Читать книгу Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Оноре де'Бальзак, Honoré de Balzac, Balzac - Страница 17

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Herr Grin­dot, der vor vier Jah­ren den Grand Prix der Archi­tek­tur da­von­ge­tra­gen hat­te, war eben aus Rom, nach drei­jäh­ri­gem Auf­ent­halt auf Staats­kos­ten, zu­rück­ge­kehrt. In Ita­li­en hat­te der jun­ge Künst­ler nur an die Kunst ge­dacht, jetzt, in Pa­ris, dach­te er dar­an, wie er zu Ver­mö­gen kom­men kön­ne. Die Re­gie­rung al­lein ist in der Lage, ei­nem Archi­tek­ten, der durch einen Mo­nu­men­tal­bau be­rühmt wer­den will, die er­for­der­li­chen Mil­lio­nen zu­zu­wei­sen; wenn man aus Rom kommt, hält man sich na­tür­lich für einen Fon­taine oder Per­cier, und des­halb sucht je­der ehr­gei­zi­ge Archi­tekt Füh­lung mit dem Mi­nis­te­ri­um zu be­kom­men; der als Li­be­ra­ler nach Rom Ge­schick­te war Roya­list ge­wor­den und ver­such­te nun, die Pro­tek­ti­on ein­fluß­rei­cher Leu­te zu er­lan­gen. Wenn ein »Grand Prix« so han­delt, dann nen­nen ihn sei­ne Ka­me­ra­den einen Int­ri­gan­ten. Der jun­ge Archi­tekt sah hier zwei Wege vor sich: er konn­te den Par­füm­händ­ler ohne Über­vor­tei­lung be­die­nen, oder ihn aus­beu­ten. Aber Bi­rot­teau war Bei­ge­ord­ne­ter, Bi­rot­teau war der künf­ti­ge Be­sit­zer der Hälf­te der Ter­rains an der Ma­de­lei­ne­kir­che, wo frü­her oder spä­ter ein schö­nes Stadt­vier­tel ge­baut wer­den wür­de, er muß­te also scho­nend be­han­delt wer­den. Grin­dot op­fer­te da­her den mo­men­ta­nen Ge­winn den Vor­tei­len der Zu­kunft. Er hör­te ge­dul­dig den Plä­nen, dem Ge­schwätz und den Vor­schlä­gen die­ses Mit­glie­des der Bour­geoi­sie zu, die die stän­di­ge Ziel­schei­be des Spot­tes und Wit­zes der Künst­ler, der ewi­ge Ge­gen­stand ih­rer Ver­ach­tung war, und folg­te der Ge­dan­ken­ent­wick­lung des Par­füm­händ­lers mit bei­fäl­li­gem Kopf­ni­cken. Dann als die­ser al­les breit aus­ein­an­der­ge­setzt hat­te, ver­such­te der jun­ge Archi­tekt, ihm sei­nen Plan kurz zu­sam­men­zu­fas­sen.

»Sie ha­ben an der Stra­ßen­front drei Fens­ter und das Fens­ter, das nur die Trep­pe und den Trep­pen­ab­satz er­hellt. Zu die­sen vier Fens­tern wol­len Sie die bei­den des Nach­bar­hau­ses, die das glei­che Ni­veau ha­ben, hin­zu­neh­men und durch Ver­schie­ben der Trep­pe für die gan­ze Woh­nung nach der Stra­ße hin eine Zim­mer­flucht her­stel­len.«

»Sie ha­ben mich voll­kom­men ver­stan­den«, sag­te der er­staun­te Par­füm­händ­ler.

»Wenn man Ihren Plan aus­füh­ren will, muß man für die neue Trep­pe das Licht von oben her be­schaf­fen und un­ter dem So­ckel eine Por­tier­lo­ge aus­spa­ren.«

»Ei­nen So­ckel? …«

»Ja, das ist die Un­ter­la­ge …«

»Ich ver­ste­he, Herr Grin­dot.«

»Was Ihre Woh­nung an­langt, so las­sen Sie mir mit der Ein­tei­lung und Aus­stat­tung freie Hand. Ich will, daß sie wür­dig …«

»Wür­dig! Sie ha­ben das rich­ti­ge Wort aus­ge­spro­chen, Herr Grin­dot.«

»Und wie­viel Zeit ge­wäh­ren Sie mir für die­se Aus­stat­tung?«

»Drei Wo­chen.«

»Und wel­chen Be­trag wol­len Sie den Ar­bei­tern in den Ra­chen wer­fen?« frag­te Grin­dot.

»Ja, wie teu­er wird mir denn die gan­ze Aus­füh­rung zu ste­hen kom­men?«

»Bei ei­nem Neu­bau kann ein Archi­tekt die Kos­ten bis auf einen Cen­ti­me aus­rech­nen,« er­wi­der­te der jun­ge Mann; »aber da ich mich nicht dar­auf ver­ste­he, einen Bour­geois hin­ein­zu­le­gen … (Ver­zei­hung, Herr Bi­rot­teau, das Wort ist mir so ent­schlüpft …), so muß ich Ih­nen sa­gen, daß es bei Re­pa­ra­tur- und Flick­ar­bei­ten un­mög­lich ist, die Kos­ten vor­her zu fi­xie­ren. Ich könn­te kaum in acht Ta­gen an­nä­hernd einen An­schlag ma­chen. Schen­ken Sie mir Ver­trau­en: Sie sol­len eine wun­der­hüb­sche Trep­pe mit Ober­licht be­kom­men, ein net­tes Ves­ti­bül nach der Stra­ße zu, und un­ter dem So­ckel …«

»Im­mer die­ser So­ckel …«

»Beun­ru­hi­gen Sie sich nicht, es wird sich ein Platz für die Por­tier­lo­ge fin­den. Die Her­rich­tung Ih­rer Wohn­räu­me wird mit lie­be­vol­ler Sorg­falt über­legt und aus­ge­führt wer­den. Ja, Herr Bi­rot­teau, mir geht es um die Kunst und nicht ums Geld! Ist es nicht am wich­tigs­ten für mich, daß man von mir re­det, wenn ich et­was er­rei­chen will? Und das bes­te Mit­tel dazu ist, daß man nicht mit den Lie­fe­ran­ten un­ter ei­ner De­cke steckt und mit we­nig Auf­wand Schö­nes er­zielt.«

»Bei sol­chen Grund­sät­zen, jun­ger Mann,« sag­te Bi­rot­teau mit Pro­tek­tor­mie­ne, »wer­den Sie in die Höhe kom­men.«

»Schlie­ßen Sie also«, fuhr Grin­dot fort, »mit den Mau­rern, Ma­lern, Zim­mer­leu­ten und Tisch­lern di­rekt ab. Ich über­neh­me es, ihre Rech­nun­gen zu prü­fen. Ge­wäh­ren Sie mir nur ein Ho­no­rar von zwei­tau­send Fran­ken, das wird wohl­an­ge­leg­tes Geld sein. Über­ge­ben Sie mir die Räu­me mor­gen mit­tag und be­zeich­nen Sie mir Ihre Ar­bei­ter.«

»Und wie hoch kann die Aus­ga­be sich an­nä­hernd be­lau­fen?« sag­te Bi­rot­teau.

»Auf zehn- bis zwölf­tau­send Fran­ken,« er­wi­der­te Grin­dot. »Nicht ge­rech­net das Mo­bi­li­ar, das Sie doch zwei­fel­los er­neu­ern wer­den. Ge­ben Sie mir die Adres­se Ihres Ta­pe­zie­rers, ich muß mich mit ihm we­gen der zu wäh­len­den Far­ben ver­stän­di­gen, da­mit das Gan­ze sich ein­heit­lich und ge­schmack­voll prä­sen­tiert.«

»Herr Bra­schon, Rue Saint-An­to­i­ne, emp­fängt mei­ne Auf­trä­ge«, sag­te der Par­füm­händ­ler mit der Wür­de ei­nes Her­zogs.

Der Archi­tekt schrieb sich die Adres­se in eins je­ner klei­nen No­tiz­bü­chel­chen, die im­mer das Ge­schenk ei­ner hüb­schen Frau sind.

»Also ich ver­las­se mich auf Sie, Herr Grin­dot«, sag­te Bi­rot­teau. »War­ten Sie nur noch so lan­ge, bis ich die Miets­zes­si­on we­gen der bei­den Nach­bar­zim­mer er­le­digt und die Er­laub­nis zum Durch­bre­chen der Mau­er er­hal­ten habe.«

»Schrei­ben Sie mir dar­über heu­te abend ein paar Zei­len«, sag­te der Archi­tekt. »Heu­te nacht wer­de ich die Plä­ne ent­wer­fen, wir ar­bei­ten doch noch lie­ber für die Bour­geois als pour le roi de Prus­se, das heißt für uns. Ich wer­de je­den­falls schon die Maße neh­men und die Höhe, die Di­men­sio­nen der Bil­der und die Ent­fer­nun­gen zwi­schen den Fens­tern fest­stel­len …«

»Aber wir müs­sen an dem fest­ge­setz­ten Tage fer­tig sein,« be­gann Bi­rot­teau wie­der, »sonst kann nichts dar­aus wer­den.«

»Es wird eben sein müs­sen«, sag­te der Archi­tekt. »Es wird nachts ge­ar­bei­tet wer­den, wir wer­den den An­strich künst­lich trock­nen; las­sen Sie sich nur nicht von den Un­ter­neh­mern über­vor­tei­len, ma­chen Sie die Prei­se vor­her ab, und über­zeu­gen Sie sich, daß sie in­ne­ge­hal­ten wer­den.«

»Pa­ris ist doch der ein­zi­ge Ort in der Welt, wo man solch eine Sa­che wie mit dem Zau­ber­sta­be ins Le­ben ru­fen kann,« sag­te Bi­rot­teau mit ei­ner asia­ti­schen Ges­te wie in ›Tau­send und ei­ner Nacht‹. »Sie wer­den mir die Ehre er­wei­sen, zu mei­nem Ball zu kom­men, Herr Grin­dot. Nicht alle ge­nia­len Men­schen tei­len die Miß­ach­tung, mit der man den Han­dels­stand über­häuft; Sie wer­den da si­cher einen Ge­lehr­ten ers­ter Klas­se, Herrn Vau­que­lin von der Aka­de­mie, fin­den; fer­ner Herrn von Bil­lar­diè­re, den Herrn Gra­fen von Fon­taine, Herrn Le­bas, den Rich­ter und Prä­si­den­ten des Han­dels­ge­richts; von hö­he­ren Be­am­ten den Herrn Gra­fen von Grand­ville vom obers­ten Ge­richts­hof, Herrn Po­pi­not vom Ge­richt ers­ter In­stanz, Herrn Ca­mu­sot vom Han­dels­ge­richt und Herrn Car­dot, sei­nen Schwie­ger­va­ter … und end­lich, viel­leicht, den Herrn Her­zog von Le­non­court, den ers­ten Kam­mer­herrn des Kö­nigs. Ich habe mei­ne Freun­de ein­ge­la­den, ein­mal … um die Räu­mung des Lan­des zu fei­ern … dann we­gen … mei­ner Er­nen­nung zum Rit­ter der Ehren­le­gi­on …« – Grin­dot mach­te eine ei­gen­ar­ti­ge Ge­bär­de. – »Vi­el­leicht … habe ich mich die­ser … Aus­zeich­nung und der … al­ler­höchs­ten Gna­de wür­dig ge­zeigt … als Mit­glied des Han­dels­ge­richts und als Kämp­fer für die Bour­bo­nen auf den Stu­fen von Saint-Roch, wo ich am 13. Ven­dé­mi­aire von Na­po­le­on ver­wun­det wur­de. Die­se Ver­diens­te …«

In die­sem Au­gen­blick kam Kon­stan­ze im Mor­gen­rock aus Cäsa­ri­nens Schlaf­zim­mer, wo sie sich an­ge­klei­det hat­te; ihr ers­ter Blick auf Cäsar brach­te den Re­de­fluß ih­res Man­nes so­fort zum Still­stand, der nun nach ei­ner ein­fa­che­ren Wen­dung such­te, um sei­nem Nächs­ten sei­ne Be­deu­tung in be­schei­de­ner Wei­se klarzu­ma­chen.

»Da bist du ja, mein Herz, das hier ist Herr von Grin­dot, ein aus­ge­zeich­ne­ter jun­ger Mann und ein her­vor­ra­gen­der Künst­ler. Der Herr ist der Archi­tekt, den uns Herr von Bil­lar­diè­re für die Aus­füh­rung uns­rer ›klei­nen‹ Um­än­de­run­gen hier emp­foh­len hat.«

Der Par­füm­händ­ler ver­steck­te sich bei die­sen Wor­ten hin­ter sei­ner Frau und mach­te dem Archi­tek­ten ein Zei­chen, in­dem er bei dem Wor­te »klein« den Fin­ger auf den Mund leg­te, was der Künst­ler ver­stand.

»Kon­stan­ze, der Herr will jetzt die Maße der Räu­me neh­men, laß ihn das ma­chen, mei­ne Lie­be«, sag­te Bi­rot­teau und drück­te sich auf die Stra­ße.

»Wird das denn sehr teu­er wer­den?« sag­te Kon­stan­ze zu dem Archi­tek­ten.

»Nein, gnä­di­ge Frau, sechs­tau­send Fran­ken, so un­ge­fähr …«

»So un­ge­fähr!« rief Frau Bi­rot­teau aus. »Ich bit­te Sie, lie­ber Herr, fan­gen Sie nicht an, be­vor nicht ein An­schlag und eine un­ter­zeich­ne­te fes­te Ab­ma­chung vor­lie­gen. Ich ken­ne die Art der Un­ter­neh­mer; sechs­tau­send, das will hei­ßen: zwan­zig­tau­send. Wir sind nicht in der Lage, un­sin­ni­ge Aus­ga­ben ma­chen zu kön­nen. Ich bit­te Sie, las­sen Sie mei­nem Man­ne, der ja na­tür­lich dar­über zu be­stim­men hat, Zeit zum Über­le­gen.«

»Gnä­di­ge Frau, der Herr Bei­ge­ord­ne­te hat mir auf­ge­ge­ben, die Räu­me bin­nen drei Wo­chen fer­tig­zu­stel­len; wenn wir jetzt zö­gern, so wer­den Sie Aus­ga­ben ha­ben, ohne ein Re­sul­tat zu er­zie­len.«

»Zwi­schen Aus­ga­ben und Aus­ga­ben ist ein Un­ter­schied«, sag­te die schö­ne Frau.

»Glau­ben Sie denn, gnä­di­ge Frau, daß es für einen Archi­tek­ten, der Mo­nu­men­tal­bau­ten er­rich­ten möch­te, sehr ver­lo­ckend ist, eine Pri­vat­woh­nung aus­zu­stat­ten? Ich be­fas­se mich mit sol­cher Klei­nig­keit nur, um Herrn von Bil­lar­diè­re ge­fäl­lig zu sein. Aber wenn Sie fürch­ten, daß ich …«

Er mach­te Mie­ne, sich zu ent­fer­nen.

»Also bit­te, Herr Grin­dot«, sag­te Kon­stan­ze, ging in ihr Zim­mer zu­rück und warf sich Cäsa­ri­ne an die Brust. »Ach, mein Kind, dein Va­ter rui­niert uns! Er hat sich einen Archi­tek­ten ge­nom­men, einen Men­schen mit ei­nem Schnurr­bart und ei­ner Flie­ge, der da­von re­det, daß er Mo­nu­men­te er­rich­ten will! Er wird uns das Haus zu den Fens­tern hin­aus­wer­fen und uns einen Lou­vre her­bau­en. Wenn es sich um eine Tor­heit han­delt, dann ist Cäsar im­mer da­bei; heu­te nacht erst hat er mir von dem Pro­jekt er­zählt, und heu­te früh fängt er schon mit der Aus­füh­rung an.«

»Ach, Mama, laß den Papa doch ma­chen, der lie­be Gott hat ihm doch im­mer ge­hol­fen«, sag­te Cäsa­ri­ne, küß­te ihre Mut­ter und setz­te sich an das Kla­vier, um dem Archi­tek­ten zu zei­gen, daß auch der Toch­ter ei­nes Par­füm­händ­lers die schö­nen Küns­te nicht fremd sind.

Als der Archi­tekt das Schlaf­zim­mer be­trat, war er über­rascht von der Schön­heit Cäsa­ri­nes und stand bei­na­he ver­blüfft still. Cäsa­ri­ne war aus ih­rem Zim­mer­chen im Mor­gen­rock ge­kom­men, so frisch und ro­sig, wie ein jun­ges Mäd­chen mit acht­zehn Jah­ren frisch und ro­sig ist, blond und schlank, mit blau­en Au­gen zeig­te sie dem Auge des Künst­lers jene in Pa­ris so sel­te­ne Elas­ti­zi­tät, die das zar­tes­te Fleisch schwel­len läßt und jene von den Ma­lern be­wun­der­te Far­ben­nu­an­ce, wenn das blaue Ader­netz durch die Wei­ße des Teints hin­durch scheint. Ob­gleich sie in der blut­leer ma­chen­den At­mo­sphä­re ei­nes Pa­ri­ser La­dens leb­te, in den so we­nig fri­sche Luft kommt und die Son­ne so sel­ten hin­ein­scheint, hat­ten ihre Le­bens­ge­wohn­hei­ten ihr das­sel­be Aus­se­hen ge­ge­ben, wie ei­ner Tras­te­ve­ri­ne­rin in Rom das Le­ben im Frei­en. Über­rei­ches Haar, des­sen An­satz dem ih­res Va­ters glich und das so auf­ge­nom­men war, daß der schön ge­schwun­ge­ne Hals frei blieb, fiel in sorg­sam ge­pfleg­ten Lo­cken her­ab, wie bei al­len La­den­ver­käu­fe­rin­nen, die sich durch den Wunsch, be­merkt zu wer­den, in be­zug auf ihre Toi­let­te eine ganz eng­li­sche Sorg­sam­keit an­ge­wöhnt ha­ben. Die Schön­heit des jun­gen Mäd­chens war we­der die Schön­heit ei­ner Lady, noch die ei­ner fran­zö­si­schen Her­zo­gin, son­dern die rund­li­che, rot­bä­cki­ge Schön­heit der Ru­bens­schen Flam­län­de­rin­nen. Cäsa­ri­ne hat­te die Stumpf­na­se ih­res Va­ters, aber ver­geis­tigt durch die Fein­heit der Form, ähn­lich je­nen cha­rak­te­ris­ti­schen fran­zö­si­schen Na­sen, de­ren Wie­der­ga­be Lar­gil­liè­re so gut ge­lun­gen ist. Ihre Haut, voll und stark wie ein Stoff, be­zeug­te ihre jung­fräu­li­che Le­bens­kraft. Sie hat­te die schö­ne Stirn ih­rer Mut­ter, aber ver­klärt durch den Froh­sinn ei­nes sorg­lo­sen Mäd­chens. Ihre blau­en, feucht schim­mern­den Au­gen hat­ten den Aus­druck der lie­bens­wür­di­gen An­mut ei­ner glück­li­chen Blon­di­ne. Wenn auch das Ge­fühl des Glücks ih­rem Ant­litz den poe­ti­schen An­hauch ver­sag­te, den die Ma­ler durch­aus ih­ren Schöp­fun­gen ver­lei­hen wol­len, in­dem sie sie ein we­nig zu nach­denk­lich dar­stel­len, so gab ihr doch der leich­te Aus­druck von Me­lan­cho­lie, wie ihn jun­ge Mäd­chen, die noch nie­mals sich aus der Hut der müt­ter­li­chen Fit­ti­che her­vor­ge­wagt ha­ben, zei­gen, einen idea­len Reiz. Trotz der Fein­heit ih­rer For­men war sie kräf­tig ge­baut; ihre Füße ver­rie­ten die bäu­er­li­che Her­kunft ih­res Va­ters, und sie be­wies den Man­gel an Ras­se auch wohl durch ihre ro­ten Hän­de, wie sie ein ein­fa­ches bür­ger­li­ches Le­ben zur Fol­ge hat. Frü­her oder spä­ter muß­te sie dick wer­den. Da sie un­ter der Kund­schaft ver­schie­de­ne ele­gan­te Da­men gut be­ob­ach­tet hat­te, ge­lang es ihr schließ­lich, ein fei­ne­res Ge­fühl für gute Klei­dung, ge­wis­se Aus­drücke auf ih­rem Ge­sicht, eine be­son­de­re Art, zu spre­chen und sich zu be­we­gen, sich an­zu­eig­nen, so daß sie wie eine fei­ne Dame er­schi­en und al­len jun­gen Leu­ten wie den Kom­mis, de­nen sie be­son­ders dis­tin­guiert vor­kam, den Kopf ver­dreh­te. Po­pi­not hat­te sich ge­lobt, nie eine an­de­re als Cäsa­ri­ne zu hei­ra­ten. Die­se zar­te Blon­di­ne, die schon ein Blick zu ver­wir­ren schi­en, und die bei ei­nem Wort des Vor­wurfs in Trä­nen aus­bre­chen konn­te, konn­te ihn al­lein sei­ne männ­li­che Über­le­gen­heit emp­fin­den las­sen. Die­ses rei­zen­de Mäd­chen konn­te eine sol­che Lie­be ein­flö­ßen, daß kei­ne Zeit blieb, zu prü­fen, ob sie auch Geist ge­nug be­sä­ße, um ei­ner sol­chen Lie­be Dau­er zu ver­lei­hen; aber wozu soll das, was man in Pa­ris »Geist« nennt, ei­ner Ge­sell­schafts­klas­se die­nen, de­ren Glück im we­sent­li­chen auf ge­sun­dem Men­schen­ver­stand und tu­gend­haf­tem Le­bens­wan­del be­ruht? In geis­ti­ger Be­zie­hung war Cäsa­ri­ne das durch die hin­zu­ge­kom­me­ne Er­zie­hung et­was ver­bes­ser­te Eben­bild ih­rer Mut­ter: sie lieb­te die Mu­sik, zeich­ne­te die Ma­don­na del­la Se­dia in schwar­zer Krei­de, las die Bü­cher der Da­men Cot­tin und Ric­co­bo­ni, und Ber­nar­din de Saint-Pier­re, Fé­ne­lon, Ra­ci­ne. Sie hielt sich bei ih­rer Mut­ter im Kon­tor nur kurz be­vor man zu Tisch ging auf, oder um sie aus­nahms­wei­se zu ver­tre­ten. Va­ter und Mut­ter ge­fie­len sich, wie alle die­se Par­ve­n­us, die sich be­ei­fern, die Un­dank­bar­keit ih­rer Kin­der groß­zu­zie­hen, dar­in, Cäsa­ri­ne zu ver­göt­tern, die glück­li­cher­wei­se so­viel von bür­ger­li­cher Tu­gend be­saß, daß sie die­se Schwä­che nicht miß­brauch­te.

Frau Bi­rot­teau ver­folg­te den Archi­tek­ten mit un­ru­hi­gen und be­küm­mer­ten Bli­cken, in­dem sie mit Schre­cken ihre Toch­ter auf die merk­wür­di­gen Be­we­gun­gen des Zoll­stocks, die­ses Spa­zier­stocks der Archi­tek­ten und Un­ter­neh­mer, mit de­nen Grin­dot sei­ne Maße nahm, hin­wies. Die­ser Zau­ber­stab schi­en ihr ein ver­häng­nis­vol­les Aus­se­hen von üb­ler Vor­be­deu­tung zu be­sit­zen, sie hät­te die Mau­ern we­ni­ger hoch, die Zim­mer we­ni­ger groß ge­wünscht, aber sie wag­te nicht, den jun­gen Mann zu be­fra­gen, was bei die­ser Zau­be­rei her­aus­kom­men wür­de.

»Sei­en Sie ganz be­ru­higt, gnä­di­ge Frau, ich neh­me nichts mit«, sag­te der Künst­ler lä­chelnd.

Cäsa­ri­ne muß­te mit­la­chen.

»Lie­ber Herr,« sag­te Kon­stan­ze, ohne den Scherz des Archi­tek­ten zu ver­ste­hen, mit fle­hen­der Stim­me, »sei­en Sie recht spar­sam, wir wer­den Sie spä­ter schon da­für ent­schä­di­gen …«

Be­vor er zu Mo­li­neux, dem Ei­gen­tü­mer des Nach­bar­hau­ses sich be­gab, woll­te Cäsar noch den Pri­vat­ver­trag über die Miets­ab­tre­tung, den Alex­an­der Crot­tat ihm hat­te auf­set­zen sol­len, ab­ho­len. Beim Fort­ge­hen be­merk­te Bi­rot­teau am Fens­ter von Ro­gu­ins Ar­beits­zim­mer du Til­let. Ob­gleich das Ver­hält­nis sei­nes frü­he­ren Kom­mis mit der Frau des No­tars die An­we­sen­heit du Til­lets zu der Stun­de, in der die Ter­rain­ver­trä­ge un­ter­zeich­net wer­den soll­ten, nicht auf­fal­lend er­schei­nen ließ, fühl­te sich Bi­rot­teau, trotz sei­nes un­be­grenz­ten Ver­trau­ens, be­un­ru­higt. Du Til­lets leb­haf­tes Be­neh­men ließ auf eine Dis­kus­si­on schlie­ßen. »Soll­te er auch sei­ne Fin­ger in der Sa­che ha­ben?« frag­te er sich, in­dem die kauf­män­ni­sche Vor­sicht sich bei ihm gel­tend mach­te. Ein Ver­dacht durch­zuck­te ihn wie ein Blitz. Als er sich um­wand­te, er­blick­te er Frau Ro­guin, und nun er­schi­en ihm die An­we­sen­heit des Ban­kiers nicht mehr so ver­däch­tig. – Trotz­dem frag­te er sich: »Soll­te Kon­stan­ze doch recht ha­ben? Aber was bin ich tö­richt, auf Wei­ber­ge­dan­ken ein­zu­ge­hen! Ich wer­de üb­ri­gens noch heu­te früh mit dem On­kel re­den. Von dem Hol­län­di­schen Hof, wo die­ser Herr Mo­li­neux wohnt, nach der Rue des Bour­don­nais ist es ja nur ein Kat­zen­sprung.«

Ein miß­traui­scher Beo­b­ach­ter, ein Kauf­mann, der in sei­ner Lauf­bahn schon auf et­li­che Be­trü­ger ge­sto­ßen ist, wäre ge­ret­tet ge­we­sen; aber Bi­rot­te­aus Ver­gan­gen­heit, sei­ne Un­fä­hig­keit zu In­duk­ti­ons­schlüs­sen, durch die ein über­le­ge­ner Mann zu den Grün­den ge­langt, al­les dies schlug zu sei­nem Ver­der­ben aus. Er traf den Schirm­händ­ler be­reits in Be­such­stoi­let­te und woll­te mit ihm zu dem Haus­ei­gen­tü­mer ge­hen, als Vir­gi­nia, sei­ne Kö­chin, ihn am Arme fest­hielt.

»Herr Bi­rot­teau, die gnä­di­ge Frau will nicht, daß Sie weg­ge­hen …«

»Was denn,« rief Bi­rot­teau aus, »wie­der die­se Wei­be­ri­de­en!«

»… ohne daß Sie Ihren Kaf­fee ge­trun­ken ha­ben, der auf Sie war­tet.«

»Ach so, ja rich­tig. Lie­ber Nach­bar,« sag­te Bi­rot­teau zu Cay­ron, »ich habe so viel im Kopf, daß ich gar nicht an mei­nen Ma­gen den­ke. Tun Sie mir den Ge­fal­len und ge­hen Sie vor­aus, wir tref­fen uns vor der Tür des Herrn Mo­li­neux, oder viel­leicht ge­hen Sie hin­auf und set­zen ihm die Sa­che aus­ein­an­der, dann wür­den wir noch we­ni­ger Zeit ver­lie­ren.«

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke

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