Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 32

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Wäh­rend der drei ers­ten Tage des neu­en Jah­res wur­den zwei­hun­dert Gra­tu­la­ti­ons­kar­ten an Bi­rot­teau ge­sandt. Solch ein Zustrom falscher Freund­schafts- und Ge­wo­gen­heits-Be­zeu­gun­gen ist fürch­ter­lich für Leu­te, die vom Un­glück ver­folgt wer­den. Drei­mal sprach Bi­rot­teau ver­geb­lich in dem Palais des be­rühm­ten Ban­kiers, des Barons von Nu­cin­gen, vor. Der Be­ginn des neu­en Jah­res und die da­mit ver­bun­de­nen Fest­lich­kei­ten mach­ten die Ab­we­sen­heit des Finanz­manns be­greif­lich. Beim letz­ten Mal konn­te der Par­füm­händ­ler bis zum Ar­beits­zim­mer des Ban­kiers vor­drin­gen, wo der ers­te Buch­hal­ter, ein Deut­scher, ihm sag­te, daß Herr von Nu­cin­gen erst um fünf Uhr mor­gens von ei­nem Ball bei den Kel­lers nach Hau­se ge­kom­men sei und nicht vor ein­halb zehn Uhr sicht­bar sein wür­de. Es ge­lang Bi­rot­teau, den ers­ten Buch­hal­ter für sei­ne An­ge­le­gen­heit zu in­ter­es­sie­ren, und er un­ter­hielt sich fast eine hal­be Stun­de mit ihm. Noch am sel­ben Tage schrieb ihm die­ser Mi­nis­ter des Hau­ses Nu­cin­gen, daß ihn der Baron am nächs­ten Tage, dem drei­zehn­ten, um zwölf Uhr mit­tags emp­fan­gen wol­le. Ob­wohl jede Stun­de Cäsar einen Trop­fen Wer­mut ein­flö­ßte, ver­floß der Tag doch mit ra­sen­der Ge­schwin­dig­keit. Der Par­füm­händ­ler kam im Fia­ker vor­ge­fah­ren, den er ei­ni­ge Schrit­te vor dem Ein­gang hal­ten ließ, da der Vor­hof mit Wa­gen über­füllt war. Das Herz des ar­men Men­schen preß­te sich zu­sam­men, wenn er den Glanz die­ses be­rühm­ten Hau­ses se­hen muß­te.

»Und da­bei hat er zwei­mal Bank­rott ge­macht«, sag­te er zu sich, wäh­rend er die pracht­vol­le, mit Blu­men ge­schmück­te Trep­pe hin­auf­stieg und dann die kost­bar aus­ge­stat­te­ten Räu­me durch­schritt, durch die sich die Baro­nin Del­phi­ne von Nu­cin­gen be­rühmt ge­macht hat­te. Sie woll­te durch­aus mit den reichs­ten Häu­sern des Fau­bourg Saint-Ger­main, in de­nen sie kei­nen Zu­tritt hat­te, kon­kur­rie­ren. Der Baron früh­stück­te ge­ra­de mit sei­ner Frau. Trotz­dem eine große An­zahl von Leu­ten in den Bu­re­aus auf ihn war­te­te, hat­te er er­klärt, daß du Til­lets Freun­de je­der­zeit bei ihm Zu­tritt hät­ten. Bi­rot­teau war hoff­nungs­freu­dig er­regt, als er wahr­nahm, wel­che Ver­än­de­rung die Wor­te des Barons auf dem vor­her so un­ver­schäm­ten Ge­sicht des Kam­mer­die­ners her­vor­ge­bracht hat­ten.

»Ent­schul­di­ge, mei­ne Lie­be,« sag­te der Baron zu sei­ner Frau, in­dem er sich er­hob und Bi­rot­teau leicht zu­nick­te, »der Herr hier is ein gut­ter Roya­list un ein sehr in­ti­mer Freind von di Til­let. Un dazu is er Bei­ver­ord­ne­ter im zwei­ten Be­zirk und gibt Bäl­le von asia­ti­scher Präch­tig­keit, du werst ge­wiß sei­ne Be­kannt­schaft ma­chen mit Vergnie­gen.«

»Oh, es wäre mir sehr schmei­chel­haft, bei Frau Bi­rot­teau Un­ter­richt zu neh­men, denn Fer­di­nand … (›Was,‹ dach­te der Par­füm­händ­ler, ›sie nennt ihn ganz ein­fach Fer­di­nand?‹) hat uns von die­sem Ball vol­ler Be­wun­de­rung er­zählt, die um so mehr ins Ge­wicht fällt, als er nicht leicht et­was an­er­kennt. Fer­di­nand ist ein stren­ger Kri­ti­ker, da muß schon al­les voll­kom­men ge­we­sen sein. Und wer­den Sie bald wie­der einen ge­ben?« frag­te sie mit lie­bens­wür­digs­tem Tone.

»Gnä­di­ge Frau, arme Leu­te wie wir kön­nen sich nur sel­ten ein Ver­gnü­gen gön­nen«, er­wi­der­te der Par­füm­händ­ler, der sich nicht klar dar­über war, ob das Spott oder ein ba­na­les Kom­pli­ment war. »Herr Grin­dot hat die Aus­stat­tung von Ihre Zim­mer ge­macht«, sag­te der Baron.

»Ah, Grin­dot, der net­te klei­ne Archi­tekt, der aus Rom zu­rück­ge­kom­men ist,« sag­te Del­phi­ne von Nu­cin­gen, »ich bin be­geis­tert von ihm, er macht mir ent­zücken­de Zeich­nun­gen für mein Al­bum.« Kein von ei­nem ve­ne­tia­ni­schen Hen­ker mit der pein­li­chen Fra­ge ge­fol­ter­ter Ver­schwö­rer hat sich je in den spa­ni­schen Stie­feln der Tor­tur schlim­mer be­fun­den als Bi­rot­teau in sei­nen Klei­dern. Er mach­te zu all die­sen Be­mer­kun­gen ein ko­mi­sches Ge­sicht.

»Wir ge­ben auch klei­ne Bäl­le,« sag­te der Baron und warf einen for­schen­den Blick auf den Par­füm­händ­ler, »alle Leu­te ge­ben wel­che, wie Sie sehn.«

»Wür­de Herr Bi­rot­teau nicht ohne Um­stän­de mit uns früh­stücken wol­len?« sag­te Del­phi­ne und wies auf den üp­pig be­setz­ten Tisch.

»Ich bin hier in ge­schäft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten, Frau Baro­nin, ich bin …«

»Ja,« sag­te der Baron, »er­laubst du, daß wir von die Ge­schäf­te re­den?«

Del­phi­ne nick­te zu­stim­mend und sag­te zu dem Baron: »Willst du Par­füms kau­fen?« Der Baron zuck­te mit den Ach­seln und wand­te sich Cäsar zu, der wie auf Koh­len da­stand.

»Di Til­let nimmt das greeß­te In­ter­es­se an Sie«, sag­te er.

»End­lich kom­men wir zur Sa­che«, dach­te der arme Kauf­mann.

»Mit sei­nen Brief ha­ben Sie in mei­nen Haus einen Kre­dit, der nur von die Gren­zen von mei­nen Ver­mee­gen be­schränkt is.«

Der fröh­lich ma­chen­de Bal­sam, den das Was­ser, das der En­gel Ha­gar in der Wüs­te dar­reich­te, ent­hielt, muß­te ähn­lich ge­wirkt ha­ben wie der Tau, mit dem die­se Wor­te in ver­stüm­mel­tem Fran­zö­sisch die tro­ckenen Adern des Par­füm­händ­lers er­quick­ten. Der schlaue Baron, der einen Grund ha­ben woll­te, sich auf rich­tig ge­sag­te, aber falsch ver­stan­de­ne Wor­te be­ru­fen zu kön­nen, hat­te die schau­der­haf­te Auss­pra­che der deut­schen Ju­den, die sich schmei­cheln, fran­zö­sisch zu spre­chen, bei­be­hal­ten.

»Sie sol­len ein Kon­to­kur­rent ha­ben. Wir wol­len die Sa­che so ma­chen«, sag­te mit el­säs­si­scher Ein­falt der gute, der ver­eh­rungs­wür­di­ge, der große Finanz­mann.

Bi­rot­teau zwei­fel­te jetzt an nichts mehr; er war Kauf­mann und wuß­te, daß die­je­ni­gen, die kei­ne bin­den­de Er­klä­rung ab­ge­ben wol­len, nie­mals sich auf die Ein­zel­hei­ten der Aus­füh­rung ein­las­sen. »Ich brauch Ih­nen nich zu sa­gen, daß bei die Gro­ßen wie bei die Klei­nen die Bank drei Un­ter­schrif­ten ver­langt. Also, Sie wern aus­stel­len die Wech­sel an die Or­der von un­sern Freind di Til­let, und der werd sie schi­cken am sel­ben Tage mit mei­ne Un­ter­schrift an die Bank und Sie wern ha­ben um vier Uhr den Be­trag von die Wech­sel, was Sie un­ter­schrie­ben ha­ben früh­mor­gens, zum Zins­fuß von die Bank. Ich will nischt für Kom­mis­si­on, nischt für Skon­to, gar nischt, denn ich wer ha­ben das Vergnie­gen, daß ich Ih­nen kann sein ge­fäl­lig … Aber ich stell eine Be­din­gung«, sag­te er und strich sich mit un­nach­ahm­lich schlau­er Mie­ne mit sei­nem lin­ken Zei­ge­fin­ger über die Nase.

»Sie ist im vor­aus zu­ge­stan­den, Herr Baron«, sag­te Bi­rot­teau, der an ir­gend­ei­nen Be­tei­li­gungs­an­spruch an sei­nen Ge­win­nen dach­te.

»Eine Be­din­gung, auf der ich den greeß­ten Wert lege, weil ich will, daß Frau von Nu­cin­gen, wie sie hat ge­sagt, nimmt Un­ter­richt bei Frau Bi­rot­teau.«

»Aber Herr Baron, Sie ma­chen sich über mich lus­tig, ich bit­te Sie!«

»Herr Bi­rot­teau,« sag­te der Baron mit erns­tem Ge­sicht, »es is ab­ge­macht, Sie la­den uns ein zu Ihren nächs­ten Ball, mei­ne Frau is ei­fer­süch­tig, sie will sehn Ihre Zim­mer, von die man ihr ge­sagt hat, al­les ist ge­we­sen ent­zückt.«

»Herr Baron!«

»Oh, wenn Sie nich wol­len, dann gib­t’s kei­nen Kre­dit! Sie stehn in große Gunst, Sie! Ich weiß, Sie ha­ben ge­habt den Sei­ne­prä­fekt, der hat kom­men müs­sen.«

»Herr Baron!«

»Sie ha­ben ge­habt von Pil­lar­die­re, den or­dent­li­chen Kam­mer­herrn, von Fon­taine, was, wie Sie, ge­we­sen is bles­siert … bei Saint Roch.«

»Am 13. Ven­dé­mi­aire, Herr Baron.«

»Sie ha­ben ge­habt Herrn von Las­se­bett, Herrn Fau­que­lin von de Aka­de­mie.«

»Herr Baron!«

»Tei­fel noch mal, sein Se doch nich so be­schei­den, Herr Bei­ge­ord­ne­ter, ich hab ge­hört, der Kee­nig hat ge­sagt, daß Ihr Ball …«

»Der Kö­nig?« frag­te Bi­rot­teau, konn­te aber nicht mehr dar­über er­fah­ren.

Jetzt trat ein jun­ger Mann zwang­los ins Zim­mer, des­sen Schritt, den die schö­ne Del­phi­ne von Nu­cin­gen schon von wei­tem ver­nom­men hat­te, sie stark er­rö­ten ließ.

»Gu­ten Tag, mein lie­ber de Mar­say!« sag­te der Baron von Nu­cin­gen, »set­zen Sie sich auf mei­nem Plat­ze; man hat mir ge­sagt, es is eine Rie­sen­mas­se Men­schen in mei­ne Bu­re­aus. Ich weiß, warum! Die Wort­schi­ner Mi­nen ge­ben ne Di­vi­den­de, zwei­mal so groß wies Ka­pi­tal! Ich hab de Abrech­nung be­kom­men! Se ha­ben hun­dert­tau­send Fran­ken Ren­te mehr, Frau von Nu­cin­gen! Se ken­nen sich kau­fen Gür­tel und and­re Sa­chen, was Se hübsch ma­chen, so viel Se wol­len.«

»Gro­ßer Gott! Und die Ra­g­ons ha­ben ihre Ak­ti­en ver­kauft!« rief Bi­rot­teau aus.

»Was sind das für Her­ren?« frag­te lä­chelnd der jun­ge Ele­gant.

»Mir scheint, daß die­se Lei­te« … sag­te Herr von Nu­cin­gen, der schon die Tür er­reicht hat­te und sich um­wand­te, »de Mar­say, das hier is Herr Bi­rot­teau, was Ihre Par­füms lie­fert und Bäl­le gibt von asia­ti­sche Pracht und den der Kee­nig hat de­ko­riert.«

De Mar­say nahm sein Lor­gnon und sag­te: »Ah, rich­tig. Ich wuß­te, daß das Ge­sicht mir be­kannt war. Sie wol­len wohl Ihre Ge­schäf­te mit ei­nem gu­ten Kos­me­ti­kum par­fü­mie­ren, sie ein­ölen …«

»Ach, rich­tig, die Ra­g­ons,« fuhr der Baron fort und mach­te ein är­ger­li­ches Ge­sicht, »se hat­ten e Kon­to bei mir, ich hab se wol­len ein Ver­mee­gen ver­schaf­fen, und se konn­ten nich ’n Tag län­ger war­ten.«

»Herr Baron!« rief Bi­rot­teau.

Der arme Kerl fand, daß sei­ne An­ge­le­gen­heit noch sehr un­klar war, und lief, ohne sich von der Baro­nin und de Mar­say zu ver­ab­schie­den, hin­ter dem Baron her.

Herr von Nu­cin­gen war schon auf der ers­ten Trep­pen­stu­fe, der Par­füm­händ­ler er­reich­te ihn, als er in sei­ne Bu­re­aus trat. Als er die Tür öff­ne­te, be­merk­te Herr von Nu­cin­gen eine ver­zwei­fel­te Be­we­gung der ar­men Krea­tur, die sich in einen Ab­grund ver­sin­ken sah, und sag­te: »Nu, wir sind also ei­nig! Gehn Se zu di Til­let un ma­chen Se de Sa­che mit ihn ab.«

Da Bi­rot­teau glaub­te, daß de Mar­say Ein­fluß auf den Baron hät­te, rann­te er die Trep­pe mit Win­desei­le wie­der hin­auf und schlich sich in das Spei­se­zim­mer, wo die Baro­nin und de Mar­say noch sein muß­ten; als er sie ver­ließ, war­te­te Del­phi­ne noch auf ih­ren Milch­kaf­fee. Der Kaf­fee war, wie er sah, auf­ge­tra­gen, aber die Baro­nin und der jun­ge Ele­gant wa­ren ver­schwun­den. Zu dem er­staun­ten Ge­sicht des Par­füm­händ­lers lä­chel­te der Kam­mer­die­ner, und Bi­rot­teau ging lang­sam die Trep­pe wie­der hin­ab. Er eil­te zu du Til­let; der war, wie ihm ge­sagt wur­de, bei Frau Ro­guin auf dem Lan­de. Der Par­füm­händ­ler nahm ein Ka­brio­lett und zahl­te einen Preis, für den er eben­so schnell wie mit der Post nach No­gent-sur-Mar­ne ge­fah­ren wer­den soll­te. In No­gent-sur-Mar­ne teil­te der Por­tier dem Par­füm­händ­ler mit, daß »die Herr­schaf­ten« nach Pa­ris zu­rück­ge­kehrt sei­en. Ge­bro­chen kehr­te Bi­rot­teau nach Hau­se zu­rück. Als er sei­ne Irr­fahrt sei­ner Frau und sei­ner Toch­ter er­zähl­te, war er äu­ßerst er­staunt, daß sei­ne Kon­stan­ze, die sonst bei der ge­rings­ten ge­schäft­li­chen Schwie­rig­keit wie ein Un­glücks­vo­gel auf der Stan­ge hock­te, ihn aufs lie­be­volls­te trös­te­te und ihm ver­si­cher­te, al­les wür­de gut ge­hen.

Am an­dern Mor­gen be­fand sich Bi­rot­teau schon um sie­ben Uhr in du Til­lets Stra­ße auf dem Pos­ten. Er bat den Por­tier du Til­lets, ihn mit des­sen Kam­mer­die­ner in Be­zie­hung zu set­zen, wo­bei er ihm zehn Fran­ken zu­steck­te. Da­durch er­reich­te er es, den Kam­mer­die­ner spre­chen zu kön­nen, den er er­such­te, ihn zu du Til­let hin­ein­zu­brin­gen, so­bald die­ser sicht­bar sein wür­de; da­für ließ er ihm zwei Gold­stücke in die Hand glei­ten. Die­se klei­nen Op­fer und großen De­mü­ti­gun­gen, die den Höf­lin­gen wie den Bitt­stel­lern ge­läu­fig sind, lie­ßen ihn an sein Ziel ge­lan­gen. Um ein­halb neun Uhr, als sein frü­he­rer Kom­mis sei­nen Schlaf­rock an­zog, sich aus dem traum­be­fan­ge­nen Zu­stand lang­sam wach mach­te, gähn­te, sich reck­te und da­bei sei­nen frü­he­ren Prin­zi­pal um Ent­schul­di­gung bat, be­fand sich Bi­rot­teau end­lich von An­ge­sicht zu An­ge­sicht dem ra­che­durs­ti­gen Ti­ger ge­gen­über, den er für sei­nen ein­zi­gen Freund hielt. »Las­sen Sie sich nicht stö­ren«, sag­te Bi­rot­teau. »Was wün­schen Sie denn, ›mein gu­ter Cäsar‹?« Cäsar be­rich­te­te nun mit schau­der­haf­tem Herz­klop­fen, was der Baron von Nu­cin­gen ge­sagt und ver­langt hat­te, wäh­rend du Til­let un­auf­merk­sam zu­hör­te, nach sei­nem Bla­se­balg such­te und den Kam­mer­die­ner aus­schalt, daß er nicht or­dent­lich Feu­er ge­macht habe.

Der Kam­mer­die­ner hör­te zu, ohne daß Cäsar es wahr­nahm; als er ihn end­lich be­merk­te, hielt er ver­wirrt inne und fuhr erst fort, nach­dem ihm du Til­let einen Sporn­stoß ge­ge­ben hat­te: »Wei­ter, wei­ter, ich höre zu«, sag­te der Ban­kier zer­streut. Der arme Mensch war in Schweiß ge­ba­det, der aber zu Eis wur­de, als du Til­let ihn scharf an­sah und sei­ne hel­len gold­ge­ti­ger­ten Pu­pil­len auf ihn rich­te­te, de­ren dia­bo­li­scher Glanz ihm bis ins Herz drang.

»Mein lie­ber Prin­zi­pal, die Bank hat sich ge­wei­gert, die Wech­sel zu neh­men, die von Ih­nen aus­ge­stellt und von der Fir­ma Cla­paron an Gi­gon­net mit dem Ver­merk ›oh­ne Ga­ran­tie‹ wei­ter­ge­ge­ben wor­den sind; ist das mei­ne Schuld? Wie konn­ten Sie, ein ehe­ma­li­ger Han­dels­rich­ter, eine sol­che Dumm­heit ma­chen? Ich bin in ers­ter Rei­he Ban­kier. Ich kann Ih­nen wohl Geld bor­gen, aber ich kann doch mei­ne Un­ter­schrift nicht ei­nem Re­fus der Bank aus­set­zen. Mei­ne gan­ze Exis­tenz be­ruht auf Kre­dit. Das ist bei uns al­len so. Wol­len Sie Geld ha­ben?«

»Kön­nen Sie mir so­viel ge­ben, wie ich brau­che?«

»Das kommt auf die Höhe der Sum­me an. Wie­viel brau­chen Sie?«

»Drei­ßig­tau­send Fran­ken.«

»Da fällt mir ja der Schorn­stein auf den Kopf«, sag­te du Til­let und brach in ein Ge­läch­ter aus.

Als er die­ses Ge­läch­ter wahr­nahm, glaub­te der Par­füm­händ­ler, ge­täuscht von dem Lu­xus du Til­lets, es als das La­chen ei­nes Man­nes an­se­hen zu kön­nen, für den ein sol­cher Be­trag eine Klei­nig­keit war, und at­me­te auf. Du Til­let klin­gel­te.

»Schi­cken Sie mei­nen Kas­sie­rer her­auf.«

»Er ist noch nicht da, Herr du Til­let«, ant­wor­te­te der Kam­mer­die­ner.

»Die­se Kerls ma­chen sich über mich lus­tig! Es ist halb neun, man könn­te bis da­hin be­reits Ge­schäf­te für eine Mil­li­on ge­macht ha­ben.«

Fünf Mi­nu­ten dar­auf er­schi­en Herr Le­gras.

»Wie­viel ha­ben wir in der Kas­se?«

»Nur zwan­zig­tau­send Fran­ken. Sie ha­ben Auf­trag ge­ge­ben, für drei­ßig­tau­send Fran­ken Ren­te ge­gen Kas­se zu kau­fen, die am fünf­zehn­ten zu be­zah­len sind.«

»Rich­tig, ich bin noch im Schla­fe.«

Der Kas­sie­rer warf einen schee­len Blick auf Bi­rot­teau und ent­fern­te sich.

»Wenn die Wahr­heit von der Erde ver­bannt wer­den soll­te, so wür­de sie das letz­te Wort, das sie noch zu sa­gen hät­te, ei­nem Kas­sie­rer an­ver­trau­en. Ha­ben Sie nicht an der Fir­ma des klei­nen Po­pi­not, der sich jüngst eta­bliert hat, einen An­teil?« sag­te er nach ei­ner schreck­lich lan­gen Pau­se, wäh­rend de­ren dem Par­füm­händ­ler der Schweiß von der Stir­ne rann.

»Ja,« er­wi­der­te Bi­rot­teau harm­los, »glau­ben Sie, daß Sie Wech­sel von ihm über eine er­heb­li­che Sum­me es­komp­tie­ren könn­ten?«

»Brin­gen Sie mir Ak­zep­te von ihm über fünf­zig­tau­send Fran­ken, ich wer­de sie zu ei­nem er­träg­li­chen Zins­satz bei ei­nem ge­wis­sen Gob­seck un­ter­brin­gen, der nicht schwer zu be­han­deln ist, wenn er viel Geld, und er hat viel Geld, an­zu­le­gen hat.«

Bi­rot­teau, der nicht merk­te, wie die Ban­kiers ihn, gleich ei­nem Ball, mit Ra­ketts, ei­ner dem an­dern zu­war­fen, kehr­te mit blu­ten­dem Her­zen nach Hau­se zu­rück; aber Kon­stan­ze hat­te be­reits ge­merkt, daß je­der Kre­dit aus­ge­schlos­sen war. Wenn drei Ban­kiers ab­ge­lehnt hat­ten, dann muß­ten schon alle über einen so be­kann­ten Mann, wie der Bei­ge­ord­ne­te war, sich un­ter­ein­an­der ver­stän­digt ha­ben; dement­spre­chend konn­te man auch von der Bank von Frank­reich nichts mehr er­hof­fen.

»Ver­su­che zu pro­lon­gie­ren«, sag­te Kon­stan­ze, »und geh zu Cla­paron, der ja dein Teil­ha­ber ist, und zu all de­nen, die am fünf­zehn­ten fäl­li­ge Wech­sel von dir in Hän­den ha­ben, und schla­ge ih­nen eine Pro­lon­ga­ti­on vor. Es wird dann im­mer noch Zeit sein, mit Po­pi­nots Wech­seln zu den Wu­che­rern zu ge­hen.«

»Mor­gen ist der drei­zehn­te!« sag­te Bi­rot­teau ganz ge­bro­chen.

Er hat­te, wie der Stil sei­nes Pro­spekts ge­zeigt hat, ein san­gui­ni­sches Tem­pe­ra­ment, das bei Auf­re­gun­gen und Nach­grü­beln rie­sig viel Kör­per­kraft ver­braucht und durch­aus des Schla­fes be­darf, um die­se Ver­lus­te wie­der ein­zu­brin­gen. Cäsa­ri­ne führ­te ih­ren Va­ter in den Sa­lon und spiel­te ihm, um ihn auf­zu­mun­tern, »Rous­se­aus Traum«, ein sehr hüb­sches Stück von He­rold, vor, wäh­rend Kon­stan­ze mit ei­ner Hand­ar­beit da­ne­ben saß. Der arme Mann streck­te sich auf ei­ner Ot­to­ma­ne aus, und je­des­mal, wenn er sei­nen Blick auf sei­ne Frau rich­te­te, ant­wor­te­te ihm ein lie­be­vol­les Lä­cheln; so schlief er ein.

»Der arme Mann,« sag­te Kon­stan­ze, »wel­che Qua­len ste­hen ihm noch be­vor! Wenn er sie nur aus­hal­ten kann.«

»Was ist dir denn, Mama?« sag­te Cäsa­ri­ne, als sie ihre Mut­ter in Trä­nen sah.

»Mein lie­bes Kind, ich sehe den Bank­rott kom­men. Wenn der Va­ter sei­ne Bilanz vor­le­gen muß, dür­fen wir nie­man­des Mit­leid mehr an­ru­fen. Mach dich ge­faßt dar­auf, mein Kind, ein ein­fa­ches La­den­mäd­chen zu wer­den. Wenn ich se­hen wer­de, daß du dein Ge­schick mu­tig auf dich nimmst, dann wer­de auch ich die Kraft ha­ben, ein neu­es Le­ben an­zu­fan­gen. Ich ken­ne den Va­ter, er wird sei­nen Gläu­bi­gern auch nicht einen Hel­ler ent­zie­hen, ich selbst wer­de auf mei­ne An­rech­te ver­zich­ten, es wird al­les, was wir be­sit­zen, ver­kauft wer­den. Du, mein Kind, kannst mor­gen dei­ne Schmuck­sa­chen und dei­ne Klei­der zu On­kel Pil­ler­ault brin­gen, du bist zu nichts ver­pflich­tet.«

Cäsa­ri­ne wur­de von gren­zen­lo­sem Schre­cken er­grif­fen, als sie die­se mit from­mer Selbst­ver­ständ­lich­keit ge­spro­che­nen Wor­te ver­nahm. Sie dach­te dar­an, An­selm auf­zu­su­chen, aber ihr Zart­ge­fühl sträub­te sich da­ge­gen.

Am nächs­ten Mor­gen fand sich Bi­rot­teau um neun Uhr in der Rue de Pro­vence ein, von ei­ner ganz an­de­ren Angst ge­pei­nigt als der, die er schon durch­ge­macht hat­te. Kre­dit be­an­spru­chen ist im Ge­schäfts­le­ben eine ganz ein­fa­che Sa­che. Es ge­schieht je­den Tag, daß man, wenn man et­was un­ter­nimmt, ge­nö­tigt ist, Ka­pi­tal auf­zu­trei­ben; aber Pro­lon­ga­ti­on zu ver­lan­gen, das ver­hält sich, in der kauf­män­ni­schen Ju­rispru­denz, dazu, wie das Po­li­zei­ge­richt zum Schwur­ge­richt, es ist der ers­te Schritt, der zum Bank­rott führt, wie das Ver­ge­hen zum Ver­bre­chen. Das Ge­heim­nis der Schwie­rig­keit und Un­fä­hig­keit, zu zah­len, ist aus den ei­ge­nen Hän­den in frem­de ge­ra­ten. Ein Kauf­mann lie­fert sich dem an­dern Kauf­mann an Hän­den und Fü­ßen ge­bun­den aus, und Gut­her­zig­keit ge­hört nicht zu den Tu­gen­den der Bör­se.

Der Par­füm­händ­ler, der einst mit Au­gen, die von Selbst­ver­trau­en strahl­ten, durch die Stra­ßen von Pa­ris ge­schrit­ten war, zö­ger­te jetzt, von Zwei­feln ge­plagt, zu dem Ban­kier Cla­paron hin­ein­zu­ge­hen; er be­gann all­mäh­lich zu be­grei­fen, daß bei den Ban­kiers das Herz nur ein Mus­kel ist. Cla­paron er­schi­en ihm so bru­tal in sei­ner plum­pen Lus­tig­keit, er er­in­ner­te sich so leb­haft an sein üb­les Be­neh­men, daß er da­vor zit­ter­te, ihn an­zu­spre­chen.

»Da er mehr zum nied­ri­gen Volk ge­hört, wird er viel­leicht mehr Ge­fühl ha­ben!« dies war das ers­te böse Wort, das ihm sei­ne ver­zwei­fel­te Lage ab­preß­te.

Cäsar nahm das letz­te Rest­chen Mut, das er noch in sich fühl­te, zu­sam­men und stieg die Trep­pe zu ei­nem klei­nen elen­den Zwi­schen­ge­schoß hin­auf, an des­sen Fens­tern er im Vor­bei­ge­hen grü­ne, von der Son­ne ver­bli­che­ne Vor­hän­ge be­merkt hat­te. An der Tür las er das Wort »Bu­re­aus« in schwar­zer Schrift auf ei­nem ova­len Schild aus Kup­fer; als auf sein Klop­fen nie­mand ant­wor­te­te, trat er hin­ein. Die mehr als ein­fach aus­ge­stat­te­ten Zim­mer sa­hen nach Dürf­tig­keit, Geiz oder Ver­nach­läs­si­gung aus. Kein An­ge­stell­ter war hin­ter den mes­sing­nen Git­ter­ver­schlä­gen zu se­hen, die in Ar­mes­hö­he auf un­ge­stri­che­nem Holz an­ge­bracht wa­ren und einen Raum mit schwarz ge­wor­de­nen Ti­schen und Pul­ten ab­schlos­sen. In die­sen lee­ren Bu­re­aus be­fan­den sich eine Men­ge von Tin­ten­fäs­sern, in de­nen die Tin­te ein­ge­trock­net war, und von Fe­dern, die wie von Ben­geln in Form von Son­nen­strah­len zer­schlis­sen aus­sa­hen. Au­ßer­dem la­gen Map­pen, Pa­pie­re und Druck­sa­chen, zwei­fel­los alle un­be­rührt, her­um. Der Fuß­bo­den glich dem des Sprech­zim­mers ei­ner Pen­si­on, so ab­ge­nutzt, schmut­zig und feucht war er. Das zwei­te Zim­mer, des­sen Tür die Auf­schrift »Kas­se« trug, stimm­te mit dem düs­te­ren Aus­se­hen des ers­ten Bu­re­aus über­ein. In ei­ner Ecke be­fand sich ein großer Ver­schlag von Ei­chen­holz, der mit kup­fer­far­be­nen Stri­chen ge­git­tert war, mit ei­nem be­weg­li­chen Schie­ber ver­se­hen und einen rie­si­gen ei­ser­nen Kas­ten ent­hal­tend, der of­fen­bar den Rat­ten als Tum­mel­platz diente. Die­ser Ver­schlag, des­sen Tür of­fen stand, ent­hielt noch einen Se­kre­tär von phan­tas­ti­scher Form und einen elen­den durch­lö­cher­ten, grü­nen Schreib­ses­sel mit zer­ris­se­nem Be­zug, aus dem das Pols­ter­haar wie die Perücke des Chefs in zer­zaus­ten Kork­zie­her­lo­cken her­aus­sah. Die­ses Zim­mer, frü­her an­schei­nend der Sa­lon der Woh­nung, be­vor es zum Bu­reau um­ge­wan­delt wor­den war, be­saß als Haupt­schmuck einen run­den, mit ei­ner grü­nen Tisch­de­cke ver­se­he­nen Tisch, um den alte Stüh­le in Maro­quin­le­der mit ver­blaß­ten Nä­geln stan­den. Der ziem­lich ele­gan­te Ka­min wies nichts von den schwar­zen Fle­cken, die das Feu­er macht, auf, sei­ne Plat­te war un­be­nutzt, sein Spie­gel war übel von Flie­gen be­schmutzt und paß­te zu der Uhr aus Ma­ha­go­ni­holz, die auf dem Aus­ver­kauf ir­gend­ei­nes al­ten No­tars er­stan­den war und eben­so trü­be stimm­te, wie die bei­den Leuch­ter ohne Ker­zen und der kleb­ri­ge Staub. Die maus­graue Ta­pe­te mit ei­ner rosa Bor­te ließ durch ihr ver­räu­cher­tes Aus­se­hen dar­auf schlie­ßen, daß hier die Luft durch Rau­cher ver­dor­ben wur­de. Al­les sah ge­nau so aus wie die ge­wöhn­li­chen Räu­me, die von den Zei­tun­gen »Re­dak­ti­ons­zim­mer« ge­nannt wer­den. Bi­rot­teau, der nicht un­höf­lich sein woll­te, klopf­te drei­mal leicht an die dem Ein­gang ge­gen­über­lie­gen­de Tür.

»He­rein!« rief Cla­paron, des­sen Stim­me von weit her er­klang, weil der Ban­kier sich in dem Zim­mer, in das der Par­füm­händ­ler ein­ge­tre­ten war und in dem ein hel­les Feu­er brann­te, nicht be­fand. Die­ses Zim­mer diente ihm in der Tat als Pri­vat­zim­mer. Zwi­schen dem pomp­haf­ten Empfang Kel­lers und der merk­wür­di­gen Nach­läs­sig­keit die­ses an­geb­li­chen großen Man­nes der In­dus­trie war ein Un­ter­schied wie zwi­schen Ver­sail­les und dem Wig­wam ei­nes Hu­ro­nen­häupt­lings. Der Par­füm­händ­ler hat­te die Bank­welt in ih­rer Herr­lich­keit ge­se­hen, jetzt soll­te er sie in ih­rer Er­bärm­lich­keit ken­nen­ler­nen. In ei­ner hin­ter dem Zim­mer be­find­li­chen Ni­sche, des­sen ge­sam­tes einst­mals ziem­lich ele­gan­tes Mo­bi­li­ar ab­ge­nutzt, schmut­zig, fet­tig, rui­niert, in Un­ord­nung und zer­bro­chen war in­fol­ge der Ge­wohn­hei­ten ei­nes lie­der­li­chen Le­bens, lag Cla­paron, der sich beim An­blick Bi­rot­te­aus in sei­nen schmie­ri­gen Schlaf­rock hüll­te, sei­ne Pfei­fe weg­leg­te und die Vor­hän­ge des Bet­tes mit ei­ner Ge­schwin­dig­keit zu­zog, die bei dem un­schul­di­gen Par­füm­händ­ler über sei­ne Sitt­lich­keit Zwei­fel er­we­cken muß­te.

»Set­zen Sie sich doch, Herr Bi­rot­teau«, sag­te die­ses Spott­bild ei­nes Ban­kiers.

Cla­paron, ohne Perücke, mit ei­nem schief­sit­zen­den Tuch um den Kopf, er­schi­en Bi­rot­teau um so ab­schre­cken­der, als der Schlaf­rock, wenn er sich öff­ne­te, eine Art von wei­ßer ge­strick­ter Un­ter­ja­cke se­hen ließ, die durch über­mä­ßig lan­ges Tra­gen braun ge­wor­den war.

»Wol­len Sie mit mir früh­stücken?« sag­te Cla­paron, der sich an den Ball des Par­füm­händ­lers er­in­ner­te und sich gleich­zei­tig re­van­chie­ren und mit die­ser Ein­la­dung Bi­rot­teau aus­wei­chen woll­te.

In der Tat be­fand sich auf ei­nem run­den Ti­sche, der in Eile von sei­nen Pa­pie­ren be­freit wor­den war, eine hüb­sche Zu­sam­men­stel­lung von Pas­te­te, Aus­tern, Weiß­wein und den üb­li­chen in Cham­pa­gner ge­koch­ten Nie­ren, de­ren Sau­ce ge­ron­nen war. Das Stein­koh­len­feu­er be­leuch­te­te eine Ome­let­te mit Trüf­feln.

Zwei Ge­de­cke, mit ih­ren von dem Sou­per des ver­gan­ge­nen Abends fle­cki­gen Ser­vi­et­ten, hät­ten schließ­lich auch der reins­ten Un­schuld die Au­gen ge­öff­net.

»Es soll­te je­mand zu mir kom­men, aber die­ser Je­mand hat sich ge­drückt«, sag­te der schlaue Rei­sen­de so laut, daß es eine in sei­nem Bett ver­steck­te Per­son hö­ren muß­te.

»Herr Cla­paron,« sag­te Bi­rot­teau, »ich bin aus­schließ­lich in Ge­schäfts­an­ge­le­gen­hei­ten hier und wer­de Sie nicht lan­ge auf­hal­ten.«

»Ich bin über­las­tet,« er­wi­der­te Cla­paron und zeig­te auf sein Zy­lin­der­bu­reau und die mit Pa­pie­ren über­häuf­ten Ti­sche, »man läßt mir nicht einen frei­en Au­gen­blick, um zu mir zu kom­men. Ich neh­me ei­gent­lich nur am Sonn­abend Be­such an, aber für Sie, ver­ehr­ter Herr, bin ich im­mer zu spre­chen! Mir bleibt gar kei­ne Zeit mehr für die Lie­be und den Bum­mel, ich ver­lie­re die fei­ne Nase für die Ge­schäf­te; die ver­langt eine wohl­ver­teil­te Muße. Ich kom­me nicht mehr dazu, un­tä­tig auf den Bou­le­vards zu fla­nie­ren. Ach, die Ge­schäf­te lang­wei­len mich, ich will nichts mehr von Ge­schäf­ten hö­ren; Geld habe ich ge­nug, aber Ver­gnü­gen kann man nie ge­nug ha­ben. Wahr­haf­tig, ich rei­se fort, ich muß Ita­li­en se­hen! Ach, das ge­lieb­te Ita­li­en, auch in sei­nem Nie­der­gang noch schön, die­ses an­be­tungs­wür­di­ge Land, wo ich si­cher­lich eine mol­li­ge und doch ma­je­stä­ti­sche Ita­li­e­ne­rin fin­den wer­de! Ich habe die Ita­li­e­ne­rin­nen im­mer ge­liebt! Ha­ben Sie nie eine Ita­li­e­ne­rin ge­habt? Nein? Nun, dann be­glei­ten Sie mich nach Ita­li­en. Wir wer­den Ve­ne­dig se­hen, den eins­ti­gen Sitz der Do­gen, das recht üb­ler Wei­se in die schlau­en Hän­de Ös­ter­reichs ge­ra­ten ist, das von Kunst kei­ne Ah­nung hat! Also las­sen wir die Ge­schäf­te bei­sei­te, die Kanä­le, die An­lei­hen und die Re­gie­run­gen. Ich bin ein gu­ter Kerl, wenn ich die Ta­schen voll Geld habe. Also rei­sen wir, Don­ner noch mal!«

»Ein ein­zi­ges Wort, Herr Cla­paron, und ich gehe«, sag­te Bi­rot­teau. »Sie ha­ben mei­ne Wech­sel an Herrn Bi­dault wei­ter­ge­ge­ben.«

»Sie wol­len sa­gen Gi­gon­net, den gu­ten klei­nen Gi­gon­net, einen ku­lan­ten Mann, so ku­lant wie … wie eine Schlei­fe.«

»Ja­wohl,« fuhr Cäsar fort, »ich woll­te … und hier­bei rech­ne ich auf Ihre Ehren­haf­tig­keit und Ihr Zart­ge­fühl …«

Cla­paron ver­neig­te sich.

»Ich woll­te um Pro­lon­ga­ti­on bit­ten.«

»Un­mög­lich,« ant­wor­te­te der Ban­kier kurz, »ich bin nicht al­lein bei die­sem Ge­schäft be­tei­ligt. Wir bil­den einen Rat, eine rich­ti­ge Kam­mer, in der man sich aber ver­stän­digt, wie Speck­stücke im Ofen. Oh, ver­dammt, wie wird da be­ra­ten! Die Ter­rains an der Ma­de­lei­ne be­deu­ten ja nichts, wir ar­bei­ten noch an­ders­wo. Ach, mein Bes­ter, wenn wir uns nicht auch bei den Champs-Elysées, um die Bör­se, die bald fer­tig sein wird, im Vier­tel Saint-La­za­re und in Ti­vo­li be­tei­ligt hät­ten, dann stän­den wir nicht, wie der di­cke Nu­cin­gen sagt, ›mit­ten in die Ge­schäf­te drin‹. Was ist denn die Ma­de­lei­ne-An­ge­le­gen­heit? Eine klei­ne Dreck­sa­che.

Pfui! Wir kni­ckern nicht, mein Lie­ber«, sag­te er, schlug Bi­rot­teau auf den Bauch und faß­te ihn um die Tail­le. »Vor­wärts, wir wol­len früh­stücken und plau­dern«, fuhr Cla­paron fort, um sei­ne Ab­leh­nung zu mil­dern.

»Gern«, sag­te Bi­rot­teau und dach­te bei sich: »Um so schlim­mer für den Gast«, wäh­rend er sich vor­nahm, Cla­paron be­trun­ken zu ma­chen, um her­aus­zu­be­kom­men, wer in Wahr­heit sei­ne Teil­ha­ber bei ei­ner An­ge­le­gen­heit, die ihm all­mäh­lich im­mer dunk­ler er­schi­en, wa­ren.

»Schön! Vic­toire!« rief der Ban­kier.

Auf die­sen Ruf er­schi­en eine wah­re Si­byl­le, her­aus­ge­putzt wie ein Fisch­weib.

»Sa­gen Sie den Kom­mis, daß ich für nie­man­den zu spre­chen bin, auch nicht für Nu­cin­gen, die Kel­lers, Gi­gon­net oder an­de­re!«

»Es ist nur Herr Lem­per da.«

»Mag er die gan­ze lie­be Ge­sell­schaft emp­fan­gen. Der Pö­bel soll nicht wei­ter als ins ers­te Zim­mer kom­men. Er soll sa­gen, daß ich nach­zu­den­ken habe über einen großen Schluck aus der Pul­le … aus der Cham­pa­gner­pul­le.«

Ei­nen frü­he­ren Ge­schäfts­rei­sen­den be­trun­ken zu ma­chen, ist ein Ding der Un­mög­lich­keit. Cäsar hat­te die leb­haf­ten Aus­drücke schlech­ten Tons für An­zei­chen von Trun­ken­heit ge­hal­ten, als er ver­such­te, sei­nen Teil­ha­ber aus­zu­hor­chen.

»Die­ser nie­der­träch­ti­ge Ro­guin steht mit Ih­nen im­mer noch in Ver­bin­dung,« sag­te Bi­rot­teau, »möch­ten Sie ihm nicht schrei­ben, daß er ei­nem al­ten Freun­de, den er be­tro­gen hat, hel­fen sol­le, ei­nem Man­ne, mit dem er all­sonn­täg­lich zu­sam­men am Tisch ge­ses­sen hat und mit dem er seit zwan­zig Jah­ren be­kannt war?«

»Ro­guin? … ein Dumm­kopf! Sein An­teil ge­hört uns. Sei­en Sie nicht so trau­rig, mein Bes­ter, al­les wird noch gut wer­den. Be­zah­len Sie am fünf­zehn­ten, und bei nächs­ter Ge­le­gen­heit wol­len wir wei­ter se­hen. Wenn ich sage, wir wol­len se­hen … (ein Glas Wein!) so mei­ne ich, die Geld­sa­chen ge­hen mich ab­so­lut nichts an. Wenn Sie nicht zah­len – ich wer­de Ih­nen kein schie­fes Ge­sicht des­halb zie­hen, für mich kommt nur eine Kom­mis­si­ons­ge­bühr beim An- und Ver­kauf in die­ser Sa­che in Fra­ge, ab­ge­se­hen von dem, was ich bei den Grund­be­sit­zern her­aus­schla­ge … Ver­ste­hen Sie? Ihre Teil­ha­ber sind si­che­re Leu­te, ich brau­che also kei­ne Angst zu ha­ben, ver­ehr­ter Herr. Heut­zu­ta­ge müs­sen die Ge­schäf­te auf meh­re­re ver­teilt wer­den! Je­des Ge­schäft er­for­dert das Zu­sam­men­wir­ken von so viel Ka­pa­zi­tä­ten! Be­tei­li­gen Sie sich doch an un­sern Ge­schäf­ten. Was soll der Klein­kram mit Po­ma­den und Käm­men, da kommt nichts da­bei her­aus! Das Pub­li­kum müs­sen Sie sche­ren, in die Spe­ku­la­ti­on müs­sen Sie mit hin­ein­ge­hen.«

»Die Spe­ku­la­ti­on?« sag­te der Par­füm­händ­ler, »was ist das für ein Ge­schäft?«

»Das ist das ab­strak­te Ge­schäft,« er­wi­der­te Cla­paron, »ein Ge­schäft, das nach der Äu­ße­rung des großen Nu­cin­gen, die­ses Na­po­le­ons der Finanz, noch etwa zwölf Jah­re ein Ge­heim­nis blei­ben wird, und bei dem ei­ner die Ge­schäf­te in ih­rer To­ta­li­tät um­faßt und die Ge­win­ne vor­weg­nimmt, be­vor sie noch exis­tie­ren, eine gi­gan­ti­sche Kon­zep­ti­on, eine Metho­de, die Er­war­tun­gen vor­her zu re­gu­lie­ren, kurz, eine neue Ge­heim­leh­re! Wir sind bis­her erst zehn bis zwölf klu­ge Köp­fe, die in die ge­hei­men Leh­ren die­ser wun­der­ba­ren Kom­bi­na­ti­on ein­ge­weiht sind.«

Cäsar sperr­te Au­gen und Ohren auf bei dem Ver­such, die­se kom­pli­zier­te Aus­drucks­wei­se zu ver­ste­hen.

»Sol­che Haupt­schlä­ge«, sag­te Cla­paron nach ei­ner Pau­se, »er­for­dern Män­ner, wis­sen Sie. Da ist so ein Mensch mit Ide­en, der aber kei­nen Sou be­sitzt, wie alle Men­schen mit Ide­en. Die­se Leu­te den­ken und ge­ben al­les acht­los von sich. Stel­len Sie sich ein Schwein vor, das im Ge­hölz nach Trüf­feln sucht! Hin­ter ihm her geht ein Schlau­kopf, ein Mensch mit Geld, der ab­war­tet, bis er das Grun­zen ver­nimmt, das den Fund an­zeigt. Ist der Mensch mit Ide­en auf ir­gend­ei­ne gute Sa­che ge­sto­ßen, dann klopft ihm der Mensch mit Geld auf die Schul­ter und sagt: Was hast du denn da? Du rennst da mit­ten ins Feu­er hin­ein, mein Bes­ter, dazu bist du nicht wi­der­stands­fä­hig ge­nug; hier sind tau­send Fran­ken, laß mich da­mit die Sa­che in Sze­ne set­zen. Schön! Da­rauf ruft der Ban­kier die In­dus­trie­leu­te zu­sam­men. Ans Werk, Freun­de! Pro­spek­te! Es muß auf Le­ben und Tod den Leu­ten et­was vor­ge­macht wer­den! Man nimmt die Jagd­hör­ner und bläst aus Lei­bes­kräf­ten: Hun­dert­tau­send Fran­ken für fünf Sous! Oder, fünf Sous für hun­dert­tau­send Fran­ken, Gold­mi­nen, Koh­len­mi­nen. Beim Han­del ist schließ­lich al­les Schwin­del. Man kauft sich Män­ner der Wis­sen­schaft oder der Kunst, mar­schiert in Pa­ra­de auf, das Pub­li­kum ist zu­frie­den und die Ein­nah­men ha­ben wir. Das Schwein wird mit Kar­tof­feln wie­der in sei­nen Stall ge­sperrt und die an­dern wäl­zen sich auf den Kas­sen­schei­nen. So geht es zu, Ver­ehr­tes­ter. Be­tei­li­gen Sie sich an den Ge­schäf­ten. Was wol­len Sie sein? Schwein, Pu­ter, Hans­wurst oder Mil­lio­när? Über­le­gen Sie sichs, ich habe Ih­nen die Theo­rie der mo­der­nen An­lei­hen for­mu­liert. Be­su­chen Sie mich nur, Sie wer­den stets einen gu­ten, im­mer ver­gnüg­ten Kerl fin­den. Die fran­zö­si­sche Jo­via­li­tät, gleich­zei­tig wür­dig und lus­tig, ist den Ge­schäf­ten nicht hin­der­lich, im Ge­gen­teil! Män­ner, die mit ein­an­der knei­pen, ver­stän­di­gen sich leicht! Bit­te, noch ein Glas Cham­pa­gner? Oh, das ist ein gut ge­pfleg­ter! Die­sen Wein hat mir je­mand di­rekt aus Eper­nay ge­schickt, für den ich viel zu gu­ten Prei­sen ver­kauft habe. (Ich war frü­her im Wein­ge­schäft.) Er zeigt sich nun er­kennt­lich und denkt an mich, wo es mir gut geht. Das ge­schieht sel­ten.«

Bi­rot­teau, über­rascht von dem Leicht­sinn und der Sorg­lo­sig­keit die­ses Men­schen, den alle Welt für er­staun­lich tief und fä­hig hielt, wag­te nicht wei­ter zu fra­gen. Aber in der ver­wir­ren­den Er­re­gung, in die ihn der Cham­pa­gner ver­setzt hat­te, er­in­ner­te er sich doch ei­nes Na­mens, den du Til­let ge­nannt hat­te, und frag­te, wer der Ban­kier Gob­seck wäre und wo er woh­ne.

»Sind Sie schon so weit, lie­ber Herr?« sag­te Cla­paron. »Gob­seck ist eben­so­gut Ban­kier, wie der Hen­ker von Pa­ris Arzt ist. Sein ers­tes Wort ist: fünf­zig Pro­zent; er ge­hört zur Schu­le Har­pa­gons, er bie­tet Ih­nen Ka­na­ri­en­vö­gel, aus­ge­stopf­te Schlan­gen, Pel­ze im Som­mer und Nan­king im Win­ter an. Und was für Si­cher­hei­ten wol­len Sie ihm bie­ten? Wenn er Ihre un­ge­deck­ten Wech­sel neh­men soll, dann müs­sen Sie ihm Ihre Frau, Ihre Toch­ter, Ihren Re­gen­schirm und al­les ähn­li­che bis zu Ih­rer Hutschach­tel, Ihren Über­schu­hen, Schau­feln, Pin­zet­ten und dem Holz in Ihrem Kel­ler aus­lie­fern! … Gob­seck, Gob­seck! Un­glücks­mensch! Wer hat Sie denn an die­se Finanz­guil­lo­ti­ne ge­wie­sen?«

»Herr du Til­let.«

»Ah, die­ser Kerl, dar­an er­ken­ne ich ihn! Wir sind mal be­freun­det ge­we­sen. Aber wir ha­ben uns so über­wor­fen, daß wir uns nicht mehr grü­ßen, und Sie kön­nen mir glau­ben, daß mein Ab­scheu ge­gen ihn be­grün­det ist; er hat mich auf dem Grun­de sei­ner dre­cki­gen See­le le­sen las­sen, er hat mich auf dem schö­nen Ball, den Sie ge­ge­ben ha­ben, un­ver­schämt be­han­delt; ich kann ihn nicht aus­ste­hen mit sei­nem ge­schnie­gel­ten Äu­ße­ren; und al­les, weil er eine No­tars­frau hat! Mar­qui­sen könn­te ich ha­ben, ich, wenn ich woll­te; mei­ne Ach­tung kann er sich nie wie­der er­wer­ben! Oh, mei­ne Ach­tung ist eine Prin­zes­sin, die nie­mals wie­der zu ihm ins Bett stei­gen wird. Aber Sie sind ein Spaß­vo­gel, Dicker­chen, daß Sie uns einen sol­chen Ball ge­ben und zwei Mo­na­te spä­ter Pro­lon­ga­tio­nen ver­lan­gen! Sie kön­nen’s noch weit brin­gen. Wol­len wir nicht ge­mein­sa­mes Ge­schäft ma­chen? Sie ha­ben einen gu­ten Ruf, da­von kann ich pro­fi­tie­ren. Oh, du Til­let, der paßt zu Gob­seck. Er wird hier mal ein bö­ses Ende neh­men. Wenn er, wie man sagt, das ›Lam­m‹ des al­ten Gob­seck ist, wird es nicht lan­ge mit ihm dau­ern. Gob­seck lau­ert in sei­nem Net­ze wie eine alte Spin­ne, die in der Welt weit her­um­ge­kom­men ist. Frü­her oder spä­ter heißt es: aus! Der Wu­che­rer schluckt sei­nen Mann hin­un­ter, wie ich die­ses Glas Wein. Um so bes­ser! Du Til­let hat mir einen Streich ge­spielt … oh, einen Streich, für den er ge­henkt zu wer­den ver­dien­te.«

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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