Читать книгу Gefährliche Verwandtschaft - Karin Feuerstein-Praßer - Страница 19

Eine Braut für den französischen Thronfolger

Оглавление

Damit war die denkwürdige Situation eingetreten, dass ein Vasall des französischen Königs, der Herzog der Normandie, gleichzeitig die englische Krone trug und damit über eine größere Macht verfügte als sein eigener Lehnsherr, dessen Kronland nach wie vor kaum über die Île-de-France hinausging. Doch zu Beginn des 12. Jahrhunderts sollte es Frankreichs König Ludwig VI. (1081–1137) gelingen, seine Machtbasis gegenüber den konkurrierenden Territorialherren weiter zu stabilisieren. Aber erst der plötzliche Tod eines seiner Vasallen versetzte ihn in die glückliche Lage, die Krondomäne beachtlich zu vergrößern. Im April 1137 starb Herzog Wilhelm X. von Aquitanien völlig unerwartet im Alter von nur 38 Jahren. Er hinterließ keinen männlichen Erben, sondern nur zwei Töchter, von denen Eleonore, die Ältere, neue Herzogin von Aquitanien wurde. Doch Eleonore war zu diesem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt und somit kaum in der Lage, die schwere Bürde ihres neuen Amtes zu schultern. Deshalb hatte Wilhelm X. noch auf dem Sterbebett den Wunsch geäußert, man möge das junge Mädchen mit dem französischen Thronfolger verheiraten, dem gleichnamigen Sohn Ludwigs VI.

Natürlich war der König nur allzu gern bereit, den letzten Wunsch seines treuen Vasallen zu erfüllen. Mit dieser Hochzeit würde nämlich das südwestfranzösische Aquitanien, eines der schönsten und reichsten Länder Frankreichs, das sich vom Indre bis zu den Pyrenäen erstreckte und zu dem die blühenden Städte Bordeaux und Poitiers gehörten, in seinen eigenen Besitz übergehen. Welch enormer Macht- und Prestigegewinn!

Aquitanien, auch unter den Namen Okzitanien oder Longue d’oc bekannt, besaß nicht nur eine eigene, auf dem Galloromanischen fußende Sprache, sondern auch eine ganz besondere Kultur. Und die war nicht, wie damals üblich, ausschließlich von Kirche und Christentum geprägt. Eleonores Großvater, der virile Herzog Wilhelm IX. (1071–1126) pflegte in seiner Freizeit poetische Verse zu verfassen – und begründete damit ein völlig neues literarisches Genre: die Troubadour-Lyrik, die später auch unter deutschen Minnesängern begeisterte Nachahmung fand. Hatte die mittelalterliche Dichtung bislang fast nur aus frommen lateinischen Texten bestanden, verfasste der Herzog jetzt Liebesgedichte in der Sprache seines Volkes und ging schließlich als „Wilhelm der Troubadour“ in die Geschichte ein.

Die junge Eleonore war nun also in einer heiteren und geistreichen Umgebung aufgewachsen, wo sie sich inzwischen als ebenso gebildete wie kunstsinnige junge Dame präsentierte, hübsch und selbstbewusst obendrein.

Seinem siebzehnjährigen Sohn musste Ludwig VI. die Heirat mit der schönen Aquitanierin jedoch erst einmal schmackhaft machen. Der französische Thronfolger konnte mit der sinnlichen Welt der Troubadoure nämlich überhaupt nichts anfangen, im Gegenteil. Erzogen unter der Obhut des gelehrten Abtes Suger von St. Denis, Berater seines königlichen Vaters, war es ursprünglich der größte Wunsch des Zweitgeborenen gewesen, selbst einmal die geistliche Laufbahn einzuschlagen. Der junge Ludwig (1120–1180) war sehr fromm, betete viel und las voll Inbrunst religiöse Texte. Den Gedanken an eine Heirat hatte er lange Zeit weit von sich gewiesen. Doch das Schicksal wollte es anders, der frühe Tod seines älteren Bruders machte alle Aussicht auf ein kontemplatives Leben zunichte. Ludwig blieb keine andere Wahl, als seinem Vater eines Tages auf den Thron zu folgen. Dass er heiraten und Kinder zeugen musste, um die Dynastie der Kapetinger fortzusetzen, war in diesem Zusammenhang nur natürlich und selbstverständlich. Als gehorsamer Sohn hatte sich Ludwig dem väterlichen Willen zu fügen, was er auch tat.

Gefährliche Verwandtschaft

Подняться наверх