Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 26

Cäsar im Kampf mit dem Unglück

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Acht Tage nach dem Fes­te, dem letz­ten Auf­fla­ckern des Stroh­feu­ers ei­nes acht­zehn­jäh­ri­gen Wohl­stan­des, das dicht am Er­lö­schen war, be­trach­te­te Cäsar durch sei­ne La­den­schei­ben die Passan­ten und dach­te an sei­ne aus­ge­dehn­ten Ge­schäf­te, die schwer auf ihm las­te­ten! Bis da­hin war in sei­nem Le­ben al­les ein­fach ver­lau­fen; er hat­te fa­bri­ziert und ver­kauft, oder ein­ge­kauft, um wie­der­zu­ver­kau­fen. Heu­te er­schreck­te die Ter­rain­an­ge­le­gen­heit, sei­ne Be­tei­li­gung an der Fir­ma A. Po­pi­not & Co., die Ein­lö­sung der in Um­lauf ge­setz­ten Wech­sel über hun­dert­sech­zig­tau­send Fran­ken, wo­für er not­ge­drun­gen wür­de Wer­te ver­kau­fen müs­sen, was sei­ne Frau ge­wiß miß­bil­li­gen wür­de, falls nicht ein ganz un­er­war­te­ter Er­folg bei Po­pi­not ein­trat, den ar­men Mann durch die Viel­fäl­tig­keit des zu Über­den­ken­den, und er emp­fand, daß er mehr Fa­den­knäu­el in der Hand hat­te, als er hal­ten konn­te. Wie wür­de An­selm sein Schiff len­ken? Bi­rot­teau be­han­del­te Po­pi­not wie ein Pro­fes­sor der Rhe­to­rik sei­nen Schü­ler, er miß­trau­te sei­nen Fä­hig­kei­ten und be­dau­er­te, daß er nicht im­mer hin­ter ihm ste­hen konn­te. Der Fuß­tritt, den er ihm bei Vau­que­lin ver­setzt hat­te, um ihn zum Schwei­gen zu brin­gen, be­wies, wel­che Angst der jun­ge Kauf­mann dem Par­füm­händ­ler ein­flö­ßte. Bi­rot­teau sorg­te da­für, daß we­der sei­ne Frau, noch sei­ne Toch­ter, noch sein Kom­mis et­was von sei­nen Sor­gen ahn­ten; aber ihm war zu­mut wie ei­nem ein­fa­chen Sei­ne-Boot­fah­rer, dem ein Mi­nis­ter plötz­lich das Kom­man­do ei­ner Fre­gat­te über­tra­gen hat. Die­se Ge­dan­ken er­zeug­ten einen Ne­bel, der sich über sei­nen we­nig zum Über­le­gen ge­eig­ne­ten Ver­stand leg­te, und er ver­such­te ver­geb­lich, sich ein kla­res Bild zu ma­chen. In die­sem Au­gen­blick zeig­te sich auf der Stra­ße ein Ge­sicht, ge­gen das er eine hef­ti­ge Ab­nei­gung emp­fand, näm­lich das­je­ni­ge sei­nes zwei­ten Haus­wirts, des klei­nen Mo­li­neux. Je­der kennt die Träu­me, in de­nen sich die Er­eig­nis­se ei­nes gan­zen Le­bens zu­sam­mendrän­gen und in de­nen oft ein phan­tas­ti­sches We­sen, der Int­ri­gant des Stücks, auf­tritt, das eine böse Bot­schaft bringt. Eine ana­lo­ge Rol­le in sei­nem Le­ben zu spie­len, schi­en Bi­rot­teau das Schick­sal Mo­li­neux über­tra­gen zu ha­ben. Was für eine teuf­li­sche Gri­mas­se hat­te die­ses Ge­sicht auf dem Fes­te ge­schnit­ten, als es mit haß­er­füll­ten Au­gen die Pracht be­trach­te­te. Cäsar er­in­ner­te sich um so mehr an den Ein­druck, den die­ser klei­ne Kni­cker, wie er ihn nann­te, auf ihn ge­macht hat­te, als Mo­li­neux ihm einen er­neu­ten Wi­der­wil­len ein­flö­ßte, in­dem er mit­ten in sei­ner Träu­me­rei vor ihm auf­tauch­te.

»Herr Bi­rot­teau«, sag­te der klei­ne Mann mit sei­ner ab­scheu­li­chen ton­lo­sen Stim­me, »wir ha­ben un­se­re An­ge­le­gen­heit nicht ord­nungs­mä­ßig er­le­digt; Sie ha­ben ver­ges­sen, un­sern klei­nen Zu­satz zu dem Ver­tra­ge zu un­ter­schrei­ben.«

Bi­rot­teau nahm den Ver­trag, um das Ver­säum­te nach­zu­ho­len. Da trat der Archi­tekt her­ein, be­grüß­te den Par­füm­händ­ler und drück­te sich mit et­was ver­le­ge­nem Ge­sicht um ihn her­um.

»Ver­ehr­ter Herr,« sag­te er end­lich lei­se zu ihm, »Sie wis­sen, wie schwer Ei­nem der An­fang bei ei­nem Ge­wer­be wird; da Sie mit mir zu­frie­den wa­ren, so wür­den Sie mich sehr ver­pflich­ten, wenn Sie mir mein Ho­no­rar aus­zah­len woll­ten.«

Bi­rot­teau, der sein Wech­sel­por­te­feuil­le leer ge­macht und sein ba­res Geld aus­ge­ge­ben hat­te, sag­te zu Cöles­tin, er sol­le ein Drei­mo­nats-Ak­zept über die zwei­tau­send Fran­ken aus­stel­len und sich eine Quit­tung dar­über ge­ben las­sen.

»Ich bin sehr froh, daß Sie die fäl­li­ge Mie­te für Ihren Nach­barn über­nom­men ha­ben«, sag­te Mo­li­neux mit heim­li­chem Spott. »Mein Por­tier hat mir heu­te früh mit­ge­teilt, daß der Frie­dens­rich­ter dort die Sie­gel an­ge­legt hat, weil der Herr Cay­ron ver­schwun­den ist.«

»Wenn ich bloß nicht we­gen der fünf­tau­send Fran­ken in An­spruch ge­nom­men wer­de«, dach­te Bi­rot­teau.

»Er galt als ein tüch­ti­ger Ge­schäfts­mann«, sag­te Lour­dois, der eben her­ein­ge­tre­ten war, um dem Par­füm­händ­ler sei­ne Rech­nung zu prä­sen­tie­ren.

»Ein Kauf­mann ist vor Na­cken­schlä­gen erst si­cher, wenn er sich zu­rück­ge­zo­gen hat«, sag­te der klei­ne Mo­li­neux und fal­te­te sei­nen Ver­trag mit pein­li­cher Sorg­falt zu­sam­men.

Der Archi­tekt be­trach­te­te den klei­nen Al­ten mit dem Ver­gnü­gen, das je­der Künst­ler emp­fin­det, wenn er eine sol­che Ka­ri­ka­tur sieht, die sei­ne An­sicht über die Bour­geois be­kräf­tigt.

»Wenn man den Kopf un­ter einen Schirm hält, so denkt man ge­wöhn­lich, daß er ge­schützt ist, wenn es reg­net«, sag­te der Archi­tekt.

Mo­li­neux ex­ami­nier­te den Schnurr­bart und die Flie­ge des Archi­tek­ten viel ge­nau­er als sein Ge­sicht, und er dach­te eben­so ver­ächt­lich über Grin­dot, wie die­ser über ihn. Er blieb aber noch, um ihm beim Ab­schied einen Tat­zen­hieb zu ver­set­zen. In­fol­ge sei­nes Zu­sam­men­le­bens mit den Kat­zen hat­te Mo­li­neux in sei­nem We­sen wie in sei­nem Blick et­was von der Na­tur die­ser Tie­re an­ge­nom­men.

Jetzt tra­ten Ra­gon und Pil­ler­ault ein.

»Wir ha­ben über un­se­re An­ge­le­gen­heit mit dem Rich­ter ge­spro­chen,« sag­te Ra­gon lei­se zu Cäsar; »er ist der An­sicht, daß man bei ei­nem sol­chen Spe­ku­la­ti­ons­ge­schäft eine Quit­tung der Ver­käu­fer ha­ben und die Ab­ma­chun­gen rea­li­sie­ren müs­se, wenn wir alle tat­säch­lich Ei­gen­tü­mer sein …«

»Ach, Sie ma­chen das Ter­rain­ge­schäft bei der Ma­de­lei­ne,« sag­te Lour­dois; »man spricht schon da­von, da wird es bald an ein Häu­ser­bau­en ge­hen!«

Und der Stu­ben­ma­ler, der ei­gent­lich sei­ne Rech­nung sich pünkt­lich be­zah­len las­sen woll­te, hielt es für vor­teil­haf­ter, den Par­füm­händ­ler nicht zu drän­gen.

»Ich habe Ih­nen hier mei­ne Rech­nung ge­bracht, weil wir am Jahres­schlus­se ste­hen,« sag­te er lei­se zu Cäsar, »aber ich brau­che jetzt kein Geld.«

»Aber was ist dir denn, Cäsar?« sag­te Pil­ler­ault, als er die Über­ra­schung sei­nes Nef­fen be­merk­te, der, ver­blüfft über den Be­trag der Rech­nung, we­der Ra­gon noch Lour­dois ant­wor­te­te.

»Ach, eine Lap­pa­lie! Ich habe für fünf­tau­send Fran­ken Wech­sel für mei­nen Nach­barn, den Schirm­händ­ler, ak­zep­tiert, der bank­rott ist. Wenn er mir fau­le Wech­sel ge­ge­ben hat, wer­de ich wie ein dum­mer Jun­ge hin­ein­ge­fal­len sein.«

»Ich habe es Ih­nen schon im­mer ge­sagt,« rief Ra­gon aus: »wer am Er­trin­ken ist, der klam­mert sich noch an die Bei­ne des ei­ge­nen Va­ters an, um sich zu ret­ten, und geht dann mit ihm zu­sam­men un­ter. Ich habe schon so vie­le Fal­lis­se­ments mit an­ge­se­hen! Wenn das Un­glück an­fängt, dann ha­ben sie ja nicht ge­ra­de­zu die Ab­sicht, be­trü­ge­risch zu han­deln, nach­her aber zwingt sie die Not dazu.«

»Das ist rich­tig«, sag­te Pil­ler­ault.

»Ach, wenn ich je­mals De­pu­tier­ter wer­den soll­te, oder wenn ich ir­gend­wie Ein­fluß bei der Re­gie­rung hät­te …«, sag­te Bi­rot­teau, er­hob sich auf den Fuß­spit­zen und ließ sich wie­der auf die Ha­cken zu­rück­fal­len.

»Was wür­den Sie denn dann tun?« frag­te Lour­dois, »Sie sind ja ein klu­ger Mann.«

Mo­li­neux, den jede Dis­kus­si­on über eine Rechts­fra­ge in­ter­es­sier­te, blieb wei­ter im La­den ste­hen; und da die Auf­merk­sam­keit an­de­rer an­ste­ckend wirkt, so hör­ten Pil­ler­ault und Ra­gon, die Cäsars An­sicht schon kann­ten, eben­so ernst wie die drei Frem­den zu.

»Ich wür­de ver­lan­gen,« sag­te der Par­füm­händ­ler, »daß eine Kam­mer mit un­ab­setz­ba­ren Rich­tern und ei­nem Staats­an­walt über den Schul­di­gen zu Ge­richt säße. Nach der Un­ter­su­chung, bei der ein Rich­ter selbst die jet­zi­gen Funk­tio­nen der Agen­ten, Syn­di­ci und kom­missa­ri­schen Rich­ter aus­zuü­ben hät­te, müß­te der Kauf­mann ent­we­der für einen re­ha­bi­li­tier­ba­ren Kon­kurs­schuld­ner oder für einen Bank­rot­teur er­klärt wer­den. Im ers­ten Fal­le wäre er ver­pflich­tet, alle Schul­den zu be­zah­len; er wäre nur der Treu­hän­der sei­nes Ver­mö­gens und des­je­ni­gen sei­ner Frau; denn sei­ne For­de­run­gen, sei­ne Er­ban­sprü­che, – al­les ge­hört den Gläu­bi­gern; er wür­de für ihre Rech­nung und un­ter Kon­trol­le han­deln und könn­te sein Ge­schäft wei­ter be­trei­ben, wenn er sei­ner Un­ter­schrift den Zu­satz bei­fügt: im Kon­kurs bis zur völ­li­gen Til­gung sei­ner Schul­den. Ist er aber Bank­rot­teur, so muß er, wie es frü­her war, ver­ur­teilt wer­den, an der Bör­se zwei Stun­den mit ei­ner grü­nen Müt­ze auf dem Kop­fe am Pran­ger zu ste­hen. Sein Ver­mö­gen und das sei­ner Frau und sei­ne For­de­run­gen wer­den den Gläu­bi­gern zu­ge­spro­chen und er selbst wird des Lan­des ver­wie­sen.«

»Da wür­de die Kauf­mann­schaft et­was mehr ge­si­chert sein,« sag­te Lour­dois, »und man wür­de sich die Ge­schäf­te, auf die man sich ein­läßt, zwei­mal an­se­hen.«

»Selbst das gel­ten­de Ge­setz wird nicht be­folgt«, sag­te Cäsar er­regt. »Von hun­dert Kauf­leu­ten sind mehr als fünf­zig in ih­rem Ge­schäft mit fünf­und­sieb­zig Pro­zent in Un­ter­bi­lanz, oder ver­kau­fen ihre Ware fünf­und­zwan­zig Pro­zent un­ter dem Ein­kaufs­prei­se und rui­nie­ren so den Han­del.«

»Der Herr hat recht,« sag­te Mo­li­neux, »das gel­ten­de Ge­setz ist zu dehn­bar. Ent­we­der völ­li­ge Her­ga­be oder In­fa­m­er­klä­rung.«

»So wie die Sa­chen jetzt lau­fen,« sag­te Cäsar, »wird der Kauf­mann wahr­haf­tig nächs­tens ein Pa­tent auf den Be­trug ha­ben. Mit sei­ner Un­ter­schrift kann er je­der­mann die Kas­se aus­lee­ren.«

»Sie re­den recht deut­lich, Herr Bi­rot­teau«, sag­te Lour­dois.

»Er hat recht«, sag­te der alte Ra­gon.

»Alle Fal­li­ten sind ver­däch­tig«, sag­te Cäsar, der sich über den klei­nen Ver­lust är­ger­te, der ihm in den Ohren klang wie der ers­te Ton des Ha­la­li dem Hir­sche.

In die­sem Au­gen­blick brach­te der Ge­schäfts­füh­rer die Rech­nung von Che­vet. Dann kam ein Lehr­ling von Fe­lix, ein Kell­ner aus dem Café de Foy und Col­li­nets Kla­ri­net­tist mit den Rech­nun­gen ih­rer Fir­men.

»Die be­kann­te ›Vier­tel­stun­de Ra­be­lais‹«, sag­te Ra­gon lä­chelnd.

»Sie ha­ben wirk­lich ein schö­nes Fest ge­ge­ben«, sag­te Lour­dois.

»Ich bin jetzt be­schäf­tigt«, sag­te Cäsar zu den Ro­ten, die ihre Rech­nun­gen zu­rück­lie­ßen.

»Herr Grin­dot,« sag­te Lour­dois, als er sah, wie der Archi­tekt den Wech­sel, den Bi­rot­teau un­ter­zeich­net hat­te, zu­sam­men­fal­te­te, »Sie kön­nen mei­ne Rech­nung be­stä­ti­gen und be­zah­len las­sen; Sie brau­chen sie nur durch­zu­se­hen, die Prei­se ha­ben Sie ja in Herrn Bi­rot­te­aus Auf­trag mit mir ver­ein­bart.«

Pil­ler­ault sah Lour­dois und Grin­dot an.

»Wenn die Prei­se zwi­schen Archi­tekt und Un­ter­neh­mer ab­ge­macht sind,« sag­te er lei­se zu sei­nem Nef­fen, »dann bist du übers Ohr ge­hau­en.«

Grin­dot ent­fern­te sich, Mo­li­neux folg­te ihm und sag­te mit ge­heim­nis­vol­ler Mie­ne zu ihm:

»Mein Herr, vor­hin ha­ben Sie mir wohl zu­ge­hört, aber Sie ha­ben mich nicht ver­stan­den: ich wün­sche Ih­nen einen Re­gen­schirm.«

Grin­dot er­schrak. Je il­le­ga­ler ein Ge­winn ist, um so mehr hängt der Mensch an ihm. Das Men­schen­herz ist nun ein­mal so be­schaf­fen. Der Her­stel­lung der Woh­nung hat­te sich der Künst­ler mit Lie­be an­ge­nom­men, er hat­te all sein Kön­nen und sei­ne Zeit dar­auf ver­wen­det, er hat­te sich für zehn­tau­send Fran­ken Mühe ge­macht, und nun soll­te er der Narr sei­nes Ei­gen­nut­zes sein; denn die Un­ter­neh­mer hat­ten ihn ohne große Mühe auf ihre Sei­te ge­bracht. Das durch­schla­gen­de Ar­gu­ment und die wohl­ver­stan­de­ne Dro­hung, ihm durch Ver­leum­dung scha­den zu wol­len, wa­ren we­ni­ger wirk­sam ge­we­sen, als Lour­dois’ Be­mer­kung über die Ter­rains bei der Ma­de­lei­ne; da­bei dach­te Bi­rot­teau nicht dar­an, hier auch nur ein ein­zi­ges Haus bau­en zu las­sen, er spe­ku­lier­te nur auf das Stei­gen der Ter­rain­prei­se. Die Archi­tek­ten und die Un­ter­neh­mer ste­hen zu­ein­an­der in dem­sel­ben Ver­hält­nis wie die Au­to­ren zu den Schau­spie­lern, ei­ner ist vom an­dern ab­hän­gig. Grin­dot, von Bi­rot­teau be­auf­tragt, den Preis aus­zu­be­din­gen, stell­te sich auf die Sei­te der Leu­te vom Hand­werk ge­gen die Bour­geois. Des­halb er­klär­ten ihn auch die drei rei­chen Un­ter­neh­mer, Lour­dois, Chaf­faroux und Thor­ein für »einen gu­ten Kerl, mit dem es ein Ver­gnü­gen sei, zu ar­bei­ten«. Grin­dot be­schlich die Ah­nung, daß ihre Rech­nun­gen, an de­nen er einen Ge­winnan­teil hat­te, eben­so wie sein ei­ge­nes Ho­no­rar, mit Wech­seln be­zahlt wer­den wür­den, und die Wor­te des klei­nen Al­ten hat­ten Zwei­fel über de­ren Ein­lö­sung in ihm auf­stei­gen las­sen. Grin­dot woll­te un­er­bitt­lich vor­ge­hen, ge­gen die Bour­geois sind Künst­ler am grau­sams­ten.

Ge­gen Ende De­zem­ber hat­te Cäsar Rech­nun­gen über sech­zig­tau­send Fran­ken zu be­zah­len. Fe­lix, das Café du Foy, Tan­ra­de und die klei­ne­ren Gläu­bi­ger, die bar be­zahlt wer­den müs­sen, hat­ten schon drei­mal zu dem Par­füm­händ­ler ge­schickt. Im Ge­schäfts­le­ben sind sol­che Lap­pa­li­en ge­fähr­li­cher als ein Un­glück: sie kün­di­gen eins an. Be­kannt ge­wor­de­ne Ver­lus­te sind be­grenzt, aber eine Pa­nik kennt kei­ne Gren­zen. Bi­rot­teau sah, daß sei­ne Kas­se leer war. Da pack­te ihn, dem so et­was wäh­rend sei­nes gan­zen ge­schäft­li­chen Le­bens noch nie­mals pas­siert war, die Angst. Wie al­len Leu­ten, die lan­ge Zeit hin­durch nie­mals das Elend ge­kannt ha­ben und die schwach sind, ver­wirr­te die­ser im Le­ben der meis­ten klei­nen Pa­ri­ser Kauf­leu­te so ge­wöhn­li­che Zu­stand Cäsar den Kopf. Er gab Cöles­tin den Auf­trag, sei­nen Kun­den die Rech­nung zu schi­cken; be­vor der Kom­mis das aber aus­führ­te, ließ er sich die­sen ihm un­ver­ständ­li­chen Be­fehl zwei­mal ge­ben. Die Kli­en­ten, die­se da­mals vom De­tail­lis­ten ih­ren Kun­den ge­ge­be­ne vor­neh­me Be­zeich­nung, de­ren sich auch Cäsar, trotz des Wi­der­spruchs sei­ner Frau, be­dien­te, die schließ­lich zu ihm ge­sagt hat­te: nenn sie mei­net­we­gen, wie du willst, wenn sie nur be­zah­len! – Die­se Kli­en­ten also wa­ren rei­che Leu­te, bei de­nen kein Ver­lust zu be­fürch­ten war, die nach ih­rem Be­lie­ben zahl­ten und bei de­nen Cäsar häu­fig fünf­zig- bis sech­zig­tau­send Fran­ken aus­ste­hen hat­te. Der zwei­te Kom­mis nahm das De­bi­to­ren­kon­to vor und be­gann die größ­ten Aus­stän­de aus­zu­zie­hen. Cäsar scheu­te sich vor sei­ner Frau. Um sie sei­ne Nie­der­ge­schla­gen­heit, die ihm die­ser »Sa­mum« von Wi­der­wär­tig­kei­ten ver­ur­sach­te, nicht mer­ken zu las­sen, be­schloß er, aus­zu­ge­hen.

»Gu­ten Tag, Herr Bi­rot­teau«, sag­te Grin­dot, der ein­ge­tre­ten war, in un­ge­zwun­ge­nem Ton, wie ihn die Künst­ler an­neh­men, wenn sie von ge­schäft­li­chen Din­gen re­den wol­len, die ih­nen an­geb­lich fremd sind. »Ich kann Ihren Wech­sel auf kei­ne Wei­se zu Geld ma­chen und ich muß Sie bit­ten, mir ba­res Geld statt des­sen zu ge­ben; es tut mir au­ßer­or­dent­lich leid, daß ich dazu ge­nö­tigt bin, aber ich woll­te doch nicht zu ei­nem Wu­che­rer ge­hen und Ihre Un­ter­schrift aus­bie­ten; ich ver­ste­he ge­nug von Ge­schäf­ten, um zu wis­sen, daß sie da­durch ent­wer­tet wer­den wür­de; es liegt also in Ihrem ei­ge­nen In­ter­es­se …«

»Lei­ser, wenn ich bit­ten darf, Herr Grin­dot,« sag­te Bi­rot­teau ver­blüfft, »Sie set­zen mich aufs äu­ßers­te in Er­stau­nen.«

Jetzt er­schi­en Lour­dois.

»Lour­dois, ver­ste­hen Sie das? …«

Bi­rot­teau stock­te. Der arme Mann war im Be­griff, Lour­dois zu bit­ten, Grin­dots Wech­sel zu neh­men, in­dem er sich mit dem gu­ten Glau­ben ei­nes selbst­ge­wis­sen Kauf­manns über Grin­dot lus­tig ma­chen woll­te; aber er be­merk­te eine Wol­ke auf Lour­dois’ Stirn und er er­schrak über sei­ne Un­vor­sich­tig­keit. Ein sol­cher un­schul­di­ger Scherz konn­te einen nicht mehr si­che­ren Kre­dit zu­grun­de rich­ten. Ein rei­cher Kauf­mann nimmt in sol­chem Fal­le sei­nen Wech­sel zu­rück und bie­tet ihn nicht an­dern an. Bi­rot­teau hat­te ein Ge­fühl, als ob er einen stei­len Ab­grund vor sich sähe.

»Mein ver­ehr­ter Herr Bi­rot­teau,« sag­te Lour­dois und führ­te ihn in den hin­te­ren Teil des La­dens, »mei­ne Rech­nung ist ge­prüft, in Ord­nung be­fun­den und an­er­kannt wor­den, ich bit­te Sie, die Zah­lung für mor­gen be­reit­zu­hal­ten. Ich ver­hei­ra­te mei­ne Toch­ter mit dem jun­gen Crot­tat, ich brau­che Geld, die No­ta­re las­sen nicht mit sich han­deln, und Wech­sel habe ich noch nie­mals aus­ge­stellt.«

»Schi­cken Sie über­mor­gen her«, sag­te Bi­rot­teau stolz, der die Be­zah­lung sei­ner Rech­nun­gen er­war­te­te. »Und Sie auch, Herr Grin­dot«, sag­te er zu dem Archi­tek­ten.

»Und wes­halb nicht gleich?« sag­te der Archi­tekt.

»Ich muß mei­ne Ar­bei­ter in der Fa­brik be­zah­len«, sag­te Cäsar, der bis­her noch nie­mals eine Lüge ge­sagt hat­te.

Er nahm sei­nen Hut, um mit ih­nen zu­sam­men fort­zu­ge­hen. Aber da hiel­ten ihn der Mau­rer­meis­ter Thor­ein und Chaf­faroux auf, als er ge­ra­de die Tür schlie­ßen woll­te.

»Herr Bi­rot­teau,« sag­te Chaf­faroux, »wir brau­chen drin­gend Geld.«

»Ich be­sit­ze doch nicht die Mi­nen von Peru«, sag­te Cäsar un­ge­dul­dig und ging so schnell fort, daß er bald hun­dert Schritt von ih­nen ent­fernt war. »Da­hin­ter steckt et­was. Ver­damm­ter Ball! Sie den­ken alle, daß ich Mil­lio­nen habe. Aber Lour­dois kam mir an­ders vor als sonst,« dach­te er, »da­hin­ter muß ir­gend et­was ste­cken.«

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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