Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 15

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Was Frau Kon­stan­ze an­langt, so war sie da­mals sie­ben­und­drei­ßig Jah­re alt und glich voll­kom­men der Ve­nus von Milo, so daß alle, die sie kann­ten, in ihr das Ab­bild je­ner schö­nen Sta­tue sa­hen, als der Her­zog von Ri­viè­re die­se nach Pa­ris ge­bracht hat­te. Aber in we­ni­gen Mo­na­ten färb­te dann der Kum­mer die blen­den­de Wei­ße ih­res Teints gelb und run­zel­te und schwärz­te den bläu­li­chen Kreis, aus dem ihre schö­nen grün­li­chen Au­gen her­vor­strahl­ten, so grau­sam, daß sie das An­se­hen ei­ner al­ten Ma­don­na be­kam; denn sie be­wahr­te sich selbst mit­ten in ih­rem Elend ihre an­mu­ti­ge Un­be­rührt­heit, ih­ren rei­nen, wenn auch trau­ri­gen Blick, und man muß­te sie im­mer noch als eine schö­ne Frau von zu­rück­hal­ten­dem, de­zen­tem We­sen an­se­hen. Bei dem von Cäsar ge­plan­ten Bal­le soll­te sie zum letz­ten­mal sich des all­ge­mein auf­fal­len­den Glan­zes ih­rer Schön­heit zu er­freu­en ha­ben.

Eine jede Exis­tenz hat ih­ren Hö­he­punkt, die Zeit, da die wirk­sa­men Ur­sa­chen ge­nau im rich­ti­gen Ver­hält­nis zu den er­ziel­ten Re­sul­ta­ten ste­hen. Die­ser Mit­tag des Le­bens, wo die le­ben­di­gen Kräf­te sich im Gleich­ge­wicht hal­ten und ihre vol­le Macht zei­gen, ist nicht al­lein al­len Le­be­we­sen, son­dern auch den Städ­ten, den Na­tio­nen, den Ide­en, den In­sti­tu­tio­nen, dem Han­del und den Un­ter­neh­mun­gen ge­mein­sam, die ähn­lich wie edle Ras­sen und Dy­nas­ti­en ent­ste­hen, in die Höhe kom­men und zu Bo­den sin­ken. Wo­her rührt die Ge­walt, mit der die­ses We­sen des Auf­stiegs und Nie­der­gangs al­lem Or­ga­ni­schen hie­nie­den an­haf­tet? Selbst der Tod hat in Pest­zei­ten sein An­stei­gen, sein Ab­schwel­len, sein Wie­der­aus­bre­chen und sein Ein­schla­fen. Un­se­re Erde selbst ist viel­leicht nur eine et­was dau­er­haf­te­re Leucht­ku­gel als an­de­re. Die Ge­schich­te, die die Ur­sa­chen von Grö­ße und Nie­der­gang al­ler Din­ge hie­nie­den er­zählt, könn­te dem Men­schen den Mo­ment an­zei­gen, da er mit der Ent­fal­tung al­ler sei­ner Kräf­te in­ne­hal­ten soll­te; aber we­der die Ero­be­rer, noch die Schau­spie­ler, noch die Frau­en, noch die Schrift­stel­ler hö­ren auf ihre war­nen­de Stim­me.

Cäsar Bi­rot­teau, der hät­te füh­len müs­sen, daß er den Hö­he­punkt sei­nes Glücks er­reicht habe, be­trach­te­te die­sen Ru­he­punkt nur wie ein neu­es Sprung­brett. Er be­griff nicht, was üb­ri­gens we­der die Völ­ker noch die Kö­ni­ge in un­ver­wisch­ba­ren Let­tern auf­zu­zeich­nen ver­sucht ha­ben, die Ur­sa­che die­ser Um­schwün­ge, von de­nen die Ge­schich­te voll ist, und von de­nen die sou­ve­rä­nen und die Han­dels­häu­ser so ge­wal­ti­ge Bei­spie­le dar­bie­ten. Wa­rum kön­nen nicht neue Py­ra­mi­den im­mer­fort die­sen Grund­satz, der die Po­li­tik der Völ­ker wie des ein­zel­nen be­herr­schen soll­te, wie­der­ho­len: »Wenn die Wir­kung nicht mehr in rich­ti­ger Be­zie­hung und in glei­chem Ver­hält­nis zur Ur­sa­che steht, dann be­ginnt die Auf­lö­sung?« Aber die­se Mo­nu­men­te sind ja über­all vor­han­den, es sind die Über­lie­fe­run­gen und die Stei­ne, die zu uns von der Ver­gan­gen­heit re­den, die die Lau­nen des un­ent­rinn­ba­ren Ge­schicks be­stä­ti­gen, des­sen Hand un­se­re Träu­me ver­nich­tet und uns be­weist, daß die schwer­wie­gends­ten Er­eig­nis­se sich auf einen Grund­ge­dan­ken zu­rück­füh­ren las­sen. Tro­ja und Na­po­le­on sind bei­des nur Ge­dich­te. Möge die­se Er­zäh­lung das Ge­dicht der bür­ger­li­chen Um­schwün­ge sein, de­rer noch kei­ne Stim­me ge­dacht hat, ob­wohl sie mit dem­sel­ben Recht un­ge­heu­re ge­nannt wer­den kön­nen; es han­delt sich hier nicht um einen ein­zel­nen Men­schen, son­dern um ein gan­zes lei­den­des Volk.

Beim Ein­schla­fen fürch­te­te Cäsar, daß sei­ne Frau ihm am an­dern Mor­gen noch ent­schei­den­de Ein­wür­fe ma­chen wür­de, und nahm sich vor, sehr früh auf­zu­ste­hen, um al­les zum Ab­schluß zu­brin­gen. Mit Ta­ges­grau­en ver­ließ er da­her das Bett, zog sich schnell an und ging in den La­den hin­un­ter, als der Haus­knecht die nu­me­rier­ten Fens­ter­lä­den ab­nahm. Da Bi­rot­teau al­lein war, war­te­te er, bis sei­ne Kom­mis auf­ge­stan­den wa­ren, stell­te sich an die Tür­schwel­le und paß­te auf, wie der Haus­knecht Ra­guet sei­ne Ar­beit tat, und Bi­rot­teau ver­stand sich auf sol­che Ar­beit! Trotz der Käl­te war das Wet­ter herr­lich.

»Po­pi­not, nimm dei­nen Hut, zieh dir Schu­he an und rufe Herrn Cöles­tin her­un­ter; wir bei­de wol­len in den Tui­le­ri­en mit­ein­an­der re­den«, sag­te er, als er An­selm her­un­ter­kom­men sah.

Po­pi­not, die­ses aus­ge­spro­che­ne Ge­gen­stück zu du Til­let, den ei­ner je­ner glück­li­chen Zu­fäl­le, die an eine Spe­zi­al­vor­se­hung glau­ben las­sen, Cäsar zur Sei­te ge­stellt hat­te, spielt eine so wich­ti­ge Rol­le in die­ser Er­zäh­lung, daß es nö­tig ist, ihn hier ge­nau­er zu zeich­nen. Frau Ra­gon war eine ge­bo­re­ne Po­pi­not. Sie hat­te zwei Brü­der. Der eine, das jüngs­te Kind, war da­mals Hilfs­rich­ter am Sei­ne­tri­bu­nal ers­ter In­stanz. Der Äl­te­re hat­te einen Han­del mit ro­her Wol­le an­ge­fan­gen, da­bei sein Ver­mö­gen zu­ge­setzt und war ge­stor­ben, in­dem er den Ra­g­ons und sei­nem Bru­der, dem Rich­ter, der kin­der­los war, sei­nen ein­zi­gen Sohn zur Ver­sor­gung hin­ter­ließ, der schon bei sei­ner Ge­burt die Mut­ter ver­lo­ren hat­te. Um ih­ren Nef­fen ei­nem Be­ruf zu­zu­wen­den, hat­te Frau Ra­gon ihn in das Par­fü­me­rie­ge­schäft ge­bracht, in der Hoff­nung, daß er ein­mal der Nach­fol­ger Bi­rot­te­aus wer­den wür­de. An­selm Po­pi­not war klein und hat­te einen Klump­fuß, ein Ge­bre­chen, das das Ge­schick auch Lord By­ron, Wal­ter Scott und Herrn von Tal­ley­rand hat zu­teil wer­den las­sen, um die an­dern da­mit Be­haf­te­ten zu trös­ten. Er hat­te den blü­hen­den, som­mer­spros­si­gen Teint der Rot­haa­ri­gen; aber sei­ne rei­ne Stirn, sei­ne Au­gen von der Far­be grau­ge­äder­ten Achats, sein hüb­scher Mund, die Rein­heit und Gra­zie keu­scher Ju­gend, die Ängst­lich­keit, die er sei­nes kör­per­li­chen Ge­bre­chens hal­ber emp­fand, tru­gen ihm hilf­rei­che Sym­pa­thi­en ein: man be­weist gern den Schwa­chen Lie­be. Po­pi­not in­ter­es­sier­te. Der klei­ne Po­pi­not, wie ihn alle Welt nann­te, ge­hör­te zu ei­ner streng re­li­gi­ösen Fa­mi­lie, in der die Tu­gen­den aus Ein­sicht ge­übt wur­den, und de­ren Le­ben be­schei­den und reich an gu­ten Ta­ten war. So zeig­te auch das von sei­nem On­kel, dem Rich­ter, er­zo­ge­ne Kind alle jene Ei­gen­schaf­ten, die die Ju­gend so schön er­schei­nen las­sen: keusch und lie­be­voll, et­was schüch­tern, aber vol­ler Ei­fer, sanft wie ein Lamm, aber flei­ßig bei der Ar­beit, hin­ge­bend und mä­ßig, be­saß er alle Tu­gen­den ei­nes Chris­ten aus den ers­ten Zei­ten der Kir­che.

Als er von ei­nem Spa­zier­gang nach den Tui­le­ri­en re­den hör­te, dem un­ge­wöhn­lichs­ten Vor­schla­ge, den zu sol­cher Stun­de sein er­ha­be­ner Chef ma­chen konn­te, glaub­te Po­pi­not, daß die­ser mit ihm vom Hei­ra­ten re­den woll­te, und dach­te so­fort an Cäsa­ri­ne, die wah­re Kö­ni­gin der Ro­sen, das le­ben­de Wahr­zei­chen des Hau­ses, in die er sich an dem­sel­ben Tage, an dem er, zwei Mo­na­te vor du Til­let, bei Bi­rot­teau ein­ge­tre­ten war, ver­liebt hat­te. Beim Hin­auf­ge­hen muß­te er ste­hen blei­ben, so sehr schwoll ihm und so stark schlug ihm das Herz; bald kam er mit Cöles­tin, dem ers­ten Kom­mis Bi­rot­te­aus, zu­rück. An­selm und sein Chef gin­gen nun, ohne ein Wort zu re­den, nach den Tui­le­ri­en. Po­pi­not war jetzt ein­und­zwan­zig Jahr alt, in wel­chem Al­ter sich auch Bi­rot­teau ver­hei­ra­tet hat­te. An­selm sah da­her hier­in kein Hin­der­nis für sei­ne Hei­rat mit Cäsa­ri­ne, ob­gleich das Ver­mö­gen des Par­füm­händ­lers und die Schön­heit des Mäd­chens der Ver­wirk­li­chung so ehr­gei­zi­ger Wün­sche sehr be­denk­lich ent­ge­gen­stan­den; aber die Lie­be wiegt sich gern in den größ­ten Hoff­nun­gen und je aus­schwei­fen­der sie sind, um so mehr glaubt sie an ihre Ver­wirk­li­chung; je fer­ner da­her sei­ne Ge­lieb­te ihm zu ste­hen schi­en, de­sto leb­haf­ter be­gehr­te er sie. Glück­li­ches Kind, das in ei­ner Zeit der all­ge­mei­nen Gleich­ma­che­rei, wo alle die­sel­ben Hüte tra­gen, noch eine Di­stanz zwi­schen ei­nem Par­füm­händ­ler und sich, dem Nach­kom­men ei­ner al­ten Pa­ri­ser Fa­mi­lie, an­er­ken­nen zu müs­sen glaub­te! Aber trotz al­ler Zwei­fel, al­ler Un­ru­he war er glück­lich; er saß ja alle Tage bei Tisch ne­ben Cäsa­ri­ne! In der Art, wie er sich den Ge­schäf­ten des Hau­ses wid­me­te, be­wies er einen Ei­fer und eine Be­geis­te­rung, die der Ar­beit jede Bit­ter­keit nah­men; da er al­les für Cäsa­ri­ne tat, war er nie­mals müde. Bei ei­nem Jüng­ling von zwan­zig Jah­ren lebt die Lie­be von der Hin­ge­bung.

»Der wird mal ein rich­ti­ger Kauf­mann, der kommt in die Höhe«, hat­te Cäsar von ihm zu Frau Ra­gon ge­sagt, als er An­selms Tüch­tig­keit im Fa­brik­ge­schäft und sein Ver­ständ­nis für die Fi­nes­sen der Kunst rühm­te und sei­nen Ar­beitsei­fer beim Ex­pe­die­ren er­wähn­te, wo der Hin­ken­de mit auf­ge­krem­pel­ten Är­meln und blo­ßen Ar­men mehr Kis­ten pack­te und zu­na­gel­te als die üb­ri­gen Kom­mis.

Die be­kann­te und kund­ge­ge­be­ne Be­wer­bung Alex­an­der Crot­tats, des ers­ten No­ta­ri­ats­schrei­bers bei Ro­guin, das Ver­mö­gen sei­nes Va­ters, ei­nes rei­chen Päch­ters aus der Brie, leg­ten dem Sie­ge des Ver­wais­ten star­ke Hin­der­nis­se in den Weg; aber das wa­ren nicht die stärks­ten Schwie­rig­kei­ten, die zu über­win­den wa­ren; Po­pi­not trug tief im Her­zen noch ein trau­ri­ges Ge­heim­nis be­gra­ben, das die Ent­fer­nung zwi­schen Cäsa­ri­ne und ihm noch ver­grö­ßer­te. das Ver­mö­gen der Ra­g­ons, auf das er hät­te rech­nen kön­nen, war stark er­schüt­tert; er war glück­lich, zu ih­rem Le­bens­un­ter­halt mit bei­tra­gen zu kön­nen, in­dem er ih­nen sein be­schei­de­nes Ge­halt über­ließ. Und trotz al­le­dem glaub­te er an sei­nen Er­folg! Mehr­mals hat­te er Bli­cke auf­ge­fan­gen, die Cäsa­ri­ne mit of­fen­ba­rem Stolz auf ihn ge­wor­fen hat­te: in der Tie­fe ih­rer blau­en Au­gen hat­te er eine heim­li­che Re­gung voll sü­ßer Hoff­nun­gen le­sen zu kön­nen ge­meint. So schritt er da­hin, er­regt von sei­ner au­gen­blick­li­chen Hoff­nung, zit­ternd, schweig­sam und tief be­wegt, gleich all den Jüng­lin­gen in ähn­li­cher Lage, für die das Le­ben noch im Auf­blü­hen ist.

»Po­pi­not,« sag­te end­lich der Kauf­mann zu ihm, »geht es dei­ner Tan­te gut?«

»Ja­wohl, Herr Bi­rot­teau.«

»Sie er­scheint mir aber seit ei­ni­ger Zeit so sor­gen­voll, gibt es et­was, das sie be­drückt? Höre, mein Sohn, du brauchst vor mir nicht den Ge­heim­nis­vol­len zu spie­len, ich ge­hö­re doch ge­wis­ser­ma­ßen zur Fa­mi­lie, es sind jetzt fünf­und­zwan­zig Jah­re, daß ich dei­nen On­kel Ra­gon ken­ne. Ich bin zu ihm mit ei­sen­be­schla­ge­nen Schu­hen von mei­nem Dor­fe her­ge­kom­men. Ob­gleich die­ser Ort Les Tré­so­rierès heißt, be­stand mein gan­zes Ver­mö­gen aus ei­nem Louis­dor, den mir mei­ne Pa­tin ge­schenkt hat­te, die se­li­ge Frau Mar­qui­se d’Uxel­les, eine Ver­wand­te des Herrn Her­zogs und der Frau Her­zo­gin von Le­non­court, die uns­re Kun­den sind. Da­für habe ich auch je­den Sonn­tag für sie und ihre gan­ze Fa­mi­lie ge­be­tet; wir schi­cken in die Tou­rai­ne an ihre Nich­te, die Frau von Morts­auf, alle ihre Par­fü­me­ri­en. Ich be­kom­me im­mer neue Kund­schaft durch sie, zum Bei­spiel den Herrn von Van­den­es­se, der jähr­lich für zwölf­hun­dert Fran­ken kauft. Wenn man ih­nen nicht schon von Her­zen dank­bar wäre, so müß­te man es aus Be­rech­nung sein. Dir aber bin ich ohne je­den Hin­ter­ge­dan­ken gut und um dei­ner selbst wil­len.«

»Ach, Herr Bi­rot­teau, Sie ha­ben, wenn ich mir er­lau­ben darf, Ih­nen so et­was zu sa­gen, einen höl­li­schen Kopf.«

»Nein, mein Jun­ge, nein, da­mit al­lein hät­te ich es nicht ge­schafft. Ich will nicht be­haup­ten, daß ich nicht einen eben­so gu­ten Kopf hät­te wie an­de­re, aber ich be­saß auch noch Ehr­lich­keit, so wahr Gott lebt, ich ver­stand, mich zu be­neh­men, und ich habe nie eine an­de­re Frau ge­liebt als mei­ne. Und die Lie­be, die ist ein groß­ar­ti­ges Ve­hi­kel, ein sehr glück­li­cher Aus­druck, den ges­tern Herr von Villèle auf der Tri­bü­ne ge­braucht hat.«

»Die Lie­be!« sag­te Po­pi­not. »Ach, Herr Bi­rot­teau, soll­te ich …«

»Sieh mal, da kommt der alte Ro­guin zu Fuß dort hin­ten von der Place Louis XV., früh um acht Uhr. Was macht der Mann denn hier?« sag­te Cäsar und ver­gaß An­selm Po­pi­not und das Nuß­öl voll­stän­dig.

Er er­in­ner­te sich an den Ver­dacht sei­ner Frau, und statt in den Gar­ten der Tui­le­ri­en hin­ein­zu­ge­hen, schritt Bi­rot­teau auf den No­tar zu. An­selm folg­te sei­nem Prin­zi­pal in ei­ni­ger Ent­fer­nung, ohne sich er­klä­ren zu kön­nen, wel­ches In­ter­es­se die­ser an ei­ner an­schei­nend so un­wich­ti­gen Sa­che ha­ben könn­te; aber er war glück­lich, weil er in dem, was Cäsar über sei­ne ei­sen­be­schla­ge­nen Schu­he, sei­nen Louis­dor und die Lie­be ge­sagt hat­te, eine Er­mu­ti­gung sah.

Ro­guin, ein großer di­cker Mann mit fin­ni­gem Ge­sicht, sehr weit hin­auf­rei­chen­der Stirn und schwar­zem Haar, hat­te frü­her kein üb­les Äu­ße­res; jung und hoch­stre­bend, hat­te er sich vom klei­nen Schrei­ber bis zum No­tar hin­auf­ge­ar­bei­tet; aber jetzt zeig­te sein Ge­sicht dem schar­fen Beo­b­ach­ter deut­lich die ver­zer­ren­den und er­schlaf­fen­den Spu­ren raf­fi­nier­ter Genüs­se. Wenn ein Mann in den Schlamm ge­schlecht­li­cher Ex­zes­se taucht, wird man fast im­mer et­was von die­sem Schlamm an ir­gend­ei­ner Stel­le sei­nes Ant­lit­zes fin­den; so hat­te auch bei Ro­guin die Zeich­nung der Fal­ten und die Ge­sichts­fär­bung einen ge­mei­nen Aus­druck be­kom­men. An Stel­le des rei­nen Glan­zes, der un­ter der Haut ent­halt­sa­mer Män­ner her­vor­leuch­tet und eine blü­hen­de Ge­sund­heit an­zeigt, ver­riet sich bei die­sem das un­rei­ne, von Ge­lüs­ten, ge­gen die der Kör­per sich wehrt, auf­ge­peitsch­te Blut. Er hat­te eine wi­der­wär­tig auf­ge­stülp­te Nase, wie man sie bei Leu­ten fin­det, bei de­nen der Schleim, wenn er die­ses Or­gan durch­zieht, ein ver­steck­tes Übel ver­ur­sacht, das eine tu­gend­haf­te fran­zö­si­sche Kö­ni­gin naiv für ein dem an­dern Ge­schlecht ge­mein­sa­mes Übel hielt, da sie an­dern Män­nern als dem Kö­ni­ge nie­mals nahe ge­nug ge­kom­men war, um ih­ren Irr­tum zu er­ken­nen. Ro­guin hat­te ge­hofft, durch star­kes Schnup­fen von Spa­ni­ol die­se Unan­nehm­lich­keit ver­ber­gen zu kön­nen, aber er hat­te da­mit die nach­tei­li­gen Fol­gen nur ver­schlim­mert, die die Haup­t­ur­sa­che sei­nes Un­glücks wur­den.

Ist es nicht eine so­zia­le Be­schö­ni­gung, die schon all­zu lan­ge ge­dau­ert hat, wenn die Men­schen im­mer wie­der mit falschen Far­ben ab­ge­bil­det und die wah­ren Ur­sa­chen ih­rer Las­ter nicht ent­hüllt wer­den, die so häu­fig in ei­ner Krank­heit wur­zeln? Die Sit­ten­schil­de­rer ha­ben bis jetzt wohl all­zu­sehr un­ter­las­sen, das phy­si­sche Übel in sei­nen Ver­hee­run­gen auf mo­ra­li­schem Ge­biet und in sei­nem Ein­fluß auf den gan­zen Mecha­nis­mus des Le­bens dar­zu­stel­len. Das Ge­heim­nis die­ser Ehe hat­te Frau Kon­stan­ze rich­tig er­kannt.

Seit ih­rer Hoch­zeits­nacht hat­te die rei­zen­de ein­zi­ge Toch­ter des Ban­kiers Che­vrel ge­gen den ar­men No­tar eine un­über­wind­li­che Ab­nei­gung ge­faßt und woll­te sich so­fort schei­den las­sen. Da Ro­guin das Glück des Be­sit­zes ei­ner Frau mit ei­nem Ver­mö­gen von fünf­hun­dert­tau­send Fran­ken, nicht ge­rech­net, was sie noch zu er­war­ten hat­te, nicht fah­ren las­sen woll­te, so hat­te er sei­ne Frau an­ge­fleht, die Schei­dungs­kla­ge nicht an­zu­stren­gen, in­dem er ihr völ­li­ge Frei­heit zu­sag­te und sich al­len Kon­se­quen­zen die­ses Ver­spre­chens un­ter­warf. Frau Ro­guin be­nahm sich nun als un­um­schränk­te Her­rin ge­gen ih­ren Mann, wie eine Kur­ti­sa­ne ge­gen einen al­ten Lieb­ha­ber. Ro­guin merk­te bald, daß ihm sei­ne Frau zu teu­er wur­de, und schaff­te sich, wie vie­le Pa­ri­ser Ehe­män­ner, einen zwei­ten Haus­halt in der Stadt an. Da sich die Aus­ga­be da­für an­fangs in mä­ßi­gen Gren­zen hielt, so kam sie nicht sehr in Be­tracht.

Zu­nächst fand Ro­guin ohne große Kos­ten Gri­set­ten, die sehr glück­lich wa­ren, daß er sie pro­te­gier­te; aber seit drei Jah­ren wur­de er von ei­ner je­ner un­be­zähm­ba­ren Lei­den­schaf­ten ver­zehrt, von de­nen Män­ner zwi­schen fünf­zig und sech­zig Jah­ren manch­mal be­fal­len wer­den und die ihm von ei­nem der ent­zückends­ten We­sen die­ser Zeit ein­ge­flö­ßt wur­de, die in den An­na­len der Pro­sti­tu­ti­on un­ter dem Na­men der schö­nen Hol­län­de­rin be­kannt wur­de, als sie in den Ab­grund ver­sank und ihr Tod sie be­rühmt mach­te. Sie war einst von ei­nem Kli­en­ten Ro­gu­ins von Brüs­sel nach Pa­ris ge­bracht wor­den, der sie, als er in­fol­ge der po­li­ti­schen Er­eig­nis­se ge­nö­tigt war, sich zu ent­fer­nen, im Jah­re 1815 an Ro­guin ab­trat. Der No­tar hat­te sei­ner Schö­nen ein klei­nes Haus in den Champs-Elysées ge­kauft, es reich mö­bliert und sich zu im­mer wei­te­ren Aus­ga­ben hin­rei­ßen las­sen, ohne die kost­spie­li­gen Lau­nen die­ses Wei­bes be­frie­di­gen zu kön­nen, des­sen Ver­schwen­dung sein Ver­mö­gen auf­zehr­te.

Das be­drück­te Ge­sicht Ro­gu­ins, das sich erst auf­hell­te, als er sei­nen Kli­en­ten er­blick­te, hing mit ge­heim­nis­vol­len Er­eig­nis­sen zu­sam­men, die den ver­bor­ge­nen Grund von du Til­lets so schnell er­wor­be­nem Ver­mö­gen bil­de­ten. Du Til­lets ur­sprüng­li­cher Plan wur­de schon am ers­ten Sonn­tag ge­än­dert, als er das Ver­hält­nis zwi­schen Herrn und Frau Ro­guin be­ob­ach­ten konn­te. Er war zu Bi­rot­teau ge­gan­gen, we­ni­ger um sei­ne Frau zu ver­füh­ren, als um sich Cäsa­ri­nes Hand als Ent­schä­di­gung für eine zu­rück­ge­dräng­te Lei­den­schaft an­bie­ten zu las­sen; aber es wur­de ihm um so leich­ter, auf die­se Hei­rat zu ver­zich­ten, als er Cäsar für reich ge­hal­ten hat­te und ihn nur mä­ßig be­gü­tert fand. Nun spio­nier­te er den No­tar aus, wuß­te sich in sein Ver­trau­en ein­zu­schlei­chen, ließ sich der schö­nen Hol­län­de­rin vor­stel­len, be­kam her­aus, wie sie mit Ro­guin stand und daß sie da­mit droh­te, ih­ren Lieb­ha­ber zu ver­ab­schie­den, wenn er ihr ih­ren Lu­xus be­schnei­den woll­te. Die schö­ne Hol­län­de­rin war eins je­ner tol­len Wei­ber, die sich nie­mals dar­um küm­mern, wo­her das Geld kommt und wie es er­wor­ben ist, und die mit den Ta­lern ei­nes Va­ter­mör­ders ein Fest ge­ben wür­den. Nie­mals dach­te sie am Abend an den nächs­ten Tag. Die Zu­kunft be­deu­te­te für sie so­viel wie der Nach­mit­tag, und das Ende des Mo­nats so­viel wie die Ewig­keit, selbst wenn sie Rech­nun­gen zu be­zah­len hat­te. Ent­zückt dar­über, daß ihm hier zu­erst die Ge­le­gen­heit sich bot, den He­bel an­set­zen zu kön­nen, be­gann du Til­let da­mit, die schö­ne Hol­län­de­rin dazu zu brin­gen, daß sie sich mit drei­ßig-, statt mit fünf­zig­tau­send Fran­ken, die ihr Ro­guin gab, be­gnüg­te: ein Dienst, den ver­lieb­te Grei­se nur sel­ten zu ver­ges­sen pfle­gen. Schließ­lich schüt­te­te Ro­guin nach ei­nem stark mit Wein be­gos­se­nen Sou­per du Til­let sein Herz über sei­ne be­dräng­ten fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­se aus. Sein Grund­be­sitz war mit der ge­setz­li­chen Hy­po­thek sei­ner Frau be­las­tet, und sei­ne Lei­den­schaft hat­te ihn dazu ge­führt, von den bei ihm hin­ter­leg­ten Fonds sei­ner Kli­en­ten einen Be­trag zu ent­neh­men, der schon mehr als die Hälf­te des Wer­tes sei­nes No­ta­ri­ats be­trug. Wenn der Rest auch noch ver­schlun­gen sein wür­de, dann müs­se er, der un­glück­li­che Ro­guin, sich er­schie­ßen, denn so mein­te er den Ab­scheu über einen sol­chen Ban­ke­rott durch das da­durch er­reg­te öf­fent­li­che Mit­leid mil­dern zu kön­nen. Hier­bei sah du Til­let, wie einen Strahl in der Nacht der Trun­ken­heit, die Mög­lich­keit auf­blit­zen, rasch zu ei­nem Ver­mö­gen zu kom­men; er be­ru­hig­te Ro­guin und er­wi­der­te des­sen ver­trau­li­ches Be­kennt­nis mit dem Rat, sich das Er­schie­ßen zu er­spa­ren. – »Wenn ein Mann von Ihren Fä­hig­kei­ten so­weit ge­kom­men ist, dann darf er sich nicht tö­richt und un­si­cher her­um­tap­pend be­neh­men, son­dern er muß mit Kühn­heit vor­ge­hen«, sag­te er zu ihm; er riet ihm, so­fort noch einen er­heb­li­chen Be­trag zu ent­neh­men und ihn ihm an­zu­ver­trau­en, um da­mit ir­gend­ein ge­wag­tes Ge­schäft zu un­ter­neh­men, sei es an der Bör­se, oder bei ir­gend­ei­ner an­dern Spe­ku­la­ti­on und den tau­send Mög­lich­kei­ten, die sich da­mals bo­ten. Hät­ten sie Glück da­mit, so woll­ten sie bei­de ein Bank­haus grün­den, das aus den De­pots Nut­zen zie­hen könn­te, und des­sen Über­schüs­se ihm zur Be­frie­di­gung sei­ner Lei­den­schaft die­nen wür­den. Hät­ten sie aber Pech, dann soll­te Ro­guin ins Aus­land flie­hen, an­statt sich zu er­schie­ßen; »sein« du Til­let wür­de bis zum letz­ten Sou treu zu ihm hal­ten. Das war ein Ret­tungs­seil für einen Mann, der am Er­trin­ken ist, und Ro­guin merk­te nicht, daß der Par­fü­me­rie­kom­mis ihm die­ses Seil um den Hals schlang.

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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