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Ijob/Hiob und die Frage nach dem Leid

Christoph Gramzow

Exegetische und theologische Anmerkungen

Der Titel dieses Beitrags ist kein Zufall. Name und Geschick Hiobs wie das gleichlautende Buch der Bibel stehen exemplarisch für die Frage nach dem Leid. Bereits im Namen Hiob könnte sich, ohne dass zu klären ist, ob sich damit eine historische Person verbinden lässt oder nicht, „die Frage des ‚Angefeindeten‘ nach dem göttlichen Vater“ niederschlagen.[1] Das biblische Buch Ijob muss in der |145|vorliegenden Form als das Ergebnis eines mehrere Jahrhunderte lang geführten weisheitlichen Diskurses über die Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens Unschuldiger angesehen werden.[2] Hinsichtlich des Aufbaus unterscheiden sich am deutlichsten eine im Prosastil verfasste Rahmenerzählung (Ijob 1,1–2,10Ijob 1,1–2,10 und Ijob 42,10–17Ijob 42,10–17) mit den Protagonisten Gott und Satan und die poetisch gestaltete Hiobdichtung (Ijob 3,1–42,6Ijob 3,1–42,6), die vom Dialog Hiobs mit seinen Freunden bestimmt ist, voneinander. Verknüpft sind beide Teile durch „Brückentexte“ (Ijob 2,11–13Ijob 2,11–13 und Ijob 42,7–9Ijob 42,7–9), in denen die Freunde „ein- und ausgeführt“ werden.[3] Innerhalb der Hiobdichtung sind insbesondere Hiobs Lied von der Weisheit (Ijob 28Ijob 28) und die sogenannten Elihureden (Ijob 32–37Ijob 32–37) als spätere Einschübe anzusehen. Das Verhältnis von Prosateil und Dichtung wird im Hinblick auf Alter, Verfasserschaft und Dramaturgie des Gesamtbuches innerhalb der alttestamentlichen Forschung kontrovers diskutiert.[4] Vermutlich lag das Buch Ijob in seiner jetzigen Gestalt erst im 2. Jh. v. Chr. vor.[5]

Das Geschick Hiobs hat Parallelen in der altorientalischen Weisheitsliteratur. Das tragische Schicksal eines Menschen, dem schuldlos unverhältnismäßig großes Unglück widerfährt und der sich der Willkür eines undurchschaubar handelnden Gottes ausgesetzt sieht oder im inneren Dialog mit seinem Ba (Lebenskraft, „Seele“) nach Antwort sucht, schildern u.a. die akkadische Dichtung „ludlul bēl nēmeqi“ um 800 v. Chr. und das „Gespräch des Lebensmüden mit seinem Ba“ aus dem Ägypten des Mittleren Reiches (2000 bis 1800 v. Chr).[6] Die offensichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen den altorientalischen Texten und dem Ijobbuch sind allerdings vor allem der gemeinsamen Thematik geschuldet, weniger einer direkten literarischen Abhängigkeit.[7] Im Leiden Hiobs an Gott, seinen Mitmenschen und an sich selbst thematisiert das gleichnamige biblische Buch damit eine „menschliche Grund- und Lebenserfahrung“[8], die jenseits aller zeitlichen und räumlichen Verortung immerwährend aktuell ist.

In einer plural ausgerichteten Lebenswelt, in Kultur und Tradition findet sich eine Vielzahl von Lebens- und Leidensdeutungen, ohne dass klar gesagt werden könnte, welche Deutung wann und für wen „richtig“ und angemessen ist. Im Falle Hiobs erwies sich eine Deutung seines Leides im Sinne des traditionellen Tun-Ergehen-Zusammenhangs gerade als unzureichend. Religiöse Deutungen von Leid bringen die Suche nach Sinn in Verbindung mit der Frage nach Gott.[9] |146|Leid in den Horizont Gottes zu rücken kann für Menschen zur Hilfe werden, Leid verstehbar zu machen und zu bewältigen.[10] Ebenso kann die Erfahrung von eigenem oder fremdem Leid aber auch den Anstoß geben, Gott, seine Güte und Gerechtigkeit, seine Macht oder Existenz in Frage zu stellen. Theologie und Philosophie sprechen hier seit der Aufklärung von der Frage nach der Theodizee als der „brisantesten Form, die Frage nach Gott zu stellen“.[11]

Empirische Befunde

Ein schülerorientierter Religionsunterricht hat wahr- und ernst zu nehmen, ob und in welcher Weise Leiderfahrungen Kinder und Jugendliche zur Gottesfrage führen können. Hierzu sind in jüngster Zeit einige empirische Untersuchungen vorgelegt worden, die insgesamt ein recht geschlossenes Bild ergeben. Konnte K.E. Nipkow die Theodizeeproblematik 1987 noch als die „Einbruchstelle für den Verlust des Gottesglaubens“[12] im Jugendalter bezeichnen, so zeigen aktuelle Befunde, dass die einst als geradezu existenziell angesehene Relevanz der Theodizeefrage für heutige Jugendliche deutlich zu relativieren ist – aus unterschiedlichen Gründen.

Einer der Hauptgründe neben der Möglichkeit, dass im Leben heutiger junger Menschen existenzielle Leiderfahrungen durchaus (noch) fehlen können, ist im oftmals anzutreffenden Gottesbild Jugendlicher zu sehen. Das Vertrauen auf die Existenz Gottes und die Fraglichkeit eben dieser liegen für die meisten Jugendlichen eng beieinander.[13] Gleiches gilt für die Beziehung zwischen einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Grundeinstellung und dem Glauben an ein „höheres Wesen“. Letzterer hat den Glauben an einen persönlichen Gott vielfach abgelöst.[14] Gottesattribute wie Güte, Allmacht und Allwissenheit spielen im theologischen Denken Jugendlicher oft nur noch eine untergeordnete Rolle oder kommen nicht vor.[15] Im Sinne eines theistischen Gotteskonzepts sind diese aber Voraussetzung für eine Problematisierung der Theodizeefrage.[16] So decken sich die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien mit den Befunden F. Osers |147|und P. Gmünders, denen zufolge für viele Jugendliche und junge Erwachsene ein deistisches Gotteskonzept (Stufe 3) charakteristisch ist. Nach dem Konzept des Deismus jedoch teilt sich die Welt in einen göttlichen und einen weltlichen Bereich, die weitgehend autonom nebeneinander existieren. Leiden als weltliches Phänomen entzieht sich entsprechend den kausalen Wirkmöglichkeiten Gottes und muss immanent erklärt werden. Die Brisanz des Theodizeeproblems tritt zurück.[17]

Religionsdidaktische Impulse

Angesichts dieser theologischen und empirischen Befunde ist die „Frage nach dem Leid“ religionsdidaktisch nach wie vor ernst zu nehmen. Aber mit ihr verbindet sich nicht das Thema des Religionsunterrichts. Ferner sind Schulstufe und Alter der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen. Als grobe Orientierung, die sich in Ansätzen auch mit den Vorgaben der Lehrpläne deckt, wäre eine Thematisierung des Gegenstandes in der Primarstufe als Leidfrage, in der Mittelstufe als Hiobfrage und in der Oberstufe als Theodizeefrage denkbar.[18]

Leiderfahrungen können in Gestalt der Erkrankung oder des Todes eines nahen Angehörigen – auch eines Haustieres – oder eines Beziehungsverlustes (Umzug, Scheidung) bereits zum Leben von Grundschulkindern gehören. Solchen Erfahrungen ist auch im Religionsunterricht Raum zu geben. Gegebenenfalls ist Kindern verständlich zu machen, dass Leid zum Leben gehört und nicht einfach die Strafe für Schuld ist.[19] Weiterhin können bereits jüngere Kinder eingeführt werden in Rituale des Abschiednehmens. Gemeinsam können sie in der Bibel die Klage als Ausdrucksmöglichkeit des leidenden Menschen entdecken (Ps 102Ps 102, Lk 22–24Lk 22–24 in Auszügen) oder diesen selbst Worte geben. Dabei sind den Leiderfahrungen immer auch Hoffnungsbilder an die Seite zu stellen (z.B. österliches Brauchtum, Gebete).

In der Mittelstufe, vorrangig wohl in den Klassen 8–10, könnte es sich anbieten, die Frage nach dem Leid, ausgehend von Einzel- oder Gruppenschicksalen in Geschichte und Gegenwart, erstmals auch als theologische Frage zu entdecken. Dabei legt sich die Bezugnahme auf die Gestalt Hiobs[20] und das entsprechende biblische Buch nahe, das nicht die Antwort auf die Theodizeefrage |148|bereithält, aber doch eine Reihe von Antworten zur Diskussion stellt. Im Dialog damit sowie untereinander sollen die Schülerinnen und Schüler ihre Deutungen in den Unterricht einbringen können. Zugleich begegnen ihnen im Buch Ijob wesentliche Perspektiven und Deutungen aus der jüdisch-christlichen Tradition, die nach wie vor gängige Theodizee-Positionen markieren und zugleich auch unterschiedlichen Stufen in der religiösen Entwicklung entsprechen. Für ein Kind im Grundschulalter greift der allmächtige Gott direkt in das Weltgeschehen ein (Ijob 38–42Ijob 38–42). Für ältere Schülerinnen und Schüler belohnt und bestraft Gott die Menschen gemäß ihrem Handeln (Position der Freunde Hiobs). Teilweise klingt in den Elihu-Reden (Ijob 32–37Ijob 32–37) sogar ein Freiheitsbegriff an, der dem Autonomiebewusstsein junger Erwachsener auf der „Stufe des Deismus“ nahe kommt.[21] Auch die Legitimität einer Inanspruchnahme von Leid für „pädagogische Zwecke“ (Erziehung, Prüfung) ließe sich anhand von Ijob 5,17 f.Ijob 5,17f. und Ijob 36Ijob 36 diskutieren.[22]

Religionsunterricht in der Oberstufe hat aus entwicklungspsychologischen wie religionssoziologischen Gründen mit einer Pluralität von individuellen Gotteskonzepten unter selbstständig denkenden Jugendlichen zu rechnen. Eine solche „neue Gottes-Pluralität“[23] erfordert Freiraum für einen offenen theologischen Diskurs und eine kritische Reflexion des Glaubens. Vorrangiges Ziel des Unterrichts muss es deshalb sein, einen kreativen Prozess der Antwortsuche anzustoßen, der Spaß macht, produktiv ist und durch eine gemeinsame Such- und Fragehaltung verbindet, gefundene Antworten jedoch nicht als „richtige Lösungen“ verbucht. In den Prozess der Antwortsuche sind neben den subjektiven Plausibilitäten und Überzeugungen der Lernenden und Lehrenden selbst die vielfältigen Zeugnisse aus Bibel, Theologiegeschichte und Literatur[24] einzubeziehen. Ein Initialimpuls kann dabei die Elementarisierung des Theodizeeproblems durch Offenlegen seiner logischen Voraussetzungen sein.[25]

Leseempfehlungen

Böhnke, Michael et al., Leid erfahren – Sinn suchen. Das Problem der Theodizee. Freiburg i.Br. 2007.

Ebach, Jürgen, Hiob. In: Dressler, Bernhard/Schroeter-Wittke, Harald (Hg.), Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel. Leipzig 2012, 158–166.

Fricke, Michael, Art. Ijob/Hiob, bibeldidaktisch, Grundschule. In: WiReLex (2016).

[http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100144/]; Zugriff am 12.12.2017.

|149|Kushner, Harold, Wenn guten Menschen Böses widerfährt. Gütersloh 41994.

Lux, Rüdiger, Hiob. Im Räderwerk des Bösen. BG 25. Leipzig 2012.

Oberthür, Rainer, Kinder fragen nach Leid und Gott. Lernen mit der Bibel im Religionsunterricht. München 1998.

Ritter, Werner H. et al., Leid und Gott. Aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Göttingen 2006.

Stögbauer, Eva, Art. Ijob/Hiob, bibeldidaktisch, Sekundarstufe. In: WiReLex (2016).

[http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100145/]; Zugriff am 12.12.2017.

Themenheft „Dem Leid begegnen: Theodizee“. entwurf (4/2012).

Themenheft „Theodizee“. :in Religion (1/2016).

Themenheft „Theodizee“. Rellis (3/2015).

Zimmermann, Mirjam, „Hiob reloaded“ – nach Gerechtigkeit fragen. Schülerinnen und Schüler schreiben moderne Hiob-Erzählungen. Religion 5–10 (4/2011), 28–33.

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