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11. Bruderschaft

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Misstrauen

"Wir müssen miteinander reden, offen reden, Bruder", ließ sich die um mühsame Selbstbeherrschung bemühte Stimme des Ältesten vernehmen, der zu der Person sprach, deren Schattenriss auf der Wandtäfelung einen monströsen Kopf erzeugte, welcher über das dunkle Viereck, verursacht durch einen schweren Eichenstuhl, hinausragte und sich nach oben hin zu einem Grau zu verflüchtigen schien.

"Offen!", sagte der Sprecher betont, "und ohne Vorbehalte."

Der andere ließ ein verächtliches "Ssst" ertönen. "Wer kann hier noch wem trauen, Bruder, nach allem, was vorgefallen ist? Wer die perfiden Pläne beurteilen, die jeder ...", und er machte eine bedeutungsvolle Pause, "jeder, auch einstmals gute, feste Freunde", wieder eine Pause und der Schattenkopf bewegte sich ein wenig, " gegen mich auszudenken bereit ist." Er zischte die folgenden Worte. "Der Macht, der Gier oder der Eitelkeit ergeben, alles in den Dreck tretend, was einstmals unser gemeinsames Bekenntnis war?"

Der andere schwieg. "Ihr seid zu sehr mit Euch selbst beschäftigt, Bruder", ließ der Erstere wieder ertönen und seine Stimme klang jetzt entfernter. "Auch das ist eine Sünde, die für einen Großmeister unverzeihlich ist."

Der Angesprochene schnaubte wütend, sagte jedoch nichts.

"Die Situation hat sich unschön entwickelt", gab nun der Älteste mit brüchiger Stimme zu, wieder dem Ange-sprochenen näher gekommen. Nun mischte sich auch sein Schatten in den des im Stuhl sitzenden Gesprächspartners. "Aber ich möchte doch dringend daran erinnern, dass jetzt Egoismen unangebracht sind und auch die Verfehlungen der Vergangenheit, da nehme ich mich nicht aus, nichtig sind und überwunden werden müssen, wollen wir nicht allesamt ...", wieder machte er eine Pause, "schuldig werden, durch Tatenlosigkeit, schuldig durch unsere aus Verbohrtheit entstandene Lähmung, Initativlosigkeit, die Dinge aus der Hand gleiten zu lassen."

Der Angesprochene schwieg und die Schatten trennten sich wieder.

"Was schlägst du also vor?", fragte der Sitzende vorsichtig und verstimmt.

"Wir müssen die Forschungsergebnisse zum Siegel offen legen, bekannt geben, was bislang gesichert ist, unsere Hypothesen zur Bedeutung und Wirkungsweise diskutieren ..."

"Niemals!", unterbrach ihn der Sitzende und sein Schatten verschwand, als er sich aus dem Stuhl erhob und ließ nur dessen grobes Rechteck an der Wand zurück.

"Es ist schon zu viel Verrat im Spiel und wollt ihr dem oder den Verrätern die Macht über das Siegel geben, indem wir seine Geheimnisse verraten?"

Der Ältere lachte ärgerlich.

"Mach dich doch nicht lächerlich, Bruder!", erwiderte er scharf, " Wir wissen doch so gut wie nichts darüber, nicht einmal, ob es noch dort ist, wo wir es vermuten!"

Ein angespanntes Schweigen erfüllte den Raum.

"Ich glaube nicht, dass es noch dort ist!", erwiderte der andere.

"Glaube, glaube, glaube!", keifte der Ältere. "Was ist aus dir nur geworden, mein Sohn, ich hatte so viel Hoffnungen in dich gesetzt? Wo sind dein Mut, dein Durchsetzungsvermögen, dein scharfer analytischer Verstand geblieben? Verkümmert hinter dem Gespenst hysterischer Angst!"

"Es reicht Vater", knurrte der jüngere, beleibte Bruder, Großmeister der Bruderschaft. "Ist ein Toter nicht bereits genug?"

Wieder entstand eine nachdenkliche Pause.

"Ich verstehe dich, Bruder Sebastianus!", erwiderte der Älteste mit seiner krächzenden Stimme."Jedenfalls bemühe ich mich, das zu tun. Aber bemühe dich bitte auch, meine Worte ruhig und konsequent zu durchdenken, so wie wir es gewohnt waren und wie es unsere geistige Schule von uns verlangt. Das sind wir uns und du insbesondere deinem Amte schuldig!"

Nach einer Weile ließ der Großmeister, der nun wieder im Stuhl Platz genommen hatte, leise vernehmen: "Ich habe wirklich Angst, weil ich die Veränderung fühle, auf eine unheimliche, unfassbare Weise. Ich muss gestehen, ich fürchte fast, verrückt zu werden."

"Eben, eben", ließ der Greis sich vernehmen."Eben, darum solltest du dich mir ganz offenbaren. Ich werde dich nicht tadeln, das weißt du, so gut solltest du mich kennen. Ich werde dich nicht verhöhnen, noch dich verraten, aber ich werde dir zuhören und dich beraten, ohne Schonung, das weißt du doch, mein Sohn?"

"Ja, Bruder", erwiderte der Großmeister nun leise. "Wie es die Regel verlangt!"

"Wie es die Regel verlangt!", echote der Greis.

Der Schatten erhob sich wieder aus dem Stuhlrechteck und man hörte Schritte durch den Raum klingen, langsame, vorsichtige Schritte. "Ich sehe manchmal seltsame Dinge, Vater!", begann er.

"Weiter, weiter!", drängte der Alte.

"Ach, ich kann es nicht beschreiben!", entgegnete der Beleibtere, "Es entzieht sich dem Zugriff des Verstandes, wenn ich es beschreiben möchte, ist es fort, nicht mehr fassbar!"

"Eben!", antwortete der Greis.

"Was heißt - eben?", schrie Bruder Sebastianus und seine Silhouette vereinigte sich nun mit dem Stuhl, auf dem er sich mühsam abgestützt hatte.

"Es scheint mir ein Teil des Mysteriums des Siegels zu sein, dass es sich dem forschenden Verstand entzieht", meinte dieser.

"Aber dann wäre es nicht ergründbar!", entgegnete der Sprecher ärgerlich.

"Nein, ergründbar nicht aber ...", hob der Greis an.

"Aber?"

" ... erfahrbar!", beendete er seinen Satz.

"Das sind mystische Belange auch!", entgegnete der Großmeister.

"Eben!", bekräftigte der Alte.

"Du meinst, das Siegel käme von ... Gott?", räusperte sich der Angesprochene.

"Ach, papperlapp", entgegnete der Ältere ganz entgegen seiner vorsichtigen Art. "Gott ist doch Kinderkram! Nein, hier geht es offenbar um Dinge, die mit keinem menschlichen Begriff zu benennen sind!"

"Entschuldige mal, Bruder, ich glaube, du vergisst dich!", rief der andere sichtlich empört.

Dieser schwieg eine Weile. "Ich muss mich wirklich bei dir entschuldigen. Ich bin unverzeihlich aus meiner Rolle gefallen, Bruder. Vergib mir. Aber ich ahne Zusammenhänge, über die ich mir Gewissheit verschaffen möchte. Ein schwacher menschlicher Geist, wie der meine, ist da leider zum Scheitern verurteilt."

"Ich bitte dich, Vater!", beschwichtigte der andere, doch der Ältere wiegelte ab.

"Doch, doch, ich sehe leider meine zunehmende Unfähigkeit, die Dinge noch insgesamt zu fassen. Wir benötigen den Geist aller Brüder, denn nur die geballte Verstandeskraft unserer Bruderschaft scheint mir in der Lage zu sein, die richtigen Informationen zu sammeln, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

Wir müssen wieder zusammen finden, im Herzen, überwinden was, uns entzweit hat, Bruder. Ich flehe dich an. Überwinde deinen Zweifel und vertraue wieder deiner Kraft, die dich zu unserem Vorsitzenden gemacht hat. Du hast dich deiner Rolle bislang für würdig erwiesen. Gib nicht auf, jetzt, wo wir dich alle brauchen!"

Der andere schwieg betreten. So hatte er den Alten noch nie erlebt. Was war aus ihnen allen geworden, seit sie in den Besitz des Siegels gekommen waren?

Sollten etwa dämonische Kräfte wirken? Sollte das Siegel gar eine teuflische Machenschaft sein, ein Ausdruck des Bösen?

"Beruhigt Euch, Vater!", beschwichtigte er den Alten und rückte ihm einen der schweren Lehnstühle zurecht, damit dieser sich setzen könne.

"Ich glaube, ihr habt recht!", gestand er nach einer Weile des Nachdenkens.

"Ich werde den Konvent einberufen."

"Das würde ich nicht raten", entgegnete der Alte kopfschüttelnd.

Der Großmeister schaute seinen alten Ratgeber und Vertrauten fragend an. Bruder Adalbert war fast ein halbes Jahrhundert lang Großmeister des Ordens, bevor er nun über neunzigjährig vor etwas mehr als 3 Jahren ihn, seinen Zögling, in sein jetziges würdevolles und auch schweres Amt empfahl.

Schwer vor allem, da er nicht mit der Wucht, der gegen ihn entfesselten Intrigen gerechnet hatte.

Das Amt und seine Nähe zum Konvent, einer halboffiziellen Organisationsform der katholischen Kirche, mit unangenehmer Nähe zum Heiligen Stuhl in Rom und den damit verbundenen Schaltstellen der Macht in Politik und Wirtschaft, stand schon immer im Mittelpunkt des Interesses verschiedener Gruppierungen, die dadurch Einfluss und Profit erlangen wollten.

Bruder Adalbert hatte es über all die Jahre verstanden, das eigentliche Anliegen des Ordens, welcher an sich keine Doktrin vertrat, auch nicht die der katholischen Kirche, sondern sich dem unvoreingenommenen, selbstlosen Wissenserwerb und der Selbstläuterung verschrieben hatte, durch alle Wirren der Zeit zu vertreten, auch unter Einsatz seines Lebens, im Dritten Reich, dem andere Orden, wie die Freimaurer, nicht viel entgegensetzen konnten.

Auf seinen fragenden Blick hin murmelte der Alte missmutig:"Zuviel Neid, zuviel Institution, divergierende Interessen, du weißt schon Bruder, das alte Lied. Halt den Kopf unten und bleib in Deckung. Belass es vorerst bei der Bruderschaft. Selbst von dort finden die Informationen ja leider schnell genug den Weg nach draußen, wie ich vermute."

Unbehaglich nickte der Großmeister. Der letzte Disput war ihm noch in allzu guter Erinnerung.

"Vielleicht sollten wir den Ball noch niedriger halten", schlug er vor", und nur diejenigen befragen, die sich in letzter Zeit intensiv mit dem Siegel befasst haben?"

Doch der Alte wiegelte mit einer heftigen Geste ab. "Ich verstehe deine Bedenken. Aber wir haben bereits allzu lang jeder sein eigenes Süppchen gekocht, das hat ja zu der gegenwärtigen Situation geführt. Nein, auch wenn ich deine Bedenken nicht wirklich ausräumen kann, aber so wie ich die Dinge sehe, werden wir durch den weiteren Verlauf der Ereignisse ohnehin genug Grund haben, uns zu fürchten, da hilft die Verbindung zu guten Bekannten und schweißt auch zusammen."

Der Großmeister sah ihn überrascht an.

"Auch ich leide in letzter Zeit unter ...", der Alte zögerte, "unter seltsamen Sinneswahrnehmungen, vor allem während der Kontemplation, die mich ehrlich gesagt nicht wenig ... ängstigen."

Der Tanz der Bienen

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