Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 16

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Im Be­sit­ze von Ro­gu­ins Ge­heim­nis be­nutz­te es du Til­let, um sei­ne Herr­schaft über die Frau, die Mätres­se und den Ehe­mann gleich­zei­tig aus­zuü­ben. Über das Un­heil, das sie nicht im ent­fern­tes­ten ahn­te, un­ter­rich­tet, ließ sich Frau Ro­guin du Til­lets Be­wer­bung gern ge­fal­len, der nun aus der Par­füm­hand­lung aus­trat, da er sei­nes Er­fol­ges si­cher war. Es wur­de ihm nicht schwer, die Mätres­se zu be­stim­men, eine Sum­me zu ris­kie­ren, da­mit sie spä­ter ein­mal, wenn sie Un­glück hät­te, nicht wie­der in die Pro­sti­tu­ti­on hin­ab­zu­sin­ken brauch­te. Frau Ro­guin ord­ne­te ihre Ge­schäf­te, brach­te schnell ein klei­nes Ka­pi­tal zu­sam­men und übergab es dem Man­ne, in den ja auch ihr Ehe­mann sein Ver­trau­en setz­te; denn der No­tar hat­te sei­nem Kom­pli­zen gleich hun­dert­tau­send Fran­ken zu­ge­stellt. In­dem er nun Frau Ro­guin so nahe rück­te, daß er das ge­schäft­li­che In­ter­es­se der schö­nen Frau in Zu­nei­gung um­zu­wan­deln ver­moch­te, ver­stand du Til­let es, ihr eine hef­ti­ge Lei­den­schaft ein­zu­flö­ßen. Sei­ne drei Kom­man­di­täre ge­stan­den ihm na­tür­lich einen An­teil zu; aber da­mit nicht zu­frie­den, be­saß er die Frech­heit, bei den Bör­sen­spe­ku­la­tio­nen, die er für sie mach­te, sich mit ei­nem Ge­gen­spie­ler zu ver­stän­di­gen, der ihm den Be­trag even­tu­el­ler Ver­lus­te er­setz­te, denn er spe­ku­lier­te so­wohl für sei­ne Kli­en­ten wie für sich sel­ber. So­bald er fünf­zig­tau­send Fran­ken be­saß, war er fest über­zeugt, daß er ein großes Ver­mö­gen er­wer­ben wür­de; mit dem ihm ei­ge­nen Raub­vo­gelblick be­ob­ach­te­te er die da­ma­li­gen po­li­ti­schen Pha­sen; er spe­ku­lier­te als Bais­sier wäh­rend des fran­zö­si­schen Feld­zu­ges und ging in die Haus­se, als die Bour­bo­nen zu­rück­kehr­ten. Zwei Mo­na­te nach der Rück­kehr Lud­wigs XVIII. be­saß Frau Ro­guin ein Ver­mö­gen von zwei­hun­dert­tau­send Fran­ken und du Til­let hun­dert­tau­send Ta­ler. Der No­tar, dem die­ser jun­ge Mann als Ret­tungs­en­gel er­schi­en, hat­te sei­ne Geld­ver­hält­nis­se wie­der ins Gleich­ge­wicht ge­bracht. Aber die schö­ne Hol­län­de­rin mach­te al­les wie­der zu­nich­te; sie ward die Beu­te ei­nes ab­scheu­li­chen fres­sen­den Ge­schwürs, ei­nes ehe­ma­li­gen Pa­gen des Kai­sers, na­mens Ma­xi­me de Trail­les. Den rich­ti­gen Mäd­chen­na­men die­ser Frau er­fuhr du Til­let, als er ein­mal einen No­ta­ri­ats­akt für sie auf­nahm. Sie hieß Sa­rah Gob­seck. Über­rascht, daß die­ser Name mit dem ei­nes Wu­che­rers, von dem er hat­te re­den hö­ren, über­ein­stimm­te, be­gab er sich zu dem al­ten Wech­sel­schie­ber, dem Schutz­en­gel der Fa­mi­li­ensöh­ne, um fest­zu­stel­len, wel­chen Kre­dit sei­ne Ver­wand­te bei ihm be­sä­ße. Die­ser Bru­tus der Wu­che­rer zeig­te sich zwar sei­ner Nich­te ge­gen­über un­ver­söhn­lich, aber du Til­let ver­stand es, sein Ge­fal­len zu er­re­gen, in­dem er sich als Sa­rahs Ban­kier aus­gab, der für sie Gel­der nutz­brin­gend an­le­gen wol­le. Die Cha­rak­tere des Nor­man­nen und des Wu­che­rers paß­ten zu­ein­an­der. Gob­seck brauch­te da­mals ge­ra­de einen ge­wand­ten jun­gen Men­schen, der eine klei­ne Gel­d­ope­ra­ti­on im Aus­lan­de für ihn über­wa­chen soll­te.

Ein Au­di­teur des Staats­rats, der durch die Rück­kehr der Bour­bo­nen über­rascht wor­den war, hat­te, um dem Hof einen Dienst zu er­wei­sen, die Idee ge­habt, nach Deutsch­land zu ge­hen und dort die Ur­kun­den der von den Prin­zen wäh­rend der Emi­gra­ti­ons­zeit kon­tra­hier­ten Schuld­ver­pflich­tun­gen auf­zu­kau­fen. Den Ge­winn aus die­sem Ge­schäft, das für ihn eine rein po­li­ti­sche An­ge­le­gen­heit war, woll­te er de­nen über­las­sen, die ihm die hier­zu nö­ti­gen Gel­der vor­stre­cken wür­den. Der Wu­che­rer woll­te die­se Be­trä­ge nur ge­gen die ein­zel­nen zu­rück­ge­kauf­ten Schuld­for­de­run­gen und nach de­ren Prü­fung durch einen ge­ris­se­nen Ver­tre­ter her­ge­ben. Ver­trau­en schen­ken die Wu­che­rer nie­man­dem, sie wol­len si­che­re Un­ter­la­gen ha­ben; bei ih­nen rich­tet sich al­les nach der Ge­le­gen­heit; ei­sig, wenn sie kei­nen nö­tig ha­ben, wer­den sie lie­bens­wür­dig und ent­ge­gen­kom­mend, wenn sie ih­ren Vor­teil da­bei fin­den. Du Til­let war be­kannt, wel­che un­ge­heu­re Rol­le heim­lich am Pa­ri­ser Plat­ze die Wer­brust und Gi­gon­net als Wech­se­l­agen­ten des Han­dels der Rue Saint-De­nis und der Rue Saint-Mar­tin und Pal­ma als Ban­kier des Fau­bourg Pois­son­niè­re spiel­ten, die fast im­mer mit Gob­seck zu­sam­men­ar­bei­te­ten. Er ließ sich nun, ge­gen Stel­lung ei­ner Kau­ti­on in bar, eine Pro­vi­si­on von die­sen Her­ren zu­si­chern, in­dem er sie bat, das Geld, das er ih­nen zur Ver­fü­gung stel­len wür­de, in ih­ren Ge­schäfts­un­ter­neh­mun­gen mit­ar­bei­ten zu las­sen; so ver­schaff­te er sich einen fes­ten Stütz­punkt. Dann be­glei­te­te er Herrn Cle­mens Char­din des Lu­peaulx auf sei­ner Rei­se nach Deutsch­land, die sich über die hun­dert Tage aus­dehn­te, und kehr­te bei der zwei­ten Re­stau­ra­ti­on zu­rück, wo­bei er mehr die Grund­la­gen für sein Ver­mö­gen als das Ver­mö­gen selbst ver­bes­sert hat­te. Er hat­te einen Ein­blick in die Ge­heim­nis­se der ge­schick­tes­ten Rech­ner von Pa­ris er­langt und hat­te sich die Freund­schaft des Man­nes, für den er die Über­wa­chung aus­ge­übt hat­te, er­wor­ben, denn die­ser ge­ris­se­ne Geld­mann hat­te ihm die Trieb­fe­dern und die Ju­rispru­denz der ho­hen Po­li­tik klar­ge­legt. Du Til­let war ein Kopf, der jede An­spie­lung ver­stand, und er bil­de­te sei­ne Fä­hig­kei­ten wäh­rend die­ser Rei­se noch wei­ter aus. Bei sei­ner Rück­kehr fand er, daß Frau Ro­guin ihm treu ge­blie­ben war. Was den ar­men No­tar an­langt, so er­war­te­te er Fer­di­nand mit eben­sol­cher Un­ge­duld wie sei­ne Frau; die schö­ne Hol­län­de­rin hat­te ihn von neu­em rui­niert. Du Til­let frag­te die­se dar­über aus und konn­te un­ter ih­ren Aus­ga­ben kei­ne fin­den, die der ver­schwen­de­ten Sum­me ent­sprach. Da ent­deck­te er das Ge­heim­nis, das Sa­rah Gob­seck ihm sorg­fäl­tig ver­schwie­gen hat­te, ihre wahn­sin­ni­ge Lei­den­schaft für Ma­xi­me de Trail­les, des­sen De­büt in sei­ner Kar­rie­re des Las­ters und der Aus­schwei­fung schon zeig­te, was er für ein We­sen war: ei­ner je­ner po­li­ti­schen Tau­ge­nicht­se, die jede gute Re­gie­rung braucht, und ein Mensch, der in­fol­ge sei­ner Spiel­wut un­er­sätt­lich ist. Als er die­se Ent­de­ckung mach­te, ver­stand du Til­let, wes­halb Gob­seck für sei­ne Nich­te un­zu­gäng­lich war. Un­ter die­sen Um­stän­den riet der Ban­kier du Til­let – denn er wur­de nun Ban­kier – Ro­guin ein­dring­lich, sich »eine Bir­ne für den Durst« auf­zu­be­wah­ren, in­dem er sei­ne reichs­ten Kli­en­ten in ein Ge­schäft hin­ein­ver­wi­ckel­te, bei dem er eine hohe Sum­me für sich bei­sei­te brin­gen konn­te, wenn er bei er­neu­ten Bank­spe­ku­la­tio­nen fal­lie­ren soll­te. Nach mehr­fa­chen Haus­se- und Bais­se­ge­schäf­ten, aus de­nen al­lein du Til­let und Frau Ro­guin Nut­zen zo­gen, schlug für den No­tar end­lich die Stun­de sei­ner Zah­lungs­un­fä­hig­keit. Aber noch sein To­des­kampf wur­de von sei­nem bes­ten Freun­de aus­ge­beu­tet. Das Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäft mit den Ter­rains um die Ma­de­lei­ne­kir­che hat­te du Til­let aus­ge­heckt. Na­tür­lich wur­den die hun­dert­tau­send Fran­ken, die Bi­rot­teau Ro­guin über­ge­ben hat­te, da­mit er sie an­le­ge, du Til­let zu­ge­stellt, der, um den Par­füm­händ­ler zu ver­der­ben, Ro­guin be­greif­lich mach­te, daß er we­ni­ger Ge­fahr lie­fe, wenn er sei­ne in­tims­ten Freun­de in sei­ne Net­ze ver­strick­te. »Ein Freund«, sag­te er, »legt sich auch noch im Zor­ne Mä­ßi­gung auf.«

We­ni­ge ha­ben heu­te eine Ah­nung, wie ge­ring in je­ner Zeit ein Qua­drat­me­ter der Ter­rains um die Ma­de­lei­ne­kir­che be­wer­tet wur­de; aber die­se Ter­rains muß­ten not­ge­drun­gen hö­her, als ihr au­gen­blick­li­cher Wert war, wie­der ver­kauft wer­den, weil man ge­nö­tigt war, Bau­lus­ti­ge zu fin­den, die von der güns­ti­gen Ge­le­gen­heit Ge­brauch ma­chen woll­ten; du Til­let woll­te nun eine sol­che Po­si­ti­on da­bei ein­neh­men, daß er den Ge­winn ein­steck­te, ohne den Ver­lus­ten ei­ner Spe­ku­la­ti­on auf lan­ge Sicht aus­ge­setzt zu sein. Mit an­dern Wor­ten: sein Plan ging dar­auf hin­aus, das Ge­schäft selbst tot zu ma­chen, um sich dann den Ka­da­ver zu­schla­gen zu las­sen, den wie­der le­ben­dig zu ma­chen, er sich stark ge­nug fühl­te. Bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten pfleg­ten die Gob­seck, die Pal­ma, Wer­brust und Gi­gon­net Hand in Hand zu ar­bei­ten; du Til­let war mit ih­nen noch nicht in ge­nü­gend in­ti­men Be­zie­hun­gen, um sie mit zur Hil­fe her­an­zu­zie­hen; er wünsch­te auch bei der gan­zen An­ge­le­gen­heit sei­ne lei­ten­de Hand so ver­steckt zu hal­ten, daß er den Nut­zen aus dem Be­tru­ge ein­ste­cken konn­te, ohne daß ein schmach­vol­les Licht auf ihn fiel; er sah sich da­her ge­nö­tigt, eine je­ner le­ben­di­gen Glie­der­pup­pen her­an­zu­zie­hen, die man in Kauf­manns­krei­sen »Stroh­män­ner« nennt. Sein bis­he­ri­ger, von ihm vor­ge­scho­be­ner Bör­sen­mann schi­en ihm ge­eig­net, die Rol­le sei­ner ver­damm­ten See­le zu über­neh­men, und so griff er in das gött­li­che Recht ein, in­dem er einen Men­schen schuf. Aus ei­nem frü­he­ren Ge­schäfts­rei­sen­den ohne Mit­tel, ohne Fä­hig­kei­ten, au­ßer der, end­los über jede Sa­che zu re­den, ohne et­was zu sa­gen, mit ei­ner sel­te­nen Art Ehr­ge­fühl, näm­lich der Fä­hig­keit, ein Ge­heim­nis zu be­wah­ren und sich zu­guns­ten sei­nes Auf­trag­ge­bers ent­eh­ren zu las­sen, mach­te du Til­let einen Ban­kier, der die größ­ten Un­ter­neh­mun­gen zu­stan­de brach­te und lei­te­te, den Chef des Hau­ses Cla­paron. Karl Cla­paron war dazu be­stimmt, ei­nes Ta­ges den Ju­den und Pha­ri­sä­ern aus­ge­lie­fert zu wer­den, wenn die von du Til­let lan­cier­ten Ge­schäf­te ein Fal­lis­se­ment nö­tig ma­chen soll­ten, und Cla­paron wuß­te das auch. Aber für einen ar­men Teu­fel, der me­lan­cho­lisch auf den Bou­le­vards mit ei­nem Ver­mö­gen von vier­zig Sous in der Ta­sche her­um­lief, als sein frü­he­rer Ka­me­rad du Til­let ihm be­geg­ne­te, wa­ren die klei­nen Ge­winnan­tei­le, die für ihn bei je­dem Ge­schäft ab­fie­len, ein El­do­ra­do. Da­her lie­ßen sei­ne Freund­schaft und sei­ne Er­ge­ben­heit für du Til­let, noch ver­stärkt durch ein un­will­kür­li­ches Dank­bar­keits­ge­fühl und er­höht durch den Zwang der Be­dürf­nis­se, die ein lie­der­li­ches, un­or­dent­li­ches Le­ben mit sich brach­te, ihn zu al­lem »Ja und Amen« sa­gen. Da er au­ßer­dem sah, daß sei­ne ver­kauf­te Ehre mit größ­ter Vor­sicht aufs Spiel ge­setzt wur­de, emp­fand er schließ­lich für sei­nen frü­he­ren Ka­me­ra­den ein Ge­fühl der An­häng­lich­keit, wie ein Hund für sei­nen Herrn. Cla­paron war zwar ein sehr häß­li­cher Pu­del, aber im­mer be­reit, den Cur­ti­uss­prung zu tun. Bei der jetzt ein­ge­fä­del­ten Kom­bi­na­ti­on soll­te er die eine Hälf­te der Ter­rains­käu­fer re­prä­sen­tie­ren, de­ren an­de­re Cäsar Bi­rot­teau dar­stell­te. Die Wer­te, die Cla­paron von Bi­rot­teau er­hielt, soll­ten dann von ei­nem der Wu­che­rer, des­sen Na­men du Til­let vor­schie­ben konn­te, es­komp­tiert wer­den, um Bi­rot­teau in den Ab­grund ei­nes Fal­lis­se­ments zu stür­zen, wenn Bo­guin mit des­sen Gel­de ge­flo­hen war. Die Kon­kur­s­syn­di­ci wür­den dann nach den Di­rek­ti­ven du Til­lets han­deln, der als Be­sit­zer der Ta­ler, die der Par­füm­händ­ler her­ge­ge­ben hat­te, und als Gläu­bi­ger un­ter ver­schie­de­nen Na­men die Ter­rains zur Ver­stei­ge­rung brin­gen und sie für die Hälf­te des Wer­tes wür­de er­wer­ben kön­nen, in­dem er sie mit dem von Ro­guin her­ge­ge­be­nen Gel­de und der Di­vi­den­de des Kon­kur­ses be­zahl­te. Der No­tar ging auf die­sen Plan ein, weil er auf einen reich­li­chen An­teil an der dem Par­füm­händ­ler und sei­nen Mi­t­in­ter­es­sen­ten ab­ge­jag­ten Beu­te rech­nen zu kön­nen glaub­te; aber der Mann, des­sen Be­lie­ben er sich aus­ge­lie­fert hat­te, muß­te sich na­tür­lich den Lö­wen­an­teil si­chern und tat das auch. Ro­guin, der du Til­let vor kei­nem Ge­richt ver­kla­gen konn­te, war schließ­lich glück­lich, daß ihm all­mo­nat­lich ein Kno­chen zum Ab­na­gen in ei­nem ver­bor­ge­nen Orte in der Schweiz hin­ge­wor­fen wur­de, wo er sich mit Frau­en­zim­mern zu her­ab­ge­setz­ten Prei­sen be­gnüg­te. Die Ver­hält­nis­se und nicht etwa ein über eine Int­ri­ge grü­beln­der Tra­gö­di­en­dich­ter hat­ten die­sen ab­scheu­li­chen Plan ent­ste­hen las­sen. Haß ohne das Ver­lan­gen nach Ra­che ist wie ein Saat­korn auf Gra­nit; aber die Ra­che, die du Til­let Cäsar ge­lobt hat­te, ent­sprach ei­ner Re­gung der Men­schen­na­tur, oder man müß­te den ewi­gen Kampf der ge­fal­le­nen En­gel mit den En­geln des Lich­tes leug­nen. Du Til­let konn­te nicht ohne große Unan­nehm­lich­kei­ten den ein­zi­gen Men­schen in Pa­ris, der sei­nen Haus­dieb­stahl kann­te, er­mor­den; aber er konn­te ihn in den Kot hin­ab­sto­ßen und ihn so tief er­nied­ri­gen, daß sein Zeug­nis wert­los wur­de. Lan­ge Zeit hat­te die Ra­che in sei­nem Her­zen ge­keimt, ohne auf­blü­hen zu kön­nen, denn auch der stärks­te Has­ser hat in Pa­ris we­nig Ge­le­gen­heit, Plä­ne zu schmie­den; das Le­ben ist hier zu has­tig und zu be­wegt, es gibt hier zu vie­le un­ver­mu­te­te Zwi­schen­fäl­le; aber wenn auch das stän­di­ge Auf und Ab kei­ne lan­g­aus­schau­en­de Vor­be­rei­tung ge­stat­tet, so ist es doch sehr ge­eig­net, einen tief im Her­zen ver­steck­ten Ge­dan­ken die flüch­ti­gen Chan­cen er­spä­hen zu las­sen. Als Ro­guin du Til­let sein Herz aus­ge­schüt­tet hat­te, sah der Kom­mis hier­bei von fer­ne die Mög­lich­keit, Cäsar zu ver­der­ben, und er hat­te sich dar­in nicht ge­täuscht. Da dem No­tar be­vor­stand, sein Idol ver­las­sen zu müs­sen, woll­te er sich noch an dem Rest des Lie­bes­tran­kes in dem zer­bro­che­nen Be­cher er­la­ben; er be­gab sich alle Tage nach den Champs-Elysées und kehr­te erst am frü­hen Mor­gen heim. Die miß­traui­sche Frau Bi­rot­teau hat­te also recht ge­habt. So­bald ein Mensch sich ent­schlos­sen hat, eine Rol­le zu spie­len, wie du Til­let sie Ro­guin über­tra­gen hat­te, zeigt sich bei ihm die Be­ga­bung ei­nes großen Schau­spie­lers, die Scharf­sich­tig­keit ei­nes Luch­ses, das Ah­nungs­ver­mö­gen ei­nes Hell­se­hers und die Fä­hig­keit, sein Op­fer zu ma­gne­ti­sie­ren; so hat­te der No­tar Bi­rot­teau längst be­merkt, be­vor die­ser ihn ge­se­hen hat­te, und als der Par­füm­händ­ler ihn er­blick­te, streck­te er ihm schon von wei­tem die Hand ent­ge­gen.

»Ich habe eben das Te­sta­ment ei­ner ho­hen Per­sön­lich­keit auf­ge­nom­men, die kei­ne acht Tage mehr zu le­ben hat,« sag­te er mit dem un­be­fan­gens­ten Tone der Welt; »aber man hat mich wie einen Dor­f­arzt be­han­delt; ho­len lie­ßen sie mich im Wa­gen und jetzt muß ich zu Fuß heim­keh­ren.« Die­se Wor­te zer­streu­ten die leich­te Wol­ke von Miß­trau­en, die die Stirn des Par­füm­händ­lers ver­dun­kelt und die Ro­guin be­merkt hat­te; der No­tar hü­te­te sich auch, zu­erst von der Ter­rain­an­ge­le­gen­heit zu re­den, bis er sei­nem Op­fer den ent­schei­den­den Schlag ver­set­zen konn­te.

»Nach Te­sta­men­ten und Hei­rats­kon­trak­ten«, sag­te Bi­rot­teau, »muß auch das ge­wöhn­li­che Le­ben wie­der in sei­ne Rech­te tre­ten. Das bringt mich auf die Fra­ge: wann ma­chen wir Hoch­zeit mit der Ma­de­lei­ne; he, Papa Ro­guin?« füg­te er hin­zu und klopf­te ihn auf den Bauch.

Die scham­haf­tes­ten Bour­geois ha­ben, wenn sie ohne Frau­en zu­sam­men sind, das Be­stre­ben, als Spaß­vö­gel zu er­schei­nen.

»Wenn das nicht heu­te ge­schieht,« er­wi­der­te der No­tar mit di­plo­ma­ti­schem Ge­sichts­aus­druck, »dann wird es nie­mals wer­den. Wir fürch­ten, daß die Sa­che ruch­bar wird, und ich wer­de schon von zwei mei­ner reichs­ten Kli­en­ten leb­haft be­drängt, die sich auf die­se Spe­ku­la­ti­on ein­las­sen wol­len. Es muß also jetzt ja oder nein hei­ßen. Gleich nach zwölf Uhr neh­me ich den Akt auf, Sie ha­ben nur bis ein Uhr Zeit, sich zu be­tei­li­gen. Adieu. Ich bin ge­ra­de im Be­griff, den Ent­wurf durch­zu­se­hen, den Xan­d­rot mir die­se Nacht hat aus­ar­bei­ten müs­sen.«

»Nun, dann also ab­ge­macht, Sie ha­ben mein Wort«, sag­te Bi­rot­teau, der hin­ter dem No­tar her­ge­lau­fen war und ihm sei­nen Hand­schlag ge­ge­ben hat­te. »Neh­men Sie die hun­dert­tau­send Fran­ken, die für die Mit­gift mei­ner Toch­ter be­stimmt wa­ren.«

»Schön«, sag­te Ro­guin und ent­fern­te sich.

Wäh­rend der kur­z­en Zeit, die Bi­rot­teau brauch­te, um zu dem klei­nen Po­pi­not zu­rück­zu­kom­men, emp­fand er ein hef­ti­ges Bren­nen in den Ein­ge­wei­den, sein Zwerch­fell zog sich zu­sam­men und er hat­te Klin­gen in den Ohren.

»Was ist Ih­nen denn, Herr Bi­rot­teau?« frag­te der Kom­mis, als er das blei­che Ge­sicht sei­nes Prin­zi­pals sah.

»Ach, mein Jun­ge, ich habe eben mit ei­nem ein­zi­gen Wor­te ein großes Ge­schäft ab­ge­schlos­sen, und in sol­chem Fal­le ist nie­mand Herr über sei­ne Er­re­gung. Im üb­ri­gen bist du ja kein Frem­der für mich. Des­halb bin ich auch mit dir hier­her ge­gan­gen, wo uns nie­mand hö­ren kann, um un­ge­niert mit dir re­den zu kön­nen. Dei­ne Tan­te be­fin­det sich in Ver­le­gen­heit, wo­bei hat sie denn ihr gan­zes Geld ver­lo­ren? Er­klä­re mir das.«

»Der On­kel und die Tan­te hat­ten ihre Ef­fek­ten bei Herrn von Nu­cin­gen, und sie wa­ren ge­nö­tigt, in Zah­lung Ak­ti­en der Wort­schi­ner Mi­nen zu neh­men, die noch kei­ne Di­vi­den­de ge­ben; es ist schwie­rig, in ih­rem Al­ter von Zu­kunfts­hoff­nun­gen zu le­ben.«

»Aber wo­von le­ben sie denn?«

»Sie wa­ren so freund­lich, mein Ge­halt von mir an­zu­neh­men.«

»Schön, schön, An­selm,« sag­te der Par­füm­händ­ler, in des­sen Auge eine Trä­ne er­glänz­te, »du bist mei­ner Zu­nei­gung wert. Des­halb sollst du auch für dei­nen Ei­fer in mei­nem Ge­schäf­te reich be­lohnt wer­den.«

Bei die­sen Wor­ten wuchs der Kauf­mann eben­so­sehr in sei­nen ei­ge­nen wie in Po­pi­nots Au­gen; er sprach sie mit je­ner nai­ven Em­pha­se des Bour­geois aus, die die ko­mi­sche Wich­tig­keit, die er dar­auf leg­te, zum Aus­druck brach­te.

»Wie? Ha­ben Sie wirk­lich mei­ne Lie­be ge­ahnt, mei­ne Lie­be zu …«

»Zu wem?«

»Zu Fräu­lein Cäsa­ri­ne.«

»Don­ner­wet­ter, mein Jun­ge, du bist nicht blö­de«, rief Bi­rot­teau aus. »Aber be­hal­te die Sa­che als dein Ge­heim­nis; ich ver­spre­che dir, daß ich sie ver­ges­sen will; mor­gen sollst du von mir fort­ge­hen. Aber ich bin dir nicht böse; an dei­ner Stel­le hät­te ich, weiß der Teu­fel, ge­nau so ge­han­delt. Sie ist ja so schön!«

»Ach, lie­ber Herr Bi­rot­teau!« sag­te der Kom­mis und fühl­te, wie sein Hemd vom Schweiß der Auf­re­gung feucht wur­de.

»Höre, mein Jun­ge, das ist kei­ne Sa­che von heu­te auf mor­gen. Cäsa­ri­ne ist Her­rin über sich, und ihre Mut­ter hat ihre Ab­sich­ten mit ihr. Also er­man­ne dich, trock­ne dei­ne Au­gen, hal­te dein Herz im Zau­me und re­den wir nicht mehr da­von. Nicht, daß ich mich dei­ner als Schwie­ger­sohn schä­men wür­de; du bist der Nef­fe des Herrn Po­pi­not, Rich­ter am Tri­bu­nal ers­ter In­stanz, du bist Ra­g­ons Nef­fe, du hast das Recht, vor­wärts zu kom­men wie je­der an­de­re, aber es gibt da ver­schie­de­ne Wenns und Abers! Aber was für eine Teu­fels­ge­schich­te hast du mir da mit­ten in eine ge­schäft­li­che Be­spre­chung hin­ein­ge­wor­fen! Jetzt setz dich mal hier auf die­sen Stuhl und laß den Ver­lieb­ten dem Kom­mis Platz ma­chen. Po­pi­not, bist du ein Mann?« sag­te er und sah sei­nen Kom­mis scharf an. »Hast du den Mut, mit et­was zu kämp­fen, was stär­ker ist als du, und dich mit dei­nem Geg­ner Auge in Auge zu schla­gen?«

»Ja­wohl, Herr Bi­rot­teau.«

»Ei­nen lang­wie­ri­gen und ge­fähr­li­chen Kampf durch­zu­füh­ren?«

»Worum han­delt es sich?«

»Das Ma­kassar­öl zu ver­nich­ten!« sag­te Bi­rot­teau und rich­te­te sich auf wie ein Held Plut­archs. »Aber täu­schen wir uns nicht dar­über, der Feind ist stark, wohl ver­schanzt, furcht­bar. Das Ma­kassar­öl hat sich glän­zend ein­ge­führt. Die Auf­ma­chung ist sehr ge­schickt; die vier­e­cki­gen Fla­schen ha­ben eine ori­gi­nel­le Form. Bei mei­nem Pro­jekt habe ich an drei­e­cki­ge ge­dacht; aber nach reif­li­chem Über­le­gen wür­de ich klei­ne Fla­schen aus dün­nem Gla­se, die mit Rohr um­floch­ten sind, vor­zie­hen; sie wür­den ein ge­heim­nis­vol­les Aus­se­hen ha­ben und die Kund­schaft liebt das, was sie neu­gie­rig macht.«

»Das wird aber teu­er wer­den«, sag­te Po­pi­not. »Man müß­te al­les so bil­lig wie mög­lich ein­rich­ten, da­mit man den De­tail­lis­ten einen ho­hen Ra­batt be­wil­li­gen kann.«

»Rich­tig, mein Jun­ge, das sind ge­sun­de Grund­sät­ze. Aber den­ke dar­an, daß sich das Ma­kassar­öl weh­ren wird! Es prä­sen­tiert sich gut, es hat einen ver­füh­re­ri­schen Na­men. Man ver­kauft es als Im­port aus dem Aus­lan­de und das uns­ri­ge ist un­glück­li­cher­wei­se ein Hei­mats­pro­dukt. Also fühlst du die Kraft in dir, Po­pi­not, das Ma­kassar zu ver­nich­ten? Zu­nächst könn­test du ihm bei über­see­i­schen Lie­fe­run­gen den Rang ab­ja­gen: das Ma­kassar­öl scheint wirk­lich aus In­di­en zu kom­men; nichts ist na­tür­li­cher, als daß man den In­di­ern ein fran­zö­si­sches Er­zeug­nis sen­det, an­statt ih­nen et­was zu­rück­zu­schi­cken, was sie ge­hal­ten sind, uns zu lie­fern. Den Klein­han­del hast du si­cher! Aber es heißt kämp­fen, im Aus­lan­de wie in der Pro­vinz! Auch die Re­kla­me für das Ma­kassar­öl ist gut auf­ge­macht, man darf sich sei­ne Macht nicht ver­heh­len, es ist in Mode, das Pub­li­kum kennt es.«

»Ich wer­de es ver­nich­ten«, rief Po­pi­not mit glü­hen­den Au­gen.

»Aber wie?« sag­te Bi­rot­teau. »Du hast das Feu­er der Ju­gend; aber höre mich zu Ende.«

An­selm stell­te sich hin, wie ein Sol­dat vor ei­nem Mar­schall von Frank­reich prä­sen­tiert.

»Po­pi­not, ich habe ein Öl er­fun­den, das den Haar­wuchs be­för­dert, den Haar­bo­den an­regt und die Haar­far­be bei­den Ge­schlech­tern er­hält. Die­se Es­senz wird kei­nen ge­rin­ge­ren Er­folg ha­ben als mei­ne Pas­te und mein Haut­was­ser; aber ich will die­se Er­fin­dung nicht selbst aus­beu­ten, da ich dar­an den­ke, mich vom Ge­schäf­te zu­rück­zu­zie­hen. Du, mein Kind, sollst das Co­ma­gen­öl her­aus­brin­gen. (Es heißt nach dem la­tei­ni­schen Wort coma, das Haar be­deu­tet, wie Herr Al­bert, der Leib­arzt des Kö­nigs, sagt. Die­ses Wort fin­det sich auch in dem Trau­er­spiel Be­re­ni­ce, wo Ra­ci­ne einen Kö­nig von Co­ma­ge­na auf­tre­ten läßt, den Ge­lieb­ten die­ser schö­nen Kö­ni­gin, die durch ihr schö­nes Haar so be­rühmt war, und de­ren Ge­lieb­ter, si­cher, um ihr zu hul­di­gen, sei­nem Rei­che die­sen Na­men ge­ge­ben hat! Wie­viel Geist die großen Ge­nies be­sit­zen! Sie be­schäf­ti­gen sich mit den kleins­ten De­tails.)«

Der klei­ne Po­pi­not blieb bei die­ser al­ber­nen Par­en­the­se, die of­fen­bar für ihn, als einen Men­schen von Bil­dung, ein­ge­scho­ben war, ganz ernst.

»Ich habe mein Auge auf dich ge­wor­fen, An­selm, du sollst ein Groß­han­dels­haus der Dro­ge­rie in der Rue des Lom­bards grün­den«, sag­te Bi­rot­teau. »Ich wer­de dein stil­ler Ge­sell­schaf­ter sein und dir das nö­ti­ge Geld vor­stre­cken. Nach dem Co­ma­gen­öl wer­den wir es auch mit Va­nil­len­es­senz und mit Pfef­fer­minz­geist ver­su­chen. Kurz, wir wol­len ge­gen die Dro­ge­rie los­ge­hen und ihre Fa­bri­ka­ti­on um­ge­stal­ten, in­dem wir die Pro­duk­te statt im Na­tur­zu­stand als kon­zen­trier­te in den Han­del brin­gen. Bist du nun zu­frie­den, du ehr­gei­zi­ger Jun­ge?«

An­selm ver­moch­te nicht zu ant­wor­ten, so er­regt war er, aber sei­ne Au­gen, die voll Trä­nen wa­ren, ant­wor­te­ten für ihn. Das Aner­bie­ten schi­en ihm von vä­ter­li­cher Nach­gie­big­keit dik­tiert zu sein und zu sa­gen: Ver­die­ne dir Cäsa­ri­ne, in­dem du reich und an­ge­se­hen wirst.

»Herr Bi­rot­teau,« er­wi­der­te er end­lich, wo­bei er des­sen Er­re­gung für Er­stau­nen hielt, »auch ich wer­de Er­folg ha­ben!«

»Genau so war ich,« rief der Par­füm­händ­ler aus, »ge­nau so habe ich ge­spro­chen. Wenn du auch mei­ne Toch­ter nicht er­rin­gen soll­test, so wirst du je­den­falls ein Ver­mö­gen er­wer­ben. Nun, mein Jun­ge, was hast du denn?«

»Las­sen Sie mich we­nigs­tens hof­fen, daß, wenn ich das eine er­wer­be, ich auch die an­de­re er­hal­ten wer­de.«

»Zu hof­fen kann ich dir nicht ver­bie­ten«, sag­te Bi­rot­teau, ge­rührt von dem Ton, in dem An­selm sprach.

»Also, Herr Bi­rot­teau, darf ich schon heu­te alle Schrit­te tun, um ein Ge­schäfts­lo­kal zu fin­den und so schnell als mög­lich an­zu­fan­gen?«

»Ja­wohl, mein Kind. Mor­gen wol­len wir bei­de uns in der Fa­brik ein­schlie­ßen. Be­vor du nach der Rue des Lom­bards gehst, frag doch mal bei Li­ving­ston an, ob mei­ne hy­drau­li­sche Pres­se mor­gen in Gang ge­setzt wer­den kann. Heu­te abend wol­len wir um die Es­sens­stun­de zu dem be­rühm­ten lie­ben Herrn Vau­que­lin ge­hen und ihn um Rat bit­ten. Die­ser Ge­lehr­te stu­diert au­gen­blick­lich die Zu­sam­men­set­zung des Haars und un­ter­sucht, wel­ches die far­be­ge­ben­de Sub­stanz ist, wo sie her­kommt und wor­aus das Ge­we­be des Haars be­steht. Da­rauf be­ruht al­les, Po­pi­not. Mei­ne Er­fin­dung wirst du ken­nen ler­nen, und es han­delt sich nur noch dar­um, sie klug aus­zu­beu­ten. Be­vor du zu Li­ving­ston gehst, mußt du dich üb­ri­gens noch zu Pie­ri Bérard be­ge­ben. Die Unei­gen­nüt­zig­keit des Herrn Vau­que­lin ist ei­ner der großen Schmer­zen mei­nes Le­bens, mein Kind: er will durch­aus nichts von mir an­neh­men. Glück­li­cher­wei­se habe ich von Chif­fre­ville er­fah­ren, daß er eine hei­li­ge Jung­frau der Dres­de­ner Gal­le­rie, und zwar den Stich ei­nes ge­wis­sen Mül­ler, gern ha­ben möch­te, und nach zwei­jäh­ri­ger Kor­re­spon­denz mit Deutsch­land hat Bérard end­lich ein Exem­plar auf­ge­trie­ben, ein Avant la lettre auf chi­ne­si­schem Pa­pier; es kos­tet fünf­zehn­hun­dert Fran­ken, mein Jun­ge. Das soll un­ser Wohl­tä­ter heu­te in sei­nem Vor­zim­mer, wenn er uns hin­aus­be­glei­tet, vor­fin­den; über­zeu­ge dich auch, daß es ge­rahmt ist. Wir, mei­ne Frau und ich, wer­den auf die­se Wei­se in sei­ner Erin­ne­rung blei­ben; was die Dank­bar­keit an­langt, so be­ten wir seit sech­zehn Jah­ren täg­lich für ihn zum lie­ben Gott. Ich selbst, ich wer­de sei­ner nie­mals ver­ges­sen; aber die­se in die Wis­sen­schaft ver­gra­be­nen Ge­lehr­ten, Po­pi­not, ver­ges­sen al­les, ihre Frau­en, ihre Freun­de und die ih­nen zu Dank Ver­pflich­te­ten. Wir, mit un­se­rer schwa­chen In­tel­li­genz, wir kön­nen we­nigs­tens ein war­mes Herz ha­ben. Aber die­se Her­ren von der Aka­de­mie, bei de­nen ist al­les Ge­hirn, du wirst dich da­von über­zeu­gen; in der Kir­che sind sie nie­mals zu tref­fen. Herr Vau­que­lin ist be­stän­dig in sei­nem Ar­beits­zim­mer oder in sei­nem La­bo­ra­to­ri­um, ich hof­fe, daß er bei sei­nen Ana­ly­sen we­nigs­tens an Gott denkt. Also das ist ab­ge­macht, ich gebe dir das Geld, du be­kommst das Re­zept mei­ner Er­fin­dung und ich bin zur Hälf­te be­tei­ligt, ei­nes Ver­tra­ges be­darf es zwi­schen uns nicht. Und nun wol­len wir auf den Er­folg hof­fen! Wir wer­den uns­re Flö­ten schon stim­men. Also lauf, mein Jun­ge, ich gehe jetzt ins Ge­schäft. Hör mal, Po­pi­not, ich gebe in drei Wo­chen einen großen Ball, laß dir einen Frack ma­chen, da­mit du schon als selb­stän­di­ger Kauf­mann auf­tre­ten kannst …«

Die­ser Zug von Güte rühr­te Po­pi­not der­art, daß er die di­cke Hand Cäsars er­griff und sie küß­te. Der gute Mann hat­te den Lie­ben­den durch die­se Äu­ße­rung glück­lich ge­macht, und Ver­lieb­te sind zu al­lem fä­hig.

»Ar­mer Kerl,« sag­te Bi­rot­teau, als er ihn quer durch den Tui­le­ri­en­gar­ten we­gei­len sah, »wenn ihn Cäsa­ri­ne viel­leicht doch lieb hat­te? Aber er hin­kt doch und hat rote Haa­re, und die jun­gen Mäd­chen sind doch so emp­find­lich; nein, ich glau­be nicht, daß Cäsa­ri­ne … Und dann die Mut­ter, die sie an einen No­tar ver­hei­ra­ten will. Alex­an­der Crot­tat wür­de sie zu ei­ner rei­chen Frau ma­chen, und Reich­tum macht al­les er­träg­lich, dem Elend aber hält kein Lie­bes­glück stand. Na, ich bin ja ent­schlos­sen, mei­ne Toch­ter selbst über ihre Hand ver­fü­gen zu las­sen, wenn sie nicht ge­ra­de eine un­sin­ni­ge Sa­che will.«

Bi­rot­te­aus Nach­bar war ein klei­ner Kauf­mann, der mit Re­gen­schir­men, Son­nen­schir­men und Stö­cken han­del­te; er hieß Cay­ron, stamm­te aus dem Langue­doc, mach­te schlech­te Ge­schäf­te und hat­te sich schon mehr­mals von Bi­rot­teau hel­fen las­sen. Es war ihm sehr lieb, sei­nen La­den ver­klei­nern und dem rei­chen Par­füm­händ­ler die bei­den Zim­mer im ers­ten Stock ab­tre­ten und sei­nen Miet­zins ent­spre­chend ver­rin­gern zu kön­nen.

»Also, lie­ber Nach­bar«, sag­te Bi­rot­teau in fa­mi­li­ärem Tone, als er bei dem Schirm­händ­ler ein­trat, »mei­ne Frau ist mit der Ver­grö­ße­rung un­se­res Ge­schäfts­lo­kals ein­ver­stan­den! Wenn Sie wol­len, kön­nen wir um elf Uhr zu Herrn Mo­li­neux ge­hen.«

»Mein ver­ehr­ter Herr Bi­rot­teau«, er­wi­der­te der Schirm­händ­ler, »ich habe bis­her nichts von Ih­nen für die­se Ab­tre­tung be­an­sprucht, aber Sie wis­sen ja, ein gu­ter Kauf­mann muß aus al­lem Geld schla­gen.«

»Oho,« ant­wor­te­te der Par­füm­händ­ler, »ich bin nicht so reich, wie Sie den­ken. Ich weiß auch noch nicht, ob mein Archi­tekt, den ich er­war­te, die Sa­che für durch­führ­bar hal­ten wird. Be­vor wir uns dazu ent­schlie­ßen, hat er mir ge­sagt, müs­sen wir uns erst über­zeu­gen, daß die Fuß­bö­den das glei­che Ni­veau ha­ben. Dann muß Herr Mo­li­neux zu­stim­men, daß wir die Mau­er durch­bre­chen; ist es eine Grenz­mau­er? End­lich muß ich bei mir die Trep­pe ver­schie­ben, da­mit der Trep­pen­ab­satz fort­kommt und eine Zim­mer­flucht her­ge­stellt wird. Das al­les wird sehr viel Geld kos­ten, und ich will mich doch nicht rui­nie­ren.«

»Ach, Herr Bi­rot­teau,« sag­te der Süd­fran­zo­se, »ehe Sie rui­niert sind, muß die Son­ne mit der Erde Kin­der ge­kriegt ha­ben.«

Bi­rot­teau strei­chel­te sein Kinn, hob sich auf die Fuß­spit­zen und ließ sich dann auf die Ha­cken zu­rück­fal­len.

»Üb­ri­gens«, be­gann Cay­ron wie­der, »ver­lan­ge ich ja nichts an­de­res, als daß Sie mir die­se Pa­pie­re hier ab­neh­men sol­len …«

Und er prä­sen­tier­te ihm ein klei­nes Pa­ket, das aus sech­zehn Wech­seln über zu­sam­men fünf­tau­send Fran­ken be­stand.

»Ach so«, sag­te der Par­füm­händ­ler, »Klein­zeug, zwei Mo­na­te, drei Mo­na­te …«

»Neh­men Sie sie we­nigs­tens zu sechs Pro­zent«, sag­te der Händ­ler in de­mü­ti­gem Tone.

»Bin ich etwa ein Wu­che­rer?« er­wi­der­te Bi­rot­teau vor­wurfs­voll.

»Mein Gott, lie­ber Herr, ich war schon bei Ihrem frü­he­ren Kom­mis du Til­let; er woll­te sie um kei­nen Preis neh­men, wahr­schein­lich woll­te er her­aus­be­kom­men, wie­viel ich von dem Be­tra­ge ab­las­sen wür­de.«

»Die Na­men hier sind mir ganz un­be­kannt«, sag­te der Par­füm­händ­ler.

»Ach, wir ha­ben beim Schirm- und Stock­han­del so merk­wür­di­ge Na­men, das sind Kol­por­teu­re!«

»Nun, ich wer­de zwar nicht alle neh­men, aber mit den kurz­fris­ti­gen wird es sich ma­chen las­sen.«

»Ach, las­sen Sie mich doch nicht we­gen der tau­send Fran­ken mit vier Mo­nat Sicht hin­ter den Blut­sau­gern her­lau­fen, die uns das Letz­te von un­serm Nut­zen weg­neh­men, neh­men Sie doch alle, lie­ber Herr Bi­rot­teau. Ich kann so we­nig dis­kon­tie­ren, ich habe kei­nen Kre­dit, das rui­niert uns Klein­händ­ler.«

»Also gut, ich neh­me sie, Cöles­tin wird die Abrech­nung ma­chen. Also auf elf Uhr, hal­ten Sie sich be­reit. Da kommt ja mein Archi­tekt, Herr Grin­dot«, füg­te der Par­füm­händ­ler hin­zu, als er den jun­gen Mann er­schei­nen sah, mit dem er sich am Abend vor­her bei Herrn von Bil­lar­diè­re ver­ab­re­det hat­te. »Sie sind, ge­gen die Ge­wohn­heit ge­nia­ler Men­schen, pünkt­lich, Herr Grin­dot«, sag­te Cäsar zu ihm, in­dem er sei­ne höchs­te kauf­män­ni­sche Lie­bens­wür­dig­keit ent­fal­te­te. »Wenn die Pünkt­lich­keit, nach dem Wor­te je­nes Kö­nigs, der ein eben­so geist­vol­ler Mann wie ein großer Po­li­ti­ker war, die Höf­lich­keit der Kö­ni­ge ist, so be­deu­tet sie auch für die Kauf­leu­te ein Ver­mö­gen. Zeit ist Geld, das gilt be­son­ders für euch Künst­ler. Die Archi­tek­tur ist die Ve­rei­ni­gung al­ler Küns­te, habe ich mir sa­gen las­sen. Wir wol­len nicht durch den La­den ge­hen«, sag­te er und zeig­te auf einen Ne­ben­ein­gang.

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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