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Die Bibel als Lehrbuch

Michael Landgraf

„Warum wird die Torah mit einem Feigenbaum verglichen?

Weil bei den meisten Bäumen die Früchte zu einer Zeit geerntet werden.

Vom Feigenbaum wird nach und nach gepflückt.

Ebenso ist es mit der Torah:

Man lernt ein wenig an einem Tag und mehr am nächsten,

denn man kann sie nicht lernen

in ein oder zwei Jahren.“

Bamidbar Rabba 12

Diese jüdische Weisheit weist darauf hin, dass biblische Schriften Lehrbücher sind, denen man nur durch ein lebenslanges Lernen begegnen kann.[1] Für die jüdisch-christliche Tradition offenbart sich Gott im Wort der Bibel. Daher ist es Aufgabe, Wege zu finden, sich dieser Basis des Glaubens anzunähern und diese zu verstehen.

Heute noch ist im Judentum die „Halacha“, die jüdische Auslegung der Tora für den Alltag, Grundlage im Umgang mit Fragen des Lebens. Um sich die Tora anzueignen, lernen Mädchen mit zwölf zur Bat Mizwa (in Reformgemeinden), Jungen mit dreizehn Jahren zur Bar Mizwa, die Tora auf Hebräisch vor einer Gemeinde zu lesen. Am Schabbat sucht man nach Wegen, wie die heiligen Schriften (TeNaK) als Lehrbuch ausgelegt werden.[2]

|71|Auf dem Weg zur Bibel als Lehrbuch

Jesus und Paulus wuchsen in dieser Tradition auf und lernten, die Heilige Schrift auszulegen. Lukas reflektiert dies in der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41–52Lk 2,41–52). Dass Jesus von seinen Jüngern als „Rabbi“ angesprochen wurde, deutet darauf hin, dass seine Anhänger ihn als „Lehrer“ und Ausleger des göttlichen Willens sahen. Von Paulus wird berichtet, dass er vor seiner Bekehrung ein eifernder Schriftgelehrter war (Apg 22,3Apg 22,3 u.ö.). Wie er deuteten die ersten Christen die Ereignisse um Jesus auf Grundlage der jüdischen Überlieferung. Insofern waren diese Schriften Gegenstand des Lernens. Wie die Tora als Lehrbuch in „biblischer Zeit“ eingesetzt wurde, hat G. Büttner untersucht und festgestellt, dass es parallele Strukturen zur Textaneignung in der Antike gibt:[3] „Einschärfen und davon reden“ bedeutete: Texte wurden auswendig gelernt, memoriert, das Textverständnis diskutiert und für das Leben ausgelegt. Lesen und Schreiben lernen war damit verbunden mit einer „Teilnahme“ an der Heiligen Schrift selbst.

Allerdings war die Frage, was im Christentum „Lehrbuch“ sei, lange nicht abgeschlossen. Manche sprachen sich für eine Beseitigung der alttestamentlichen Schriften aus einem christlichen Kanon aus (z.B. Markion, um 150 n. Chr.). Und es gab es eine Vielzahl von Evangelien, Apostelbriefen und Apokalypsen. Erst mit der Kanonbildung um 380 n. Chr. lag ein verbindliches „Lehrbuch Bibel“ vor – später eingeschränkt durch M. Luther, der einige Schriften als „Apokryphen“ oder den Jakobusbrief als „stroherne Epistel“ kennzeichnete.

Lehrbuch war die Bibel bereits in der ausgehenden Antike und im Mittelalter, da sie Texte für liturgische Zwecke enthielt.[4] Um das Jahr 800 n. Chr. reformierte Karl d. Gr. das Schulwesen, indem er in den Admonitio Generalis (789 n. Chr.) Latein als Sprache der Liturgie und der Bibel festlegte. Als Ort der Lehre bestimmte er Klöster- und Domschulen. Schüler lernten durch Memorieren und dem gemeinsamen Lesen in Folianten mit Psalmen (Psalterien) und Evangelien (Evangeliare).[5] Dann hatte die Bibel als Lehrbuch ethische Bedeutung – besonders durch das Lernen des Dekalogs.[6]

Eine dritte Kategorie von Lehrtexten bezog sich auf die Passions- und Ostergeschichte (Kreuzweg), um das Zentrum biblischer Heilsgeschichte zu erfassen. Hier nun entstanden eigens Lernbibeln: „Armenbibeln“ ordneten typologisch der Passionsgeschichte auslegende Texte aus dem AT zu.[7]

In der Zeit der Vorreformation spielte die Offenbarung eine wichtige Rolle, da man fest von einer hereinbrechenden Endzeit ausging – spürbar in der |72|Illustration von M. Luthers NT (1522), in dem primär die Offenbarung illustriert wurde.

Noch in der Reformationszeit war die Bibel kein Lehrbuch für die Hände der Schüler. P. Melanchthons Enchiridion elementarum puerilium (Latein 1523; Deutsch 1529), das für die Hand der Schüler bestimmt war, enthielt ausgewählte biblische Texte (Vaterunser, Ps 66,2–8, Dekalog, Bergpredigt, Röm 12, Joh 13 und Spr). Durch das Prinzip des sola scriptura war in der Reformation angelegt, dass die ganze Bibel ein Lehrbuch für das Leben sei. Doch die Lesefähigkeit breiter Bevölkerungsschichten war noch nicht vorhanden und eine gedruckte Bibel war viel zu teuer (Jahresgehalt eines Schulmeisters). Es konnte, wie es die Homberger Kirchenordnung (1526) vorsah, zu Beginn und am Ende des Unterrichts aus der Bibel vorgelesen werden. Melanchthon empfahl 1528 die eigenständige Lektüre von Matthäus und des Timotheusbriefs. Diese Tradition griff der Pietismus auf, beispielsweise in den Franckeschen Anstalten in Halle, mit dem Ziel, dass die Bibel als persönliche Antwort Gottes an den Einzelnen zu begreifen sei.[8] Um eine Bibel als Buch des Lernens selbst in Händen halten zu können, musste die Bibelherstellung, Verbreitung und die Lesekompetenz gefördert werden – wie dies durch den Einfluss des Pietismus und durch die Gründung der Cansteinschen Bibelanstalt (1710) geschah (→ Art. Bibelausgaben damals und heute). Fragwürdig waren allerdings Schnellaufschlagübungen, die als Attraktion im Gottesdienst vorgeführt wurden, oder das acht Monate lange Vorlesen der Bibel ohne Kommentar im Unterricht. Eine Auseinandersetzung mit den Inhalten fand dabei nicht statt.

Seit dem 18. Jh. kam die Frage auf, ob die Vollbibel, eine Auszugsbibel oder eine Nacherzählung geeigneter als Lehrbuch sei. Als Prototyp neuer Lehrbücher gilt die 1714 erschienene „Zwei mal zwei und fünfzig auserlesene Biblische Historien“ des Hamburger Rektors J. Hübner. Der kurzen Nacherzählung biblischer Texte wurden als didaktischer Dreischritt „deutliche Fragen“, „nützliche Lehren“ und „gottselige Gedanken“ beigefügt. Ab dem 19. Jh. erschienen „Biblische Geschichten“ (J.P. Hebel ab 1824; C.G. Barth ab 1831), die Wert auf die Kenntnis der Texte legten, und „Biblische Geschichte“ (C. Schmid ab 1801; F.L. von Zahn ab 1831), worin es um das Erfassen der Heilsgeschichte ging.[9]

Noch bis in die 1960er Jahre hatten Schüler in der Regel solche Bibelübertragungen als Lehrbuch, die zur Vollbibel hinführen sollten. Kritiker bemängelten Auswahl, Sprache, Moralisierung sowie die Illustration – besonders die Gottesbilder von J. Schnorr von Carolsfeld und dass diese Lernmittel als Instrument der Verkündigung im Religionsunterricht gedacht waren.

Mit der didaktischen Wende in den 1960er Jahren stellte sich der „Hermeneutische Religionsunterricht“ (M. Stallmann) gegen die „Verzweckung“ der Bibel. Lernende sollten kritisch-konstruktiv mit den biblischen Texten der Vollbibel umgehen können. Da jedoch der Ansatz den Erfordernissen der Zeit nicht mehr |73|genügte, kam es infolge des „Problemorientierten Religionsunterrichts“ (H.B. Kaufmann; K.E. Nipkow) zum Bedeutungsverlust der Bibel als Lehrbuch im deutschsprachigen Kontext.[10] Beeinflusst durch das Korrelationsmodell P. Tillichs setzte man Lebensfragen und die Aussagen der Bibel miteinander in Beziehung. Geradezu gegenläufig zum Trend in Mitteleuropa ist die Bedeutung der Bibel als Lehrbuch in Afrika, Asien und Lateinamerika. Bis heute findet die Verschriftlichung vieler Sprachen im Übersetzungsprozess der Bibel statt, die beispielsweise vom Weltbund der Bibelgesellschaften geleistet wird. So dienen biblische Texte auch zur Alphabetisierung der Bevölkerung oder als Protest- und Ermutigungsschriften für die Widerstandsbewegung.[11]

Die Bibel als Lehrbuch in der aktuellen Bibeldidaktik

Die Frage, wie die Bibel als Lehrbuch eingesetzt werden kann, begleitet die aktuelle Debatte der Bibeldidaktik. Für I. Baldermann ist die Bibel von existenzieller Bedeutung und daher sei sie ein „Buch des Lernens“,[12] das ohne Vorwissen gelesen werden kann, weil in ihm die großen Fragen des Lebens beantwortet werden. Er möchte elementare biblische Aussagen früh zugänglich machen, da Kinder hier Orientierung finden und sprachfähig werden. H.K. Bergs These lautet[13]: Die Bibel ist ein Lehrbuch, da sie zur kritischen Auseinandersetzung mit Problemen und zu deren Bewältigung fähig macht. Er analysiert die Lebenssituation Jugendlicher und wählt Bibelgeschichten als Orientierungs- und Hoffnungsmöglichkeit aus – in befreiungstheologischer, tiefenpsychologischer und symboldidaktischer Perspektive. G. Theißen möchte diejenigen „zur Bibel motivieren“,[14] die der Bibel kritisch gegenüberstehen.[15] Die Bibel sei ein wichtiges Lehrbuch, weil man dadurch die Kultur und die „Sprache religiöser Erfahrung“ verstehen lernt. P. Müller möchte darüber hinaus „die Bibel im Unterricht so zur |74|Sprache bringen, dass sie sich in ihrer Vielfalt und Lebensdienlichkeit erschließt“.[16] Da sie aber für die meisten Menschen ein „Buch mit sieben Siegeln“ (Offb 5Offb 5), also unverständlich sei, will er den Lesern Zugänge zur Bibel öffnen – sogenannte „Schlüssel zur Bibel“.[17] Spannend sind auch Ergebnisse der „Kindertheologie“, wenn Kinder über sperrige Bibeltexte philosophieren. Die im „Jahrbuch für Kindertheologie“ dokumentierten Beispiele zeigen, dass Kinder gemeinsam mit der Bibel lernen und selbst über Texte wie Sodom und Gomorra ins Gespräch kommen.[18]

Ertrag und Ausblick

Die Bibel ist nicht nur Quelle göttlicher Offenbarung, sondern auch Grundlage des Lehrens und Lernens. Ziel ist, dass sich Lernende selbst dieses „Lehrbuch“ aneignen. Zwar fragt C. Grethlein, „ob die Zielsetzung, Schüler zu einer eigenständigen Lektüre der Bibel zu befähigen, realistisch und für das Hauptziel, mit den Schülern das Evangelium zu kommunizieren, notwendig ist“.[19] Doch ist das Lesen der Bibel als Buch kaum zu ersetzen.

Dass Schülerinnen und Schüler mit der Bibel als Buch umgehen können, ist eine Kernkompetenz, die durch den Religionsunterricht angebahnt werden soll.[20] Dabei stellt sich die Frage, ob man die richtige Bibel als „Lehrbuch“ in der Hand hält. Wenn jedes Lesealter für die jeweilige Lese- und Lernkompetenz eigene Lernmittel braucht, braucht es für jede Phase des Bibellernens eine passende Bibelausgabe – also ein passendes Lehrbuch, das dem kumulativen Aufbau von Kompetenzen gerecht wird. Vorschulkinder brauchen Vorlesebibeln, die Geschichten so visualisieren, dass sie selbst die Bilder „lesen“ und darüber ins Gespräch kommen können.[21] Erstleserinnen und Erstleser brauchen eine Erstlesebibel mit elementarer Sprache,[22] lesestarke Kinder spannende Erzählbibeln.[23] Es braucht für Jugendliche, die noch keine Vollbibel lesen können, eine Ausgabe, die ihnen anspruchsvollere Texte, Erklärungen und altersgemäße Illustrationen als Brücke zur Vollbibel bietet.[24] Schließlich können auch Vollbibelausgaben als |75|„Lehrbuch“ dienen – so wie die „Lutherbibel/Gute Nachricht-Bibel für dich“ oder die „Basisbibel“.[25]

Auch müssen Lebenswelt und das Angebot der Bibel aufeinander bezogen sein, denn um als Lehrbuch Akzeptanz zu finden, muss klar sein, was Bibeltexte mit dem eigenen Leben zu tun haben.[26] Wenn Lernende fragen: „Was bringt mir eigentlich die Beschäftigung mit der Bibel?“, dann hat dies seinen Grund. Hilfreich ist es, nach den Lebenssituationen („Sitz im Leben“) der Bibeltexte zu suchen und zu klären, was denn das „Lehrbuch Bibel“ damals Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation „gebracht“ hat. Diese Herangehensweise legt Ausgangsfragen offen, auf die die Bibel Antworten gibt.[27] So ist beispielweise die Josefgeschichte ein „Lehrbuch“, das für Jugendliche in der Pubertät gut nachvollziehbar ist, denn Josef erlebt ein persönliches Auf und Ab. Auch kann die Auseinandersetzung mit einem Prophetenbuch bereits in der Klassenstufe 3/4 erfolgen, denn da spielt die Frage nach der Gerechtigkeit bereits eine große Rolle. Hier gilt es, von der Eigendynamik der biblischen Texte und der Lebens- und Lernsituation her zu entscheiden, damit aus einem Lehrtext der Bibel ein Lebenswort wird.

Leseempfehlungen

Büttner, Gerhard, Wie wurde in biblischer Zeit (in der Schule) gelernt? Fragen einer historischen Bibeldidaktik. ThBeitr 43 (2012), 34–48.

Landgraf, Michael/Metzger, Paul, Bibel unterrichten. Stuttgart 2011.

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