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Zum Dekalog in jüdischer und christlicher Tradition

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Sowohl im Judentum als auch im Christentum ist der Dekalog immer wieder memoriert, befolgt und interpretiert worden.

|134|Im vorrabbinischen Judentum wurde er in der Zeit des zweiten Tempels täglich verlesen und wohl auch in den Mesusot erinnert, doch seit dem ausgehenden 1. Jh. haben die Zehn Worte, wohl in Reaktion auf deren Wertschätzung im jungen Christentum, diesen prominenten Platz verloren[8] – erst im Reformjudentum der Moderne gewinnen sie ihn zurück. Unbeschadet dessen kommt der Dekalog im einjährigen Turnus der Toralesungen an zwei Sabbat-Tagen (Paraschot „Jitro“ = Ex 18,1–20,23Ex 18,10096>20,23, und „Wa-Etchanan“ = Dtn 3,23–7,11Dtn 3,230096>7,11) zur Sprache; auch beim Schawuot-Fest (Wochenfest; Feier der Gabe der Tora am Sinai) spielt er die Schlüsselrolle.

Wiederkehrend wurde und wird der Dekalog als Bündelung aller 613 Ge- und Verbote des Judentums verstanden – etwa bei Philo, Saadja Gaon und Jehuda Ha-Levy. Allerdings beharrte das (orthodoxe) Judentum stets auf der Gleichwertigkeit und dem Verpflichtungscharakter aller „Mitzvot“ (= Ge- und Verbote) – so etwa bBerachot 12a, Maimonides oder Samson Raphael Hirsch.[9]

Im Christentum wird demgegenüber, beginnend mit dem Neuen Testament, nahezu durchgängig ein detailliertes Befolgen der alttestamentlich überlieferten, namentlich von den Pharisäern systematisierten und aktualisierten Gebote problematisiert. Durch ein Gefüge aus Toraverschärfung (etwa in der Bergpredigt) und Toraentschärfung (etwa in Mk 7par) sowie durch Konzentration auf das Doppelgebot der Liebe, also auf Gottes- und Nächstenliebe (siehe Mk 12,28–34 par; Mt 5,17; Gal 5,14), wird vielmehr ein grundlegender Richtungssinn der Gebote des Gottes Israels profiliert: Sie dienen dem Leben und den Lebenden. In der Verkündigung Jesu und in der Theologie des Paulus ist dies angelegt.[10]

Sind die neutestamentlichen Beiträge zu dieser Frage cum grano salis noch als Teil des innerjüdischen Diskurses zu verstehen, geht dieser Grundton der Verbundenheit und Sympathie mit dem Judentum schon bald verloren – die heidenchristliche Mehrheit der Kirchenmitglieder ist durch das sog. Aposteldekret (Apg 15) vom Gehorsam den meisten Geboten gegenüber entbunden.[11] |135|Darüber hinaus gehend findet sich – zurückgreifend auf einschlägige Passagen des NTs (etwa bei Paulus: Gal 3,10–14, Joh oder Hebr) – von den Kirchenvätern angefangen bis hinein in verschiedene spätere theologiegeschichtliche Epochen (etwa bei Luther, Schleiermacher oder Barth) häufig eine negative oder sogar pejorative Beschreibung dessen, was das Gesetz bedeutet, nicht selten gepaart mit einer Gegenüberstellung von „Gesetz und Evangelium“ (in der sich ein überbietender Blick des Christentums auf das Judentum spiegelt).[12] Allerdings steht bei all dem bemerkenswerter Weise nicht der Dekalog als solcher im Fokus der Kritik, vielmehr sind es die sog. Kult- oder Ritual-Gesetze (Beschneidung, Speisegebote, Tempel- und Opferregularien), die sog. Kasuistik und/oder generell die Hoffnung, durch das Halten von Geboten Anerkennung Gottes bzw. Heil gewinnen zu können.[13]

Unbeschadet solcher Auseinandersetzungen werden die Zehn Gebote (die seit Augustinus wiederkehrend als angemessener Ausdruck der den Christen gebotenen Gottes- und Nächstenliebe interpretiert werden) in allen großen Konfessionsfamilien gepflegt – allerdings in unterschiedlicher Zählung und Konsequenz. Während die römisch-katholische Tradition ebenso wie Martin Luther Selbstvorstellung Gottes und Fremdgötter-(und Bilder-)verbot als erstes Gebot zusammenfassen, unterscheiden Orthodoxe, Reformierte und Anglikaner zwischen Selbstvorstellung/Fremdgötterverbot als erstem und Bilderverbot als zweitem Gebot – dadurch kommt diesem erhöhte Beachtung zu (so unterschiedlich namentlich Orthodoxe und Reformierte es auslegen).[14] Durchweg wird in der christlichen Überlieferung das Sabbat- als Sonntagsgebot verstanden: Der Sonntag tritt als Tag der Auferweckung Jesu an die Stelle des Sabbats, ohne dass dadurch das Gebot als solches entkräftet würde.

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