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„Silvesterfeier 1952 bei Tante Agatha und Onkel Franz Reska“


Von Brunhild Schlüter, geb. Hülsdünker

Unsere Eltern (Hugo und Ferdinande) unternahmen mit uns, Vera, Hans-Josef und mir (Brunhild), einen „großen“ Ausflug nach Lembeck-Endeln, um den Jahreswechsel mit Tante Agatha, Onkel Franz und den Kindern Rudi, Herbert und Friedhelm zu feiern. Tante Agatha hatte unsere Familie eingeladen. Und so fuhren wir am 31. Dezember 1952 mit dem Zug nach Lembeck. Am „Hauptbahnhof“ Rhade stiegen wir mit Sack und Pack aus. Im Kinderwagen saß nicht nur Vaters ganzer

Stolz und Stammhalter Hans-Josef, sondern lagen auch so manche Decke, manches Kissen und Proviant. Vom Bahnhof zu Tante Agatha war es ein weiter Weg über die Landstraße. Gott sei Dank wohnten Onkel Willi und Tante Maria so ungefähr auf halber Strecke. Also statteten wir zunächst ihnen einen Besuch ab, um uns dort ein wenig auszuruhen.


Franz Reska mit seiner Frau Agatha (links) und seinen Schwägerinnen Luzi und Klara

Onkel Willi war Schneider. Vater wollte bei seinem Bruder endlich mal einen neuen Anzug bestellen. Es sollte der Erste nach dem Krieg werden. Onkel Willi nahm alle Maße von Vater, die Beiden waren damit sehr beschäftigt. Es musste ja auch ein neuer Stoff ausgesucht werden. Eine ganz große Auswahl gab es sechs Jahre nach dem Krieg allerdings noch nicht. Wichtig war, dass die Farbe des Stoffes zu allen Anlässen passte. Unsere Mutter, als gelernte Schneiderin, stand den beiden Herren mit gutem Rat zur Seite. Nachdem alles entschieden war, gesellten wir uns zu Tante Maria in ein anderes Zimmer. Tante Maria und Onkel Willi waren Eltern geworden. Dort lag zur großen Freude und Glückseligkeit der Beiden die kleine Maria, geboren am 19. Mai. Dieses kleine Mädchen begeisterte uns alle. Vera und ich durften auch mal diese kleine „Puppe“ auf den Arm nehmen. Dass unser Bruder Hans-Josef noch so klein war, war ja schon über ein Jahr her. Als Maria aber neu gewickelt wurde und etwas zu Trinken bekommen sollte, mussten wir Mädchen das Zimmer verlassen. Das konnte ich nicht verstehen. Aber mein Protest half nichts, wir mussten raus. (Stillen im Beisein von Halbwüchsigen, das ging ja zur damaligen Zeit gar nicht). Nachdem das Baby gewickelt und bei Vater alle Maße genommen waren, ging es weiter die Landstraße entlang.


Oma Hülsdünker mit Tochter Paula und Hermann Wessels

Tante Agatha und Onkel Franz hatten ein großes Haus. Wir wurden dort freudig empfangen. Mit unseren Cousins Rudi und Herbert gingen Vera und ich dann zum Spielen nach draußen. Hans-Josef und Friedhelm blieben bei den Erwachsenen im Haus. Wir spielten und tobten draußen vor dem Haus. Ob es auch einen Garten hinter dem Haus gab, entzieht sich meiner Erinnerung. Irgendwann flossen dann aber bei mir ein paar Tränen. Mit zwei pfiffigen und starken Jungen zu spielen, kannten Vera und ich nicht. Es war schon eine Herausforderung für uns. Und so gingen wir wieder ins Haus, um getröstet zu werden. Nun muss man wissen, dass der kleine Herbert Tante Agathas ganzer Stolz war. Sie vergötterte ihr „Herbertken“ und bekam ganz strahlende Augen, wenn sie ihn ansah. Auch weil er so ein Draufgänger, aber dann wieder ganz lieb und ein Strahlemann war. Herbert konnte Tante Agatha um den Finger wickeln. Ich konnte so viel weinen, wie ich wollte, es half mir nichts. - Ich hatte meine erste Geschlechterschlacht verloren. - Du bist doch schon etwas älter und musst doch Rücksicht nehmen. Jawohl!!! Schnell war der Ärger aber auch wieder vergessen.

Nach dem Abendessen holte Onkel Franz seine Gitarre und spielte uns wunderschöne Lieder vor. Das war ja etwas ganz Tolles und ich hatte sowas Schönes noch nicht gehört. Musik machen gehörte nicht zu unserem Alltag in Borken. Wir Kinder hüpften und tanzten zu den Klängen, sehr zur Freude von Onkel Franz, der munter weiter spielte. Auch die Eltern tanzten mit uns. Alle waren alle sehr ausgelassen. Irgendwann fielen mir dann die Augen zu. Den Jahreswechsel habe ich verschlafen.

Am nächsten Morgen besuchten wir dann noch unsere Oma Maria, Vaters Mutter. Sie wohnte fünf oder sechs Häuser weiter. Es war das letzte Haus an der Landstraße. Dahinter fing für mich die unergründbare weite Welt an. Oma wohnte mit Onkel Albert und Tante Elisabeth und deren Kindern Elisabeth, Josef und Heinz zusammen. Im Jahre 1956 komplettierte als viertes Kind Renate diese Familie. Oma Maria war die zweite Frau von unserem Großvater Joseph, der allerdings schon im Jahre 1925 gestorben war und den meine Geschwister und ich deswegen nie kennengelernt haben. Sie war nicht nur meine Großmutter, sondern auch meine Patentante, eine liebe kleine Frau. In meiner Erinnerung hatte sie einen großen Garten hinter dem Haus. Wenn wir mal bei Oma zu Besuch waren, es kam allerdings nicht sehr häufig vor, weil Lembeck-Endeln so weit von Borken entfernt war, jedenfalls nach den damaligen Verkehrsverhältnissen, durften wir in diesem spielen und auch mal ein paar Früchte pflücken. Nach einiger Zeit mussten wir dann diesen unendlich langen Weg über die Landstraße wieder zurück, damit wir den Zug nach Hause nicht verpassten.

Besuch bei Onkel Johann in Heiden

Einen Besuch bei Tante Hanna und Onkel Johann (in unserer Familie nur Onkel Hans genannt) in Heiden machten wir in den 50er Jahren so ca. zwei- bis dreimal im Jahr. Sicherlich, weil Heiden von Borken aus am schnellsten zu erreichen war. Alle anderen Verwandten wohnten gefühlt zig Kilometer entfernt in Lembeck-Endeln. Aber sicherlich hatten Mutter und Vater auch eine enge Beziehung zu den beiden, so war Onkel Hans auch der Patenonkel von meinem Bruder, und wir Kinder spielten gerne mit unserem Cousin Hänschen und den Cousinen Hanni und Magdalene. Stets machten wir den Weg - ca. 6 km - zu Fuß. Fahrräder für die ganze Familie gab es nicht und an ein Auto war zu dieser Zeit überhaupt nicht zu denken. Also: per Pedes, immer dabei ein Kinderwagen für die Kleinen.


Vater Johann Hülsdünker mit Ehefrau Hanna und ihren Kindern Hanni und Hänsken

Im Jahre 1961 kaufte Vater einen weißen VW Käfer. Welch ein Fortschritt! Jetzt musste aber jemand einen Führerschein machen. Ich war 18 Jahre und durfte dies tun. Hurra!!! Und so machten wir uns eines Tages auf, einen Besuch bei Onkel Hans mit dem Auto vorzunehmen. Alle einsteigen! Es geht los! Alle, das waren: Vater, Hans-Josef, Beate und ich. (Unsere Mutter war leider, leider schon im Mai jenes Jahres verstorben und unsere Schwester Vera war bereits verheiratet und wohnte mit Mann und Tochter Christiane in Wesel.)

Mit Herzklopfen und Stolz in der Brust fuhren wir los. Alles klappte prima. In Heiden angekommen fuhr ich in die Einfahrt des Hauses an der Marbecker Straße. Während des Kaffeetrinkens im Haus wurde ich schon ganz aufgeregt. Wie komme ich nur rückwärts aus der Einfahrt wieder hinaus? Dann war es soweit. Rückwärtsgang rein und langsam zurück. Toll, es funktionierte. Aber oh je! Ich war zu weit gefahren. Hier muss man wissen, dass Onkel Hans am Ortsrand wohnte und die Straße alle 50 m einen Begrenzungspoller hatte. Statt rechtzeitig rückwärts auf die Straße einzubiegen, hatte ich zu weit zurückgesetzt. Beim Bremsen ging das Auto vorne in die Knie und hinten ein wenig hoch und dabei muss es geschehen sein. Jetzt wollte ich anfahren, um auf der Straße in Richtung Borken zu fahren. Aber: Nein! Das Auto fuhr nicht los. Ich stand quer auf der Straße. Was jetzt? Ich stieg aus, um zu sehen, was geschehen war. Die Stoßstange des Autos hatte sich auf dem Begrenzungspoller der Straße festgesetzt. Warum musste auch unbedingt so ein „Scheißpoller“ genau gegenüber der Einfahrt stehen? Mein Adrenalinspiegel stand Oberkante-Unterlippe. Nur so kann ich mir erklären, wo ich die Kraft hergenommen habe, das Auto kurzerhand an der Stoßstange anzuheben und so zu „befreien“! Schnell wieder einsteigen. Und unter den Blicken der Verwandten ging es wieder zurück nach Hause.

Der Gästebitter oder Einladung zur Hochzeit von Onkel Fritz


Der „Gästebitter“ Albert Hülsdünker mit Ehefrau Elisabeth

Wir schrieben das Jahr 1956. Es war noch ganz jung und wir saßen bei den winterlichen Temperaturen im warmen Wohnzimmer. Ich musste - durfte - wie in jeder freien Minute für meine jüngeren Geschwister stricken. Mutter sagte immer „Brunhild strickt ja so gern und gut“. In Wirklichkeit wäre ich viel lieber zu den anderen Nachbarkindern nach draußen gegangen, aber ich mochte meiner Mutter nicht widersprechen. Und so, als wir alle am warmen Ofen saßen und ich einen Pullover für Hans-Josef oder das erste Kleidchen für Beate strickte, klingelte es. Wer kann das wohl sein?

Herein trat ein großer, schwarz gekleideter Mann mit einem seltsamen Hut auf dem Kopf. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Heute weiß ich, dass es ein Zylinder gewesen sein muss. Da stand er im Wohnzimmer und trug ein Gedicht vor. Ich war fasziniert, verstand aber nicht, was das zu bedeuten hatte.

So plötzlich wie er gekommen war, musste er auch wieder weg, ohne einen Schnaps oder ein Glas Wasser zu trinken. Er musste noch zu den anderen Verwandten, um dort auch das Gedicht aufzusagen. Als er gegangen war, erkundigte ich mich bei meiner Mutter, was das zu bedeuten hatte. Und sie erklärte uns dann, dass es ein Gästebitter gewesen sei, der uns zur Hochzeit von Onkel Fritz eingeladen habe. Das war doch mal eine super Sache und wir freuten uns riesig darauf.

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