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„Meine Handschrift“


Von Heinz Hülsdünker

Die richtige Handschrift, das Malen von Buchstaben mussten wir i-Männchen mit viel Mühe und ständigem, fast unaufhörlichem Wiederholen lernen. Mit Schiefertafel und Griffel nebst feuchtem Schwamm als notwendiges Hilfsmittel fabrizierten wir Auf- und Abstriche, „Handstöcke“ und später dann erste einfache Buchstaben. „Rauf, runter, rauf, Pünktchen drauf und fertig ist das kleine i.“

Die Schiefertafel eröffnete für unser Fräulein Lehrerin die Möglichkeit, mit einem Wisch verschwinden zu lassen, was wir i-Männchen als kunstvoll gelungene und nach eigener Einschätzung in fast vollendeter Form - etwa als Hausaufgabe - anboten. Sah der eine Schüler den Wisch als Motivation, noch mehr Perfektion bei Auf- und Abstrichen zu erreichen, so war er für andere eine Missachtung des Erlernten und Geleisteten. Dabei konnte der anfängliche Enthusiasmus für Schule schon mal für Jahre verschüttet werden.

In solchen Situationen des schulischen Misserfolgs musste Schule auch schon mal kompensiert werden. Einfach entspannt rauchen – wie die Erwachsenen! Aber war das die Lösung? Im Rauchen waren mein Bruder und ich längst erprobt. Beim regelmäßigen, etwa im zwei-Wochen-Rhythmus zu erledigen Dämpfen von Kartoffeln für unsere zwei Hausschweine hatten wir viel Zeit und mit viel Feuer im „Kaupott“ hatten wir es auch zu tun. Manchmal rauchten wir dabei heimlich einen Strohhalm, aus purer Neugierde und Zeitvertreib, halt so wie die Erwachsenen sich ja auch genüsslich rauchend die Zeit vertrieben. Spätestens beim Lungenzug – auch hier ahmten wir Erwachsene nach – wurde uns dann allerdings regelmäßig schlecht. Kopf- und Bauchschmerzen sowie häufig eruptive Tätigkeit der Peristaltik ließen uns unsicher bezüglich des Wertes von Rauchen werden.


Ehemalige Volksschule Lembeck-Endeln

Ob die verspürte Wirkung vielleicht mit der Qualität des „Tabaks“ – in unserem Fall Roggenstroh – zu tun haben könnte, wollten wir herausfinden. Schnell stellte sich das Rauchen „echter“ Zigaretten als deutlich wohltuender heraus. Verabredet mit anderen Kindern schufen wir ein Zigarettendepot. Ähnlich einem Lager von Nüssen, Tannenzapfen oder Bucheckern für ein Eichhörnchen, vergruben auch wir an einem markanten Baum in direkter Nähe unserer Schule Zigaretten. Da die Wiesen und Feldraine gleichzeitig ergiebige Areale für Löwenzahn waren, konnte es aus unserer Sicht gar nicht auffällig sein, wenn wir dort auftauchten. Schließlich mussten unsere Kaninchen täglich mit frischem Futter versorgt werden. Rauchen war dann angesagt und Löwenzahn stechen wurde zur Nebensache.

Da auf dem Feld arbeitende Erwachsene unser Treiben – wahrscheinlich schon über viele Tage, vielleicht Wochen – beobachtet hatten, kam eines Tages ein Mann auf mich zu, stellte mich ob des Rauchens zur Rede und drohte für den Wiederholungsfall: „Sei ik di hier noch eenmal schmöken, kür ik met dien Vader! Un ik kenn di wal! An dien Gang sei ik we du büss! Albert is dien Vader.“ Da war das Rauchen bis auf weiteres vorbei. Eine Strafe des eigenen Vaters wollte ich mir auf keinen Fall einhandeln.

Unser Schul-Nachmittag

In unseren ersten Schuljahren waren Josef und ich immer wieder mit bestimmten, wiederkehrenden Tätigkeiten in und um den eigenen Haushalt sowie mit Arbeiten auf dem Bauernhof unseres Onkels beschäftigt. Kamen wir nach der Schulzeit pünktlich zuhause an, stand das Mittagessen immer bereit. Gewisse Unregelmäßigkeiten traten allerdings auf, wenn wir mal wieder eine Strafe absitzen mussten, beispielsweise wegen Rangeleien mit anderen Schülern auf dem Schulhof oder auf dem Nachhause-Weg des Vortages absitzen mussten. Oft hieß es: „Ihr dürft erst eine viertel Stunde nach den anderen Schülern euren Heimweg antreten“. Die anderen Schüler konnten so in Ruhe und ohne Rangeleien und Ärgern nach Hause kommen.


Heinz Hülsdünker als Brautführer von Mutters Schwester Clementine und Heinrich Giese

In dieser „Angelegenheit“ gab es allerdings einen zweigeteilten Bewertungsmaßstab bei unserer Fräulein Lehrerin. War die Strafe für Rangeleien mit Kindern aus alteingesessenen, heimischen und katholischen Familien hart und tatsächlich mit Nachsitzen verbunden, hatten wir bei ähnlichen handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Flüchtlingskindern fast einen Freibrief und blieben straffrei. Schließlich stammten diese ja aus evangelischen Familien. Die waren nach Ende des Krieges aus evangelisch dominierten Gegenden - der Diaspora - geflohen, in denen Anständige und Katholische kaum Rechte zugebilligt wurden. So hörten und glaubten wir.

Wir kamen dennoch praktisch ohne große zeitliche Verzögerung zu Hause an. Das Nachsitzen wegen eines solchen strafbewährten Intermezzos haben wir nämlich meistens wieder rausgeholt, weil wir an der Zitter-Becke auf das Bauen eines Staudamms oder das Fangen von Fröschen und Kaulquappen verzichteten. Zu zweit waren diese wasserwirtschaftlichen Tätigkeiten ja ohnehin nicht annähernd so interessant, wie wenn die halbe Klasse beteiligt war.


Die Familie von Heinz v. l.: Hintere Reihe Vater Albert und Mutter Elisabeth; vordere Reihe die Kinder Josef, Elisabeth und Heinz Hülsdünker

Unsere nachmittägliche Mitarbeit im Haushalt war klar geregelt: Zuerst Essensreste vom Mittag zu den Hühnern oder Schweinen bringen, dann Spülen, Abtrocknen und Geschirr wegstellen. Und damit das von uns angestrebte Fußballspielen auf der vor unserem Haus befindlichen, nahezu autofreien Kreisstraße, oder auf unserem eigenen, etwas beengten Fußballfeld oder das permanente Ballern gegen das immer laut scheppernde zweiteilige Eisentor nicht die Mittagsruhe der Nachbarn bzw. unserer Mutter zu sehr störte, wurden wir häufig mit weiteren Arbeiten behelligt. Dazu zählte das zwei Mal wöchentliche Ausmisten des Schweinestalls, das Dämpfen der Schweine-Kartoffeln im Vierzehn-Tage-Rhythmus sowie das stundenlange „Erpel kienen“ im dunklen Keller. Vor allem letzteres war wegen der ekelig riechenden faulenden und matschigen Kartoffeln eine sehr unbeliebte Arbeit. Häufige Gartenarbeiten wie Umgraben mit „Aalkum“ (Jauchegrube) leeren oder Löwenzahn für unsere Kaninchen stechen, deren Ställe ausmisten sowie Disteln als Futter für unsere Schweine stechen und ähnliche Arbeiten standen gefühlt immer an.

Bei all diesen Pflichten fanden wir natürlich immer Gelegenheiten zu Streichen oder auch einfältigen Dummheiten. Eine Aufzählung würde hier den Rahmen eindeutig sprengen.

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