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Didaktisch erster Zugang: die Klage

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Als Impulse für das Gespräch haben wir diese Sätze ohne jeden Kommentar präsentiert – der Hinweis auf Alter und Herkunft hätte unweigerlich schon wieder Distanz geschaffen –, auf große Karten geschrieben und so in unterschiedlichen Anordnungen verwendet.[10] Diese Psalmensätze aber sind nicht beliebig einsetzbar; sie ordnen sich zu einer didaktisch bindenden Reihenfolge, die auch theologisch interessant ist:

Die Sätze, die allen Kindern und Jugendlichen unmittelbar zugänglich sind, ohne weitere Voraussetzungen, sind Worte der Klage. Offenbar sind sie die elementarsten Worte der Psalmen; jedenfalls sind es Worte, in denen schon Kinder sich unmittelbar wiederfinden:

Ich rufe, und du antwortest nicht (22,3Ps 22,3).

Ich bin wie ein zerbrochenes Gefäß (31,13Ps 31,13).

Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist (69,3Ps 69,3).

Warum hast du mich verlassen? (22,2Ps 22,2).

Folgen wir unserer didaktischen Analyse, so ist dies die erste Überraschung: Die erste Stufe des Psalmengebets ist nicht das Lob, sondern die Klage. Und die zweite überraschende Entdeckung ist: Dies ist keine religiöse Sprache, sondern eine ganz elementar menschliche Sprache, Kinder und Jugendliche ohne jede religiöse Sozialisation verstehen sie unmittelbar.

Und die dritte Überraschung: Die Gotteserfahrung müssen wir nicht mühsam an die Kinder herantragen, sie ist in dieser so ganz und gar menschlichen Sprache unmittelbar präsent, implizit, doch unüberhörbar. Sie braucht keine theologische Sprache, denn diese ganz einfach menschliche Sprache ist randvoll von Gotteserfahrung; ohne sie wären diese Sätze der Klage nie formuliert worden. Sie sind ja nicht einfach „Klage“, larmoyant und hilflos, es sind Hilferufe, die in der Verzweiflung nicht aufhören, auf Hilfe zu hoffen.

Und eben das ist die Stärke der biblischen Rede von Gott: dass sie nicht abhebt in eine „religiöse Dimension“,[11] nur denen zugänglich, die einen Sinn |153|fürs Übersinnliche mitbringen. Die biblische Sprache ist unter Menschen mit Migrations-, ja Deportationshintergrund geboren, nicht aus der religiösen Frage nach dem Übersinnlichen, sondern aus den elementarsten Bedürfnissen der Menschen, die in dem Würgegriff dieser Leiden und Ängste ihr Menschsein noch zu bewahren suchen. Und mitten in diesen Fragen trifft sie eine neue Sprache, die ihnen eine Ahnung von Freiheit bringt, die all die brennenden Fragen ihrer Sehnsucht aufnimmt, doch nicht mit dem Ziel, sie religiös zu lösen, sondern sie real herauszuführen aus diesem Elend.

Ohne diese Grunderfahrung, dass alles Schreien und Weinen nicht ins Leere geht, wäre kein Satz der Psalmen je ausgesprochen worden. Nur ist diese Erfahrung nicht wie eine denknotwendige Voraussetzung rational präsent, sondern emotional als Ahnung und Hoffnung. Hier sind nicht Dichter am Werk, die persönliche oder kollektive Erfahrungen in eine kunstvolle Form bringen, sondern emotionale Erfahrungen von unerhörter Intensität, auf der Suche nach einer Sprache, die ihnen angemessen ist und doch kommunikabel bleibt. Diese Sprache aber kann sich nicht als Monolog entfalten, das ist nur als ästhetische Attitüde so möglich; im Ernstfall braucht sie ein Gegenüber – die Ursprungssituation des Gebets.

Handbuch Bibeldidaktik

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