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Meine Geburt war das erste meiner Missgeschicke.

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(Jean-Jacques Rousseau)

Agnir wirkte nachdenklich. »Warum war die Verwandtschaft eigentlich pikiert? Ich dachte, Skryrmir war der Clan-Chef?«

»Gerade deshalb. Er sorgte stets dafür, dass alle anderen vorteilhaft verheiratet wurden, nur er selbst hielt sich nicht daran, sondern nahm eine fremde Frau, die den Haraldingern überhaupt keine Vorteile brachte«, erklärte ich und schenkte mir abermals einen Becher Kaffee ein.

»Aber sie hatte eurem Stamm doch den Skythenbogen gebracht. Das ist in meinen Augen viel wertvoller als irgendeine Verbindung«, stellte er fest.

»Das sehe ich genauso«, gab ich ihm recht.

»Erzähl weiter!«, drängte er mich.

Und ich musste grinsen, weil Agnir am Esstisch saß und dabei tierisch herumzappelte. Nicht etwa, dass er ein Opfer seiner Ungeduld wurde, eher weil ihm unser Kater Joey auf dem Schoß saß, der wie ein Motor schnurrte und die beiden Hände meines Sohnes vollkommen für sich beanspruchte. Das passte unserem Hund Schnauze, mein Freund gar nicht, weil er sich schwer vernachlässigt fühlte. Also wurde er von Agnirs nackten Füßen gekrault, was ihm sehr gut zu gefallen schien. Er lag unter den Tisch und seufzte genussvoll. Was für ein Anblick. Von jeher hatten Hunde bei uns einen besonders hohen Stellenwert. Ich spreche jetzt nicht von heute, sondern von damals, als Hunde eine richtige Aufgabe besaßen. Heute werden sie zum Kinderersatz stilisiert. Viele müssen ihre Köter den ganzen Tag bespaßen, damit die armen Tiere nicht an Langweile sterben.

Nun, ich will ohne Umschweife an die Geschichte anknüpfen. Wir schreiben das Jahr 800. Folgendes passierte im Monat August. Und wie immer, wenn Skryrmir eine dunkle Vorahnung überfiel, bewahrheitete sie sich. Das jedenfalls musste er erfahren, als er mit dem Langschiff vorzeitig von seiner Kaperfahrt zurückkehrte. Trotz des Hornsignals, welches von seiner Rückkehr kündete, stand lediglich die Magd Solveig einsam am Steg. Sie zerknautschte ihre Schürze, als wolle sie diese eigenhändig erwürgen. Und als sie Skryrmir erblickte, der am liebsten schon vor dem Einlaufen ins Wasser des Fjords gesprungen wäre, um schwimmend so schnell wie möglich einzutreffen, zuckte sie zusammen. Und das würden an diesem Tage noch etliche tun. Offensichtlich hatte sich die ganze Siedlung vor Skryrmir und dessen gefürchtete Reaktion in Sicherheit gebracht.

Skryrmir sprang auf den Steg: »Was ist hier los? Wo ist Numa? Und wo sind die Kinder?«, fragte er barsch, sodass Solveig unwillkürlich zusammenfuhr.

»Herr… Du trägst einen Verband? Was ist mit deinem Auge geschehen?«, bemerkte sie verunsichert.

»Ach, das ist nichts! Nur ein Kratzer!«, wiegelte er ab. »Und wo ist mein nichtsnutziger Bruder?«, keifte er wütend.

»Hackbart ist in der großen Halle. Und die Kinder haben wir mit Aenna aus dem Haus geschickt… Es ist so schrecklich!... Sie sollen… es... nicht mitanhören müssen...«, gab Solveig zitternd von sich. Die Arme wurde immer unsicherer, weil sie sich von Skryrmirs ungewohnten Anblick zutiefst irritiert fühlte.

Der reagierte ziemlich gereizt: »Was mitanhören? Weib! Ich habe dein Gestammel satt! Ich werde selbst nachsehen, was da vor sich geht!«, brummte er ungehalten und stapfte zur Drachenburg. Noch bevor er das Tor durchschritt, hörte er einen durchdringenden Schrei und danach setzte eine Stille ein, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Er verfiel in einen raschen Lauf und stürmte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, in die große Halle. Und genau dort traf er Hackbart an, der käsebleich vor sich hin stierte und ein gequältes Gesicht machte.

»Bruder!«, lallte dieser nicht mehr nüchtern. »Tut mir leid! Aber deine kleine Skythin kreischt, äh… kreißt schon eine ganze Weile! Von wegen, die Frauen wären so zäh wie ihre Pferde! Ah, jetzt ist es ruhig!«, bemerkte er.

»Bei Odin!«, schnaubte Skryrmir kopfschüttelnd. »Normalerweise müsste ich mich betrinken! Wie lange geht das schon so?«, begehrte er zu wissen.

»Keine Ahnung, seit gestern Morgen? Haben wir etwa schon wieder Mittag?«, fragte er leicht verwirrt und nahm seinen Bruder in Augenschein. »Was hast du mit deinem Auge gemacht?«

»Nichts Tragisches, nur ein Kratzer! Wenn dir schon die Nerven durchgehen, werde ich sofort nachsehen, was da drinnen passiert!« Der Ältere machte einen verärgerten Laut und überließ Hackbart sich selbst. Inzwischen war auch Solveig atemlos eingetroffen und lief Skryrmir wie ein Hündchen hinterher.

Wie ein wilder Derwisch riss der Nordmann die Tür zur Schlafkammer auf. Das Bild, das sich ihm bot war grauenhaft.

Mathilda stand vor Numa, die in ihrem eigenen Blut lag. Margitta hielt der Gebärenden die Hand und tätschelte diese ununterbrochen und redete ihr gut zu. Nur nützte es der armen Numa rein gar nichts, weil sie nicht mehr bei Bewusstsein war. Merle wuselte unterdessen herum und kümmerte sich derweil um heißes Wasser und saubere Tücher.

»Bei Odin! Was macht ihr mit meiner Frau?! Und wo ist Ylva?!«, brüllte Skryrmir so laut, dass Merle vor Schreck die Waschschüssel fallen ließ.

Die renitente Mathilda ließ sich jedoch von Skryrmirs wildem Auftritt nicht scheu machen. »Wenn du hier herumbrüllst, wird die Geburt auch nicht leichter! Und Ylva hat sich während deiner Abwesenheit mit Numa in die Haare gekriegt! Sie wollte ihr während der Schwangerschaft das Reiten untersagen. Du kennst gewiss deine Frau, die über dieses Thema ihre eigene Meinung hat. Dennoch, nachdem ihre Kugel so groß wurde, dass sie nicht mehr aufs Pferd steigen konnte, hatte sich dieses Thema sowieso erledigt. Wir haben ein Problem: Das Kind ist zu groß. Es wird sie umbringen. Sie hat keine Kraft mehr! Wenn du Ylva dabeihaben willst, musst du sie schon selbst holen. Wir schickten bereits ein paar Male nach ihr. Doch sie gab sich stur, dieses alte, verrückte Weib!« Für eine Christin hatte Mathilda einen reichlich unchristlichen Ton am Leib. Vor allem, wenn es um Ylva ging, die in ihren Augen so etwas wie eine Dämonin verkörperte.

Zumindest hatten ihre ungeschönten Worte Wirkung auf den erregten Skryrmir gezeigt. Der machte auf dem Absatz kehrt und stapfte wutschnaubend aus dem Haus. Nebenbei packte er einen Ziegenbock bei den Hörnern und schleifte das Tier mit sich, welches nicht ohne Protest diese Behandlung über sich ergehen ließ. Die Seherin Ylva wohnte nicht wie alle anderen in der Siedlung. Die wunderliche Frau lebte etwas außerhalb, ganz in der Nähe des Götterhains. Skryrmir klopfte nicht, sondern trat mit lautem Krachen die Tür ihrer Hütte ein. Und das mit dem Ziegenbock im Schlepptau, der noch immer meckerte.

»Ylva!«, brüllte der Blonde und packte sie am Schlafittchen.

Diese zeigte sich wenig beeindruckt, obwohl sie mit dem Tier beinahe von Angesicht zu Angesicht hing. »Du trägst selbst schuld an dem, was passieren wird!«, giftete die Alte. »Odin will dich bestrafen, weil du eine Fremde mitgebracht hast, die nicht zum Göttervater Odin betet, sondern zu einem anderen Gott! Er stellt dich auf die Probe, will sehen, wie weit du bereit bist für ihn zu gehen!«

»Schweig, Weib! Ich werde meine Frau nicht zwingen, ihren Glauben aufzugeben, denn das tat ich bisher bei niemandem. Odin führte mich zu ihr! Es war sein Wille! Geh, und sieh zu, dass du nicht in meiner Schuld stehst. Ich werde derweil dem Allvater und den Göttern Asgards ein schlichtendes Blutopfer bringen. Solltest du dennoch Numa deine Hilfe verweigern, wirst du die Nächste sein, die ich den Göttern opfere!«

»Wie immer sind deine Argumente äußerst überzeugend!«, sagte die Alte, und ruderte mit den Füßen in der Luft herum, zum Zeichen dafür, dass sie nur dann gehen könne, wenn sie genug Boden darunter habe.

Skryrmir setzte sie ab, richtete fürsorglich ihre Kleidung.

Die Heilerin gab ein Knurren von sich und stemmte ihre dürren Arme in die Hüften. »Auch wenn du mein Fürst bist, vergiss nicht, dass du in meiner Schuld stehst! Schließlich half ich dir schon auf die Welt! Und was hast du Bengel mit deinem schönen Auge angestellt?«, fragte sie drohend, ganz so, als wenn es ihr eigenes Auge gewesen wäre.

»Nichts, nur ein kleiner Kratzer!«, wiegelte der Hüne wieder ab. Doch bei Ylva kam er mit dieser Masche nicht durch, denn die Alte zog geschickt, verborgen in seinem toten Winkel, den Verband mit einem raschen Ruck herunter.

»Was? Einen Kratzer nennst du das? Junge, dir fehlt dein linkes Auge!«, gab sie ihm Kontra, als sie das Desaster untersuchte. »Wer war das? Und weißt du, was das für dich bedeutet? Du wirst nie wieder ohne jemanden kämpfen können, der dich auf deiner blinden Seite deckt!«

»Das war ein dreckiger Bastard aus Northumbria. Als Revanche habe ich ihm ein paar blutige Flügel verpasst. Bei Durham gerieten wir in einen Hinterhalt. Aus irgendeinem Grund wussten sie, dass wir kommen. Nun, ich weiß, was es bedeutet, einäugig zu sein, aber ich werde mir etwas ausdenken. Könntest du das vorerst für dich behalten?«, grummelte er zerknirscht.

»Tja, der Einäugige ist unter den Blinden der König. Ist es geschmacklos von mir, zu behaupten, dass du noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen bist?«, gackerte die alte Heilerin hinterhältig.

»Geh, du verrückte Vettel, und rette meine Frau!«

Zum Dank für ihren zynischen Kommentar, gab Skryrmir ihr einen sanften Schubs, der ihr so viel Schwung verlieh, dass sie damit in Windeseile bis zu den Resten der Hüttentür kam, durch die sie dann auch verschwand.

Anstatt ihm aus dem Auge zu gehen, kam sie wieder zurück. »Ich brauche meine Zutaten!«, sagte sie, schnappte sich einen Korb und bestückte ihn mit Tiegeln, Tinkturen und Behältern, welche mit verschiedenen Kräutern gefüllt waren. Nachdem sie das erledigt hatte, eilte sie mit wehenden Haaren von dannen.

Der Stammesfürst verließ die Hütte mit dem Ziegenbock im Schlepptau, dabei machte er sich eine geistige Notiz, um nicht zu vergessen, die Tür der Heilerin reparieren zu lassen.

Dann ging er zum Altar des Götterhains und opferte den Ziegenbock. »Odin, nimm diese Gabe! Nimm ihn, aber lass mir bitte meine Numa! Mein Gott, ich bitte dich selten um einen Gefallen, denn ich bin dein dir ergebener Diener! Nimm nicht meine Frau!«, bat er mit Inbrunst und nicht minder verzweifelt. »Hier und jetzt! Wenn dir dieser Ziegenbock als Opfergabe nicht ausreicht, gebe ich dir meinen Sohn, auch wenn ich im Traum sah, dass er leben wird! Ich bete und flehe dich an, Odin! Nimm das Kind, aber nicht meine Numa! Ich liebe sie so sehr!«

In der Ferne löste sich ein Blitz vom Himmel und ein Donnergrollen ertönte. Dies sah Skryrmir eindeutig als Zeichen an, dass der Deal zwischen ihm und Odin als abgeschlossen galt.

Schleunigst machte er sich auf den Weg zur Drachenburg. Natürlich wusste er, dass er sich den Hass der Frauen aufhalsen würde, wenn er sie störte. Dennoch wollte er Numa von der Vereinbarung mit Odin erzählen.

In der Schlafkammer herrschte derweil ein heftiges Kompetenzgerangel zwischen Ylva und Mathilda.

Skryrmir sah sich gezwungen, ein Machtwort zu sprechen: »Mathilda, tritt zur Seite, Ylva soll die Sache in die Hand nehmen. Ich vertraue ihr, sie hat mich schon auf die Welt geholt!«

Besagte Ylva sah sich Numas Zustand an. Wie ein wissender KFZ-Gutachter, der einen fünfzigjährigen Benz unter der Hebebühne untersucht, stellte sie fest: »Oh, oh! Das Kind steckt im Geburtskanal! Numa ist zu zart für dieses große Kind! Darüber hättet ihr euch vorher mal Gedanken machen sollen!«

Dem blonden Hünen schoss das Blut ins Gesicht. Denn genau diese Bedenken hatte er schon zuvor seiner Gemahlin gegenüber geäußert. Doch diese hatte nur abgewiegelt und wieder ihre Weisheit über die Pferde als Grund angeben. Nur, der Unterschied ist folgender: Wenn dort eine Geburt Schwierigkeiten bereitet, konnte man dem Fohlen einen Strick um die Hufe binden und kräftig daran ziehen.

Die Seherin gab Skryrmir ein kleines Fläschchen in die Hand: »Hier, halte das deiner Frau unter die Nase!«, ranzte sie unfreundlich. Er tat wie ihm befohlen wurde. Das Riechsalz zeigte seine Wirkung. Numa gab einen angeekelten Laut von sich. Kurz darauf krampfte wieder eine Wehe durch ihren Körper.

»Was ist mit deinem Auge?«, fragte die werdende Mutter besorgt, als sie ihren Gatten aus tränenden Augen betrachtete.

»Das ist kaum der Rede wert. Alles wird gut!«, tröstete Skryrmir seine Frau. »Hab keine Angst. Ich habe mit Odin eine Vereinbarung getroffen. Du wirst leben«, versprach er ihr.

»Mein Kind! Was stimmt denn nicht mit ihm?«, fragte Numa besorgt. Ihre Kraft reichte nur für ein schwaches Flüstern.

Doch Ylvas Ohren schienen keinerlei Anzeichen von Taubheit zu zeigen, denn sie schnauzte unverblümt: »Was nicht mit ihm stimmt? Das Kind ist zu groß, es wird dich umbringen! Wir müssen es irgendwie schleunigst aus dir herausbekommen. Ich sollte versuchen, diesen kleinen Braten zu drehen, um ihn dann an den Füßen herauszuziehen! Sein Kopf wird das Problem sein.«

… Als hätte Ylva schon damals vorausgesehen, dass ich selbst später gerade mit meinem Kopf Probleme haben würde...

»Skryrmir?«, fragte Numa.

»Ja, ich bin hier. Ich halte deine Hand«, flüsterte Skryrmir.

»Geh und hol Taras«, bettelte Numa.

»Was?«, fragte er verwirrt. »Warum soll ich dein Pferd in unser Schlafgemach holen?« Er hoffte, sich lediglich verhört zu haben. Vielleicht war Numa auch nicht mehr ganz bei Sinnen? Bei diesen Schmerzen wäre es überhaupt nicht verwunderlich.

»Frag nicht, bring Taras einfach hierher!«, sagte Numa, jetzt wesentlich entschlossener.

Und da Skryrmir sonst schon nichts für sie tun konnte, lief er los, um ihr kleines, braunes Pferd zu holen…

… »Entschuldige Papa, wenn ich dich unterbreche, aber was haben sie eigentlich mit dem Pferd im Schlafgemach gemacht?«, fragte Agnir mit einem leicht irritierten Gesichtsausdruck.

»Das würde ich auch gerne wissen, denn sie haben es mir nie verraten!«, beschwerte ich mich. »Und wie immer, vermute ich wieder mal das Allerschlimmste, denn nachdem der Gaul zu meiner Mutter ins Zimmer gebracht wurde, ging alles ziemlich schnell. Das jedenfalls, berichtete mein Vater. Und ich will nicht wissen, was sie damit angestellt haben. Womöglich banden sie mir ein Seil um die Füße und ließen den Gaul dran ziehen. Ich hoffe dennoch, dass es nicht so gewesen war, sondern sie nur das Pferd holten, um meine Mutter zu beruhigen. Was immer auch geschah, hatte mich offenbar geprägt. Wahrscheinlich erlitt ich dort mein erstes Trauma. Das würde erklären, weshalb ich bis zum heutigen Tag eine Abneigung gegen Pferde hege.«

Ylva betrachtete das schlaffe, blau angelaufene Bündel. »Ein Junge. Wäre ein kräftiger Bursche geworden. Tut mir leid, da ist kein bisschen Leben in ihm!«, horchte sie den Brustkorb des Säuglings nach Herztönen ab. »Er ist tot. Hat sich augenscheinlich selbst mit der eigenen Nabelschnur stranguliert!« Sie nahm das Kind an sich und wollte es wegbringen.

»Halt, wo bringst du ihn hin?«, fragte Skryrmir.

»In den Götterhain. Dort werde ich ihn Odin überantworten und begraben«, sagte die Alte.

»Gib ihn mir!«, fordert Skryrmir. »Ich will ihn das erste und letzte Mal betrachten, bevor er in sein kaltes Grab kommt.«

»Warte, ich mache ihn erst sauber!«, knurrte Ylva und reinigte das Kind notdürftig. Sie überreichte es Skryrmir, der dem Kleinen zärtlich über die Haare strich. »Zuerst dachte ich, sein Haar wäre so schwarz, wie das seiner Mutter. Aber jetzt sehe ich, dass es dunkelrot ist. Warum darf er nicht leben? Es bricht mir das Herz. Er ist so kalt und blau«, schniefte er.

Numa streckte die Arme aus. »Gib ihn mir, bevor sie ihn wegbringt. Ich will unseren Sohn sehen!«

»Hier, nimm du ihn«, legte er das tote Kind auf ihren Bauch. Und dennoch konnte er die Augen nicht von den beiden lassen. Er war zutiefst bestürzt und fühlte sich, als würde das Pech an ihm kleben. Durch sein gesundes Auge konnte er kaum noch irgendetwas erkennen, denn Tränen verschleierten seinen Blick.

Zärtlich streichelte Numa ihr Kind, und ignorierte dabei, dass es ein totes Kind war. Sie wurde von ihren Muttergefühlen schier überwältigt: »Nein, er kann nicht tot sein! Er ist so kräftig wie sein Vater, nur nicht so warm. Sieh nur! Er hat die Fäuste fest geballt, als wolle er wütend auf diese Welt einschlagen. Wie ein kleiner Krieger!«, rieb sie die Hände des Säuglings. »Sein Gesicht ist ganz kalt!« strich sie ihm über sein Antlitz und massierte dem Kleinen die Brust und den Bauch. »Ich probiere mal etwas aus. Mein Vater tat das bei einem Fohlen, das nicht atmen wollte.« Genauso tat es Numa und blies dem Kind ihren Atem in Mund und Nase.

Tja, und was dann passierte, ist eindeutig ein wenig gruselig. Denn das angeblich tote Kind, machte ein würgendes Geräusch und spuckte unerwartet seiner Mutter einen blutigen Klumpen auf die Brust. Danach schrie es wie ein Berserker. Sofort brach Hektik in der Schlafkammer aus.

Ylva packte das Kind und hielt es kopfüber. Daraufhin hustete es noch mehr Schleim und Blut aus - und endlich bekam es eine andere Farbe, gesünder als das vorherige Blau.

Skryrmir ging in die Knie. »Odin, ein Wunder! Ich danke dir! Aber warum wolltest du unseren Sohn nicht?«

Die Seherin Ylva brachte das Kind zur Mutter, damit es endlich etwas zu saufen bekam. Mit vollem Mund konnte es wenigstens nicht brüllen. »Das fragst du? Was soll Odin mit einem toten Knaben anstellen? Odin ist weise und kennt bereits die Zukunft deines Sohnes. Tot nützt er ihm rein gar nichts. Mit dem kleinen Krieger wird er etwas ganz Besonderes vorhaben. Darum, freue dich nicht zu früh. Odin kann in dieser Beziehung sehr launisch und sogar grausam sein. Gebt dem kleinen Burschen lieber einen ordentlichen Namen, bevor es sich der Gottvater möglicherweise nochmals anders überlegt.«

»Er soll Ragnor heißen«, beschloss Skryrmir.

»Eine kluge Wahl. Weißt du um die Bedeutung seines Namen?«, fragte die Seherin.

»Krieger von den Göttern«, antwortete der Nordmann...

… »Äh, Papa?«, unterbrach mich Agnir nochmals.

»Was ist?«, fragte ich. »Musst du etwa aufs Klo?«

»Nein, aber warum hast du mir erzählt: Stark wie eine Armee, wäre die wahre Bedeutung deines Namens?«

»Joah… Habe ich mal im Internet gelesen. Nein, der wahre Grund ist der, dass ich es nicht mag, wenn mein Name gleichzeitig meine Bestimmung sein soll. Also interpretiere ich es ein wenig um, damit es nicht so offensichtlich ist. Es passt mir ohnehin nicht, wenn Odin mich mal wieder aus einer Laune heraus, von irgendeiner verrückten, trillernden Walküre entführen lässt, nur um wieder einen Gefallen einzufordern. Tja, dies habe ich eindeutig meinem Vater zu verdanken. Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen, oder heulen soll.«

»Okay, kann ich verstehen!«, gab mein Sohn zu.

Selig sah Numa auf ihren Sohn, der glückselig an der Brust seiner Mutter nuckelte.

… Ich finde übrigens noch heute Frauenbrüste umwerfend!…

Der große Nordmann überlegte: »Vielleicht sollten wir ihm den Namen seiner Mutter geben?«

Die Heilerin verdrehte die Augen. »Du willst ihn doch nicht etwa Numa nennen?!«

»Nein, er heißt jetzt mit Zweitnamen Attila. Seine Mutter weiß schon warum«, zwinkerte er Numa verschmitzt zu.

Und weil ich das siebte Kind meines Vaters bin, bekam ich als Drittnamen den Namen Septimus, also der »Siebte« aufs Auge gedrückt. Ich finde diese Wortkreation einfach nur zum Kotzen. Wer will schon Ragnor Attila Septimus heißen?…

*

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen

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