Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 22

12

Оглавление

Als die Nüs­se an­ge­langt wa­ren, öff­ne­ten Ra­guet, die Ar­bei­ter, Po­pi­not und Cäsar ein ge­nü­gen­des Quan­tum, und bis vier Uhr hat­ten sie ei­ni­ge Pfun­de Öl. Po­pi­not be­gab sich zu Vau­que­lin, um ihm das Pro­dukt zu zei­gen, und die­ser gab ihm ein Re­zept, wie er die­se Nu­ß­es­senz mit bil­li­ge­ren Ölen zu mi­schen und das Gan­ze zu par­fü­mie­ren hät­te. Po­pi­not be­warb sich dann so­fort um ein Pa­tent für die Er­fin­dung und Ve­re­de­lung. Der op­fer­wil­li­ge Gau­diss­art streck­te das für die Stem­pel­kos­ten er­for­der­li­che Geld Po­pi­not vor, der den Ehr­geiz be­saß, die Hälf­te der Kos­ten des Un­ter­neh­mens tra­gen zu wol­len.

Glück ver­setzt un­be­deu­ten­de Men­schen in eine Trun­ken­heit, der sie nie­mals Halt ge­bie­ten kön­nen. Das Er­geb­nis ei­ner sol­chen Er­re­gung war leicht vor­her­zu­se­hen. Grin­dot er­schi­en und leg­te den far­bi­gen Ent­wurf für eine rei­zen­de In­nen­aus­stat­tung der neu­en Woh­nung vor. Bi­rot­teau, ent­zückt, stimm­te al­lem zu. So­fort be­gan­nen die Ha­cken der Mau­rer los­zu­ar­bei­ten, daß das Haus und Kon­stan­ze stöhn­ten. Der Stu­ben­ma­ler, ein Herr Lour­dois, ein sehr rei­cher Un­ter­neh­mer, der al­les be­son­ders sorg­fäl­tig aus­füh­ren woll­te, schlug Ver­gol­dung für den Sa­lon vor. Als sie die­ses Wort hör­te, er­hob Kon­stan­ze Ein­spruch.

»Herr Lour­dois,« sag­te sie, »Sie be­sit­zen drei­ßig­tau­send Fran­ken Ren­te, Sie woh­nen in Ihrem ei­ge­nen Hau­se, Sie kön­nen da ma­chen, was Sie wol­len, wir aber …«

»Aber gnä­di­ge Frau, auch der Han­dels­stand muß vor­nehm auf­tre­ten und sich von der Ari­sto­kra­tie nicht in den Schat­ten stel­len las­sen. Au­ßer­dem ge­hört Herr Bi­rot­teau ja auch zu den Krei­sen der Re­gie­rung, er steht an her­vor­ra­gen­der Stel­le …«

»Ja­wohl, aber vor­läu­fig hat er noch sein Ge­schäft«, sag­te Kon­stan­ze vor al­len Kom­mis und den fünf Per­so­nen, die an­we­send wa­ren; »und das dür­fen we­der ich, noch er, noch sei­ne Freun­de, noch sei­ne Fein­de über­se­hen.«

Bi­rot­teau er­hob sich mehr­mals auf die Fuß­spit­zen und ließ sich auf die Ha­cken zu­rück­fal­len, wäh­rend er die Hän­de auf dem Rücken ge­kreuzt hielt. »Mei­ne Frau hat recht«, sag­te er. »Wir wer­den auch im Glück be­schei­den blei­ben. Au­ßer­dem muß ein Mann, der noch im Ge­schäfts­le­ben drin steht, mit sei­nen Aus­ga­ben vor­sich­tig sein und über­flüs­si­gen Lu­xus ver­mei­den, dazu ist er ge­setz­lich ver­pflich­tet, er darf kei­ne ›über­trie­be­nen Aus­ga­ben‹ ma­chen. Wenn die Ver­grö­ße­rung mei­ner Räu­me und ihre Aus­stat­tung schon ge­wis­se Gren­zen über­schrei­ten, so wäre es un­ver­nünf­tig, noch dar­über hin­aus­zu­ge­hen, und Sie selbst, Lour­dois, wür­den das nicht bil­li­gen. Un­ser Stadt­vier­tel hat die Au­gen auf mich ge­rich­tet, Leu­te, die er­folg­reich sind, ha­ben im­mer Nei­der und Miß­güns­ti­ge! Oh, Sie wer­den das auch bald spü­ren, jun­ger Mann«, sag­te er zu Grin­dot; »aber wenn sie uns auch ver­leum­den, so wol­len wir selbst ih­nen doch kei­nen An­laß zu üb­ler Nach­re­de ge­ben.«

»We­der Ver­leum­dung noch üble Nach­re­de kön­nen an Sie her­an­rei­chen,« sag­te Lour­dois, »dar­über sind Sie er­ha­ben, und Sie be­sit­zen eine sol­che Ge­schäfts­kennt­nis, daß Sie al­les, was Sie un­ter­neh­men, sich gründ­lich über­le­gen, Sie sind ei­ner von den ganz Klu­gen.«

»Ich gebe zu, daß ich ei­ni­ge Ge­schäfts­er­fah­rung be­sit­ze; wis­sen Sie denn, wes­halb ich die­sen Aus­bau vor­neh­men las­se? Und warum ich so großes Ge­wicht auf schnel­le Aus­füh­rung lege? …«

»Nein.«

»Nun, mei­ne Frau und ich ha­ben ei­ni­ge Freun­de ein­ge­la­den, ein­mal, um die Räu­mung des Lan­des zu fei­ern, dann aber auch, weil ich zum Rit­ter der Ehren­le­gi­on er­nannt wor­den bin.«

»Wie, wie?« sag­te Lour­dois, »man hat Ih­nen das Kreuz ver­lie­hen?«

»Ja­wohl; ich habe mich die­ser Aus­zeich­nung und al­ler­höchs­ten Gna­de viel­leicht wür­dig er­wie­sen als Mit­glied des Han­dels­ge­richts und als Kämp­fer für die kö­nig­li­che Sa­che am 13. Ven­dé­mi­aire, vor Saint-Roch, wo ich von Na­po­le­on ver­wun­det wur­de. Kom­men Sie doch mit Ihren Da­men auch zu uns …«

»Ich bin ent­zückt über die Ehre, die Sie mir er­wei­sen«, sag­te Lour­dois, der zu den Li­be­ra­len ge­hör­te. »Aber Sie sind ein Spaß­vo­gel, Papa Bi­rot­teau; Sie wol­len si­cher sein, daß ich Ih­nen mein Wort hal­te, und des­halb la­den Sie mich ein. Also, ich wer­de mei­ne ge­schick­tes­ten Ar­bei­ter neh­men und wir wer­den ein Höl­len­feu­er an­ma­chen, da­mit die Ma­le­rei tro­cken wird; wir be­sit­zen üb­ri­gens ein Ver­fah­ren, um schnell zu trock­nen, denn in ei­nem Ne­bel von Gips­staub kann man nicht tan­zen. Und da­mit es nicht riecht, wer­den wir fir­nis­sen.«

Drei Tage spä­ter war die Ge­schäfts­welt des Vier­tels in Auf­re­gung über die Kun­de von dem Ball, den Bi­rot­teau ge­ben woll­te. Üb­ri­gens konn­te je­der die au­ßen am Hau­se an­ge­brach­ten Stüt­zen se­hen, die das ei­li­ge Ver­schie­ben der Trep­pe er­for­der­lich mach­te, und die vier­e­cki­gen höl­zer­nen Rin­nen, mit de­nen der Schutt auf die un­ten­ste­hen­den Kar­ren ab­ge­la­den wur­de. Die ge­schäf­ti­gen Hand­wer­ker, die bei Fa­ckel­licht ar­bei­te­ten, denn es wa­ren Tag- und Nacht­ar­bei­ter be­schäf­tigt, ver­an­laß­ten die Mü­ßi­gen und Neu­gie­ri­gen, auf der Stra­ße ste­hen­zu­blei­ben, und die­ses Ge­trie­be gab den An­laß, daß über rie­si­ge Prachtent­fal­tung ge­klatscht wur­de.

An dem für den Ab­schluß des Ter­rain­ge­schäf­tes fest­ge­setz­ten Sonn­ta­ge er­schie­nen Herr und Frau Ra­gon und der On­kel Pil­ler­ault um vier Uhr nach­mit­tags. Mit Rück­sicht auf den Um­bau hat­te Cäsar an die­sem Tage, wie er sag­te, nur Charles Cla­paron, Crot­tat und Ro­guin dazu bit­ten kön­nen. Der No­tar brach­te das Jour­nal des Dé­bats mit, in das Herr von Bil­lar­diè­re fol­gen­den Ar­ti­kel hat­te ein­rücken las­sen:

»Wir hö­ren, daß die Räu­mung des Lan­des von ganz Frank­reich mit Be­geis­te­rung ge­fei­ert wer­den wird, be­son­ders aber ha­ben es in Pa­ris die Mit­glie­der der städ­ti­schen Ver­wal­tung für an der Zeit ge­hal­ten, der Haupt­stadt wie­der ih­ren al­ten Glanz zu ver­lei­hen, der aus an­ge­mes­se­nen Emp­fin­dun­gen wäh­rend der frem­den Ok­ku­pa­ti­on un­ter­drückt wor­den war. Alle Bür­ger­meis­ter und Bei­ge­ord­ne­ten be­ab­sich­ti­gen, Bäl­le zu ge­ben, die Win­ter­sai­son ver­spricht also sehr glän­zend zu wer­den. Un­ter den Fes­ten, die ge­plant wer­den, ist viel die Rede von dem Bal­le des Herrn Bi­rot­teau, der zum Rit­ter der Ehren­le­gi­on er­nannt wur­de und der we­gen sei­ner Hin­ge­bung für die Sa­che des Kö­nigs all­ge­mein be­kannt ist. Herr Bi­rot­teau, der bei dem Stra­ßen­ge­fecht vor Saint-Roch ver­wun­det wur­de und ei­ner der an­ge­se­hens­ten Han­dels­rich­ter ist, hat die­se Aus­zeich­nung zwie­fach ver­dient.«

»Wie schön man heu­te schreibt«, rief Cäsar aus. »In der Zei­tung ist von uns die Rede«, sag­te er zu Pil­ler­ault.

»Na, und wenn?« ant­wor­te­te ihm der On­kel, dem das Jour­nal des Dé­bats be­son­ders un­sym­pa­thisch war.

»Die­ser Ar­ti­kel wird uns viel­leicht beim Ver­kauf der Sul­tan­in­nen­pas­te und des Eau Car­mi­na­ti­ve nütz­lich sein«, sag­te Kon­stan­ze, die die Glück­se­lig­keit ih­res Man­nes nicht teil­te, lei­se zu Frau Ra­gon. Frau Ra­gon, eine ma­ge­re große Dame mit runz­li­gem Ge­sicht, dün­ner Nase und schma­len Lip­pen, konn­te an eine Mar­qui­se des al­ten Kö­nigs­ho­fes er­in­nern. Ihre Au­gen um­ga­ben ziem­lich große dunkle Rin­ge, wie so häu­fig bei al­ten Frau­en, die Kum­mer ge­habt ha­ben. Ihre erns­te, wür­di­ge, wenn auch lie­bens­wür­di­ge Hal­tung flö­ßte Re­spekt ein. Sie be­saß ein ge­wis­ses fremd­ar­tig an­mu­ten­des We­sen, das auf­fiel, ohne ko­misch zu wir­ken, und mit ih­rer Klei­dung und de­ren Schnitt zu­sam­men­hing; sie trug im­mer Hand­schu­he und hat­te stän­dig einen Son­nen­schirm mit Stock, wie die von Ma­rie-An­to­i­net­te in Tria­non be­nutz­ten, bei sich; ihr Kleid, ge­wöhn­lich von ih­rer Lieb­lings­far­be, ei­nem mat­ten Braun, wie ver­trock­ne­te Blät­ter, fiel an den Hüf­ten in un­nach­ahm­li­chen Fal­ten her­ab, de­ren Ge­heim­nis die al­ten Stifts­da­men mit sich, ins Grab ge­nom­men ha­ben. Sie hat­te die schwar­ze, mit schwar­zen Spit­zen und großen vier­e­cki­gen Ma­schen gar­nier­te Man­til­le bei­be­hal­ten; ihre Hau­ben von alt­mo­di­scher Form hat­ten einen Auf­putz, der an die za­cki­gen Aus­schnit­te al­ter à jour ge­ar­bei­te­ter Rah­men er­in­ner­te. Sie schnupf­te Ta­bak, wo­bei sie die pein­lichs­te Sau­ber­keit be­ob­ach­te­te und jene Hand­be­we­gun­gen se­hen ließ, an die sich noch die jun­gen Leu­te er­in­nern wer­den, die das Glück ge­habt ha­ben, ihre Groß­müt­ter und Groß­tan­ten fei­er­lich die gol­de­ne Ta­baks­do­se ne­ben sich auf einen Tisch stel­len und die Ta­bakss­pu­ren von ih­ren Fi­chus ent­fer­nen zu se­hen.

Der Herr Ra­gon war ein klei­ner Mann von höchs­tens fünf Fuß Grö­ße, mit ei­nem Nuß­knacker­ge­sicht, von dem nur die Au­gen, zwei spit­ze Ba­cken­kno­chen, Nase und Kinn zu se­hen wa­ren; zahn­los, die Hälf­te der Wor­te ver­schlu­ckend, führ­te er eine feuch­te, lie­bens­wür­di­ge, ge­zier­te Un­ter­hal­tung und lä­chel­te stets mit dem Lä­cheln, mit dem er frü­her die schö­nen Da­men, die zu ihm ka­men, an der Tür sei­nes La­dens emp­fing. Auf sei­nem Schä­del zeich­ne­te sich, scharf ab­ge­zir­kelt, ein schne­ei­ger Halb­mond von Pu­der ab, an den sich zwei Flü­gel­lo­cken an­schlos­sen, zwi­schen de­nen ein klei­ner, von ei­nem Ban­de zu­sam­men­ge­hal­te­ner Zopf her­ab­hing. Er trug einen korn­blu­men­blau­en Rock, wei­ße Wes­te, sei­de­ne Bein­klei­der und St­rümp­fe, Schu­he mit gol­de­nen Schnal­len und schwarz­sei­de­ne Hand­schu­he. Be­son­ders cha­rak­te­ris­tisch war an ihm, daß er auf der Stra­ße den Hut in der Hand hielt. Er sah aus wie ein Bote der Pairs­kam­mer, wie ein Tür­ste­her des kö­nig­li­chen Ka­bi­netts, wie ei­ner von den Leu­ten, die ihre Po­si­ti­on so nahe bei ir­gend­ei­ner lei­ten­den Stel­le ha­ben, daß ein Ab­glanz da­von auch auf sie fällt, die aber an sich we­nig zu be­deu­ten ha­ben.

»Nun, Bi­rot­teau,« sag­te er ho­heits­voll, »tut es dir leid, daß du da­mals uns ge­folgt bist? Ha­ben wir je­mals an der Er­kennt­lich­keit uns­res ge­lieb­ten Herr­scher­hau­ses ge­zwei­felt?«

»Sie müs­sen doch sehr glück­lich sein, mein lie­bes Kind«, sag­te Frau Ra­gon zu Frau Bi­rot­teau.

»Aber ge­wiß«, ant­wor­te­te die schö­ne Par­füm­händ­le­rin, die stän­dig un­ter dem Zau­ber des Stock­schirms, der Hau­ben mit Schmet­ter­lings­flü­geln, der en­gen Är­mel und des großen Fi­chus à la Ju­lia stand, die Frau Ra­gon trug.

»Cäsa­ri­ne ist rei­zend; kom­men Sie her, mein lie­bes Kind«, sag­te Frau Ra­gon mit ih­rer Kopf­stim­me und ih­rem Be­schüt­zer­to­ne.

»Schlie­ßen wir das Ge­schäft vor dem Es­sen ab?« sag­te der On­kel Pil­ler­ault.

»Wir war­ten auf Herrn Cla­paron,« sag­te Ro­guin, »er zog sich schon an, als ich ihn ver­ließ.«

»Sie ha­ben ihm doch ge­sagt,« sag­te Cäsar, »daß wir in die­sem schlech­ten Zwi­schen­ge­schoß es­sen müs­sen?«

»Vor sech­zehn Jah­ren fand er es wun­der­voll«, mur­mel­te Kon­stan­ze lei­se.

»Mit­ten zwi­schen Schutt und Ar­bei­tern.«

»Ach, Sie wer­den se­hen, daß er ein gu­ter Kerl und leicht zu­frie­den­zu­stel­len ist«, sag­te Ro­guin.

»Ich habe an­ge­ord­net, daß Ra­guet im La­den auf­paßt, man kann nicht mehr durch die Tür ge­hen, es ist schon al­les ein­ge­ris­sen, wie Sie ge­se­hen ha­ben«, sag­te Cäsar zu dem No­tar.

»Wa­rum ha­ben Sie Ihren Nef­fen nicht mit­ge­bracht?« frag­te Pil­ler­ault Frau Ra­gon.

»Wer­den wir ihn nicht se­hen?« sag­te Cäsa­ri­ne.

»Nein, mein Herz«, ant­wor­te­te Frau Ra­gon. »An­selm, das gute Kind, wird sich noch zu Tode ar­bei­ten. Und die­se Stra­ße ohne Luft und Licht, die­se übel­rie­chen­de Rue des Cinq-Dia­mants macht mir Angst; der Rinn­stein sieht im­mer blau, grün oder schwarz aus. Ich fürch­te, daß er sich dort zu­grun­de rich­tet. Aber wenn sich die jun­gen Leu­te et­was in den Kopf ge­setzt ha­ben!« sag­te sie zu Cäsa­ri­ne und deu­te­te da­bei an, daß das Wort »Kopf« das Wort »Herz« be­deu­ten sol­le.

»Hat er sei­nen Miet­ver­trag ab­ge­schlos­sen?« frag­te Cäsar.

»Ges­tern schon, und vor dem No­tar«, ver­setz­te Ra­gon. »Er hat ihn auf acht­zehn Jah­re durch­ge­setzt, soll aber ein hal­b­es Jahr vor­aus­zah­len.«

»Nun, Herr Ra­gon, sind Sie mit mir zu­frie­den?« be­merk­te der Par­füm­händ­ler. »Ich habe ihm, kurz ge­sagt, das Ge­heim­nis mei­ner Er­fin­dung mit­ge­teilt …«

»Wir ken­nen dich ja in- und aus­wen­dig, Cäsar«, sag­te der klei­ne Ra­gon und er­griff Cäsars Hän­de, die er mit in­ni­gem Freund­schafts­druck preß­te.

Ro­guin war in ziem­li­cher Un­ru­he dar­über, wie Cla­paron auf­tre­ten wür­de, des­sen Ton und Ma­nie­ren die ehr­sa­men Bour­geois leicht er­schre­cken konn­te; er hielt es des­halb für nö­tig, die Geis­ter vor­zu­be­rei­ten.

»Sie wer­den«, sag­te er zu Ra­gon, Pil­ler­ault und den Da­men, »ein Ori­gi­nal zu se­hen be­kom­men, das sei­ne Tüch­tig­keit hin­ter er­schre­ckend schlech­ten Ma­nie­ren ver­birgt; er hat sich näm­lich aus ei­ner sehr un­ter­ge­ord­ne­ten Stel­lung durch sei­ne Fin­dig­keit in die Höhe ge­ar­bei­tet. Da er in Ban­kier­krei­sen ver­kehrt, wird er si­cher­lich bald bes­se­re Ma­nie­ren sich an­eig­nen. Sie kön­nen ihn auf dem Bou­le­vard oder im Café in un­or­dent­li­cher Klei­dung her­um­lun­gern oder Bil­lard spie­len se­hen; er macht dann den Ein­druck ei­nes rich­ti­gen Bumm­lers … Aber das ist er durch­aus nicht; er macht dann Stu­di­en, er denkt dar­über nach, wie man die In­dus­trie durch neue Plä­ne um­ge­stal­ten kön­ne.«

»Ich ken­ne das,« sag­te Bi­rot­teau; »mir sind mei­ne bes­ten Ide­en beim Spa­zie­ren­ge­hen ge­kom­men, nicht wahr, mein Kind?«

»Cla­paron«, fuhr Ro­guin fort, »bringt dann nachts die auf das Nach­den­ken ver­wen­de­te Zeit wie­der ein. Alle die­se sehr be­gab­ten Leu­te füh­ren ein ab­son­der­li­ches, nicht zu er­klä­ren­des Le­ben. Aber bei all sei­ner Zer­fah­ren­heit er­reicht er doch, das kann ich be­zeu­gen, sein Ziel; er hat es durch­ge­setzt, daß alle un­se­re Ter­rain­be­sit­zer nach­ge­ge­ben ha­ben; sie woll­ten erst nicht, sie wa­ren miß­trau­isch ge­wor­den; da hat er sie auf eine falsche Fähr­te ge­bracht, hat sie kir­re ge­macht, in­dem er sie täg­lich auf­such­te, und nun sind wir Her­ren des Ter­rains.«

Ein ei­gen­ar­ti­ges Räus­pern, wie es die Ver­eh­rer von Ko­gnak und star­ken Li­kö­ren an sich ha­ben, kün­dig­te die An­kunft die­ser merk­wür­digs­ten Per­son uns­rer Er­zäh­lung, die sicht­lich die Ent­schei­dung über Cäsars künf­ti­ges Ge­schick in der Hand hat­te, an. Der Par­füm­händ­ler eil­te zu der klei­nen dunklen Trep­pe, um Ra­guet zu sa­gen, daß er den La­den schlie­ßen kön­ne, und sich bei Cla­paron zu ent­schul­di­gen, daß er ihn im Spei­se­zim­mer emp­fan­gen müs­se.

»Aber ich bit­te, das ist doch hier sehr nett, um Ge­mü­se zu … um Ge­schäf­te, woll­te ich sa­gen, ab­zu­ma­chen.«

Trotz der ge­schick­ten Vor­be­rei­tung Ro­gu­ins emp­fin­gen die Ra­g­ons, die­se Bour­geois mit gu­ten Ma­nie­ren, der scharf be­ob­ach­ten­de Pil­ler­ault, Cäsa­ri­ne und ihre Mut­ter zu­erst einen ziem­lich pein­li­chen Ein­druck von die­sem an­geb­li­chen Ban­kier der vor­neh­men Krei­se.

Bei ei­nem Al­ter von etwa acht­und­zwan­zig Jah­ren be­saß die­ser ehe­ma­li­ge Rei­sen­de nicht ein Haar mehr auf dem Kop­fe und trug eine Perücke mit Kork­zie­her­lo­cken. Die­se Haar­tracht paßt zu jung­fräu­li­cher Fri­sche, zu ei­nem durch­sich­ti­gen hel­len Teint, dem ent­zückends­ten weib­li­chen Rei­ze; sie paß­te da­her sehr übel zu ei­nem fin­ni­gen, braun­ro­ten, wie das ei­nes Po­stil­li­ons er­hitz­ten Ge­sicht, des­sen früh­zei­ti­ge Run­zeln durch die Ver­zer­run­gen ih­rer tie­fen über­schmier­ten Fal­ten auf ein lie­der­li­ches Le­ben schlie­ßen lie­ßen, des­sen Fol­gen noch in dem schlech­ten Zu­stan­de der Zäh­ne und den über die rau­he Haut ver­streu­ten schwar­zen Fle­cken sich gel­tend mach­ten. Cla­paron sah aus wie ein Pro­vinz­ko­mö­di­ant, der alle Rol­len spie­len kann, sich zur Schau stellt, auf des­sen Ba­cken die Schmin­ke nicht mehr hal­ten will, kraft­los in­fol­ge von Übe­r­an­stren­gung, mit schwam­mi­gen Lip­pen, im Re­den, selbst in der Trun­ken­heit, un­er­müd­lich, mit scham­lo­sem Blick, kom­pro­mit­tie­rend in sei­nem gan­zen We­sen. Die­ses von der lus­ti­gen Flam­me des Pun­sches leuch­ten­de Ge­sicht straf­te die Rede von der Wich­tig­keit sei­ner Ge­schäf­te Lü­gen. Des­halb muß­te Cla­paron sich lan­gen mi­mi­schen Übun­gen un­ter­zie­hen, um sich eine Hal­tung bei­zu­brin­gen, die in Ein­klang mit sei­ner an­geb­li­chen Be­deu­tung stand. Du Til­let war bei Cla­parons Toi­let­te zu­ge­gen ge­we­sen, wie ein Thea­terdi­rek­tor, der we­gen des De­büts sei­nes Haupt­schau­spie­lers in Sor­ge ist. Denn er fürch­te­te sehr, daß die ro­hen Ma­nie­ren die­ses lie­der­li­chen Le­be­man­nes das künst­li­che Äu­ße­re ei­nes Ban­kiers durch­bre­chen könn­ten. »Sprich so we­nig wie mög­lich«, hat­te er zu ihm ge­sagt. »Ein Ban­kier schwatzt nie­mals; er han­delt, er über­legt, denkt nach, hört zu und wägt ab. Willst du also als Ban­kier er­schei­nen, so sage nichts, oder rede über un­wich­ti­ge Din­ge. Bän­di­ge dei­nen fi­de­len Blick und sieh ernst aus, selbst wenn du da­durch geist­los wirkst. In der Po­li­tik stell dich auf Sei­ten der Re­gie­rung und er­geh dich in Ge­mein­plät­zen, wie: ›Das Bud­get ist drückend. Ein Aus­gleich zwi­schen den Par­tei­en ist nicht mög­lich. Die Li­be­ra­len sind ge­fähr­lich. Die Bour­bo­nen müs­sen je­den Kon­flikt ver­mei­den. Der Li­be­ra­lis­mus ist der Deck­man­tel für die ver­ei­nig­ten Son­der­in­ter­es­sen. Die Bour­bo­nen ver­hei­ßen uns eine Ära des Wohl­stan­des, also muß man sie un­ter­stüt­zen, auch wenn man sie nicht liebt. Frank­reich hat ge­nug po­li­ti­sche Ex­pe­ri­men­te ge­macht usw.‹ Lümm­le dich nicht an al­len Ti­schen her­um, den­ke dar­an, daß du die Wür­de ei­nes Mil­lio­närs be­wah­ren mußt. Schnau­fe beim Schnup­fen nicht wie ein al­ter In­va­li­de; spie­le mit dei­ner Ta­baks­do­se, be­trach­te oft dei­ne Füße oder die Zim­mer­de­cke, be­vor du ant­wor­test, gib dir über­haupt ein tief­sin­ni­ges An­se­hen. Ge­wöh­ne dir vor al­lem dei­ne un­glück­se­li­ge Ma­nier ab, al­les an­zu­fas­sen. In Ge­sell­schaft muß ein Ban­kier zu müde er­schei­nen, um et­was an­zu­fas­sen. Also : du ar­bei­test nachts, die Zah­len ma­chen dich dumm, man muß so vie­le Ein­zel­hei­ten zu­sam­men­brin­gen, wenn man eine Sa­che lan­cie­ren will! Es be­darf so vie­ler Vor­be­rei­tun­gen! Vor al­lem: schimp­fe auf die Ge­schäf­te. Sie sind drückend, läs­tig, schwie­rig, dor­nig. Mehr sage nicht dar­über und laß dich nicht auf Ein­zel­hei­ten ein. Sin­ge bei Tisch nicht dei­ne Pos­sen­lie­der von Béran­ger und trin­ke nicht zu­viel. Wenn du dich be­trinkst, set­zest du dei­ne Zu­kunft aufs Spiel. Ro­guin wird auf dich auf­pas­sen; du bist bei mo­ra­li­schen Leu­ten, tu­gend­haf­ten Bour­geois, er­schre­cke sie nicht mit dei­nen Knei­pen­wit­zen.«

Die­se Moral­pre­digt hat­te auf Karl Cla­parons Geist die­sel­be Wir­kung aus­ge­übt wie sein neu­er An­zug auf sei­nen Kör­per. Die­ser lus­ti­ge Spring­ins­feld und Al­ler­welts­freund, ge­wöhnt an of­fe­ne, be­que­me Klei­der, in de­nen sich sein Kör­per nicht be­eng­ter fühl­te als sein Geist durch sei­ne Re­de­wei­se, war ein­ge­zwängt in einen neu­en An­zug, auf den ihn der Schnei­der hat­te war­ten las­sen, und den er in ker­zen­ge­ra­der Hal­tung an­pro­biert hat­te, in Angst, wie er sich be­we­gen und aus­drücken soll­te, sei­ne Hand, die er nach ei­nem Fla­kon oder ei­nem Kas­ten un­vor­sich­tig aus­ge­streckt hat­te, wie­der zu­rück­zie­hend, eben­so wie er sich mit­ten in ei­nem Sat­ze un­ter­brach – die­ses ko­mi­sche Zerr­bild war der ge­eig­ne­te Ge­gen­stand für Pil­ler­aults Beo­b­ach­tung. Sein ro­tes Ge­sicht, sei­ne Perücke mit den lus­ti­gen Kork­zie­her­lo­cken stand in dem­sel­ben Ge­gen­satz zu sei­ner Hal­tung wie sei­ne Ge­dan­ken zu sei­nen Re­den. Aber die gu­ten Bour­geois nah­men die­se fort­wäh­ren­den Wi­der­sprü­che für Ver­le­gen­heit.

»Er hat so vie­le Ge­schäf­te«, sag­te Ro­guin.

»Die Ge­schäf­te schei­nen ihm we­nig Ma­nie­ren bei­ge­bracht zu ha­ben«, sag­te Frau Ra­gon zu Cäsa­ri­ne. Ro­guin hör­te die­se Wor­te und leg­te den Fin­ger auf die Lip­pen.

»Er ist reich, ge­wandt und au­ßer­ge­wöhn­lich zu­ver­läs­sig«, sag­te er und beug­te sich da­bei zu Frau Ra­gon her­ab.

»Bei sol­chen Ei­gen­schaf­ten kann man ihm schon man­ches zu­gu­te hal­ten«, sag­te Pil­ler­ault zu Ra­gon.

»Wir wol­len den Ver­trag vor dem Es­sen durch­se­hen,« sag­te Ro­guin, »wir sind jetzt un­ter uns.«

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Подняться наверх