Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 30

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Als er den Tor­weg er­reich­te, be­merk­te der Par­füm­händ­ler, des­sen Au­gen in Trä­nen schwam­men, kaum ein schö­nes, schweiß­trie­fen­des eng­li­sches Pferd, das mit ei­nem der hüb­sche­s­ten Ka­brio­letts, die zu die­ser Zeit über das Pa­ri­ser Pflas­ter roll­ten, vor der Tür still­hielt. Er hät­te sich am liebs­ten von die­sem Wa­gen über­fah­ren las­sen; er wäre dann durch einen Un­fall um­ge­kom­men, dem man die Un­ord­nung in sei­nen Ge­schäf­ten hät­te zur Last le­gen kön­nen. Er er­kann­te du Til­let gar nicht, der schlank, in ele­gan­tem Mor­ge­n­an­zug, sei­nem Die­ner die Zü­gel zu­warf und eine De­cke über den nas­sen Rücken sei­nes Voll­blut­pfer­des leg­te.

»Wel­cher Zu­fall führt Sie hier­her?« sag­te du Til­let zu sei­nem frü­he­ren Prin­zi­pal.

Du Til­let wuß­te es na­tür­lich ganz ge­nau, denn die Kel­lers hat­ten Er­kun­di­gun­gen bei Cla­paron ein­ge­zo­gen, der, im Ein­ver­ständ­nis mit du Til­let, den al­ten gu­ten Ruf des Par­füm­händ­lers un­ter­gra­ben hat­te. Ob­gleich schnell ver­schluckt, spra­chen die Trä­nen des ar­men Kauf­manns doch deut­lich ge­nug.

»Sind Sie etwa hier­her ge­kom­men, um Hil­fe bei die­sen Wu­che­rern zu su­chen,« sag­te du Til­let, »bei die­sen Wür­ge­en­geln des Han­dels, die sol­che nie­der­träch­ti­gen Bör­sen­ma­nö­ver ge­macht ha­ben wie die Haus­se in In­di­go, nach­dem sie ihn auf­ge­kauft hat­ten, und die Bais­se in Reis, um die, die mit der Ware zu­rück­hiel­ten, zu zwin­gen, bil­lig an sie zu ver­kau­fen, da­mit sie nach­her den Markt­preis dik­tie­ren konn­ten, die­sen blut­gie­ri­gen Pi­ra­ten, die sich we­der um Treu und Glau­ben, noch um Recht, noch um mensch­li­ches Ge­fühl küm­mern! Wis­sen Sie denn nicht, wes­sen die­se Leu­te fä­hig sind? Sie ge­wäh­ren Ih­nen einen Kre­dit, wenn Sie sich auf ein gu­tes Ge­schäft ein­ge­las­sen ha­ben, und so­bald Sie das Rä­der­werk der Sa­che in Be­trieb ge­setzt ha­ben, dann kün­di­gen sie ihn und zwin­gen Sie, ih­nen das Un­ter­neh­men für einen elen­den Preis ab­zu­tre­ten. Ha­vre, Bor­deaux und Mar­seil­le kön­nen Ih­nen schö­ne Din­ge über die­se Leu­te er­zäh­len. Die Po­li­tik dient ih­nen nur als Deck­man­tel für ihre un­sau­be­ren Ge­schäf­te, das kön­nen Sie mir glau­ben! Da­her ma­che ich mir auch kei­ne Skru­pel dar­über, wenn ich sie aus­nut­ze! Ge­hen wir ein biß­chen spa­zie­ren, mein lie­ber Bi­rot­teau! Jo­seph, füh­ren Sie das Pferd auf und ab, es hat sich heiß ge­lau­fen. Teu­fel noch­mal, es re­prä­sen­tiert ein Ka­pi­tal von tau­send Ta­lern.« Da­mit wand­te er sich dem Bou­le­vard zu. – »Nun, mein ver­ehr­ter Prin­zi­pal – Sie sind doch mein Chef ge­we­sen – brau­chen Sie Geld? Die­se elen­de Ge­sell­schaft wird na­tür­lich Ga­ran­ti­en von Ih­nen ver­langt ha­ben. Ich, der ich Sie ken­ne, ich bie­te Ih­nen Geld ge­gen Ihr ein­fa­ches Ak­zept an. Ich habe mein Ver­mö­gen in eh­ren­haf­ter Wei­se mit un­glaub­li­cher Mühe er­wor­ben. Ich bin nach Deutsch­land ge­gan­gen, um es zu er­rin­gen. Heu­te kann ich es Ih­nen sa­gen: ich habe die Emi­gran­ten­quit­tun­gen mit sech­zig Pro­zent Ra­batt auf­ge­kauft; da­bei war mir Ihre Bürg­schaft sehr nütz­lich und ich, ich bin nicht un­dank­bar! Wenn Sie zehn­tau­send Fran­ken brau­chen, so kön­nen Sie sie ha­ben.«

»Wirk­lich, du Til­let?« rief Cäsar aus, »ist das wirk­lich wahr? Trei­ben Sie kei­nen Spott mit mir? Ja, ich bin et­was in Ver­le­gen­heit, aber nur für den Au­gen­blick.«

»Ich weiß, die Af­fä­re Ro­guin«, er­wi­der­te du Til­let. »Ach, ich sit­ze auch mit zehn­tau­send Fran­ken drin, die der alte Kerl vor der Flucht von mir ent­lie­hen hat, aber Frau Ro­guin wird sie mir aus ih­ren Ein­gän­gen zu­rück­er­stat­ten. Ich habe der ar­men Frau ge­ra­ten, daß sie nicht so dumm sein soll, ihr Ver­mö­gen zu op­fern, um die Schul­den zu be­zah­len, die für ein Frau­en­zim­mer ge­macht wor­den sind; das wäre ja noch schö­ner, wenn sie al­les be­zah­len woll­te, aber wie soll sie ge­wis­se Gläu­bi­ger vor an­de­ren be­vor­zu­gen? Sie sind kein Ro­guin, Sie ken­ne ich, Sie wür­den sich eher eine Ku­gel vor den Kopf schie­ßen, als daß Sie mich einen Sou ein­bü­ßen lie­ßen. Aber da sind wir ja in der Rue de la Chaus­sée d’An­tin, kom­men Sie zu mir hin­auf.«

Es mach­te dem Par­ve­nü Ver­gnü­gen, sei­nen ehe­ma­li­gen Prin­zi­pal, an­statt in die Bu­re­aus, durch sei­ne Pri­vat­räu­me zu füh­ren, und er mach­te das lang­sam, um ihm das rei­che Spei­se­zim­mer zu zei­gen, das mit in Deutsch­land ge­kauf­ten Bil­dern ge­schmückt war, und zwei Sa­lons von ei­ner Pracht und ei­nem Lu­xus, wie ihn Bi­rot­teau nur noch bei dem Her­zog von Le­non­court be­wun­dert hat­te. Die Au­gen des Bour­geois wa­ren wie ge­blen­det von den Ver­gol­dun­gen, den Kunst­wer­ken, den kost­ba­ren Klei­nig­kei­ten, den wun­der­ba­ren Va­sen, von all den tau­send Ein­zel­hei­ten, die den Lu­xus von Kon­stan­zens Zim­mer ver­blas­sen lie­ßen; und da er wuß­te, was ihn sei­ne teu­re Ein­rich­tung ge­kos­tet hat­te, so sag­te er bei sich: »Wo hat er nur so vie­le Mil­lio­nen her­ge­nom­men?«

Er be­trat dann das Schlaf­zim­mer, ne­ben dem Frau Bi­rot­te­aus ihm vor­kam wie die Woh­nung ei­nes Sta­tis­ten im drit­ten Stock ne­ben dem Hau­se ei­ner ers­ten Sän­ge­rin der Oper. Die De­cke war ganz mit vio­let­ter Sei­de be­spannt, de­ren Fal­ten mit wei­ßer Sei­de ab­ge­setzt wa­ren. Ein Bett­vor­le­ger von Her­me­lin hob sich von ei­nem veil­chen­far­be­nen ori­en­ta­li­schen Tep­pich ab. Die Mö­bel und das üb­ri­ge Zu­be­hör wie­sen neue For­men von be­son­de­rer Ei­gen­art auf. Der Par­fü­meur blieb vor ei­ner rei­zen­den Uhr mit ei­ner Grup­pe von Amor und Psy­che ste­hen, die eben für einen be­kann­ten Ban­kier an­ge­fer­tigt wor­den war; du Til­let hat­te von ihm das ein­zi­ge Exem­plar, das noch ne­ben dem sei­ni­gen exis­tier­te, be­kom­men. End­lich ge­lang­ten der ehe­ma­li­ge Prin­zi­pal und der ehe­ma­li­ge Kom­mis in ein stut­zer­haft ele­gan­tes, ko­ket­tes Ar­beits­zim­mer, das mehr für die Lie­be als für die Finan­zen ge­schaf­fen schi­en. Si­cher hat­te Frau Ro­guin, um sich für die Sorg­falt, mit der er ihr Ver­mö­gen ver­wal­te­te, er­kennt­lich zu zei­gen, das Falz­bein aus ge­trie­be­nem Gol­de, Brief­be­schwe­rer aus Mala­chit mit Me­tall­zie­ra­ten – alle die kost­spie­li­gen Klei­nig­kei­ten ei­nes un­be­grenz­ten Lu­xus, ge­schenkt. Der Tep­pich, reichs­te bel­gi­sche Ar­beit, fes­sel­te eben­so­sehr das Auge, wie er beim Be­tre­ten durch sei­ne Weich­heit und Di­cke auf­fiel. Du Til­let bot dem ar­men Par­füm­händ­ler, der ge­blen­det, über­rascht, ver­wirrt war, einen Sitz am Ka­min an.

»Wol­len Sie mit mir früh­stücken?«

Er klin­gel­te; ein Kam­mer­die­ner er­schi­en, der bes­ser an­ge­zo­gen war als Bi­rot­teau.

»Sa­gen Sie Herrn Le­gras, daß er her­auf­kom­men möch­te, und be­stel­len Sie dann Jo­seph, daß er nach Hau­se kom­men soll, Sie fin­den ihn vor der Tür von Kel­lers; dann ge­hen Sie hin­ein, und sa­gen Sie Herrn Adolph Kel­ler, ich käme nicht zu ihm, son­dern ich er­war­te ihn hier bis zum Bör­sen­be­ginn. Au­ßer­dem las­sen Sie an­rich­ten und zwar gleich.«

Die­se Wor­te ver­blüff­ten den Par­füm­händ­ler.

»Er be­stellt die­sen ge­fürch­te­ten Adolph Kel­ler zu sich, er pfeift ihm, wie ei­nem Hun­de! Er, du Til­let!«

Ein Groom, nicht di­cker als eine Faust, er­schi­en, zog einen Tisch aus­ein­an­der, der so klein war, daß Bi­rot­teau ihn nicht be­merkt hat­te, und stell­te eine Gän­se­le­ber­pas­te­te und eine Fla­sche Bor­deaux­wein auf, nebst an­dern aus­ge­such­ten Din­gen, die bei Bi­rot­teau kaum alle paar Mo­na­te, bei be­son­de­ren Ge­le­gen­hei­ten, auf den Tisch ka­men. Du Til­let kos­te­te sei­nen Ge­nuß aus. Sein Haß ge­gen den ein­zi­gen Men­schen, der ein Recht hat­te, ihn zu ver­ach­ten, war so glü­hend ge­wor­den, daß Bi­rot­teau ihn den auf­re­gen­den Ein­druck emp­fin­den ließ, den der An­blick ei­nes Lam­mes, das sich ge­gen einen Ti­ger ver­tei­digt, ge­währt. Da­bei schoß ihm ein groß­mü­ti­ger Ge­dan­ke durch den Kopf: er frag­te sich, ob sei­ner Ra­che nicht schon Ge­nü­ge ge­sche­hen sei, und schwank­te zwi­schen Maß­nah­men der er­wa­chen­den Nei­gung zur Gna­de und dem Ge­fühl des be­frie­dig­ten Has­ses hin und her.

»Ich kann die­sen Mann ge­schäft­lich ver­nich­ten,« dach­te er, »ich habe das Recht über Le­ben und Tod in der Hand, bei ihm, bei sei­ner Frau, die mich zu­rück­ge­sto­ßen hat, bei sei­ner Toch­ter, de­ren Hand mir da­mals ein Ver­mö­gen zu ver­hei­ßen schi­en. Sein Geld habe ich nun, be­gnü­gen wir uns also, den ar­men Kerl an der An­gel, die ich fest­hal­te, zap­peln zu las­sen.«

Ehren­haf­te Men­schen ha­ben häu­fig kein Takt­ge­fühl, kein Maß­hal­ten im Gu­ten, weil sie al­les ohne Um­we­ge und ohne Hin­ter­ge­dan­ken tun. So stürz­te sich Bi­rot­teau selbst ret­tungs­los ins Un­glück, in­dem er den Ti­ger reiz­te, ihm, ohne es zu ah­nen, das Herz durch­bohr­te und ihn durch ein Wort, ein Lob, einen ihn eh­ren sol­len­den Aus­druck, durch die Ein­falt des eh­ren­haf­ten Emp­fin­dens un­ver­söhn­lich mach­te. Als der Kas­sie­rer er­schi­en, wies du Til­let auf Cäsar.

»Herr Le­gras, brin­gen Sie mir zehn­tau­send Fran­ken und einen Wech­sel über die­sen Be­trag an mei­ne Or­der aus­ge­stellt, zahl­bar in drei Mo­na­ten von die­sem Herrn hier, Herrn Bi­rot­teau, wis­sen Sie!«

Du Til­let bot dem Par­füm­händ­ler die Pas­te­te an und goß ihm ein Glas Bor­deaux­wein ein; die­ser, der sich ge­ret­tet sah, brach in ein kon­vul­si­vi­sches La­chen aus; er spiel­te mit sei­ner Uhr­ket­te und nahm kei­nen Bis­sen in den Mund, bis sein ehe­ma­li­ger Kom­mis zu ihm sag­te: »Wol­len Sie denn nichts es­sen?« So ent­hüll­te Bi­rot­teau die Tie­fe des Ab­grunds, in den ihn du Til­lets Hand ge­sto­ßen hat­te, aus dem er ihn her­aus­zog, und in den er ihn wie­der hin­ab­sto­ßen konn­te. Als der Kas­sie­rer zu­rück­ge­kom­men war und Cäsar nach der Un­ter­zeich­nung des Wech­sels die zehn Kas­sen­schei­ne der Bank in sei­ner Ta­sche fühl­te, konn­te er sich nicht mehr zu­rück­hal­ten. Noch vor ei­nem Au­gen­blick war sei­ne Lage so, daß sein Stadt­vier­tel und die Bank sei­ne Zah­lungs­un­fä­hig­keit er­fah­ren muß­ten, und er sei­ner Frau zu ge­ste­hen ge­nö­tigt war, daß er rui­niert sei; und jetzt war al­les in Ord­nung! Das Glücks­ge­fühl der Er­lö­sung war eben so stark wie die Qual der Nie­der­la­ge. Dem ar­men Men­schen wur­den, ohne daß er es hin­dern konn­te, die Au­gen feucht.

»Was ist Ih­nen denn, mein lie­ber Prin­zi­pal«, sag­te du Til­let. »Wür­den Sie denn nicht mor­gen das­sel­be für mich tun, was ich heu­te für Sie tue? Ist das nicht klar wie der Tag?«

»Du Til­let,« sag­te der gute Mann mit em­pha­ti­schem, erns­tem Tone, in­dem er sich er­hob und sei­nem ehe­ma­li­gen Kom­mis die Hand drück­te, »du hast dir mei­ne vol­le Ach­tung zu­rück­ero­bert.«

»Wie! Hat­te ich sie denn ver­lo­ren?« sag­te du Til­let, der sich da­durch so schwer mit­ten in sei­nem Glan­ze be­lei­digt fühl­te, daß er er­rö­te­te.

»Ver­lo­ren … das nicht ge­ra­de,« sag­te der Par­füm­händ­ler, ent­setzt über sei­ne Dumm­heit, »aber man hat­te mir man­cher­lei über Ihr Ver­hält­nis mit Frau Ro­guin zu­ge­tra­gen. Him­mel! Ei­nem an­dern die Frau weg­zu­neh­men …«

»Du willst dich her­aus­re­den«, dach­te du Til­let und be­schloß bei sich, die­sen Tu­gend­men­schen zu ver­nich­ten, ihn un­ter die Füße zu tre­ten und vor der Pa­ri­ser Han­dels­welt die­sen an­stän­di­gen, eh­ren­haf­ten Mann, der ihn mit der Hand in sei­ner Ta­sche er­tappt hat­te, ver­ächt­lich zu ma­chen. Al­ler Haß, der po­li­ti­sche wie der pri­va­te, der von Weib ge­gen Weib und von Mann ge­gen Mann, hat kei­nen an­dern Grund als ein ähn­li­ches Er­tappt­sein. Man haßt nicht um ge­schä­dig­ter In­ter­es­sen, um ei­ner Wun­de, selbst nicht um ei­ner Ohr­fei­ge wil­len; al­les das ist wie­der gutz­u­ma­chen. Wohl aber, wenn man auf fri­scher Tat bei ei­ner ge­mei­nen Hand­lung er­tappt wird! Das Duell, das sich dann zwi­schen dem Schul­di­gen und dem Zeu­gen der Tat ent­spinnt, kann nur durch den Tod des einen oder des an­dern be­en­digt wer­den.

»Ach, Frau Ro­guin«, sag­te du Til­let spöt­tisch; »aber ist das nicht im Ge­gen­teil ein Ruh­mes­ti­tel für einen jun­gen Mann? Aber ich ver­ste­he Sie, mein lie­ber Prin­zi­pal, man wird Ih­nen er­zählt ha­ben, daß sie mir Geld ge­lie­hen hat. Nun, das Ge­gen­teil ist wahr, ich habe ihr ihr Ver­mö­gen ge­ret­tet, das durch die Ge­schäf­te ih­res Man­nes stark ge­fähr­det war. Mein Ver­mö­gen stammt, wie ich Ih­nen schon vor­hin ge­sagt habe, aus rei­ner Quel­le. Daß ich nichts be­saß, das wis­sen Sie. Jun­ge Men­schen be­fin­den sich manch­mal in ei­ner fürch­ter­li­chen Not­la­ge. Man kann in der Tie­fe des Elends so wei­ter le­ben. Hat man aber, wie die Re­pu­blik, er­zwun­ge­ne An­lei­hen ge­macht, nun, dann zahlt man sie auch zu­rück, und dann han­delt man ehr­li­cher, als Frank­reich ge­han­delt hat.«

»So ist es,« sag­te Bi­rot­teau. »Mein lie­bes Kind … Gott … Hat das nicht Vol­taire ge­sagt?:

Er mach­te aus der Reue die Tu­gend der Sterb­li­chen.«

»In­so­fern,« fuhr du Til­let fort, den die­ses Zi­tat aufs neue tief ver­letzt hat­te, »in­so­fern man nicht das Ver­mö­gen sei­nes Nächs­ten in fei­ger und nied­ri­ger Wei­se schä­digt, wie wenn Sie, zum Bei­spiel, vor Ablauf von drei Mo­na­ten Bank­rott mach­ten und mich um mei­ne zehn­tau­send Fran­ken brin­gen wür­den …«

»Ich Bank­rott ma­chen!« sag­te Bi­rot­teau, der drei Glas Wein ge­trun­ken hat­te und sich in ei­nem Freu­den­rausch be­fand. »Mei­ne An­sich­ten über den Bank­rott sind doch be­kannt! Für den Kauf­mann be­deu­tet der Bank­rott den Tod; ich wür­de ihn nicht über­le­ben!«

»Auf Ihre Ge­sund­heit«, sag­te du Til­let.

»Auf dein wei­te­res Ge­dei­hen«, er­wi­der­te der Par­füm­händ­ler. »Wa­rum kau­fen Sie ei­gent­lich nicht bei mir?«

»Ich muß Ih­nen wahr­haf­tig ge­ste­hen,« sag­te du Til­let, »daß ich mich vor Frau Kon­stan­ze scheue; sie hat im­mer einen so tie­fen Ein­druck auf mich ge­macht! Und wenn Sie nicht mein Prin­zi­pal ge­we­sen wä­ren, so wür­de ich wahr­haf­tig …«

»Ach, du bist nicht der ers­te, der sie schön fin­det; vie­le ha­ben sie be­gehrt, aber sie liebt mich al­lein! Aber, du Til­let,« fuhr er fort, »lie­ber Freund, tun Sie, was Sie tun, nicht halb.«

»Wie denn?«

Bi­rot­teau setz­te du Til­let nun die Ter­rain­an­ge­le­gen­heit aus­ein­an­der, der große Au­gen mach­te, den Par­füm­händ­ler we­gen sei­nes Scharf­sinns und sei­nes wei­ten Blicks be­glück­wünsch­te und das Ge­schäft für vor­treff­lich er­klär­te.

»Nun, ich bin glück­lich über die Zu­stim­mung, Sie gel­ten für einen be­deu­ten­den Kopf in der Bank­welt, du Til­let! Sie könn­ten mir einen Kre­dit bei der Bank von Frank­reich ver­schaf­fen, da­mit ich in Ruhe den Ge­winn aus dem Hui­le Cé­pha­li­que ab­war­ten kann.«

»Ich kann Sie dem Hau­se Nu­cin­gen emp­feh­len«, er­wi­der­te du Til­let, der sich vor­ge­nom­men hat­te, sein Op­fer alle Fi­gu­ren des Kon­ter­tan­zes ei­nes in Kon­kurs Ge­ra­ten­den durch­tan­zen zu las­sen.

Fer­di­nand setz­te sich an sei­nen Schreib­tisch und ver­faß­te fol­gen­den Brief:

»Herrn Baron von Nu­cin­gen. Pa­ris.

Lie­ber Herr Baron! Der Über­brin­ger die­ses Schrei­bens ist Herr Cäsar Bi­rot­teau, städ­ti­scher Bei­ge­ord­ne­ter des zwei­ten Be­zirks und ei­ner der nam­haf­tes­ten In­dus­tri­el­len der Pa­ri­ser Par­fü­me­rie; er wünscht mit Ih­nen in Ver­bin­dung zu tre­ten. Sie kön­nen sei­nen Wün­schen ver­trau­ens­voll Ge­hör schen­ken; den Ge­fal­len, den Sie ihm er­wei­sen, er­wei­sen Sie gleich­zei­tig

Ihrem Freun­de

F. du Tıl­let.«

Du Til­let setz­te kei­nen I-Punkt auf sei­nen Na­men. Die­ses ab­sicht­li­che Weglas­sen war ein mit sei­nen Ge­schäfts­freun­den ver­ab­re­de­tes Zei­chen. Die an­ge­le­gent­lichs­ten Emp­fin­dun­gen, die wärms­ten und drin­gends­ten Bit­ten be­deu­te­ten dann gar nichts. Ein sol­cher Brief mit fle­hent­li­chen Aus­ru­fungs­zei­chen, in dem du Til­let förm­lich nie­der­knie­te, war ihm durch wich­ti­ge Um­stän­de ab­ge­run­gen wor­den; er konn­te ihn nicht ab­leh­nen, aber er galt dann als nicht ge­schrie­ben. Wenn er das i ohne Punkt sah, dann speis­te sein Ge­schäfts­freund den Bitt­stel­ler mit lee­ren Ver­spre­chun­gen ab. Vie­le Män­ner der großen Welt, und dar­un­ter die an­ge­se­hens­ten, sind auf die­se Wei­se wie die Kin­der von Ge­schäfts­leu­ten wie von Ad­vo­ka­ten an der Nase her­um­ge­führt wor­den, die bei­de eine dop­pel­te Un­ter­schrift hat­ten, eine tote und eine le­ben­de. Die Scharf­sin­nigs­ten sind dar­auf her­ein­ge­fal­len. Um die­sen Schwin­del zu er­ken­nen, muß man die ver­schie­de­ne Wir­kung ei­nes war­men und ei­nes küh­len sol­chen Brie­fes be­ob­ach­tet ha­ben.

»Sie sind mein Ret­ter, du Til­let!« sag­te Cäsar, als er den Brief ge­le­sen hat­te.

»Sie brau­chen wahr­haf­tig nur Geld zu ver­lan­gen,« sag­te du Til­let, »dann wird Ih­nen Nu­cin­gen auf die­sen Brief hin so viel ge­ben, wie Sie ha­ben wol­len. Un­glück­li­cher­wei­se sind mei­ne Mit­tel für ei­ni­ge Tage fest­ge­legt, sonst wür­de ich Sie nicht zu den Fürs­ten der Hoch­fi­nanz schi­cken, denn die Kel­lers sind Zwer­ge ne­ben dem Baron von Nu­cin­gen. Nu­cin­gen ist ein zwei­ter Law. Mit mei­nem Brie­fe wird Ih­nen bis zum 15. Ja­nu­ar ge­hol­fen sein, und dann wer­den wir wei­ter se­hen. Nu­cin­gen und ich sind die bes­ten Freun­de von der Welt, nicht um eine Mil­li­on möch­te er mir eine Ge­fäl­lig­keit ab­schla­gen.«

»Das ist so gut wie eine Bürg­schaft«, sag­te sich Bi­rot­teau, als er vol­ler Dank­bar­keit für du Til­let fort­ging. »Eine Wohl­tat fin­det eben im­mer ih­ren Lohn!« Und so phi­lo­so­phier­te er wei­ter ins Blaue hin­ein. Nur ein Ge­dan­ke trüb­te sei­ne Freu­de. Er hat­te wohl ei­ni­ge Tage ver­hin­dern kön­nen, daß sei­ne Frau die Nase in die Bü­cher steck­te, er hat­te die Kas­se Cöles­tin auf­ge­la­den und ihm da­bei ge­hol­fen, er hat­te es durch­set­zen kön­nen, daß sei­ne Frau und sei­ne Toch­ter sich des Ge­nus­ses der schö­nen Woh­nung, die er ih­nen ein­ge­rich­tet und aus­ge­stat­tet hat­te, in Ruhe er­freu­ten; aber nach­dem die­se ers­te klei­ne Freu­de er­schöpft war, wäre Frau Bi­rot­teau eher ge­stor­ben, als daß sie dar­auf ver­zich­tet hät­te, sich per­sön­lich um die Ein­zel­hei­ten ih­res Ge­schäfts zu küm­mern und, wie sie sich aus­drück­te, das Heft in der Hand zu be­hal­ten. Bi­rot­teau war mit sei­nem La­tein zu Ende; er hat­te alle Kunst­grif­fe auf­ge­braucht, mit de­nen er sei­ner Frau den Ein­blick in die Sym­pto­me sei­ner Be­dräng­nis vor­ent­hal­ten hat­te. Kon­stan­ze hat­te über das Aus­schi­cken der Rech­nun­gen sehr ge­schimpft, sie hat­te mit dem Kom­mis ge­schol­ten und Cöles­tin vor­ge­wor­fen, er wol­le die Fir­ma rui­nie­ren, da sie an­nahm, das sei al­lein sei­ne Idee ge­we­sen. Auf Bi­rot­te­aus Ver­lan­gen hat­te sich Cöles­tin aus­schel­ten las­sen. In sei­nen Au­gen kom­man­dier­te Kon­stan­ze den Par­füm­händ­ler; denn man kann wohl das Pub­li­kum, aber nicht die Haus­ge­nos­sen dar­über täu­schen, wer in Wirk­lich­keit in ei­ner Ehe den Ton an­gibt. Bi­rot­teau muß­te jetzt sei­ner Frau sei­ne Lage be­ken­nen, denn er muß­te sei­ne An­lei­he bei du Til­let recht­fer­ti­gen. Als er nach Hau­se kam, sah er nicht ohne zu zit­tern Kon­stan­ze im Kon­tor sit­zen, die Fäl­lig­keits­ter­mi­ne nach­se­hen und die Kas­se ab­rech­nen.

»Wo­mit willst du denn mor­gen zah­len?« sag­te sie lei­se zu ihm, nach­dem er sich ne­ben sie ge­setzt hat­te.

»Mit dem Gel­de hier,« ant­wor­te­te er, zog die Kas­sen­schei­ne aus der Ta­sche und wink­te Cöles­tin, daß er sie an sich neh­men sol­le.

»Aber wo hast du es denn her?«

»Ich wer­de dir das heu­te abend er­zäh­len. Cöles­tin, no­tie­ren Sie für Ende März einen Wech­sel über zehn­tau­send Fran­ken an die Or­der von du Til­let.«

»Du Til­let?« wie­der­hol­te Kon­stan­ze tief er­schro­cken.

»Ich muß Po­pi­not auf­su­chen«, sag­te Cäsar. »Es ist schlecht von mir, daß ich im­mer noch nicht bei ihm ge­we­sen bin. Ver­kauft sich sein Öl?«

»Von den drei­hun­dert Fla­schen, die er uns ge­lie­fert hat, ist kei­ne mehr üb­rig.«

»Bi­rot­teau, geh nicht fort, ich habe mit dir zu re­den«, sag­te Kon­stan­ze und zog ihn beim Arme mit ei­ner Hast, die un­ter an­dern Um­stän­den ko­misch ge­we­sen wäre, in sein Zim­mer. »Du Til­let,« sag­te sie, als sie mit ihm al­lein war und sich über­zeugt hat­te, daß nur noch Cäsa­ri­ne zu­ge­gen war, »du Til­let, der uns tau­send Ta­ler ge­stoh­len hat! Du machst Ge­schäf­te mit du Til­let, die­sem Scheu­sal … der mich hat ver­füh­ren wol­len«, füg­te sie lei­se hin­zu.

»Ju­gend­tor­hei­ten«, sag­te Bi­rot­teau, der plötz­lich ein Frei­geist ge­wor­den war.

»Höre, Bi­rot­teau, du bist ganz ver­än­dert, du gehst nicht mehr in die Fa­brik. Da­hin­ter steckt et­was, das mer­ke ich! Und du wirst mir sa­gen, was; ich will al­les wis­sen.«

»Also höre: wir wa­ren bei­na­he rui­niert, wir wa­ren es so­gar noch heu­te früh, aber jetzt ist al­les wie­der in Ord­nung.«

Und er er­zähl­te ihr die furcht­ba­re Ge­schich­te sei­ner letz­ten vier­zehn Tage.

»Da­her dei­ne Krank­heit«, rief Kon­stan­ze aus.

»Ja, Mama«, sag­te Cäsa­ri­ne. »Ach, was für einen Mut hat der Papa ent­wi­ckelt! Al­les, was ich mir wün­sche, ist, daß ich ein­mal so ge­liebt wer­de, wie er dich liebt. Er hat nur an dei­nen Kum­mer ge­dacht.«

»So ist mein Traum doch in Er­fül­lung ge­gan­gen,« sag­te die arme Frau und ließ sich auf ih­ren Ses­sel am Ka­min fal­len, bleich vor Schre­cken. »Ich habe das al­les kom­men se­hen. Ich habe es dir vor­her­ge­sagt in je­ner ver­häng­nis­vol­len Nacht, in un­serm al­ten Zim­mer, das du hast ab­rei­ßen las­sen; ich habe dir ge­sagt, daß uns nichts mehr blei­ben wird als uns­re Au­gen zum Wei­nen. Mei­ne arme Cäsa­ri­ne! Ich …«

»Ja, so bist du nun!« rief Bi­rot­teau aus. »Du nimmst mir auch noch den Mut, den ich so nö­tig brau­che.«

»Ver­zeih mir, Lie­ber,« sag­te Kon­stan­ze und drück­te Cäsar die Hand so zärt­lich, daß es dem ar­men Mann zu Her­zen ging. »Ich habe un­recht, das Un­glück ist da, ich wer­de stumm sein und er­ge­ben und wer­de alle Kräf­te auf­bie­ten. Nein, du sollst kei­ne Kla­ge mehr von mir hö­ren.« Wei­nend warf sie sich Cäsar an die Brust und sag­te: »Mut, Liebs­ter, Mut. Wenn es nö­tig ist, wer­de ich Mut für zweie ha­ben.«

»Mein Öl, lie­bes Kind, mein Öl wird uns ret­ten.«

»Möge uns Gott be­schüt­zen«, sag­te Kon­stan­ze.

»Und wird An­selm dem Va­ter nicht hel­fen?« sag­te Cäsa­ri­ne.

»Ich gehe zu ihm«, rief Cäsar, über­wäl­tigt von dem herz­zer­rei­ßen­den Ton sei­ner Frau, den er selbst nach neun­zehn Jah­ren so noch nicht ver­nom­men hat­te. »Du brauchst gar kei­ne Angst zu ha­ben, Kon­stan­ze. Hier, lies du Til­lets Brief an Herrn von Nu­cin­gen, wir be­kom­men den Kre­dit si­cher. Und mei­nen Pro­zeß wer­de ich bald ge­won­nen ha­ben. Und,« füg­te er mit ei­ner Not­lü­ge hin­zu, »au­ßer­dem ha­ben wir doch noch On­kel Pil­ler­ault, es kommt nur dar­auf an, daß wir den Mut nicht ver­lie­ren.«

»Oh, wenn es sich nur dar­um han­delt«, sag­te Kon­stan­ze lä­chelnd.

Von ei­ner großen Last be­freit, ent­fern­te sich Bi­rot­teau, wie ein in Frei­heit ge­setz­ter Ge­fan­ge­ner, ob­wohl er in­ner­lich jene un­er­klär­ba­re Er­schöp­fung ver­spür­te, die auf über­mä­ßi­ge in­ne­re Kämp­fe zu fol­gen pflegt, bei de­nen man mehr Ner­ven- und Wil­lens­kraft ver­braucht hat, als man täg­lich zu­set­zen darf, und wo man so­zu­sa­gen das Le­bens­ka­pi­tal an­ge­grif­fen hat. Bi­rot­teau war in die­ser kur­z­en Zeit alt ge­wor­den.

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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