Читать книгу Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen - Elke Bulenda - Страница 3

Eine neunstöckige Terrasse beginnt mit einem Haufen Erde.

Оглавление

(Laotse)

Es war schon recht spät, aber eine dermaßen heiße Julinacht, dass der Schlaf ausblieb und ich kein Auge zu bekam. Wenn ich die Klimaanlage einschalte, kann ich wiederum nicht schlafen, weil sie in meinen Ohren einen unsagbaren Lärm veranstaltet. Das ist die Kehrseite, wenn man das Hörvermögen eines Luchses besitzt. Für Vampire sind solche Nächte eigentlich ideal für die Jagd. Leider dürfen wir Vampire keine Menschen mehr jagen. Die Zeiten ändern sich eben, und das gereicht uns nicht immer zum Vorteil.

Egal, es trieb mich trotzdem aus dem Haus, und wenn schon die Jagd ausfiel, dann wenigstens, um dem kleinen See auf dem Grundstück einen Besuch abzustatten. Es gibt nichts Besseres, als in einer heißen Sommernacht unter dem Sternenzelt schwimmen zu gehen. Und da der Anblick so wundervoll ist, sollte man sich, auf dem Rücken treibend, das Schauspiel ganz genau ansehen. Apropos ansehen.

Zuvor wollte ich mich vergewissern, dass meine minderjährigen Mitbewohner nicht auf die gleiche Idee kamen. So betrat ich zuerst Saschas Zimmer. Meine Stieftochter schnarchte leise und schlief den Schlaf der Gerechten. Wenigstens eine, die nicht unter Schlafstörungen leidet. Als Nächstes observierte ich Ructus. Er ist zwar weder Kind, noch minderjährig, aber wer sagt denn, dass kleine Teufel nicht ebenfalls eine Mütze voll Schlaf benötigen? Ructus schlief gleichfalls tief und fest. Missbilligend musste ich registrieren, dass er wieder einmal den riesigen Köter bei sich im Bett schlafen ließ. Schnauze, mein Freund – so lautet der Name unseres Cane Corso Hundes – hob neugierig den Kopf, um zu sehen, was ich zu dieser späten Stunde von ihm wollte. Ich legte den Finger an die Lippen, um ihm zu signalisieren, dass er leise sein solle. Schnauze senkte wieder den massigen Kopf, guckte mich dennoch schuldbewusst an, als wolle er sagen, dass es nicht seine Idee gewesen sei, zusammen mit dem kleinen Teufelchen im Bett zu liegen, sondern Ructus ihn dazu genötigt hätte. Ja, ja… Diese Hundeaugen sprechen wirklich Bände.

Zuletzt wollte ich sehen, ob Agnir, meine Leibesfrucht, es den anderen gleichtat, aber ich sah bereits das Licht, welches unter der Türschwelle hervordrang. Möglicherweise war er wieder vor der Glotze eingeschlafen. Diese Vermutung musste ich jedoch redigieren, weil ich stattdessen leises Umschlagen von Buchseiten hörte. Entweder konnte er sich nicht von einem spannenden Roman loseisen, oder er lernte noch. Also klopfte ich diskret an, falls er gerade irgendwelchen Saukram betrieb…

»Herein, Papa«, sagte Agnir.

Ich kam der Aufforderung nach. »Hey, Stöpsel. Warum schläfst du eigentlich um diese Zeit noch nicht? Und was treibst du überhaupt zu so später Stunde?«, wollte ich wissen.

»Weißt du, ich bin ein wenig aufgeregt wegen der anstehenden Hochzeit. Harry hat mich gewissermaßen mit seiner Nervosität angesteckt. Dabei müsste er eigentlich schon ein wenig Routine haben, schließlich führt er mit meiner Schwester Jule bereits die dritte Braut vor den Traualtar. Schrecklich, wenn man so ein Perfektionist ist und ständig alles kontrollieren will!«, erwiderte mein kleiner Sohn, der mit seinen achtzehn Monaten und dem ungewöhnlichen Wachstum, jedes normale Menschenkind in den Schatten stellte. Er wuchs in einem Monat so rasch wie ein junger Mensch in einem ganzen Jahr. Ich frage mich immer wieder, wie Amanda, meine verstorbene Ehefrau und Agnirs Mutter, auf ihren ungewöhnlichen Sohn reagieren würde. Ich glaube kaum, dass sie sich von seiner Größe einschüchtern ließe. Sie hätte ihn trotzdem ausgeschimpft, wenn er Unfug machte und ohne einen Schluck Blut ins Bett geschickt. Nun, inzwischen stand Agnir kurz davor, die Zweimeter-Marke zu knacken. Und das tägliche Kampftraining, das er mit seinem Schwager Haremhab absolvierte, trug dazu bei, ihn in einen wahren, muskulösen Recken zu verwandeln. Sein gewelltes, beinahe weißblondes Haar trug mein Sohn lang bis über die Schulterblätter. Und neuerdings pflegte er - ganz wie der Herr Papa - einen Bart zu tragen, den sogenannten Henriquatre, der eine gewisse Sicherheit im Umgang mit dem Rasiermesser voraussetzt. Doch scharfe Waffen, in Händen einer Familie mit langer Kriegertradition, sind nichts Ungewöhnliches.

»Na, zum Glück führt er nicht alle drei Bräute gleichzeitig vor den Altar. Dieser alte Harems—Besitzer!«, gluckste ich. »Ja, mich regt die Hochzeit ebenfalls auf. Denn sie kostet mich ein Heidengeld, obwohl ich nur die Hälfte dazugebe und der Bräutigam die andere Hälfte beisteuert. Trotzdem würde ich für deine Schwester Jule diese verdammte Hochzeit sogar auf dem Mond ausrichten lassen. Allerdings nur, wenn sie es wünscht«, knirschte ich. Zum Glück wollte Jule das Brautfest bei uns im Haus und Garten feiern, und nicht etwa nach den Sternen greifen. Sie war von jeher eher pragmatisch veranlagt.

Agnir musterte mich durch seine funkelnden, dunkelbraunen Augen, die mich so schmerzhaft an den Verlust meiner Amanda erinnern. »Außerdem kann ich nicht schlafen, weil es viel zu heiß ist! Diese Hitze macht mich ab und alle, sie nervt!«

»Dann mach eben die Klimaanlage an!«, winkte ich ab.

»Die Klimaanlage ist mir zu laut, damit kann ich erst recht nicht einschlafen. Wir haben ohnehin Ferien«, rechtfertigte er sich. »Da kann ich ebenso gut so lange lesen, bis mir der Kopf auf die Tischplatte sinkt und ich einschlafe«, erklärte er weise.

»Die Sache mit der Klimaanlage müssen wir unbedingt ändern, denn mir ergeht es haargenau so. Ich werde mich erkundigen, ob es nicht vielleicht leisere Modelle gibt«, versprach ich. Beim anderen Punkt packte mich das schlechte Gewissen. »Ja, ihr habt Ferien. Leider können wir nach den Hochzeitsfeierlichkeiten nicht gemeinsam verreisen. Dummerweise habe ich beim Ältestenrat der Vampire noch eine offene Rechnung zu begleichen, sitze wie auf Kohlen und warte auf meine Order«, entschuldigte ich mich. »Ihr könntet jedoch mit Nana nach Schottland fahren«, schlug ich vor. »Das Training fällt ohnehin für dich eine Weile aus, solange Jule und Harry ihren Honeymoon in Ägypten verbringen. Hoffentlich verhaften sie Haremhab nicht, weil er irgendetwas annektieren will. Manchmal vergisst er einfach, dass er kein Pharao mehr ist«, gab ich zu bedenken.

»Rein theoretisch könnte ich mit Nana verreisen. Aber eigentlich würde ich gerne lieber hier, bei dir bleiben«, beschied mein Sohn. Offenbar machte er sich Sorgen, ich könnte ohne meinen Anhang wieder mal in eine Depri-Phase fallen, mich sinnlos betrinken und versacken.

»Sag mal, wenn du Ferien hast, warum lernst du noch um diese unchristliche Zeit? Für deine Führerscheinprüfung? Und ist der Blick in den Atlas nicht ein wenig übertrieben? So weit fahrt ihr bei der Fahrprüfung bestimmt nicht«, zog ich ihn ein wenig auf.

»Nein, ich hoffe ebenfalls, dass wir nicht so weit fahren!«, lachte er amüsiert. »Nee, Cornelius hat uns zu einem Projekt angeregt. Er schlug vor, wir sollten uns alle Gedanken darüber machen, wo unsere Wurzeln sind. Du weißt ja, dass es Menschen gibt, die Andersartige oder Fremde hassen. Dabei, wenn man mal genau hinsieht, sind die meisten Menschen selbst vor ein paar Generationen von woanders hierhergekommen. Tja, und da Wurzeln weitverzweigt sein können, versuche ich gerade hier, anhand des Atlanten, auszumachen, woher deine Mutter gekommen sein könnte. Nana erzählte ja schon, woher sie kommt, aber eigentlich ist sie nicht mal meine richtige Großmutter, da sie mit mir nicht blutsverwandt ist. Und die Großeltern mütterlicherseits starben bei einem Unfall. Meine Großmutter väterlicherseits, kann mir wohl kaum erzählen, woher sie stammt. Immerhin ist sie bereits fast zwölfhundert Jahre tot. Und überhaupt weiß ich so gut wie gar nichts über dich. Ich weiß nur, wo du geboren wurdest, und ab und zu gibst du mal einen Schwank aus deiner Jugend zum Besten, aber ansonsten, weiß ich nichts über dich und deine Eltern«, schob er mir den dicken Wälzer zu.

»Und hätte ich gewusst, dass du dermaßen neugierig bist, hätte ich mir längst die Zeit genommen, dir mehr über mich zu berichten. Nur wollte ich mich nicht aufdrängen und dich dabei womöglich langweilen. Nur so viel: Meine Mutter lernte ich schon vor meiner Geburt kennen, meinen Vater erst danach. Obwohl ich mir hundertprozentig sicher bin, dass er ab und zu mal vorbeischaute. Hier!«, zeigte ich in die Leere der mongolischen Weite. Hier, in der Nähe des heutigen Ulan Bator, dort wurde deine Großmutter geboren!«

Agnir schaute verwundert auf den kleinen Punkt im Nichts: »Und wie kam sie dann so hoch in den Norden, wenn ich mal fragen darf ?«

»Über die Seidenstraße«, zeichnete ich mit dem Finger die Strecke nach. »Bis hier, Samarkand! Dort ließ sich Temudschin Badma mit seiner Frau Ojuna und Familie nieder. Vorher zogen sie mit ihrer Jurte durch die Steppe Asiens. Sie waren Abkömmlinge eines alten, glorreichen Reitervolkes, den Skythen. Jedenfalls ließen sie sich mit ihren kleinen, mongolischen Pferden und den hässlichen zweihöckrigen Kamelen in der Nähe der alten Oasenstadt nieder, weil dein Urgroßvater zu der Erkenntnis kam, vor Ort einen besseren Preis für seine Tiere und ihre Erzeugnisse zu erzielen, anstatt sich den Kaufpreis durch Zwischenhändler schmälern zu lassen. Er trieb Handel mit kleinen Pferden, Kamelen und deren Wolle.«

»Und wie kam deine Mutter so hoch in den Norden?«, bohrte Agnir wieder nach.

»Eigentlich durch eine Tragödie. Wie vieles im Leben, muss erst einmal etwas Altes vergehen, damit etwas Neues daraus erwachsen kann. Nun, mir scheint, ich sollte das Pferd nicht von hinten aufzäumen, sondern am Kopf beginnen. Komm, Agnir, gehen wir zum kleinen See, dort ist es wesentlich angenehmer. Denn alles begann unter dem Nachthimmel...«

Mein Vater Skryrmir Thoraldson war der Stammesfürst des sagenhaften Geschlechts der Haraldinger. Sagenhaft insofern, weil Urahn Harald des Nachts den Sternenhimmel beobachtete und etwas Ungewöhnliches wahrnahm, welches sein ganzes weiteres Leben verändern sollte. Denn bevor ich mit meinem Vater beginne, sollte ich zuerst von Harald und dem Entstehen unseres Geschlechts erzählen. Besagter Harald folgte einem Stern, der auf die Erde stürzte und die Umgebung mit Lärm, Feuer und einem Erdbeben bedeckte. Er wollte diesen gefallenen Stern unbedingt in seinen Besitz bringen, weil ihm in der Nacht zuvor Odin im Traum erschienen war. So wie wir, verfügte unser Stammesvater zeitweise über das zweite Gesicht. Gottvater Odin sagte ihm in dieser Vision voraus, er hätte ein Geschenk für Harald. Er solle diese göttliche Gabe an sich nehmen, denn sie würde fremdartiges Metall enthalten. Daraus solle sich Harald ein mächtiges Schwert schmieden. Diese Klinge würde ihn unbesiegbar machen und zu Ruhm und Erfolg führen. Seltene Metalle waren von jeher heiß begehrt. Nicht nur bei den Menschen, sondern genauso bei Kreaturen, die den wahren Wert edlen Metalls schon mit einem Blick erkennen. Unter anderem gab es da einen roten Drachen, der es ebenfalls auf den gefallenen Stern abgesehen hatte. Doch Harald wollte Odins Geschenk nicht mit einem Schätze hortenden Drachen teilen, geschweige denn, es sich von ihm streitig machen lassen. Und schon gar nicht von diesem gierigen Røddreki, so der Name des Drachen. Und es kam, wie es kommen musste. Harald und Røddreki trafen zur gleichen Zeit beim Krater des Meteoriten ein. Obwohl Harald in Deckung ging und sich vor dem Drachen verbarg, erschnüffelte dieser ihn in der kalten Nachtluft: »Ah! Ich rieche Menschenfleisch! Wo bist du kleines Menschlein? Ich werde deine dünnen Knochen als Zahnstocher benutzen...«

»...Moment mal!«, warf Agnir ein. »Der Drache konnte sprechen?«

»Natürlich! Oder glaubst du, das wären die Meriten von diesem Tolkien? Schließlich ist deine Tante Cassandra ebenfalls des Sprechens mächtig. Drachen sind genauso wie wir, vernunftbegabte Wesen. Unterbrich mich nicht ständig, sonst komme ich ja nie zu Potte!«

»… Hier bin ich!«, rief Harald.

Und irgendwie war das mal wieder typisch für Odin. Zwar sagte er Harald mit dem fallenden Stern einen sagenhaften Schatz voraus, jedoch nicht den auf ihn lauernden Drachen. Da Harald eher als bedächtiger Mann galt, ging er zum Glück niemals ohne Schild und Speer aus dem Haus. Unterwegs hätte ihm schließlich ein Elch begegnen können, ein nicht zu verachtender Snack. Im Norden ist es sehr kalt, und dementsprechend muss man für ausreichende Energie in Form von Nahrung sorgen.

»Zeig dich!«, knurrte Røddreki. »Meine Augen sind nicht mehr die besten. Ich will sehen, mit wem ich mir nachher die Zähne reinige.«

»Nichts da! Ich bin doch nicht blöd!«, brachte Harald zu Gehör und schlich um den mächtigen Felsblock, hinter dem er sich versteckte. Der Drache dachte wohl, er könne Harald überlisten, indem er von ihm ein Lebenszeichen verlangte, um zu erfahren, wo sich dieser verbarg. Als der Drache hinter den Felsen spähte, war Harald längst auf der anderen Seite.

»Hey, ich will dir nichts zuleide tun, Drache. Mein Begehr ist einzig und allein, dieser gefallene Stern!«, sprach Harald. »Wenn du ihn mir überlässt, gehe ich wieder fort und störe dich nicht weiter, edler Drache!«

»Harrr, harrr, harrr!«, lachte der Drache heiser. »Als wärst du in der Position, mir einen Handel vorzuschlagen! Du hast rein gar nichts, das du mir als Gegenleistung anbieten könntest!«

»Nicht Harrr, harrr, harrr, sondern Harald, merk dir das! Und ob! Ich lasse dir dein Leben und obendrein darfst du deinen Schatz behalten! Na, wenn das keine Gegenleistung ist, weiß ich auch nicht weiter«, entgegnete der blonde Hüne mutig und bewarf den lauernden Drachen mit einem Schneeball. Er traf Røddreki direkt zwischen die Augen, was diesen fürchterlich gegen den dreisten Menschen aufbrachte.

Selbst wenn der Drache ein vernunftbegabtes Wesen sein sollte, hieß das noch lange nicht, dass er zugleich vernünftig handelte. Immerhin hätte er sich Haralds Angebot mal ordentlich durch den Kopf gehen lassen sollen. Stattdessen reagierte er aggressiv und arrogant: »Du willst mich töten? Womit denn? Etwa mit einem lächerlichen Klumpen Eis?«, fauchte Røddreki, stampfte dabei auf und spie eine gewaltige Fontäne seines höllisch heißen Drachenfeuers. Damit verwandelte er die ihm zugewandte Seite des Felsens in eine rotglühende, zähflüssige Masse - die wie ein Käse in der Sonne - träge dahinschmolz. Der Schnee zischte und verdampfte. Zurück blieb das nackte, verbrannte Erdreich.

Das kam meinem Ahnen gerade zupass, denn damit vernichtete der Drache Haralds Fußspuren im Schnee, die ihn ansonsten glatt verraten hätten. Zudem beabsichtigte er, den Drachen so häufig wie möglich zum Feuerspucken zu nötigen. Und zwar so lange, bis sein Drachenfeuer völlig erschöpft war. Diese Riesenreptilien besitzen nämlich auch nur ein begrenztes Maß an Feuer, das ihnen zeitweise zur Verfügung steht. Wohlgemerkt, das war an und für sich ein guter Plan. Überdies entging Urvater Harald, dass der Drache zwei Flügel sein Eigen nannte. Da er diesen aufdringlichen Menschen nicht sehen konnte, erhob sich Røddreki in die Lüfte, um ihm endgültig den Garaus zu machen. Als Harald einen heißen Windhauch fühlte, riss er sofort den Schild in die Höhe, der ihn vor dem Schlimmsten bewahrte. Trotzdem musste er sich von seinem Schild schleunigst trennen, da dieser lichterloh brannte und sein überhitzter Griff Haralds Handfläche mit Brandblasen übersäte. Geistesgegenwärtig stürzte sich der kühne Krieger kopfüber in eine hohe Schneeverwehung, die ihm genügend Deckung bot, um sich vor den Augen des Drachen im Verborgenen zu halten.

Das schmeckte Røddreki überhaupt nicht. »Ach so, Menschlein, du willst also mit mir Verstecken spielen? Gut, spielen wir Verstecken. Ich habe im Moment sowieso nichts anderes zu tun!«, knirschte der Drache und spie erneut sein heißes Feuer. Er rechnete fest damit, Harald aufgespürt zu haben, stattdessen ertönte: »Suchst du was?« hinter dem Drachen, der sich sogleich verwundert und zum Angriff bereit, herumdrehte. Siegessicher riss das Untier den Rachen auf, um dabei allerdings spontan festzustellen, dass dieser kleine Mensch, namens Harald, ihm den Speer genau dort hineingestoßen hatte. Als er sich seines Dilemmas bewusst wurde, rüttelte und schüttelte er sich wie von Sinnen, doch machte er es damit nur noch viel schlimmer. Er versuchte meinen Ahn gegen den Felsen zu schleudern, blieb aber selbst mit dem Speer dran hängen und bohrte die Waffe sogleich viel tiefer in seinen Schlund. Und Harald beabsichtigte nicht, den Spieß umzudrehen, oder auch nur ein Quäntchen nachzugeben. Nun hieß es: Er oder ich.

Das gesamte Umsichschlagen des Drachen nützte nichts. Harald ließ sich nicht einschüchtern und wirbelte stattdessen am Ende des Speers mit jeder Bewegung des Drachens herum, weil er nicht loslassen wollte. Einen Moment der Unachtsamkeit hätte sein eigenes Ende bedeutet. Das Blut des Drachen löschte dessen innerliche Flamme und hinderte dieses riesige Wesen daran, weiterhin Feuer zu spucken. Gurgelnd musste Røddreki sein eigenes Blut schlucken, bis er daran zu Grunde ging.

Ramponiert und völlig außer Atem – der Drache hatte Harald mit seinen messerscharfen Klauen eine üble Wunde am Oberarm beigebracht - ließ sich der Drachentöter wider Willen, in den blutgetränkten, dampfenden Schnee fallen. Als das Drachenblut seine Verletzung benetzte, heilte sie augenblicklich. Trotz des Erlebten, war Harald nicht stolz darauf, den Drachen getötet zu haben. Man konnte ihn keinen unbedarften Trottel nennen, der in seiner Blauäugigkeit ausgezogen war, um einen Drachen zu töten. Wäre Røddreki auf sein Angebot eingegangen, hätte er sein Leben behalten können. Statt von dem Drachen verspeist zu werden, trank der völlig erschöpfte Harald vom warmen Blut des Drachen. Dann passierte etwas sehr Seltsames. Zuvor besaß Harald keinen blassen Schimmer, wo der Drachenhort verborgen sein könnte. Doch nach dem Genuss des Drachenblutes, sah er vor seinem inneren Auge, wo das Drachengold zu finden sei. Doch alles nacheinander…

Harald nahm zuerst den Meteoriten an sich. Denn deshalb war er ja überhaupt an diesen Ort gekommen. Wie von Odin prophezeit, schmiedete Harald aus dem Meteoritenerz sein Schwert. Um diese Waffe noch mächtiger zu machen, löschte er die Klinge im Drachenblut. Dies mein Sohn, ist das Schwert, das von Generation zu Generation, vom Vater an den Sohn, weitergegeben wird. Die Rote Drachenklinge wurde von unserem Urvater Harald eigenhändig aus dem Meteoriten geschmiedet und mit Røddrekis Blut gehärtet. Und da das Opfer des Drachens nicht umsonst gewesen sein sollte, gab Harald dem Schwert die Bezeichnung seines Blutspenders. Ach ja, später plünderte Harald auch dessen Drachenhort. Im Grunde traf es den Richtigen, Harald war der siebte Sohn seines Vaters und alles andere als wohlhabend. Mit dem Erlös des Drachenhortes und dem Ruf eines Drachentöters, zog er viele Krieger in seinen Bann. Sie scharten sich um ihn und mit ihrer Hilfe begann er, Stück für Stück, Land zu erobern. Harald war nicht dumm und durch eine raffinierte Heiratspolitik wurde er noch wesentlich einflussreicher. Aus seinen Nachkommen, den Haraldingern, gingen ebenfalls mutige Krieger hervor, und der jeweils älteste Sohn der direkten Blutlinie, wurde zum Stammesfürsten ernannt. Diese gewannen wiederum durch das Vereinen anderer Stämme noch mehr Einfluss. Und dann kam die Zeit des Aufbruchs. Da wir Nordmänner in einem rauen Klima zuhause sind, das uns nicht ermöglicht, zu säen und zu ernten, rief uns die See, die wie ein verführerisches, nacktes Weib, voller Versprechen auf uns wartete.

»War deine Mutter auch ein nacktes, verheißungsvolles Weib für deinen Vater?«, schmunzelte Agnir. »Das war doch jetzt eine Überleitung zu deinen Eltern? Oder willst du mir den gesamten Stammbaum von Harald Drachentöter bis heute aufzählen?«

»Nein, dazu fehlt mir die Zeit. In der Tat, war das eine Überleitung. Man muss nicht besonders helle sein, um das zu erkennen. Nur noch eins: Wenn du noch einmal so einen ordinären Spruch über deine Oma sagst, setzt es was!«

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

Подняться наверх