Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 12

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Ein kur­z­er Blick auf das frü­he­re Le­ben des Ehe­paars wird den Ein­druck be­stä­ti­gen, den der lie­be­vol­le Streit der bei­den Haupt­per­so­nen die­ser Er­zäh­lung her­vor­ru­fen muß. Die­se Schil­de­rung der Sit­ten des De­tail­lis­ten­stan­des wird gleich­zei­tig er­klä­ren, durch wel­che ei­gen­ar­ti­gen Um­stän­de Cäsar Bi­rot­teau Bei­ge­ord­ne­ter und Par­füm­händ­ler, frü­he­rer Of­fi­zier der Na­tio­nal­gar­de und Rit­ter der Ehren­le­gi­on ge­wor­den war. Wenn man das in­ners­te We­sen sei­nes Cha­rak­ters und die Trieb­fe­dern zu sei­nem Auf­stieg klar er­kennt, wird man auch ver­ste­hen, wes­halb kom­mer­zi­el­le Un­glücks­fäl­le, die selbst be­deu­ten­de Köp­fe über­wäl­ti­gen, für klei­ne Geis­ter zu un­heil­ba­ren Ka­ta­stro­phen wer­den. Ge­scheh­nis­se kön­nen nie ab­ge­löst für sich be­ur­teilt wer­den, ihre Aus­wir­kun­gen hän­gen völ­lig von den be­trof­fe­nen In­di­vi­du­en ab: das Un­glück ist für das Ge­nie ein Sche­mel, für den Chris­ten ein Bad, für den ge­wand­ten Mann ein Schatz, für die Schwa­chen ein Ab­grund.

Ein Land­ar­bei­ter aus der Um­ge­gend von Chi­non, na­mens Jac­ques Bi­rot­teau, hei­ra­te­te das Kam­mer­mäd­chen der Dame, in de­ren Wein­berg er ar­bei­te­te; er hat­te drei Söh­ne, aber bei der Ge­burt des jüngs­ten starb die Frau und der arme Mann über­leb­te sie nicht lan­ge. Die Her­rin, die an ih­rem Kam­mer­mäd­chen sehr ge­han­gen hat­te, ließ Franz, den äl­tes­ten Sohn des Ar­bei­ters, mit ih­ren Söh­nen zu­sam­men er­zie­hen und brach­te ihn dann in ei­nem Se­mi­nar un­ter. Zum Pries­ter ge­weiht, muß­te sich Franz Bi­rot­teau wäh­rend der Re­vo­lu­ti­on ver­steckt hal­ten und das Le­ben der her­u­mir­ren­den Pries­ter, die den Eid nicht leis­ten woll­ten, füh­ren, auf die man wie auf wil­de Tie­re Jagd mach­te und die um der ge­rings­ten Sa­che wil­len hin­ge­rich­tet wur­den. Zur Zeit, da die­se Ge­schich­te be­ginnt, war er Vi­kar an der Ka­the­dra­le von Tours und hat­te die­se Stadt nur ein ein­zi­ges Mal ver­las­sen, um sei­nen Bru­der Cäsar zu be­su­chen. Der Lärm in Pa­ris be­täub­te aber den gu­ten Pries­ter der­ma­ßen, daß er sein Zim­mer nicht zu ver­las­sen wag­te, die Ka­brio­lets »Halb­chai­sen« nann­te und über al­les staun­te. Nach ei­ner Wo­che kehr­te er nach Tours zu­rück und ge­lob­te sich, nie­mals wie­der die Haupt­stadt auf­zu­su­chen. Der zwei­te Sohn des Wein­ar­bei­ters, Jo­hann Bi­rot­teau, er­lang­te, zum Mi­li­tär ein­ge­zo­gen, schnell den Rang ei­nes Haupt­manns wäh­rend der ers­ten Re­vo­lu­ti­ons­krie­ge. In der Schlacht an der Treb­bia ließ Mac­do­nald Frei­wil­li­ge vor­tre­ten, die eine Bat­te­rie stür­men soll­ten. Der Haupt­mann Jo­hann Bi­rot­teau ging mit sei­ner Kom­pa­gnie vor und fiel. Das Schick­sal der Bi­rot­te­aus woll­te of­fen­bar, daß sie über­all, wo sie Fuß faß­ten, ent­we­der von den Men­schen oder von den Er­eig­nis­sen zu­grun­de­ge­rich­tet wer­den soll­ten.

Das letz­te Kind war der Held die­ser Er­zäh­lung. Als Cäsar mit vier­zehn Jah­ren le­sen, schrei­ben und rech­nen konn­te, ver­ließ er sei­ne Hei­mat und wan­der­te zu Fuß nach Pa­ris, mit ei­nem Louis­dor in der Ta­sche, um hier sein Glück zu ma­chen. Auf die Emp­feh­lung ei­nes Apo­the­kers in Tours fand er ein Un­ter­kom­men als Haus­die­ner bei den Ra­g­ons, Par­fü­me­rie­händ­lern. Cäsar be­saß da­mals ein Paar mit Ei­sen be­schla­ge­ne Schu­he, eine Hose, blaue St­rümp­fe, eine ge­blüm­te Wes­te, eine Bau­ern­ja­cke, drei gro­be Hem­den aus gu­ter Lein­wand und sei­nen Rei­se­stock. Wenn auch sein Haar wie das ei­nes Chor­kna­ben ge­schnit­ten war, so hat­te er doch die fes­ten Kno­chen ei­nes Tou­rai­ners; wenn er sich manch­mal der hei­mat­li­chen Faul­heit über­ließ, so wur­de das wie­der wett­ge­macht durch das Ver­lan­gen, sein Glück zu ma­chen; und wenn ihm auch Geist und Er­zie­hung fehl­ten, so be­saß er da­für einen ge­ra­den Sinn und ein von sei­ner Mut­ter er­erb­tes zar­tes Emp­fin­den, ei­nem We­sen, das, nach dem Tou­rai­ner Aus­druck, ein »gol­de­nes Herz« hat­te. Cäsar er­hielt Es­sen, sechs Fran­ken Lohn mo­nat­lich und eine schlech­te Ma­trat­ze auf dem Bo­den in der Nähe der Kö­chin; die Kom­mis, die ihn zum Ein­pa­cken und Gän­ge­be­sor­gen, zum Fe­gen des La­dens und der Stra­ße an­lern­ten, mach­ten sich über ihn lus­tig, wäh­rend sie ihn aus­bil­de­ten, wie das in den La­den­ge­schäf­ten üb­lich ist, wo die Ne­cke­rei ein Haupt­ele­ment der Lehr­lings­zeit bil­det; Herr und Frau Ra­gon kom­man­dier­ten ihn wie einen Hund. Nie­mand nahm Rück­sicht auf die Er­mü­dung des Lehr­lings, wie schau­der­haft ihn auch abends die vom Pflas­ter­tre­ten ge­quetsch­ten Füße und die wie zer­bro­che­nen Schul­tern schmerz­ten. Die­se rau­he Leh­re des »Je­der für sich«, das Evan­ge­li­um al­ler Groß­städ­te, ließ Cäsar das Le­ben in Pa­ris sehr hart fin­den. Am Abend wein­te er, wenn er an die Tou­rai­ne dach­te, wo der Bau­er in Ruhe ar­bei­tet, wo der Mau­rer den Stein erst zwölf­mal her­um­dreht, be­vor er ihn ein­setzt, und wo die Faul­heit so ver­stän­dig mit der Ar­beit ver­wo­ben ist; aber er schlief ein, ohne Zeit zu ha­ben, ein Aus­rücken zu über­le­gen; am nächs­ten Mor­gen hat­te er schon wie­der Gän­ge zu be­sor­gen, und er tat sei­ne Pf­licht mit dem Ge­hor­sam ei­nes Wacht­hun­des. Wenn er sich wirk­lich ein­mal be­klag­te, so lä­chel­te der ers­te Kom­mis mit ver­gnüg­ter Mie­ne.

»Ja, mein Jun­ge,« sag­te er, »es ist nicht al­les ro­sig in der ›Ro­sen­kö­ni­gin‹, und hier flie­gen ei­nem nicht die Tau­ben ge­bra­ten ins Maul; man muß erst hin­ter ih­nen her­lau­fen, dann sie pa­cken und schließ­lich ver­ste­hen, sie sich zu­rechtzu­ma­chen.« Die Kö­chin, eine di­cke Pi­kar­din, nahm die bes­ten Stücke für sich und rich­te­te an Cäsar nur das Wort, um sich über die Ra­g­ons zu be­kla­gen, die sich nicht be­steh­len lie­ßen. Ge­gen Ende des ers­ten Mo­nats muß­te das Mäd­chen an ei­nem Sonn­tag das Haus be­wa­chen und be­gann eine Un­ter­hal­tung mit Cäsar. Die sonn­täg­lich ge­wa­sche­ne Ur­su­la er­schi­en dem ar­men Lauf­bur­schen, der ohne die­sen glück­li­chen Zu­fall an der ers­ten ver­bor­ge­nen Klip­pe sei­ner Lauf­bahn ge­schei­tert wäre, rei­zend. Wie alle schutz­lo­sen We­sen ver­lieb­te er sich in das ers­te Weib, das ihm einen freund­li­chen Blick zu­warf. Die Kö­chin nahm Cäsar un­ter ih­ren Schutz und dar­aus ent­stand ein heim­li­ches Lie­bes­ver­hält­nis, über das die Kom­mis un­barm­her­zig spot­te­ten. Zwei Jah­re spä­ter ver­ließ die Kö­chin Cäsar zu sei­nem größ­ten Glück we­gen ei­nes jun­gen Drücke­ber­gers aus ih­rer Hei­mat, der sich in Pa­ris ver­bor­gen hielt, ei­nes zwan­zig­jäh­ri­gen Pi­kar­den, der ei­ni­ge Mor­gen Land be­saß und sich von Ur­su­la hei­ra­ten ließ.

Zwei Jah­re lang hat­te die Kö­chin ih­ren klei­nen Cäsar gut er­nährt, hat­te ihn in ver­schie­de­ne Mys­te­ri­en des Pa­ri­ser Le­bens ein­ge­weiht, das sie ihn in sei­ner Tie­fe hat­te ken­nen­ler­nen las­sen und wo­bei sie ihm aus Ei­fer­sucht einen star­ken Ab­scheu ge­gen die schlech­ten Orte, de­ren Ge­fah­ren ihr nicht un­be­kannt zu sein schie­nen, ein­ge­flö­ßt hat­te. Im Jah­re 1792 hat­ten sich die Füße des von ihr ver­ra­te­nen Cäsars an das Pflas­ter, sei­ne Schul­tern an die Kis­ten und sein Geist an das, was er die Pa­ri­ser »Flun­ke­rei­en« nann­te, ge­wöhnt. Er war da­her, nach­dem Ur­su­la ihn ver­las­sen hat­te, schnell ge­trös­tet, zu­mal sie in kei­ner Wei­se sei­nem an­ge­bo­re­nen Ge­fühl für zar­te Emp­fin­dung ent­spro­chen hat­te. Ver­dor­ben und mür­risch, schein­hei­lig und spitz­bü­bisch, egois­tisch und trunk­süch­tig be­lei­dig­te sie das rei­ne Emp­fin­den Bi­rot­te­aus, ohne daß sie ihm ir­gend­ei­ne güns­ti­ge Aus­sicht bot. Der arme Jun­ge sah sich häu­fig zu sei­nem Schmer­ze durch die für nai­ve See­len am fes­tes­ten ge­schmie­de­ten Fes­seln an ein Ge­schöpf ge­bun­den, das ihm Wi­der­wil­len ein­flö­ßte. Als er sich frei fühl­te, war er groß ge­wor­den und hat­te sein sech­zehn­tes Jahr er­reicht. Ur­su­la und die Ne­cke­rei­en der Kom­mis hat­ten sei­nen Geist ge­weckt und ihn an­ge­regt, in das Han­dels­we­sen ein­zu­drin­gen, wo­bei sei­ne In­tel­li­genz sich hin­ter sei­ner Ein­fach­heit ver­bor­gen hielt; er be­ob­ach­te­te die Kun­den, ließ sich, wenn nichts zu tun war, die Wa­ren er­klä­ren, de­ren Ver­schie­den­hei­ten und An­ord­nung er sich merk­te; und bald kann­te er die ein­zel­nen Ar­ti­kel, ih­ren Preis und ihr Wa­ren­zei­chen bes­ser, als das sonst bei Neu­lin­gen der Fall ist; Herr und Frau Ra­gon fin­gen nun an, ihn an­der­wei­tig zu be­schäf­ti­gen.

Am Tage, da die furcht­ba­re Aus­he­bung des Jah­res II das Haus bei dem Bür­ger Ra­gon leer mach­te, be­nutz­te Cäsar Bi­rot­teau, der zum zwei­ten Kom­mis auf­ge­stie­gen war, die Ge­le­gen­heit, um fünf­zig Fran­ken Ge­halt mo­nat­lich zu er­rei­chen, und setz­te sich mit un­aus­sprech­li­cher Freu­de mit Ra­g­ons zu Tisch. Der zwei­te Kom­mis der Ro­sen­kö­ni­gin, der nun sechs­hun­dert Fran­ken hat­te, er­hielt ein Zim­mer, wo er in den seit lan­gem er­sehn­ten Mö­beln die klei­nen An­den­ken, die er sich ge­sam­melt hat­te, un­ter­brin­gen konn­te. An den Fei­er­ta­gen der De­ka­de klei­de­te er sich wie die jun­gen Leu­te die­ser Zeit, de­nen die Mode vor­schrieb, rohe Ma­nie­ren an­zu­neh­men, und der freund­li­che, be­schei­de­ne Bau­er ver­stand es, sich wie ih­res­glei­chen zu be­neh­men, so daß er die Gren­zen, die zu an­dern Zei­ten die Dienst­bar­keit zwi­schen der Bour­geoi­sie und ihm ge­zo­gen hät­te, über­schritt. Ge­gen das Ende die­ses Jah­res wur­de er sei­ner Ehr­lich­keit hal­ber an die Kas­se ge­setzt. Die statt­li­che Bür­ge­rin Ra­gon hielt die Wä­sche des Kom­mis in­stand und die bei­den Ehe­leu­te ka­men in ein ver­trau­li­ches Ver­hält­nis mit ihm. Im Ven­dé­mi­aire des Jah­res 1794 wech­sel­te Cäsar die hun­dert Louis­dor, die er be­saß, ge­gen sechs­tau­send Fran­ken As­si­gna­ten ein, kauf­te da­für Ren­ten zu ei­nem Kur­se von drei­ßig Fran­ken, be­zahl­te sie einen Tag vor der Her­ab­set­zung der As­si­gna­ten an der Bör­se und ver­schloß sei­ne Titres mit dem Ge­fühl un­sag­ba­ren Glückes. Von die­sem Tage an ver­folg­te er die Bör­sen­kur­se und die po­li­ti­schen Er­eig­nis­se mit ge­hei­mer Angst, die ihn bei Un­glücks­fäl­len oder Er­fol­gen, die die­se Pe­ri­ode uns­rer Ge­schich­te kenn­zeich­nen, er­zit­tern ließ. Herr Ra­gon, ehe­mals Hof­lie­fe­rant Ih­rer Ma­je­stät der Kö­ni­gin Ma­rie-An­to­i­net­te, be­kann­te in sol­chen kri­ti­schen Mo­men­ten Cäsar Bi­rot­teau ver­trau­lich sei­ne An­häng­lich­keit an die ge­stürz­ten Ty­ran­nen. Die­se Be­kennt­nis­se wur­den von der wich­tigs­ten Be­deu­tung für Cäsars Le­bens­ge­stal­tung. Die abend­li­chen Un­ter­hal­tun­gen nach Schluß des Ge­schäfts, wenn die Stra­ßen ru­hig ge­wor­den und Kas­se ge­macht war, be­geis­ter­ten den Tou­rai­ner, der, wenn er Roya­list wur­de, da­mit nur sei­ner an­ge­bo­re­nen Emp­fin­dung ge­horch­te. Die Er­zäh­lung der tu­gend­haf­ten Hand­lun­gen Lud­wigs XVI., die Mit­tei­lun­gen, bei de­nen sich die bei­den Ehe­leu­te für die Ver­diens­te der Kö­ni­gin be­geis­ter­ten, er­reg­ten die Ein­bil­dungs­kraft Cäsars. Das schreck­li­che Ge­schick die­ser bei­den ge­krön­ten Häup­ter, die we­ni­ge Schrit­te von dem La­den ent­fernt ge­fal­len wa­ren, em­pör­te sein emp­find­sa­mes Herz und er­füll­te ihn mit Haß ge­gen eine Re­gie­rungs­form, der es nichts be­deu­te­te, un­schul­di­ges Blut zu ver­gie­ßen. Sein kauf­män­ni­scher Ver­stand sag­te ihm, daß, wenn es zum Äu­ßers­ten und zu po­li­ti­schen Stür­men kam, die im­mer den Ge­schäf­ten schäd­lich sind, der Han­del zu­grun­de ge­hen müs­se. Au­ßer­dem haß­te er als ech­ter Par­füm­händ­ler eine Re­vo­lu­ti­on, die je­der­mann mit ei­nem Ti­tus­kopf her­um­ge­hen ließ und das Pu­dern ab­schaff­te. Und da nur die Ruhe, die die ab­so­lu­te Herr­schaft ge­währt, das Geld wie­der le­ben­dig ma­chen kann, so wur­de er fa­na­ti­scher Roya­list. Als Ra­gon ihn für ge­eig­net er­kann­te, mach­te er ihn zum ers­ten Kom­mis und weih­te ihn in das Ge­heim­nis der Ro­sen­kö­ni­gin ein, wo meh­re­re Kun­den die tä­tigs­ten und hin­ge­hends­ten Emis­sä­re der Bour­bo­nen wa­ren, und von wo aus die Kor­re­spon­denz des Wes­tens mit Pa­ris ge­lei­tet wur­de. Fort­ge­ris­sen von der Heiß­blü­tig­keit der Ju­gend und be­geis­tert durch die Be­zie­hun­gen zu den Ge­or­ges, den la Bil­lar­diè­re, den Mon­tau­ran, Bau­van, Lon­guy, Man­da, Ber­nier, du Gué­nis und Fon­taine stürz­te sich Cäsar in die Ver­schwö­rung der ver­ei­nig­ten Roya­lis­ten und Ter­ro­ris­ten, die am 13. Ven­dé­mi­aire ge­gen den in den letz­ten Zü­gen lie­gen­den Kon­vent zum Aus­bruch ge­lang­te.

Cäsar hat­te die Ehre, ge­gen Na­po­le­on auf den Stu­fen von Saint-Roch zu kämp­fen und gleich zu An­fang des Ge­fech­tes ver­wun­det zu wer­den. Je­der kennt den Aus­gang die­ses Un­ter­neh­mens. Wenn der Ad­ju­tant von Bar­ras da­bei aus sei­ner Obs­ku­ri­tät her­austrat, so wur­de Bi­rot­teau durch die sei­ni­ge ge­ret­tet. Ei­ni­ge Freun­de brach­ten den krie­ge­ri­schen ers­ten Kom­mis in die Ro­sen­kö­ni­gin, wo er auf dem Bo­den ver­steckt, von Frau Ra­gon ver­bun­den und glück­li­cher­wei­se ver­ges­sen wur­de. Cäsar Bi­rot­teau hat­te nur die­ses eine Auf­flam­men mi­li­tä­ri­schen Mu­tes ge­zeigt. Wäh­rend des Mo­nats, den sei­ne Wie­der­her­stel­lung dau­er­te, stell­te er prak­ti­sche Er­wä­gun­gen über die lä­cher­li­che Ver­bin­dung von Po­li­tik und Par­fü­me­rie an. Wenn er auch Roya­list blieb, so be­schloß er doch, klar und ein­fach ein roya­lis­ti­scher Par­füm­händ­ler zu sein, ohne sich je­mals wie­der zu kom­pro­mit­tie­ren, und sich dem mit Leib und See­le hin­zu­ge­ben.

Am 18. Bru­maire be­schlos­sen Herr und Frau Ra­gon, die an dem Er­fol­ge der Kö­nigs­par­tei ver­zwei­fel­ten, das Ge­schäft auf­zu­ge­ben und als ru­hi­ge Bour­geois zu le­ben, ohne sich wei­ter um die Po­li­tik zu küm­mern. Um den Preis für ihr Ge­schäft zu er­hal­ten, muß­ten sie einen Men­schen fin­den, der mehr Ehr­lich­keit als Ehr­geiz be­saß, mehr ein­fa­chen ge­sun­den Ver­stand als Be­ga­bung. Ra­gon bot da­her sei­nem ers­ten Kom­mis den Kauf an. Bi­rot­teau, der mit zwan­zig Jah­ren be­reits tau­send Fran­ken Ren­te aus Staats­pa­pie­ren be­saß, zö­ger­te mit der Zu­sa­ge. Sein Ehr­geiz be­schränk­te sich dar­auf, sich bei Chi­non nie­der­las­sen zu kön­nen, wenn er fünf­zehn­hun­dert Fran­ken Ren­te be­sit­zen und der ers­te Kon­sul die Staats­schuld kon­so­li­diert ha­ben wür­de, in­dem er sich selbst in den Tui­le­ri­en kon­so­li­dier­te. Wes­halb soll­te er eine an­stän­di­ge be­schei­de­ne Un­ab­hän­gig­keit den Chan­cen des Han­dels­le­bens op­fern? Nie­mals hat­te er ge­glaubt, daß er ein so be­trächt­li­ches Ver­mö­gen er­wer­ben wür­de, das er ja auch nur Glücks­fäl­len ver­dank­te, de­nen man sich al­lein in der Ju­gend über­lie­fert; er ge­dach­te also in der Tou­rai­ne ein Mäd­chen zu hei­ra­ten, das eben­so reich wäre wie er, um dann Les Tré­so­rières kau­fen und be­bau­en zu kön­nen, ein klei­nes Gut, wo­nach er, seit­dem er er­wach­sen war, sich ge­sehnt hat­te, das er zu ver­grö­ßern hoff­te, wor­aus er ein Ein­kom­men von tau­send Ta­lern zu er­zie­len ge­dach­te und wo er in der Ver­bor­gen­heit ein glück­li­ches Le­ben füh­ren woll­te. Schon woll­te er ab­leh­nen, als die Lie­be plötz­lich alle sei­ne Plä­ne über den Hau­fen warf und sei­ne ehr­gei­zi­gen An­sprü­che ver­zehn­fach­te.

Seit­dem ihn Ur­su­la ver­las­sen hat­te, war Cäsar keusch ge­blie­ben, eben­so­sehr aus Angst vor den Ge­fah­ren, die ei­nem in Pa­ris in Lie­bes­an­ge­le­gen­hei­ten dro­hen, als in­fol­ge sei­ner Ar­beit. Wenn aber die Lie­bes­sehn­sucht ohne Er­fül­lung bleibt, ver­wan­delt sie sich in ein zwin­gen­des Be­dürf­nis; dann wird das Hei­ra­ten für die Leu­te aus dem Mit­tel­stan­de zu ei­ner fi­xen Idee, denn nur auf die­sem Wege kön­nen sie ein Weib er­obern und sich zu ei­gen ma­chen. In die­sem Zu­stan­de be­fand sich Cäsar Bi­rot­teau. In dem Ge­schäft der Ro­sen­kö­ni­gin las­te­te al­les auf dem ers­ten Kom­mis; er hat­te kei­nen Au­gen­blick für Ver­gnü­gun­gen üb­rig. Bei ei­nem sol­chen Le­ben wer­den jene Be­dürf­nis­se um so drin­gen­der, und die Be­geg­nung mit ei­nem hüb­schen Mäd­chen, an die ein lie­der­li­cher Kom­mis kaum wei­ter ge­dacht hät­te, muß­te auf den keu­schen Cäsar den größ­ten Ein­druck ma­chen. Als er an ei­nem schö­nen Ju­ni­ta­ge über die Ma­ri­en­brücke nach der In­sel Saint-Louis kam, er­blick­te er ein jun­ges Mäd­chen, das vor der Tür ei­nes La­dens an ei­ner Ecke des Quai d’An­jou stand. Kon­stan­ze Pil­ler­ault war die ers­te Ver­käu­fe­rin in ei­nem Mo­de­wa­ren­ge­schäft, der Pe­tit-Ma­te­lot ge­nannt, dem ers­ten die­ser Art Ge­schäf­te, die seit­dem in Pa­ris mit mehr oder we­ni­ger be­mal­ten Schil­dern, flat­tern­den Wim­peln, Schau­fens­tern voll von hän­gen­den Schals, Kra­wat­ten, die auf Kar­ten­häu­sern ar­ran­giert wa­ren, und tau­send an­dern ver­füh­re­ri­schen Wa­ren, mit fes­ten Prei­sen, Tä­fel­chen, An­zei­gen, op­ti­schen Täu­schun­gen und Ef­fek­ten eine sol­che Voll­kom­men­heit er­reicht ha­ben, daß die­se Schau­fens­ter zu wah­ren kauf­män­ni­schen Ge­dich­ten ge­wor­den sind. Der nied­ri­ge Preis al­ler die­ser so­ge­nann­ten Nou­veautés, die man im Pe­tit-Ma­te­lot fand, be­wirk­te einen rie­si­gen Zu­lauf an die­ser für den Ver­kehr und den Han­del am we­nigs­ten güns­ti­gen Stel­le von Pa­ris. Die­se ers­te Ver­käu­fe­rin war da­mals ih­rer Schön­heit we­gen eben­so be­kannt, wie es spä­ter die schö­ne Kell­ne­rin des Cafés des Mil­le-Co­lon­nes und meh­re­re an­de­re arme We­sen wur­den, de­rent­we­gen sich mehr jun­ge und alte Na­sen nach den Fens­tern der Mo­de­ge­schäf­te, Cafés und an­de­rer Lä­den er­ho­ben, als es Pflas­ter­stei­ne in den Stra­ßen von Pa­ris gibt. Der ers­te Kom­mis der Ro­sen­kö­ni­gin, der zwi­schen Saint-Roch und der Rue de la Sour­diè­re wohn­te und al­lein mit sei­ner Par­füm­hand­lung be­schäf­tigt war, hat­te kei­ne Ah­nung von der Exis­tenz des Pe­tit-Ma­te­lot; denn die klei­nen Ge­schäf­te in Pa­ris wis­sen eins vom an­dern nichts. Cäsar war von der Schön­heit Kon­stan­zens so hef­tig be­wegt, daß er ganz auf­ge­regt in den Pe­tit-Ma­te­lot ein­trat, um sechs lei­ne­ne Hem­den zu kau­fen, um de­ren Preis er lan­ge han­del­te und wo­bei er sich Stö­ße von Lei­nen vor­le­gen ließ, nicht an­ders als eine Eng­län­de­rin, die zu ih­rem Ver­gnü­gen her­um­han­delt (shop­ping). Die ers­te Ver­käu­fe­rin ließ sich her­ab, Cäsar zu be­die­nen, da sie an ge­wis­sen An­zei­chen, die alle Frau­en ken­nen, wohl be­merk­te, daß es Cäsar viel mehr um die Ver­käu­fe­rin als um die Ware zu tun war. Er nann­te ihr sei­nen Na­men und sei­ne Adres­se, sie zeig­te sich aber zum Er­stau­nen des Kun­den nach dem Kauf sehr gleich­gül­tig. Der arme Kom­mis hat­te we­nig zu tun brau­chen, um das Ent­ge­gen­kom­men Ur­su­las zu er­rei­chen, er war un­be­hol­fen wie ein Schöps; die Lie­be ließ ihn noch un­ge­schick­ter er­schei­nen, er wag­te kein Wort zu re­den und war auch zu sehr ge­blen­det, um die Gleich­gül­tig­keit, die auf das Lä­cheln der ver­füh­re­ri­schen Ver­käu­fe­rin folg­te, wahr­zu­neh­men.

Acht Tage lang stand er alle Abend vor dem Pe­tit-Male­lot auf Wa­che, um einen Blick zu er­ha­schen, wie ein Hund, der an ei­ner Kü­chen­tür um einen Kno­chen bet­telt, ohne sich um die spöt­ti­schen Be­mer­kun­gen der Kom­mis und La­den­fräu­leins zu küm­mern und de­mü­tig den Käu­fern und Passan­ten platz­ma­chend, die auf die klei­nen Vor­komm­nis­se im La­den auf­paß­ten. Ei­ni­ge Tage spä­ter be­trat er von neu­em das Pa­ra­dies, in dem sein En­gel weil­te, we­ni­ger, um Ta­schen­tü­cher zu kau­fen, als um ihr eine glän­zen­de Idee mit­zu­tei­len.

»Wenn Sie Par­fü­me­ri­en brau­chen soll­ten, Fräu­lein, dann kann ich sie Ih­nen eben­so­gut lie­fern«, sag­te er, als er be­zahl­te.

Kon­stan­ze Pil­ler­ault er­hielt täg­lich glän­zen­de An­trä­ge, bei de­nen aber nie­mals von Hei­ra­ten die Rede war; und ob­wohl ihr Herz eben­so rein und weiß wie ihre Stirn war, ent­schloß sie sich doch erst nach sechs Mo­na­ten Hin- und Her­ge­hens, wo­bei Cäsar sei­ne un­er­schüt­ter­li­che Lie­be be­wies, sei­ne Hul­di­gun­gen an­zu­neh­men, aber noch ohne sich zu er­klä­ren, eine Vor­sicht, die ihr die Un­zahl von An­be­tern, Wein­groß­händ­lern, rei­chen Kaf­fee­h­aus­be­sit­zern und an­de­ren, die mit ihr lieb­äu­gel­ten, ge­bot. Der Lieb­ha­ber hat­te sich hin­ter Kon­stan­zens Vor­mund, den Herrn Clau­de-Jo­seph Pil­ler­ault, einen Ei­sen­wa­ren­händ­ler am Quai de la Fer­rail­le, ge­steckt, den er auf Schleich­we­gen, wie sie nur die ech­te Lie­be zu ent­de­cken weiß, auf­ge­spürt hat­te. Um die­se Er­zäh­lung nicht auf­zu­hal­ten, müs­sen die Freu­den ei­ner un­schul­di­gen Pa­ri­ser Lie­be mit Still­schwei­gen über­gan­gen wer­den; nicht zu re­den von den Ver­schwen­dun­gen, die Kom­mis bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten sich zu er­lau­ben pfle­gen: die ers­ten Me­lo­nen, fei­ne Di­ners bei Ve­nua mit nach­fol­gen­dem Be­such des Thea­ters, Land­par­ti­en am Sonn­tag im Wa­gen. Ohne hübsch zu sein, war Cäsars Per­son doch so be­schaf­fen, daß ihn ein Weib lie­ben konn­te. Das Le­ben in Pa­ris und der Auf­ent­halt in dunklen Räu­men hat­ten schließ­lich die et­was leb­haf­te Fär­bung sei­nes bäu­ri­schen Teints ver­blas­sen las­sen. Sein über­rei­ches schwar­zes Haar, sein Hals, wie der ei­nes nor­man­ni­schen Gauls, sei­ne mäch­ti­gen Glie­der, sein ge­ra­des, ehr­li­ches We­sen, al­les trug dazu bei, daß man güns­tig für ihn ge­stimmt wur­de. Der On­kel Pil­ler­ault, der über das Wohl der Toch­ter sei­nes Bru­ders zu wa­chen hat­te, bil­lig­te, nach ein­ge­zo­ge­nen Er­kun­di­gun­gen, die Wün­sche des Tou­rai­ners. Im Jah­re 1800, im schö­nen Mo­nat Mai, wil­lig­te Fräu­lein Pil­ler­ault ein, Cäsar Bi­rot­teau zu hei­ra­ten, der vor Freu­de fast ohn­mäch­tig wur­de, als in Sceaux, un­ter ei­nem Lin­den­baum, Kon­stan­ze-Bar­be-Jo­se­phi­ne ihm ihr Ja­wort gab.

»Du be­kommst einen gu­ten Mann, mein Kind«, sag­te Herr Pil­ler­ault zu ihr. »Er hat ein war­mes Herz und eine eh­ren­haf­te Ge­sin­nung; er ist lau­ter wie Gold und rein wie ein Je­sus­kind: das ist eine Per­le von Mann.«

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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