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„Kindheit und Jugend in einem Gaststättenbetrieb“


Von Jeanette Ludwig, geb. Hülsdünker

Ich bin das letztgeborene Kind von Hugo Hülsdünker und seiner Frau Wilma, geb. Becker, die 1962, ein Jahr nach dem Tod der ersten Frau Ferdinande, geheiratet haben. Unser Vater hatte die Gaststätte Lück in der Heilig-Geist-Straße 26 nach dem Tode seiner Frau geerbt. Seine Schwiegermutter Berta Lück war auch im Jahre 1959 verstorben. Die Gaststätte war bereits im Jahre 1838 von Anton Lück gegründet worden und seitdem durch alle Kriegswirren hindurch in Familienbesitz geblieben.

Ein familiengeführter Gaststättenbetrieb klingt gut für die Gäste, bedeutet aber für die Besitzer und insbesondere ihre Kinder viel Arbeit und wenig Freizeit: Beim Gedanken an meine Kindheit in den Siebzigerjahren erinnere ich mich noch an so etwas wie ein „Familienleben“ neben der Arbeit. Dieses Leben fand jedoch nur an Montagnachmittagen statt, wenn die Kneipe geschlossen war und Vater und Mutter von ihrem allwöchentlichen Großeinkauf zurückkamen. Ich erinnere mich an Fahrradtouren durch die nahe Umgebung im Münsterland, sowie an lustige Gesellschaftsspiele – meistens Halma, Mensch-ärgere-dichnicht und Mau-Mau - mit meinem Vater und meiner fünf Jahre älteren Schwester Birgit. Vater war in Strategiespielen unschlagbar und das ließ uns oft verzweifeln.

Ein Highlight war auch jedes Jahr wieder der vierzehntägige Urlaub in Ascona am Lago Maggiore. Die Landschaft dort war wunderschön. Noch heute erinnere ich mich an die fürchterlichen Gewitter, die mir als Kind unheimlich Angst einflößten, da der Donnerhall in den Bergen sehr laut zurückschallte. Diese „Auszeit“, wenn die Wirtschaft Betriebsferien machte, war unheimlich wichtig für den Zusammenhalt der Familie.


Jeanette mit ihrem Ehemann Oliver Ludwig

Allzu viel ist ungesund!

An eine sehr lustige Begebenheit erinnere ich mich noch: Wir hatten einmal einen Kanarienvogel namens Hansi. Dieser war eines Tages von Milben befallen und musste behandelt werden. Dafür hatten wir ein weißes Pulver gekauft. Vater nahm den Vogel in die Hand und schüttete die ganze Packung über das arme Tier. Dann setzte er ihn auf die Vogelstange zurück. Hansi bekam ganz große Augen, verdrehte diese und fiel prompt von der Stange, ob dieser Überdosierung! Natürlich gab es sofort helle Aufregung, denn Hansi musste gerettet werden! Vater nahm ihn schnell aus dem Käfig heraus und hielt ihn unter fließendes Wasser. Danach wurde Hansi in ein Küchentuch gewickelt und auf die Heizung gelegt. Jeder Tierarzt hätte wohl die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber Hansi hat die Prozedur tatsächlich überlebt! Vater hatte also wohl doch auch tierärztliche Qualitäten! Die Milben war der Vogel übrigens auch los.

Ein anderes Mal hatte ich Küchendienst und musste einen Salatkopf aus dem Kühlraum im Keller holen. Gesagt, getan. Oben angekommen legte ich den Salatkopf in die Spüle und wollte ihn gerade abspülen, als eine unheimlich große, wohl von der Kälte deformierte Spinne daraus hervorkroch. Ich hatte eine unheimliche Spinnenphobie und stieß einen markerschütternden Schrei aus, auch in dem Bewusstsein, dass ich den Salatkopf die ganze Zeit vorher - mit dem Spinnenungetüm - in den Händen gehalten hatte. Vater kam sofort aus der Wirtschaft gerannt und schrie: „Was ist hier los? Seid ihr verrückt? Die Gäste haben sich erschrocken!“ Ich konnte nichts sagen und zeigte nur auf die Spüle. Vater kam näher und sah hinein. Diesen Gesichtsausdruck des Erschreckens und Ekels werde ich nie vergessen! Auch er hatte so eine komische Spinne noch nie gesehen. Natürlich musste er den Helden spielen und sie beseitigen. Das ist ihm sichtlich schwergefallen!

Trotz dieser lustigen und schönen Erinnerungen: Wenn ich an meine Kindheit und Jugend zurückdenke, muss ich leider sagen, dass mir nur wenige schöne Momente in Erinnerung geblieben sind. Meine Kindheit war geprägt von Leistungsdruck und Arbeit. So musste ich z.B. nach der Schule immer erst in der Küche oder in der Wirtschaft aushelfen, meist bis in den Nachmittag hinein, wenn meine Freundinnen schon spielen waren. Nach den Hausaufgaben durfte ich dann auch noch hinaus zum Spielen. Besonders die Wochenenden waren geprägt von viel Arbeit und nur sehr wenig Freizeit. Eigentlich hatte ich nur zwei freie Wochenenden pro Jahr in den Betriebsferien.

Abschluss: In dem Buch über ‚Hüls- und Donk-Namen‘1 von meinem Halbbruder Hajo Hülsdünker findet sich ein Kapitel über die „Kinderarbeit in der Landwirtschaft“ im 19. Jahrhundert. Meine Kindheits- und Jugenderinnerungen machen deutlich, dass diese Kinderarbeit in Familienbetrieben auch im 20. Jahrhundert noch gang und gäbe war und auch heutzutage das Jugendschutzgesetz Kinder wohl nicht vor der Ausbeutung in familiengeführten Betrieben schützt.

1 * Hülsdünker, Hajo, siehe Literaturverzeichnis, Kap. 6.1.2.4.1, S. 156 f. [Für das Literaturverzeichnis: Hülsdünker, Hajo: Ursprung und Expansion von DONK- und HÜLS-Namen. Flur-, Siedlungs- und Familiennamen am Niederrhein und im Westmünsterland, mit zwei Familienchroniken Hülsdonk (Voerde/Ostwestfalen-Lippe/USA) und Hülsdunck/Hülsdünker (Moers-Hülsdonk/Lembeck). Hamburg: tredition-Verlag, 2019.

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