Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 18

8

Оглавление

Herr Mo­li­neux war ein klei­ner ko­mi­scher Ren­tier, wie sol­che nur in Pa­ris exis­tie­ren, eben­so wie eine ge­wis­se Art Moos nur in Is­land wächst. Die­ser Ver­gleich ist um so tref­fen­der, als die­ser Mensch ein Zwit­ter­we­sen war, das ei­nem Tier-Pflan­zen­reich an­ge­hör­te, wie es ein neu­er Mer­cier aus Cryp­to­ga­men zu­sam­men­stel­len könn­te, die auf, in, oder un­ter dem Mau­er­putz ver­schie­de­ner ei­gen­ar­ti­ger und un­ge­sun­der Häu­ser auf­spros­sen, blü­hen und ab­ster­ben, wo die­se We­sen mit Vor­lie­be er­schei­nen. Beim ers­ten An­blick zeig­te die­se dol­den­tra­gen­de Men­schen­pflan­ze, wie man mit Rück­sicht auf ihre blaue röh­ren­för­mi­ge Müt­ze, die sie be­krön­te, sa­gen kann, mit ih­rem von ei­ner grün­li­chen Hose um­klei­de­ten Sten­gel und ih­ren von Bän­der­schu­hen um­hüll­ten zwie­bel­ar­ti­gen Wur­zeln eine blas­se, glat­te Phy­sio­gno­mie, die nichts von Gift ver­riet. In die­sem merk­wür­di­gen Pro­dukt muß­te man den Leicht­gläu­bi­gen par ex­cel­lence er­ken­nen, der alle Nach­rich­ten, die die Pres­se mit ih­rer Tin­te tauft, glaubt, und der al­les ge­sagt zu ha­ben meint, wenn er sagt: Le­sen Sie nur die Zei­tung! Der Bour­geois, der ja im Grun­de durch­aus ein Freund der Ord­nung ist, re­vol­tiert stets in­ner­lich ge­gen die herr­schen­de Macht, ge­horcht ihr aber im­mer; er ist als Mas­se schwach, aber im ein­zel­nen grim­mig, ge­fühl­los wie ein Ge­richts­voll­zie­her, wenn es sich um sein Recht han­delt, aber sei­ne Vö­gel mit fri­schem Sa­men und sei­ne Kat­ze mit Fisch­grä­ten füt­ternd; ein Mensch, der das Aus­schrei­ben ei­ner Miets­quit­tung un­ter­brach, um sei­nem Ka­na­ri­en­vo­gel et­was vor­zupfei­fen, miß­trau­isch wie ein Ge­fäng­nis­wär­ter, steck­te er Geld in ir­gend­ein schlech­tes Ge­schäft, um den Ver­lust dann durch den schmut­zigs­ten Geiz wie­der ein­zu­brin­gen. Die Bös­ar­tig­keit die­ser Ba­stard­pflan­ze zeig­te sich erst beim Ge­brauch; ihre ekel­haf­te Bit­ter­keit ver­lang­te da­nach, bei ir­gend­ei­nem Ge­schäft, wo ihre In­ter­es­sen mit de­nen von Men­schen ver­knüpft wa­ren, ins Ko­chen zu ge­ra­ten. Wie alle Pa­ri­ser hat­te auch Mo­li­neux ein Herrsch­be­dürf­nis, er ver­lang­te sei­nen mehr oder we­ni­ger be­deu­ten­den An­teil am Re­gie­ren, den je­der, selbst ein Por­tier, über ein Schlachtop­fer ir­gend­wel­cher Art aus­zuü­ben wünscht, über die Frau, das Kind, den Mie­ter, den An­ge­stell­ten, das Pferd, den Hund oder den Af­fen, de­nen man, um sich schad­los zu hal­ten, die De­mü­ti­gun­gen zu­rück­gibt, die man selbst in der hö­he­ren Sphä­re, nach der man strebt, hat hin­neh­men müs­sen. Die­ser klei­ne lang­wei­li­ge Alte hat­te nun we­der Weib, noch Kind, noch Nef­fen, noch Nich­te; sei­ne Auf­war­te­frau be­han­del­te er so grob, daß er kein Aschen­brö­del aus ihr ma­chen konn­te, denn sie ver­mied jede Berüh­rung mit ihm, wenn sie ih­ren Dienst ver­rich­te­te. Sein Ver­lan­gen, zu ty­ran­ni­sie­ren, wur­de hier also nicht er­füllt; um es an­der­wei­tig zu be­frie­di­gen, hat­te er ge­dul­dig die ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen über Miets­ver­trä­ge und die Grenz­mau­ern stu­diert, hat­te sich in die Ju­rispru­denz ver­tieft, so­weit sie sich auf den Pa­ri­ser Haus­be­sitz be­zieht, und zwar mit all den un­zäh­li­gen Ne­ben­um­stän­den, wie Ser­vi­tu­ten, Steu­ern, Las­ten, Keh­rer­lohn, Tep­pichaus­hän­gen am Fron­leich­nams­fest, Ab­fluß­roh­ren, Be­leuch­tung, Vor­sprin­gen in die Bauf­lucht­li­nie, Nach­bar­schaft von ge­sund­heits­ge­fähr­den­den Fa­bri­ken. Sei­ne Mit­tel; sei­ne Tä­tig­keit, sein gan­zes Den­ken lief dar­auf hin­aus, sei­nen Be­ruf als Haus­be­sit­zer in vol­ler Kriegs­be­reit­schaft zu hal­ten; er trieb das zu sei­nem Ver­gnü­gen und das Ver­gnü­gen wur­de zu ei­ner fi­xen Idee. Er lieb­te es auch, sei­ne Mit­bür­ger ge­gen jede Ge­setz­wid­rig­keit zu be­schüt­zen; aber er hat­te nur sel­ten Ge­le­gen­heit zu Be­schwer­den, und so hat­te er sich mit sei­ner Lei­den­schaft auf sei­ne Mie­ter ge­stürzt. Sein Mie­ter wur­de sein Feind, sein Un­ter­ge­be­ner, sein Sub­jekt, sein Lehns­mann; er glaub­te ein An­recht auf sei­nen Re­spekt zu ha­ben und hielt ihn für einen un­ge­schlif­fe­nen Men­schen, wenn die­ser ihm auf der Trep­pe be­geg­ne­te, ohne ihn an­zu­spre­chen. Die Miets­quit­tun­gen schrieb er ei­gen­hän­dig aus und über­sand­te sie am Zahl­ta­ge um zwölf Uhr. Blieb der Mie­ter im Ver­zu­ge, so er­hielt er zu be­stimm­ter Stun­de die Mah­nung, dann er­folg­te so­fort die Mö­bel­be­schlag­nah­me, die Ver­ur­tei­lung in die Kos­ten – der gan­ze Ga­lopp der Rechts­mit­tel wur­de mit ei­ner Schnel­lig­keit in Be­we­gung ge­setzt, wie der Scharf­rich­ter sei­ne »Ma­schi­ne« hand­habt. Mo­li­neux be­wil­lig­te we­der einen an­dern Zahl­tag, noch einen Auf­schub; in Miet­sa­chen hat­te er an Stel­le des Her­zens einen Knor­pel. »Wenn Sie es nö­tig ha­ben, will ich Ih­nen Geld bor­gen,« sag­te er zu ei­nem zah­lungs­fä­hi­gen Man­ne, »aber Ihre Mie­te müs­sen Sie pünkt­lich be­zah­len, jede Ver­zö­ge­rung bringt einen Zins­ver­lust für mich mit sich, für den uns das Ge­setz nicht ent­schä­digt.« – Nach­dem er lan­ge die phan­tas­ti­schen Lau­nen der Mie­ter stu­diert hat­te, die nie die glei­chen wa­ren und ein­an­der in der Wei­se folg­ten, daß der Nach­fol­ger al­les wie­der an­ders ein­rich­te­te, hat­te er sich ein be­stimm­tes Prin­zip aus­ge­dacht, an dem er un­ver­brüch­lich fest­hielt. Er ließ grund­sätz­lich kei­ne Re­pa­ra­tu­ren aus­füh­ren; die Ka­mi­ne rauch­ten nicht, die Trep­pen wa­ren sau­ber, die Zim­mer­de­cken weiß, die Ge­sim­se un­ver­sehrt, die Fuß­bö­den sa­ßen fest auf ih­ren Bal­ken, der An­strich war in Ord­nung; die Sch­lös­ser wa­ren nicht äl­ter als drei Jah­re, kei­ne Fens­ter­schei­be fehl­te, Lö­cher gab es nicht, Ris­se im Fuß­bo­den wur­den nur sicht­bar beim Aus­zie­hen; wur­de ihm die Woh­nung wie­der über­ge­ben, so über­nahm er sie in Ge­gen­wart ei­nes Schlos­sers, ei­nes Ma­lers und ei­nes Gla­sers, sehr ent­ge­gen­kom­men­den Leu­ten, wie er sag­te. Dem neu­en Mie­ter stand es dann frei, die Woh­nung zu re­stau­rie­ren; wenn der Un­glück­li­che das aber mach­te, so grü­bel­te der klei­ne Mo­li­neux Tag und Nacht dar­über, wie er ihn wie­der her­aus­brin­gen kön­ne, um über die neu in Ord­nung ge­brach­te Woh­nung wie­der zu ver­fü­gen: er spio­nier­te ihn aus, er paß­te ihm auf und ließ eine gan­ze Se­rie üb­ler Ma­chen­schaf­ten ge­gen ihn los. Er kann­te alle Fi­nes­sen der Pa­ri­ser Ge­set­zes­be­stim­mun­gen über Miet­ver­trä­ge. Hän­del­süch­tig und schreib­wü­tig, ver­faß­te er sanf­te, höf­li­che Brie­fe an sei­ne Mie­ter; aber hin­ter sei­nem Stil, wie hin­ter sei­ner süß­li­chen und zu­vor­kom­men­den Mie­ne ver­barg sich die See­le ei­nes Shy­lock. Er ließ sich im­mer halb­jähr­lich vor­aus be­zah­len, um beim Ablauf des Ver­tra­ges mit Be­zug auf den lan­gen Schwanz all der dor­ni­gen Be­din­gun­gen, die er aus­ge­heckt hat­te, auf­rech­nen zu kön­nen. Er über­zeug­te sich stets, ob die ein­ge­brach­ten Mö­bel ge­nü­gend De­ckung für den Miet­zins ge­währ­ten. Über je­den neu­en Mie­ter zog er ge­naue Er­kun­di­gun­gen ein, denn ge­wis­se Be­ru­fe woll­te er nicht auf­neh­men, und der ge­rings­te Ham­mer­schlag er­schreck­te ihn. Wenn dann ein Ver­trag zu un­ter­zeich­nen war, hob er ihn erst bei sich auf und buch­sta­bier­te ihn erst acht Tage lang durch, denn er hat­te Angst vor dem »et ce­te­ra« des No­tars. Ab­ge­se­hen von sei­nen fi­xen Ide­en als Haus­be­sit­zer war Jean-Bap­tis­te Mo­li­neux ein gu­ter, hilfs­be­rei­ter Kerl, er spiel­te sei­nen Bo­ston, ohne zu schimp­fen, wenn ihn sein Mit­spie­ler im Sti­che ließ; er lach­te über das, wor­über die Bour­geois zu la­chen, re­de­te über das, wor­über sie zu re­den pfle­gen, über die Will­kürak­te der Bä­cker, die die Frech­heit hat­ten, ei­nem falsches Ge­wicht zu ver­kau­fen, über die Po­li­zei und über die hel­den­mü­ti­gen sieb­zehn Ab­ge­ord­ne­ten der Lin­ken. Er las den »Bon Sens« des Pfar­rers Mes­lier und ging zur Mes­se, da er sich zwi­schen Deis­mus und Chris­ten­tum nicht zu ent­schei­den ver­moch­te; aber die Hos­tie wies er nie­mals zu­rück und be­klag­te sich dann, daß er sich den um sich grei­fen­den An­ma­ßun­gen der Geist­lich­keit ent­zie­hen müs­se. Über die­sen Punkt schrieb er un­er­müd­lich Pe­ti­ti­ons­brie­fe an die Zei­tun­gen, die die­se we­der ab­druck­ten, noch zu­rücksand­ten. Im gan­zen war er ein acht­ba­rer Bour­geois, der am Weih­nachts­abend fei­er­lich sei­nen Holz­klo­ben ins Feu­er legt, den Drei­kö­nigs­tag fei­ert, April­scher­ze er­sinnt, bei schö­nem Wet­ter auf al­len Bou­le­vards zu se­hen ist, den Schlitt­schuh­läu­fern zu­schaut und schon um zwei Uhr, mit ei­nem But­ter­brot in der Ta­sche, auf der Place Louis XV. er­scheint, um an den Ta­gen, wo hier Feu­er­werk ab­ge­brannt wird, vornan zu ste­hen.

Der Hol­län­di­sche Hof, wo die­ser klei­ne Alte wohn­te, ist das Pro­dukt ei­ner je­ner ver­zwick­ten Ter­ra­in­spe­ku­la­tio­nen, aus de­nen man nicht mehr klug wird, so­bald es fer­tig ist. Die­ses klos­ter­ar­ti­ge Bau­werk mit in­ne­ren Ar­ka­den und Ga­le­ri­en war aus Qua­der­stei­nen er­rich­tet und am Ende des Ho­fes mit ei­nem Brun­nen ge­schmückt, aber ei­nem durs­ti­gen Brun­nen, der sein Lö­wen­maul we­ni­ger zum Spei­en von Was­ser öff­ne­te, als um alle Passan­ten um wel­ches zu bit­ten; zwei­fel­los hat­te man auch das Stadt­vier­tel Saint-De­nis mit ei­ner Art von Palais-Roy­al aus­stat­ten wol­len. Die­ser un­ge­sun­de, auf al­len vier Sei­ten von ho­hen Häu­sern um­ge­be­ne Bau ist nur am Tage et­was be­lebt; er ist das Zen­trum der dunklen Pas­sa­gen, die hier zu­sam­men­tref­fen und das Vier­tel der Hal­len mit dem Vier­tel Saint-Mar­tin durch die be­rüch­tig­te Rue Quin­cam­poix ver­bin­den, feuch­te Fuß­we­ge, in de­nen sich ei­li­ge Leu­te Rheu­ma­tis­mus ho­len; Nachts aber ist es die ein­sams­te Stel­le von Pa­ris, man möch­te es die Han­dels­ka­ta­kom­ben nen­nen. Man fin­det hier ver­schie­de­ne übel­rie­chen­de Ge­wer­be­be­trie­be, sehr we­nig Hol­län­der und vie­le Ge­würz­krä­mer. Na­tür­lich ha­ben die Zim­mer die­ses Han­del­spa­las­tes kei­ne an­de­re Aus­sicht als auf den ge­mein­sa­men Hof, nach dem alle Fens­ter ge­hen, da­her sind auch die Mie­ten hier äu­ßerst nied­rig. Herr Mo­li­neux wohn­te hier in ei­ner Eck­woh­nung, und zwar aus Ge­sund­heits­rück­sich­ten im sechs­ten Stock: die Luft war doch erst in ei­ner Höhe von sieb­zig Fuß über dem Erd­bo­den rein. Hier ge­noß der bie­de­re Haus­be­sit­zer den ent­zücken­den An­blick der Müh­len auf dem Mont­mar­tre, wenn er sich zwi­schen den Dach­rin­nen, wo er Blu­men zog, ohne Rück­sicht auf die Po­li­zei­vor­schrif­ten be­züg­lich der hän­gen­den Gär­ten des mo­der­nen Ba­by­lons, er­ging. Sei­ne Woh­nung be­stand aus vier Zim­mern, wozu noch sein kost­ba­rer Dach­bo­den in dem obers­ten Stock­werk kam: er be­saß den Schlüs­sel dazu, er ge­hör­te ihm, er hat­te ihn ein­ge­rich­tet, da­mit war für ihn in die­ser Be­zie­hung al­les in Ord­nung. Trat man bei ihm ein, so zeig­te die un­an­stän­di­ge Kahl­heit so­fort sei­nen Geiz an: im Vor­zim­mer stan­den sechs Stroh­stüh­le und ein Ka­chel­ofen, die Wän­de wa­ren mit ei­ner fla­schen­grü­nen Ta­pe­te be­klebt und mit vier auf Auk­tio­nen ge­kauf­ten Sti­chen ge­schmückt; im Spei­se­zim­mer be­fan­den sich zwei Schrän­ke, zwei Vo­gel­bau­er voll Vö­gel, ein mit Wachs­tuch über­zo­ge­ner Tisch, ein Baro­me­ter, eine Fens­ter­tür, die nach den hän­gen­den Gär­ten hin­aus­führ­te, und mit Roß­haar­stoff über­zo­ge­ne Ma­hago­ni­stüh­le; der Sa­lon hat­te klei­ne Fens­ter­vor­hän­ge aus al­ter grü­ner Sei­de und wei­ße, mit grü­nem Ut­rech­ter Sam­met über­zo­ge­ne Mö­bel. Das Schlaf­zim­mer des al­ten Jung­ge­sel­len hat­te Mö­bel im Stil Lud­wigs XV., die in­fol­ge des lan­gen Ge­brauchs so aus­sa­hen, daß eine in Weiß ge­klei­de­te Dame Furcht ge­habt hät­te, sich auf ih­nen schmut­zig zu ma­chen. Der Ka­min war mit ei­ner von zwei Säu­len ge­tra­ge­nen Uhr ge­schmückt, zwi­schen de­nen ein Zif­fer­blatt als Posta­ment für eine lan­zen­schwin­gen­de Pal­las diente: eine my­tho­lo­gi­sche Dar­stel­lung. Der Fuß­bo­den war mit Schüs­seln vol­ler Spei­se­res­te für die Kat­zen so be­deckt, daß man be­fürch­ten muß­te, hin­ein­zu­tre­ten. Über ei­ner Kom­mo­de aus Ro­sen­holz hing ein Pas­tell­bild (Mo­li­neux als jun­ger Mann). Dazu ei­ni­ge Bü­cher, Ti­sche mit ge­mei­ner grü­ner Pap­pe be­deckt und auf ei­ner Kon­so­le sei­ne aus­ge­stopf­ten se­li­gen Ka­na­ri­en­vö­gel; das Bett end­lich ver­brei­te­te eine Käl­te, daß es einen Kar­me­li­ter­mönch ab­ge­schreckt hät­te.

Cäsar Bi­rot­teau war ent­zückt von der aus­ge­such­ten Höf­lich­keit Mo­li­neux’, den er in ei­nem grau­en Schlaf­rock vor­fand, wie er sei­ne Milch über­wach­te, die auf ei­nem Blechwär­mer in ei­nem Ka­min­win­kel stand, und sein Kaf­fee­was­ser, das in ei­nem klei­nen grü­nen ir­de­nen Topf koch­te und das er in klei­nen Por­tio­nen in sei­ne Kaf­fee­kan­ne goß. Um sei­nen Haus­wirt nicht zu be­mü­hen, hat­te der Schirm­händ­ler Bi­rot­teau die Tür ge­öff­net. Mo­li­neux be­saß eine große Hochach­tung vor den Bür­ger­meis­tern und Bei­ge­ord­ne­ten von Pa­ris, die er »sei­ne städ­ti­schen Of­fi­zie­re« nann­te. Als er den Kom­mu­nal­be­am­ten er­blick­te, er­hob er sich und blieb mit dem Käpp­chen in der Hand ste­hen, bis sich der große Bi­rot­teau ge­setzt hat­te.

»Nein, ver­ehr­ter Herr; ja, ver­ehr­ter Herr; ach, mein ver­ehr­ter Herr, wenn ich ge­ahnt hät­te, daß mir die Ehre zu­teil wer­den wür­de, im Scho­ße mei­ner be­schei­de­nen Pe­na­ten ein Mit­glied der Pa­ri­ser städ­ti­schen Ver­wal­tung emp­fan­gen zu sol­len, sei­en Sie über­zeugt, daß ich es mir zur Pf­licht ge­macht hät­te, mei­ner­seits Sie auf­zu­su­chen, ob­gleich ich Ihr Haus­be­sit­zer bin, oder we­nigs­tens im Be­grif­fe bin, es zu wer­den.« Bi­rot­teau deu­te­te an, daß er sein Käpp­chen wie­der auf­set­zen möch­te. »Nein, das tue ich nicht, ich set­ze es nicht eher auf, als bis Sie Platz ge­nom­men und sich selbst be­deckt ha­ben, falls Sie etwa er­käl­tet sein soll­ten; mein Zim­mer ist et­was kalt, mei­ne be­schei­de­nen Ein­künf­te ge­stat­ten mir nicht … Zur Ge­sund­heit, Herr Bei­ge­ord­ne­ter.«

Bi­rot­teau hat­te ge­niest, als er sei­nen Ver­trag her­vor­such­te. Er über­reich­te ihn, nicht ohne hin­zu­zu­fü­gen, um alle Ver­zö­ge­run­gen zu ver­hin­dern, daß Herr Ro­guin, der No­tar, ihn auf sei­ne Kos­ten auf­ge­setzt habe.

»Ich be­strei­te nicht etwa die glän­zen­den Fä­hig­kei­ten des Herrn Ro­guin, ein un­ter dem Pa­ri­ser No­ta­ri­at wohl­be­kann­ter Name; aber ich habe so mei­ne klei­nen Ge­wohn­hei­ten, ich be­sor­ge mei­ne Ge­schäf­te selbst, eine ent­schuld­ba­re Ei­gen­heit, und mein No­tar ist …«

»Aber un­ser Ge­schäft ist ja ein so ein­fa­ches«, sag­te der Par­füm­händ­ler, der an die schnel­len Ent­schei­dun­gen der Kauf­leu­te ge­wöhnt war.

»Ein so ein­fa­ches?« rief Mo­li­neux aus. »In Miet­sa­chen ist nichts ein­fach. Ach, Sie sind nicht Haus­be­sit­zer, Herr Bi­rot­teau, um so bes­ser für Sie. Wenn Sie wüß­ten, bis zu wel­chem Gra­de die Mie­ter es an Ent­ge­gen­kom­men feh­len las­sen, und was für Vor­sichts­maß­re­geln wir tref­fen müs­sen! Hö­ren Sie, da hat­te ich einen Mie­ter …«

Und Mo­li­neux er­zähl­te eine Stun­de lang, wie der Zeich­ner Gan­drin die Wach­sam­keit sei­nes Por­tiers in der Rue Saint-Ho­noré ver­ei­telt hat­te. Der Herr Gan­drin hat­te Scheuß­lich­kei­ten ver­übt, die ei­nes Ma­rat wür­dig wa­ren, ob­szö­ne Zeich­nun­gen an­ge­fer­tigt, was die Po­li­zei dul­de­te, so­weit geht die Läs­sig­keit der Po­li­zei! Die­ser Gan­drin, ein von Grund aus un­mo­ra­li­scher Künst­ler, brach­te leicht­fer­ti­ge Wei­ber mit nach Hau­se und mach­te da­mit die Trep­pe un­be­nutz­bar! Ein Streich, der zu ei­nem Men­schen paß­te, der Ka­ri­ka­tu­ren auf die Re­gie­rung zeich­ne­te. Und wes­halb alle die­se Schlech­tig­kei­ten? … Weil man am 15. die Mie­te von ihm ver­lang­te! Es kam zur Kla­ge zwi­schen Gan­drin und Mo­li­neux, denn ob­wohl er nicht be­zahl­te, woll­te der Künst­ler die Woh­nung nicht räu­men. Mo­li­neux be­kam an­ony­me Brie­fe, zwei­fel­los von Gan­drin, in de­nen er mit dem Tode be­droht wur­de, wenn er sich abends in den Win­keln des Hol­län­di­schen Ho­fes bli­cken lie­ße.

»Das ging so weit, Herr Bi­rot­teau,« fuhr er fort, »daß der Herr Po­li­zei­prä­fekt, dem ich mei­ne Not klag­te … (ich habe da­bei die Ge­le­gen­heit be­nutzt, um ihm ei­ni­ge An­re­gun­gen über Än­de­run­gen der Ge­set­ze, die sich auf die­se Ma­te­rie be­zie­hen, zu ge­ben), mich au­to­ri­siert hat, zu mei­ner per­sön­li­chen Si­cher­heit mir Pis­to­len an­zu­schaf­fen.«

Der klei­ne Alte stand auf und hol­te sei­ne Pis­to­len. »Hier sind sie, Herr Bi­rot­teau!« rief er aus.

»Aber von mir, lie­ber Herr, ha­ben Sie doch nichts der­glei­chen zu be­fürch­ten«, sag­te Bi­rot­teau und warf Cay­ron einen lä­cheln­den Blick zu, in dem sich et­was von Mit­leid über einen sol­chen Men­schen mal­te.

Mo­li­neux, der die­sen Blick be­merkt hat­te, fühl­te sich be­lei­digt durch eine sol­che Kund­ge­bung von Sei­ten ei­nes städ­ti­schen Be­am­ten, der doch die sei­ner Ver­wal­tung Un­ter­ste­hen­den schüt­zen müß­te. Was er je­dem an­dern ver­zie­hen hät­te, konn­te er Bi­rot­teau nicht ver­zei­hen.

»Ver­ehr­ter Herr,« be­gann er wie­der in tro­ckenem. Tone, »ei­ner der ge­ach­tets­ten Han­dels­rich­ter, ein Bei­ge­ord­ne­ter, ein eh­ren­wer­ter Kauf­mann braucht sich mit sol­chen Klei­nig­kei­ten, denn es sind Klei­nig­kei­ten, nicht zu be­fas­sen. Aber in dem hier vor­lie­gen­den Fal­le kommt das Durch­bre­chen ei­ner Mau­er in Be­tracht, zu dem Ihr Haus­wirt, der Herr Graf von Grand­ville, sei­ne Ge­neh­mi­gung er­tei­len muß, es muß eine Ab­re­de ge­trof­fen wer­den, daß der Durch­bruch nach Ablauf der Miet­zeit wie­der be­sei­tigt wird; schließ­lich ist der Miet­zins un­ge­wöhn­lich nied­rig, er muß stei­gen, die Place Ven­dô­me wird sich im Wer­te he­ben, sie tut das schon! Die Rue Cas­tiglio­ne wird ge­baut wer­den! Ich bin­de mich … ich bin­de mich …«

»Kom­men wir zu ei­nem Ende«, sag­te der ver­blüff­te Bi­rot­teau. »Wie­viel ver­lan­gen Sie? Ich bin ge­nü­gend Ge­schäfts­mann, um zu wis­sen, daß alle Ihre Be­den­ken vor dem wich­ti­ge­ren Be­den­ken, wie­viel ich zah­le, zum Schwei­gen ge­bracht wer­den. Also, wie­viel ver­lan­gen Sie?«

»Ich stel­le nur eine an­ge­mes­se­ne For­de­rung, Herr Bei­ge­ord­ne­ter. Auf wie lan­ge wol­len Sie mie­ten?«

»Auf sie­ben Jah­re«, er­wi­der­te Bi­rot­teau.

»Was wird nicht in sie­ben Jah­ren mein ers­ter Stock für einen Wert ha­ben!« sag­te Mo­li­neux. »Wie teu­er wer­den dann zwei mö­blier­te Zim­mer in die­sem Vier­tel be­zahlt wer­den? Vi­el­leicht mit mehr als zwei­hun­dert Fran­ken mo­nat­lich! Ich bin­de mich, ich bin­de mich durch einen sol­chen Ver­trag. Wir wol­len also den Miet­zins auf fünf­zehn­hun­dert Fran­ken fest­set­zen. Bei die­sem Miet­preis er­klä­re ich mich da­mit ein­ver­stan­den, daß die bei­den Zim­mer von der Miet­woh­nung des Herrn Cay­ron hier«, sag­te er und warf einen schee­len Blick auf den Händ­ler, »ab­ge­trennt wer­den, und wil­li­ge in einen Miet­ver­trag mit Ih­nen auf sie­ben hin­ter­ein­an­der fol­gen­de Jah­re. Die Kos­ten des Durch­bruchs tra­gen Sie, nach­dem Sie mir die Ein­wil­li­gung und den Ver­zicht auf alle Rech­te sei­tens des Herrn Gra­fen von Grand­ville über­ge­ben ha­ben. Für al­les, was bei die­sem klei­nen Durch­bruch pas­siert, haf­ten Sie und über­neh­men die Ver­pflich­tung, die Mau­er, so­weit sie mich an­geht, wie­der­her­zu­stel­len, wo­für ich eine Ent­schä­di­gung von fünf­hun­dert Fran­ken, so­fort zahl­bar, ver­lan­ge: das ge­schieht um Le­bens oder Ster­bens wil­len, ich will hin­ter nie­man­dem her­lau­fen, wenn ich mei­ne Mau­er wie­der­her­stel­len muß.«

»Die­se Be­din­gun­gen hal­te ich für im gan­zen an­ge­mes­sen«, sag­te Bi­rot­teau.

»Fer­ner«, fuhr Mo­li­neux fort, »zah­len Sie mir sie­ben­hun­dert­fünf­zig Fran­ken, hic et nunc, die erst auf die letz­ten sechs Mo­na­te Ih­rer Miet­zeit ver­rech­net wer­den, wor­über im Ver­tra­ge quit­tiert wird. Im üb­ri­gen neh­me ich auch Wech­sel, mit dem Ver­merk ›Va­lu­ta in Mie­te‹ zu mei­ner Si­cher­heit, die Sie auf be­lie­bi­ge Da­ten aus­stel­len kön­nen. In Ge­schäf­ten bin ich kurz und bün­dig. Wir wol­len noch fest­le­gen, daß die Tür nach mei­ner Trep­pe ge­schlos­sen wird, die Sie zu be­nut­zen kei­ner­lei Recht ha­ben … und zwar auf Ihre Kos­ten … und zu­ge­mau­ert wird. Aber sei­en Sie un­be­sorgt, für die Wie­der­her­stel­lung nach Ablauf des Miet­ver­tra­ges be­an­spru­che ich kei­ne Ent­schä­di­gung; sie gilt als in den fünf­hun­dert Fran­ken mit ein­be­grif­fen. Sie wer­den sich über­zeu­gen, daß ich im­mer ge­recht bin.«

»Wir Kauf­leu­te sind nicht so pein­lich,« sag­te der Par­füm­händ­ler, »bei ei­ner sol­chen Beo­b­ach­tung von For­ma­li­tä­ten käme kein Ge­schäft zu­stan­de.«

»Oh, im Han­del ist das et­was ganz an­de­res, und be­son­ders im Par­fü­me­rie­han­del, wo al­les wie am Schnür­chen geht«, sag­te der klei­ne Alte mit sau­rem Lä­cheln. »Aber in Miet­sa­chen, Herr Bi­rot­teau, ist in Pa­ris nichts un­er­heb­lich. Se­hen Sie, da hat­te ich in der Rue Mon­tor­gueil einen Mie­ter …«

»Lie­ber Herr,« sag­te Bi­rot­teau, »ich bin un­tröst­lich, daß ich Sie bei Ihrem Früh­stück auf­hal­te: hier ist der Ver­trag, än­dern Sie ihn, ich be­wil­li­ge al­les, was Sie ver­lan­gen; mor­gen wol­len wir ihn un­ter­zeich­nen, es ge­nügt, wenn wir uns heu­te un­ser Wort ge­ben, denn mor­gen muß mein Archi­tekt mit der Ar­beit be­gin­nen.«

»Herr Bi­rot­teau,« fing Mo­li­neux mit ei­nem Blick auf den Schirm­händ­ler wie­der an, »der Ter­min ist ver­stri­chen und Herr Cay­ron will die Mie­te nicht be­zah­len, wir wol­len den Be­trag zu sei­nen Wech­seln hin­zu­schla­gen, dann läuft Ihr Ver­trag von Ja­nu­ar bis Ja­nu­ar. Das paßt dann bes­ser.«

»Schön«, sag­te Bi­rot­teau.

»Dann wäre noch der Sou pro Fran­ken für den Por­tier …«

»Aber,« sag­te Bi­rot­teau, »Sie schlie­ßen mich ja von der Trep­pe und dem En­tree aus, da wäre es doch un­bil­lig …«

»Oh, Sie sind eben Mie­ter,« sag­te ka­te­go­risch der klei­ne Mo­li­neux, der sein Ste­cken­pferd ritt, »Sie müs­sen auch Ihren An­teil an der Tür- und Fens­ter­steu­er und an den Ab­ga­ben tra­gen. Wenn wir über al­les dies ei­nig sind, ver­ehr­ter Herr, dann gibt es kein Be­den­ken mehr. Sie wol­len sich er­heb­lich ver­grö­ßern, die Ge­schäf­te ge­hen wohl gut?«

»Ja­wohl«, sag­te Bi­rot­teau. »Aber hier­für liegt ein an­de­rer Grund vor. Ich habe ei­ni­ge Freun­de ein­ge­la­den, ei­ner­seits zur Fei­er der Be­frei­ung des Lan­des, dann um mei­ne Auf­nah­me un­ter die Rit­ter der Ehren­le­gi­on fest­lich zu be­ge­hen …«

»Ah, ah,« sag­te Mo­li­neux, »eine wohl­ver­dien­te Be­loh­nung.«

»Ja,« sag­te Bi­rot­teau, »ich habe mich viel­leicht die­ser Aus­zeich­nung und al­ler­höchs­ten Gna­de wür­dig er­wie­sen, als Mit­glied des Han­dels­ge­richts und als Kämp­fer für die Sa­che der Bour­bo­nen auf den Stu­fen von Saint-Roch am 13. Ven­dé­mi­aire, wo ich von Na­po­le­on ver­wun­det wur­de; die­se An­sprü­che …«

»Gel­ten eben­so­viel wie die uns­rer tap­fern Sol­da­ten der al­ten Ar­mee. Das Or­dens­band ist rot, weil es in das ver­gos­se­ne Blut ge­taucht ist.«

Auf die­se dem Con­sti­tu­tion­nel ent­nom­me­nen Wor­te konn­te Bi­rot­teau nicht um­hin, den klei­nen Mo­li­neux ein­zu­la­den, der sich in Dan­kes­be­zeu­gun­gen er­goß und sich be­reit fühl­te, ihm sei­ne Ge­ring­schät­zung zu ver­ge­ben. Er be­glei­te­te sei­nen neu­en Mie­ter bis zur Trep­pe und über­häuf­te ihn mit höf­li­chen Re­dens­ar­ten. Als sich Bi­rot­teau mit Cay­ron in der Mit­te des Hol­län­di­schen Ho­fes be­fand, warf er sei­nem Nach­barn einen spöt­ti­schen Blick zu.

»Ich habe nicht ge­dacht, daß es so be­schränk­te Men­schen gibt!« sag­te er, in­dem er die Be­zeich­nung »dum­me« un­ter­drück­te.

»Ach, ver­ehr­ter Herr,« sag­te Cay­ron, »es kön­nen eben nicht alle so be­gabt sein wie Sie.« – In Ge­gen­wart des Herrn Mo­li­neux durf­te sich Bi­rot­teau für einen über­le­ge­nen Men­schen hal­ten; die Ant­wort des Schirm­händ­lers ent­lock­te ihm ein freu­di­ges Lä­cheln und er ver­ab­schie­de­te sich von ihm mit ei­ner kö­nig­li­chen Ges­te.

»Hier bin ich ja bei den Markt­hal­len,« sag­te Bi­rot­teau zu sich, »da kann ich gleich das Ge­schäft mit den Nüs­sen ab­ma­chen.«

Nach­dem er eine Stun­de her­um­ge­sucht hat­te und von den Markt­frau­en nach der Rue des Lom­bards ge­wie­sen war, wo die für Zucker­werk ge­brauch­ten Nüs­se ver­kauft wur­den, er­fuhr Bi­rot­teau end­lich von sei­nen Freun­den, den Ma­ti­fats, daß die »tro­ckene Frucht« en gros nur bei ei­ner ge­wis­sen Frau An­ge­li­ka Ma­dou in der Rue Per­rin-Gas­se­lin vor­rä­tig war, dem ein­zi­gen Ge­schäft, in dem man die ech­te pro­ven­za­li­sche und die ech­te wei­ße Al­pen-Ha­sel­nuß fin­den konn­te.

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

Подняться наверх