wurden. Jeder, der ihnen unterlegen war, konnte und wollte kein gutes Wort über sie verlieren.

Der junge Mongole ritt unterdessen weiter, ohne zu ermüden. Seinem wendigen braunen Pferd schien diese Tour de Force ebenso wenig auszumachen. Der Gaul hatte nicht einmal Schaum vor dem Maul. Skryrmir beschloss, dass sie unbedingt solche Pferde brauchten. Sie sahen zäh aus, nahmen gerade die Hälfte des Platzes ein, den ein Fjordpferd benötigte, und wahrscheinlich fraßen sie nur ein Viertel von deren Futter.

Der Hunne hielt mit einem Affenzahn auf eine Strohpuppe zu. Sie war mit einer Kettenrüstung bekleidet. Er preschte heran, schoss - und verschwand wie der Blitz. Das Publikum hielt den Atem an, als es gewahr wurde, wie der Pfeil das Kettenhemd durchbohrte, die Strohpuppe perforierte und auf der anderen Seite des Kettenhemdes mit der Spitze wieder heraus brach. Skryrmir bekam eine Kopfgänsehaut, als er begriff, welche Durchschlagskraft dieser Pfeil haben musste. Nur konnte es nicht allein am Pfeil liegen, so viel war ihm klar. Sofort warf er einen abschätzenden Blick auf den Bogen, mit dem der junge Reiter so meisterhaft umzugehen verstand. Ja, er musste das wahre Geheimnis sein! Der Bogen. Ungewöhnlich stark an den Enden nach außen gebogen, glich er nicht den Bögen der Nordmänner, oder dem Langbogen der Angeln. Zudem schien er nicht aus gewöhnlichem Holz gefertigt zu sein. Er unterschied sich in jeder Hinsicht von den Bögen, die sie selbst benutzten. Und sei der Schütze noch so stark; nie zuvor hatten sie damit ein Kettenhemd durchschlagen. In seinem Hirn formte sich plötzlich eine Idee: Wenn Odin ihn hierher geschickt hatte, dann waren diese Pferde und der geheimnisvolle Bogen der Grund.

»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!«, brummte Hackbart, der hinter seinen Bruder getreten war. Es war Skryrmir stets ein Rätsel, wie so ein schwerer Kerl dermaßen lautlos gehen konnte.

»Da, der Junge auf dem Pferde, mit dem Bogen...«

»Geh da bloß nicht so nah ran! Man sagt, die Hunnen haben die Pest an sich!«, wiegelte Hackbart ab, der nicht den Sinn der Rede verstand. Er trug schon leicht einen Affen spazieren und verströmte wieder mal den Geruch von Met.

»Bist du schon wieder angesäuselt? Sei ruhig und sieh zu! Das Pferd, der Bogen! Sieh hin!«, befahl Skryrmir.

»Was denn? Mäuse die auf Ziegen reiten? Pah! Ich habe Wolfshunde gesehen, die größer sind als dieses Pferd. Und was ist denn so Besonderes an diesem Bogen?«

In genau diesem Moment durchschoss der junge Mongole ein Schild aus Holz.

»Sapperlot!«, bemerkte Hackbart verdattert. »Hast du das gesehen? Durch den Schild! Mir dünkt, wenn dieser junge Mann seine Vorstellung beendet hat, sollten wir unbedingt ein Gespräch mit ihm führen!«

»Und mir dünkt, es ist jetzt so weit!«, bemerkte Skryrmir.

Der Reiter blieb vor der Menge stehen, dann beugte er das Haupt und sein Pferd ebenfalls. Aber nicht nur das, es verbeugte sich so tief, dass es in die Knie ging. Die Menge klatschte und jeder, dem die Vorstellung gefiel, warf entweder eine Münze, Ringe, oder einen Bernstein. Der Junge verneigte sich ein zweites Mal: »Vielen Dank! Wer genauso ein fabelhaftes Pferd wie meines haben will, sollte unbedingt beim ehrwürdigen Pferdehändler Temudschin Badma vorbeischauen. Er ist nur noch einen letzten Tag vor Ort, also beeilt euch!«, stieg er vom Gaul und sammelte seinen Lohn auf, den er schleunigst in die Tasche steckte.

»He da, Junge mit den Schlitzaugen!«, rief Skryrmir.

Der Junge grinste. »Ja, Nordmann, mit der langen Nase?«

»Kannst du mir zeigen, wo es zu diesem Badma geht?«

»Klar, kannst mitkommen! Ich muss sowieso jetzt nach Hause«, bemerkte der freche Bengel und stieg wieder auf seinen Gaul.

Irgendetwas passte Hackbart offenbar gar nicht. »Hey, du kleine Rotznase! Das ist Skryrmir, Fürst der Haraldinger, also steig nicht auf deinen Gaul, sondern erweise uns Respekt. Sonst müssen wir die ganze Zeit mit einem Pferdearsch reden!«

»Hackbart, lass ihn, es ist doch egal!«, meinte Skryrmir.

»Nein, ist es nicht!«, erwiderte sein Bruder.

Der Junge rutschte vom Pferd, verneigte sich und sagte: *»Ямар ялгаа байна вэ? Би илжиг энэ агшинд ярих!«

»So ist es recht!«, bemerkte Hackbart zufrieden. Nur sah er nicht, wie der Junge seinem Bruder Skryrmir grinsend zuzwinkerte. Skryrmir wusste allerdings nicht weshalb. Trotzdem beschloss er spontan, diesen außergewöhnlichen Jungen zu mögen.

*»Was macht das für einen Unterschied? Ich rede gerade in diesem Moment mit einem Arsch!«

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

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